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Der Marone – Smythje im Jagdanzug

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 4

Smythje im Jagdanzug

Verschiedene Tage waren bereits seit jenem verstrichen, an welchem Herr Montagu Smythje der Gast von Custos Vaughan wurde. Während dieser Zeit waren weder Mühen noch Kosten gespart, um ihn zu unterhalten. Pferde wurden ihm zum Ausreiten gestellt, eine Equipage zum Ausfahren, große Mittagsessen wurden veranstaltet und zahlreiche Gesellschaft für ihn eingeladen. Die beste Gesellschaft der Bay und der benachbarten Pflanzungen war dem reichen englischen Stutzer vorgeführt worden, dem Eigentümer einer großen Pflanzung und, wie man sich bereits heimlich zuzuflüstern begann, dem wahrscheinlichen Besitzer noch einer anderen.

Die Heiratsentwürfe des würdigen Custos waren von Anfang an vermutet und wurden bald der Gegenstand manches Gesprächs und mancher Erörterung. Es mag hier doch erwähnt werden, obwohl es kaum notwendig erscheint, dass Herr Vaughan in seinen Absichten auf den würdigen Smythje das Feld keineswegs allein behauptete. Es gab noch andere Eltern in der Pflanzerverbrüderung der Nachbarschaft, die mit gut aussehenden Töchtern gesegnet waren. Manche von ihnen, Väter wie Mütter, hatten ein Auge auf den Herrn von Schloss Montagu als auf einen höchst wünschenswerten Schwiegersohn geworfen. Jedes solches Elternpaar gab geschwind ein großes Mittagessen, um dem britischen Löwen so bald wie möglich ihre unschuldigen jungen, aber immer heiratslustigen Lämmlein vorzuführen.

Der so bevorzugte Londoner Stutzer lächelte freundlich zu allen solchen Anstrengungen, in dem er seine hervorragende Stellung wie sich von selbst verstehend und lediglich seinen persönlichen Begabungen zukommend betrachtete.

So vergingen die ersten vierzehn Tagen von Smythjes Aufenthalt auf Jamaika höchst angenehm und heiter.

An einem wunderschönen Morgen am Ende dieser vierzehn Tage konnte man in einer der größten Schlafkammern von Willkommenberg, die für die Aufnahme des hochstehenden Gastes aufs Vortrefflichste hergerichtet war, Herrn Montagu Smythje seinem Spiegel gegenüber erblicken. Er war bei dem höchst wichtigen Geschäft, sich anzukleiden, begriffen, oder richtiger gesprochen, er erlaubte seinem Kammerdiener huldvoll, ihn anzuziehen.

In dem ausgedehnten Kleidervorrat der Londoner Zierpflanze waren Anzüge für alle Zwecke und für jede Gelegenheit vorhanden, Anzüge für den Morgen, den Mittag und den Abend, ein Anzug zum Reiten und einer zum Fahren, ein Anzug für die Jagd und einer fürs Fischen, ein Anzug zum Rudern à la matelot und ein großes costume de bal.

Gegenwärtig wurde Herrn Smythjes liebreizende Persönlichkeit in einen Jagdanzug gehüllt. Obwohl ein westindischer Jäger oder ein englischer Förster über einen solchen Firlefanz spöttisch gelächelt haben würde, so betrachtete der Stutzer, der Londoner Cockney, ihn doch mit Selbstgefälligkeit als höchst zweckmäßig, ja, als durchaus notwendig und unerlässlich.

Der Jagdanzug bestand in einem französischen tunikaartigen kurzen Oberrock von grünem Seidensamt und mit feinem Pelzwerk besetzt, in einer helmartigen Jägermütze. Anstatt der kurzen Beinkleider und der Stulpenstiefel, die eigentlich dazugehörten, hatte er die ganze Tracht nach seiner eigenen Erfindung verbessert, in dem er seine Beine in lange und enge bis auf den Fuß hinabgehende Pantalons gesteckt hatte. Diese waren aus feinem strohfarbigen Rehleder angefertigt und daher sanft und zart wie gämsenlederne Handschuhe. Deshalb saßen sie auch ganz eng um Lenden und Waden und zeigten unverhüllt die Storchbeine des Inhabers in vollendeter Entwicklung. Dazu waren sie unten mit Riemen über ein Paar glänzender lackierter Stiefel befestigt – ein anderer offenbarer Missgriff, über den ein wirklicher Jäger sofort herzlich gelacht haben würde.

Diese kleinen Neuerungen am Jagdanzug waren von Herrn Smythje selbst mit dem größten Aufwand von Scharfsinn erdacht worden, der sich deshalb für ein modisches Original ansah und auch stolz darauf war, da ihn ein ansehnliches Vermögen befähigte, seine Erfindungen unter seine sämtlich dem Stutzertum angehörenden Bekanntschaften einzuführen.

Theoretisch sah der Jagdanzug gar nicht so übel aus, aber vom praktischen Standpunkt betrachtet, wäre er nur für die Bühne eines Theaters geeignet gewesen, woher auch unbezweifelt der Gedanke dazu gekommen war.

Der Anzug des Herrn Smythje hatte noch niemals wirkliche Dienste geleistet, sondern wurde jetzt zum ersten Mal angelegt, seit er die Hände des kunstfertigen Schneiders verlassen hatte. Nicht ein einziges kleines Tüpfelchen entstellte die reinen rehledernen Beinkleider, nicht eine einzige ungehörige Falte konnte in dem glänzenden, samtenen Rock entdeckt werden. Rock, Weste und alles Übrige war neu und frisch, wie eben erst aus einer Putzschachtel hervorgeholt.

Der Zweck, weshalb Herr Smythje seine werte Person so ausrüstete, war sein Jagdausflug in die Berge, den er machen wollte, um einige Abwechslung in seine Vergnügungen dadurch zu bringen, dass er ein schreckliches Gemetzel unter den wilden Waldtauben und den Perlhühnern, die dort im Überfluss sein sollten, anrichtete. Sich selbst in dem glänzenden Jagdanzug, teilweise noch dazu von seiner eigenen Erfindung zu zeigen, war ganz sicher ein anderer eben so triftiger Grund, aber dieser war nur seinem Kammerdiener bekannt, einem viel zu gewandten Mann, um je die Überzeugung zu verraten, dass in seinen Augen sein Herr längst aufgehört habe, ein Held zu sein.

Die beabsichtigte Unternehmung war in des keine lange zuvor bestimmte und verabredete, sondern lediglich eine gewöhnliche, rein zufällige. Auch wollte der Jäger allein ausgehen, da der Custos an dem Tag ein wichtiges Geschäft vorhatte und Herr Smythje nun die Zeit zwischen Frühstück und Mittagessen nicht besser und angenehmer totschlagen zu können glaubte, als durch eine Wanderung in den benachbarten Wäldern. Dies war seine ganze Absicht, und ein Schwarzer, der ihn begleitete, alles, was er weiter dazu nötig hatte.

»Wahrhaftig!«, bemerkte er in einem Augenblick der Begeisterung vor seinem Spiegel stehend und sich an seinen Kammerdiener wendend. »Diese Kreolengeschöpfe sind reizend, auf Ehre, wirklich reizend! Nichts auf dem Theater oder in der Oper nur mit ihnen zu vergleichen! So schöne Augen, so himmlische Gestalten, und doch so leichte Eroberungen! Auf Ehre! Ein gutes Dutzend kann ich schon aufzählen! Ha, ha, ha!«, fügte er aus vollem Halse höchst selbstgenügsam lachend hinzu, »das ist aber auch nur natürlich – meinst du nicht auch so, Thoms?«

»Vollkommen natürlich, Ihre Gnaden«, erwiderte Thoms mit hinlänglich irländischer Aussprache, um sofort darzutun, dass er ein ursprüngliches Kind der grünen Insel sei.

Der Mädchenbesieger und Frauenheld war entweder noch nicht vollkommen mit seinen zwölf leichten Eroberungen zufrieden und wünschte die Anzahl noch höher zu bringen, oder er war auch über eine derselben keineswegs ganz in Gewissheit, wie aus dem folgenden, zwischen ihm und seinem Vertrauensmann sich entspinnenden Gespräch hervorgeht.

»Höre mal, Thoms«, sagte er und wandte sich in ernster Weise an seinen Diener. »Du bist doch ein außerordentlich gescheiter Bursche! Das bist du, auf Ehre! Wahrhaftig!«

»Danke, Eure Gnaden. Gewiss hat mich Eure Gnaden Gesellschaft so gemacht.«

»Kann sein, kann sein! Aber ich habe deine Klugheit gewiss bemerkt.«

»Dann steht sie auch stets zu Eurer Gnaden ergebenstem Dienste.«

»Woll, woll, Thoms. Ich habe sie auch allerdings jetzt nötig.«

»Wozu, Eure Gnaden? Ist etwas, was Eure Gnaden wünschen, das ich tun soll?«

»Ja, du kennst doch das Negermädchen? Das braune Mädchen mit dem Turban, mein ich?«

»Fräulein Vaughans Kammermädchen?«

»Ja, gerade die. Yolaw oder in der Art ist des Geschöpfes Namen.«

»Ja, Eure Gnaden, Yola, das ist ihr Name.«

»Woll, Thoms, ich denke, du musst prächtige Gelegenheit haben, mit ihr zu schwatzen, mit dem Mädchen, mein ich.«

»Gelegenheit genug, Eure Gnaden. Ich habe oftmals mit ihr geplaudert.«

»Ganz gut. Nun das nächste Mal, wenn du mit ihr plauderst, Thoms, kannst du sie mal auspumpen.«

»Sie auspumpen! Was ist das, Eure Gnaden?«

»Nun, etwas aus ihr herausbringen!«

»Da versteh’ ich Eure Gnaden wirklich nicht.«

»Was verstehst du nicht? Du bist doch nur ein dummer Kerl!«

»Halten zu Gnaden, Eure Gnaden Gesellschaft …«

»Was, Bursche! Meine Gesellschaft macht dich dumm?«

»Nein, Eure Gnaden, das nicht, Sie haben mich nicht ganz gehört. Ich wollte sagen, dass Eure Gnaden Gesellschaft mir das bald abnehmen würde.«

»Ha, ha! Das ist was ganz anderes! Nun höre mich ordentlich an und verstehe mich recht. Ich will, du sollst dich mit dieser Yola unterhalten und dabei einige Geheimnisse aus ihr herausziehen.«

»Oh!«, antwortete Thoms, diesen Ausruf aufs Längste ausdehnend und den Zeigefinger flach an die Nase legend. »Nun verstehe ich Eure Gnaden erst.«

»Schon recht – schon recht.«

»Das will ich schon besorgen, fürchten Sie nichts. Aber was für Art Geheimnisse soll ich für Eure Gnaden aus ihr herausziehen?«

»Ich wollte, du solltest ausfindig machen, was sie von mir spricht – nicht das Kammermädchen – sondern ihre Herrin.«

»Was die schwarze Zofe von ihrer Herrin spricht?«

»Thoms, du bist heute Morgen unerträglich einfältig. Durchaus nicht, durchaus nicht, sondern was ihre Herrin von mir spricht, von mir!«

»Oho! Was Fräulein Vaughan von Eure Gnaden spricht?«

»Ja, das ist’s.«

»Meiner Seele, das will ich ausfindig machen, jedes Wort davon.«

»Wenn du das tust, Thoms, will ich dir eine Guinee schuldig sein.«

»Eine Guinee? Eure Gnaden?«

»Ja, und wenn du deinen Auftrag klug und geschickt ausführst, so will ich zwei daraus machen – zwei Guineen, hörst du?«

»Fürchten Sie nichts, Eure Gnaden. Ich will es schon aus der Zofe herausbringen, und sollte ich ihr auch die Zunge zwischen den glänzenden weißen Zähnen herausreißen!«

»Nein, Thoms – nein, nein guter Bursche, keine Raserei! Erinnere dich, wir sind hier Gäste und Willkommenberg ist kein Wirtshaus. Du musst mit Klugheit, nicht mit Gewalt verfahren, wie Shakespeare oder ein anderer von diesen schreibseligen Burschen gesagt hat. Ohne Zweifel, Klugheit allein kann den Sieg gewinnen.«

Und mit dieser zweifelhaften Bemerkung – zweifelhaft nämlich, ob sie sich auf Thoms Auftrag oder auf seinen eigenen Erfolg in der Werbung um Fräulein Vaughan bezöge – schloss Herr Montagu Smythje die Unterredung.

Thoms erteilte der Toilette des Jägers nun die letzte Vollendung, in dem er die Jagdmütze auf seinen Kopf setzte und über seine Schultern zahlreiche Koppeln und Gürtel hängte, woran unter anderem eine Jagdtasche, ein kupfernes Pulverhorn, eine zinnerne Trinkflasche samt Becher und ein großes Jagdmesser in lederner Scheide befestigt waren.

»Auf Ehre! Ein wunderbar kleidendes Kostüm!«, rief der Londoner Modenarr, sich selbst bewundernd aus, und besah sich noch einmal vom Scheitel bis zur Zehe in dem großen Spiegel. »Ein Mordkostüm – ganz jägermäßig! Meinst du nicht auch so, Thoms?«

»Ja, gewiss, Eure Gnaden, ganz gewiss!«

»Auf Ehre, ich muss mich meinen Freunden zeigen und Abschied nehmen, bevor ich loslege. Ja, das muss ich tun.«

So redend schritt der Stutzer stolz und steif, da die engen rehledernen Beinkleider jede freie Bewegung unmöglich machten, aus dem Gemach und wandte sich der großen Halle zu, offenbar in der Hoffnung, sich dem schönen Käthchen in seinem Mordkostüm zeigen zu können.

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