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Der Kommandant des Tower 55

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Fünftes Buch
Erstes Kapitel

Wie Sir William Sharington mit dem Admiral konfrontiert wird

Ein Gefangener im Tower!

Es war ein plötzlicher und trauriger Wechsel, der den stolzen Seymour getroffen hatte – am Morgen einer der mächtigsten Edelleute im ganzen Land, Hunderte seinem Wink gehorchend und am Abend – ein Gefangener im Tower!

Ein Gefangener! – Er ein Gefangener! Es war schwer, sich an die Wirklichkeit des entsetzlichen Gedankens zu gewöhnen. Und doch, als er die engen Wände ringsum anschaute, da drängte sich ihm die volle Gewissheit auf und es ward ihm zumute wie einem Todkranken. Auch sein Gewissen wurde wach und verschärfte die Qual, die er erduldete. Aber dennoch fühlte er sich nicht zerknirscht, trotzdem, dass er sich die Größe der Verbrechen, die seine Seele belasteten, nicht verhehlen konnte. Er erkannte nicht die Gerechtigkeit der Strafe, die ihn traf und murrte gegen das Schicksal.

Man kann sich keinen furchtbareren Seelenzustand wie den des unglücklichen Mannes denken. Die Furien schienen ihn mit all ihren Schlangen zu geißeln und ihn zum Wahnsinn treiben zu wollen. Er konnte die entsetzlichen Reflexionen nicht mehr ertragen und warf sich auf sein Lager hin, um im Schlaf Vergessenheit zu suchen. Aber sein Schlummer war kein friedlicher, seine Träume waren kaum weniger schrecklich als die Gedanken, die ihn im wachen Zustand peinigten.

Ein zweiter Tag verging wie der Erste. Nichts unterbrach die traurige Monotonie, nur Tombs erschien zu gewissen Zeiten und brachte ihm Kleider und andere von dem Kommandanten besorgte Gegenstände.

Von Tombs konnte der Gefangene nichts erfahren, was ihm über die Absichten des Conseils Aufschluss gegeben hätte. Er hatte gehofft, bald verhört zu werden, aber in dieser Hoffnung fand er sich getäuscht. Seine Feinde hätten kaum eine größere Qual erfinden können, als ihn so seinen eigenen Gedanken zu überlassen.

Der schärfste Schmerz aber, der ihn peinigte – schärfer als der Verlust von Rang und Macht – war der Gedanke, dass er die Prinzessin Elisabeth nicht sehen, nicht einmal von ihr hören konnte. Wenn er sie nur noch einmal sehen könnte, so würde er zufrieden sein; wenn er nur von ihr hören könnte, es würde seine Seelenpein lindern. Sie musste von seinem Sturz unterrichtet sein, und vielleicht fand sie ein Mittel, mit ihm zu verkehren. Aber kein Brief, keine Botschaft kam.

Selbst Sir John erschien nicht. Hatte das Conseil ihm verboten, den Gefangenen zu besuchen? Wenn er den Kerkermeister deshalb fragte, so antwortete dieser, er glaube es. Seymour hatte keine Ahnung von den Schrecknissen der Gefangenschaft gehabt, bis er sie selbst erfahren hatte. Die einsame Haft war ihm unaussprechlich qualvoll – fast nicht zu ertragen.

Indem wir den unglücklichen Mann eine Weile sich selbst überlassen, wollen wir sehen, was seine Feinde unterdessen begonnen hatten.

Am Tage nach des Admirals Verhaftung wurde sein Amtssiegel abgeholt und den Händen eines der Staatssekretäre übergeben. Alle seine Privatpapiere und Korrespondenzen wurden mit Beschlag belegt, und mehrere seiner Hausbeamten, von denen man wusste, dass sie sein Vertrauen besaßen und vielleicht gegen ihn aussagen könnten, wurden verhaftet. Seine beiden Besitzungen, Seymour House und Chelsea Manour House, wurden eingezogen. Ersteres mit seiner ganzen prächtigen Einrichtung eignete sich der Lordprotektor an, und Letzteres wurde nach einiger Zeit dem Grafen von Warwick für den Somerset geleisteten Beistand verliehen.

Nach Sudley Castle und Holt Castle wurden Bevollmächtigte gesandt, die von beiden Vesten Besitz ergreifen sollten. Die Schlösser wurden ohne Widerstand übergeben, denn die Anhänger des Admirals verloren sämtlich den Mut, als sie von seiner Verhaftung hörten. Sudley Castle wurde dem Marquis von Northampton, dem Bruder der unglücklichen Catharina Parr, verliehen, und Holt Castle wurde eine Garnison für königliche Truppen.

Sechs schnell segelnde Kriegsschiffe wurden nach den Seilly-Inseln geschickt, um von den hier aufgestapelten Vorräten Besitz zu ergreifen und der im Sold des großen Konspirators stehenden Piratenschiffe habhaft zu werden. Ferner wurden kräftige Maßregeln ergriffen, um in den verschiedenen Grafschaften, die man dem Admiral freundlich gesinnt wussten, Unruhen zu verhüten, und mehrere Anführer wurden verhaftet und später gehängt.

Infolge dieser schleunigen und entschiedenen Mittel, die auf Warwicks Rat und unter seiner Leitung ausgeführt wurden, erstickte man die Insurrektion vollständig. Als der Führer fiel, zerstreuten sich die Banden, auf die er gezählt hatte. In London fand eine kleine Demonstration seinetwegen statt. Die Lehrlinge waren von seinen Anhängern aufgestachelt worden und machten Lärm über seine Verhaftung, aber die Bürgerwehr brachte sie bald zur Ruhe.

Das war der Ausgang einer der verwegensten und ungeheuerlichsten Verschwörungen, die jemals ersonnen wurden, und so fiel mit Lord Seymour das ganze Gebäude, das er so mühsam errichtet hatte. Aber vor dem Anstifter der Verschwörung wurde das alles sorgfältig verheimlicht, und was er auch ahnen mochte, er wusste nicht, wie vollständig sein Werk war untergraben worden.

Am sechsten Tag nach seiner Verhaftung wurde dem Admiral durch Tombs mitgeteilt, dass er vom Conseil verhört werden solle, und natürlich war ihm die Botschaft willkommen. Er hatte in der Zwischenzeit seine ganze Fassung wiedergewonnen. All sein Mut war zurückgekehrt und Hoffnung belebte seine Brust. Nachdem er sich auf seine Verteidigung vorbereitet hatte, redete er sich ein, er würde nun seine Feinde zuschanden machen können.

In schwarzen Samt gekleidet, erwartete er die Vorladung zum Verhör. Der Kommandant des Towers brachte sie in eigener Person und mit ihm kam eine Wache, um den Gefangenen zum Quartier des Lieutenants zu bringen, woselbst das Conseil versammelt war. Sir John sah ernst und streng aus und verweigerte alle Antworten.

Nach kurzem Verweilen im Vorzimmer wurde Seymour in das große getäfelte, bereits beschriebene Gemach geführt, wo er alle Mitglieder des Conseils, Cranmer ausgenommen, um einen mit grünem Tuch bedeckten Tisch sitzen fand. Vor ihnen lagen Stöße von Briefen und anderen Papieren, die Seymour sofort als auf ihn bezügliche erkannte.

Am anderen Ende saß der Graf von Warwick, der Graf von Southampton zu seiner Linken, Lord Russell zu seiner Rechten. Die Gesichter der Versammelten verkündeten nichts Gutes. Aber Seymour war nicht der Mann, der sich durch finstere, drohende Blicke einschüchtern ließ. Zwischen zwei Hellebardieren stehend, schaute er die Versammlung herausfordernd an und reckte sich zu voller Höhe empor. »Mylord«, nahm Warwick das Wort, »wir hoffen – obwohl Eure stolze und sichere Haltung kaum zu einem solchen Schluss berechtigt – dass die Haft, die Ihr erduldet, eine bußfertige Stimmung in Euch erzeugt hat, dass Ihr bereit seid, ein Bekenntnis der schändlichen Verbrechen abzulegen, deren Ihr Euch schuldig gemacht habt, deren Beweise wir in Händen haben, und dass Ihr Euch der Gnade des beleidigten Königs empfehlt.«

»Ich habe nichts zu bekennen, Mylord«, antwortete der Admiral, »ich bin keines Verbrechens schuldig.«

»Wir haben die Aussagen verschiedener Zeugen wider Euch«, sprach Warwick. »Sie sollen verlesen werden, und dann mögt Ihr sie widerlegen, wenn Ihr könnt.«

»Ich verlange ein öffentliches Gericht«, entgegnete Seymour. »Auf alle Fragen, die Ihr oder Eure Kollegen mir vorlegen mögt, verweigere ich die Antwort, denn ich weiß, Ihr seid meine Todfeinde.«

»Wagt Ihr die Gerechtigkeit des Conseils anzutasten?«

»Ja. Ihr könnt Euch die Mühe sparen, jene Zeugenaussagen wider mich vorzulesen. Ich werde nicht darauf antworten.«

»Wir werden schon Mittel finden, Euch gefügig zu machen, wenn Ihr in Eurer Hartnäckigkeit verharrt«, sagte Southampton. »Die Folter wird Euch zum Reden bringen.«

»Nein, und wenn Ihr selbst das Rad drehtet, Mylord, wie bei der armen Anna Askew. Was weiß ich, durch welche Mittel Ihr Euch diese Aussagen gegen mich verschafft habt? Stellt mir meine Ankläger gegenüber, und wir wollen sehen, ob sie ihre Aussagen aufrecht erhalten werden.«

»Wir könnten Euer Gesuch abschlagen«, antwortete Warwick, »aber am Euch zu beweisen, dass wir nicht so feindlich gegen Euch gesinnt sind, wie Ihr denkt, soll es gewährt werden. Bringt Sir William Sharington herein.«

Nach einer Weile wurde der unglückliche Münzmeister hereingeführt. Er war nicht imstande, allein zu gehen und musste auf einen Stuhl niedergesetzt werden. Er warf dem Admiral einen halb erschrockenen, halb flehenden Blick zu und schlug dann die Augen nieder.

»Sir William Sharington«, sprach Warwick, »Ihr habt bereits gestanden, dass Ihr zehntausend Pfund falsches Geld geschlagen und kleinere Münze zum Betrag von vierzigtausend Pfund geprägt habt. In wessen Auftrag und zu wessen Vorteil habt Ihr diese Verbrechen begangen?«

»Bevor Ihr antwortet, Sir William«, rief Seymour, »verlange ich, dass Ihr mir gerade ins Gesicht blickt.«

»Sprecht!«, rief Warwick, »und redet die Wahrheit.«

»Ich kann nicht reden!«, rief Sharington und krümmte sich unter des Admirals fürchterlichem Blick.

»Ihr habt ihm das Bekenntnis durch die Folter abgerungen!«, rief Seymour. »Er har mich beschuldigt, um sich zu retten. Ist es nicht so, Sir William?«

»Lasst Euch nicht einschüchtern, Sir, sondern bekennt die Wahrheit«, sagte Warwick. »Ihr könnt Euer eigenes Geständnis nicht ableugnen.«

»Wurde es ihm nicht durch die Folter entrissen?«, rief Seymour.

»Ja, freilich ward es das«, antwortete Sharington, »ich hätte sonst nichts bekannt. Ich bitte Euch am Verzeihung für das, was ich getan habe, Mylord.«

»Ich verzeihe Euch von Herzen«, entgegnete Seymour, »obwohl Ihr meinen Feinden eine Waffe gegen mich in die Hände gegeben habt. Aber sie können jetzt keinen Gebrauch davon machen.«

»Das Conseil kann nicht in dieser Weise mit sich spielen lassen, Sir«, sagte Southampton zu dem Münzmeister. »Sind Eure Aussagen gegen Lord Seymour wahr oder falsch? Antwortet!«

»Führt mich weg und bringt mich wieder auf die Folter, wenn Ihr wollt!«, rief Sharington. »Ich möchte lieber sterben, als dieses Verhör bestehen!«

»Du wirst am Galgen sterben, du falscher, doppelzüngiger Geselle!«, rief Warwick. »Aber wir haben dein Geständnis – von dir eigenhändig unterzeichnet – und das genügt. Bringt ihn hinweg!«

Und der unglückliche Mann wurde abgeführt.

»Eure erste Anklage zerfällt in nichts, Mylord«, sagte Seymour triumphierend. »Und ich zweifle nicht, dass es mit den anderen ebenso ergehen wird.«

»Betrügt Euch nicht selbst, Mylord«, sagte Southampton. »Wir alle sind von der Wahrheit von Sir William Sharingtons Geständnisse überzeugt und es genügt zu Eurer Verurteilung. Aber Eure Verbrechen sind ebenso zahlreich, wie sie schändlich sind. Es werden sechsunddreißig auf Hochverrat und andere Kapitalverbrechen lautende Anklagen gegen Euch erhoben werden. Ihr seid beschuldigt, all Euren Einfluss auf das Gemüt des jugendlichen Herrschers aufgeboten zu haben, um ihn mit dem Gouvernement unzufrieden zu machen und die Leitung der Geschäfte in Eure Hand zu bekommen. Ihr seid beschuldigt, die Dienerschaft des Königs bestochen, das Projekt einer Heirat des Königs betrieben zu haben, beschuldigt, danach gestrebt zu haben, den König in Eure Gewalt zu bekommen, zur höchsten Gefahr des Reiches, mit verschiedenen missvergnügten Adligen und Edelleuten konspiriert, heimlich eine Armee von zehntausend Mann aufgebracht, Geld und Vorräte beschafft zu haben, um diese Truppen einen Monat lang zu unterhalten.

Ferner seid Ihr angeklagt, Holt Castle in Verteidigungszustand gesetzt, mit einer starken Garnison und Kriegsvorräten versehen, Sudley Castle befestigt und Euch in Besitz der Scilly-Inseln gesetzt zu haben, die Euch als Zufluchtsort dienen sollten. Alles das tatet Ihr in der Absicht, Rebellion und Bürgerkrieg zu erregen. Aber außer diesen Verbrechen lasten noch andere auf Euch, die von ehrloserer Art sind und die Euren Namen mit ewiger Schande bedecken müssen. Nicht nur, dass Ihr den kolossalen Betrug, den Sir William Sharington ausgeübt hat, veranlasst und ausgebeutet habt, sondern Ihr seid auch beschuldigt, und es kann erwiesen werden, dass Ihr das hohe, Euch anvertraute Amt missbraucht, unter allerlei falschen Vorwänden Geld von den Kaufleuten erpresst, Wracks mit Beschlag belegt, den rechtmäßigen Eigentümern Ersatz verweigert und Euch mit Piraten verbündet und ihre Beute geteilt habt. Fügen wir diesem langen Schuldverzeichnis noch hinzu, dass Ihr heimlich versucht habt, die Hand von Seiner Majestät Schwester, der Prinzessin Elisabeth, der zweiten Erbin des Thrones, zu gewinnen, während Ihr sehr gut wusstet, dass eine solche Heirat dem Willen des verstorbenen Königs zuwiderlief und ohne die Einwilligung des Conseils nicht geschlossen werden durfte! Was habt Ihr gegen diese Anklagen zu sagen?«

»Ich leugne sie alle!«, antwortete Seymour kühn.

»Euer Leugnen wird Euch nichts helfen. Wir haben Beweise genug gegen Euch. Wir haben die Aussagen Ugo Harringtons, des armen Mannes, den Ihr ermordet habt, des Marquis von Dorset, Fowlers des Kammerdieners, Hornbeaks, Blades und anderer Piraten, mit denen Ihr konspiriertet, und die sich jetzt im Gefängnis befinden – und der Erzieherin der Prinzessin Elisabeth, der Mistress Ashley. Unter der ganzen Reihe von Beschuldigungen, die wider Euch erhoben worden, ist keine, die nicht bewiesen werden könnte.«

»Und doch leugne ich sie entschieden«, sprach der Admiral. »Ich will jeder gegen mich erhobenen Anklage rede stehen, aber nicht hier. Ich verlange ein öffentliches Gericht und Ihr könnt es rechtmäßig nicht verweigern.«

»Es würde die Sicherheit des Staates gefährden, wenn über Verbrechen, wie die Euren, öffentlich verhandelt würde«, erwiderte Southampton. »Wir richten uns nach dem Verfahren, das in ähnlichen Fällen unter der vorigen Regierung eingeschlagen wurde …«

»Mit anderen Worten: Ihr wollt mein Verderben«, unterbrach ihn Seymour. »Ich soll ungehört verurteilt werden. Hört auf mit diesem Hohn gegen die Gerechtigkeit und verurteilt mich nur gleich zum Block.«

»Wenn Ihr Eurer Verbrechen überführt seid, Mylord, so wird Euer Urteil schnell genug erfolgen«, sagte Warwick, »schneller vielleicht, wie Ihr wünscht.«

»Ich werde dem Tod mit Fassung entgegensehen, er komme, wie oder wann er wolle«, entgegnete Seymour. »Ich schonte Euer Leben, Mylord von Warwick, als es in meiner Hand lag, und so zahlt Ihr mir wieder! Ihr wollt mich verderben, aber es wird Euch nicht gelingen. Der König gibt meinen Tod nicht zu.«

»Der König kann einen verurteilten Hochverräter nicht begnadigen«, sprach Warwick. »Noch einmal, verharrt Ihr bei Eurer Weigerung, auf unsere Fragen zu antworten?« »Entschieden!«

»So ist das Verhör geschlossen. Lasst den Gefangenen wegbringen, Sir John!«

Der Admiral wurde hierauf abgeführt und wieder zum Bowyer Tower gebracht.