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Der Welt-Detektiv Band 6

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Tony Tanner – Agent der Weißen Väter 6.16

Wo die Erde blutet – Teil 16

Um einer Dame wie Lucille Chaudieu eine Freude zu machen, das wusste Tony, musste man ihr nur Gelegenheit zu einer schallenden Backpfeife geben. Kurz überschlug er alle Möglichkeiten, während er sie zur Tür begleitete.

Ja, jetzt hatte er die Wange gefunden, die er der Dame zum Abklatschen hinhalten konn­te!

»Würdest du mir die Freude machen und mit mir einen kleinen Spaziergang unterneh­men?«

Drei, zwei, eins, Tony konnte das Pfeifen der Granate hören und musste innerlich grin­sen. Frauen waren ja so simpel.

»Ja.« Lucilles Stimme hatte etwas, einen Klang, den man normalerweise nur in spanischen Arenen hört, wenn der Matador den Stier mit einem Stich erledigt hat und das Publikum auf die Sitze steigt.

»Wie bitte?«

»Gern! Musst du dich noch umziehen?«

»Hä?«

»Was ist, was schaust du so verwirrt, Tony?«

»Nichts, nichts, ich dachte nur, dann könnten wir uns wirklich … äh … aussprechen, ja, aussprechen könnten wir uns.«

»Das wäre so schön, Tony!«

Der menschliche Geist ist von dem Schöpfer des Universums mit gewissen Mechanismen ausgestattet, die ihm jede Form wirklicher Zufriedenheit, um den Begriff Glück erst gar nicht zu erwähnen, erst nach einer langen Phase harter innerer Arbeit ermöglicht.

Diese weise, dem Menschen jedoch nicht immer völlig einsichtige Einrichtung des Schöpfers brachte Tony Tanner an diesem Tag erneut in leichte Verwirrung.

Nachdem er am Vortag über genau dieses Gelände gestreift war, um ganz zufällig Lucille Chaudieu zu treffen und mit ihr ins Gespräch zu kommen, schritt sie nun neben ihm – und er bemerkte bei sich keinerlei Ansätze zu Ekstase und Jubel.

Es stimmte – Lucille hatte ihn gestern bloßgestellt, in die Pfanne gehauen wie Pillbury es formulieren würde. Das hatte im ersten Moment wehgetan, sehr weh, wie sich Tony jetzt ehrlich eingestehen musste. Aber damit war der Abend ja nicht zu Ende gewesen. Und der Grund, warum sich Tony Tanner das Hirn wegsaufen wollte, war nicht die Boshaftigkeit einer schönen Frau, sondern die Tatsache, dass es Kräfte gab, die Dutzende von Menschen über die Klingen springen ließen, um ihn, Tony Tanner, zu beseitigen. Es war nicht Angst oder eine Art von nachträglicher Panik, die Tony so verwirrte, sondern die Vorstellung, knapp dem Tod ent­ronnen zu sein.

Es war etwas anderes, das er nicht genau formulieren konnte, und genau darum quälte es, wie irgendein wichtiger Begriff, der auf der Zunge liegt, den man aber aussprechen kann. Nach längerem Nachdenken verglich es Tony mit der Empfindung, dass irgendjemand hinter einem steht. Man dreht sich schnell um und da ist keiner. Aber das Kribbeln im Nacken bleibt und man ist sicher, dass man sich nicht täuscht.

Um es kurz zu machen: Wenn Lucille ihm in diesem Augenblick gesagt hätte Ich treibe es ständig mit Steele, ich bekomme bei ihm sieben Mal einen Orgasmus, und sein Dingeling ist so riesig, dass du eine psychiatrische Behandlung brauchtest, wenn du es sehen würdest, dann hätte Tony freundlich gelächelt und es wäre ihm egal gewesen.

Dabei war Lucille sensationell. Sie war nicht gerade aufgedreht, aber sie wirkte wie fri­sches, kaltes Mineralwasser mit einem Spritzer Aquavit – oder irgendeinem anderen Zeug, das zugleich in der Kehle brennt und auf angenehme Art benebelt.

 

Als sie hinaustraten, berührten sich ihre Arme für einen Moment und Tony spürte die Wärme und Weichheit ihrer Haut wie eine ferne, aber köstliche Erinnerung – eine Mischung aus Streicheln und elektrischem Schlag.

Lucille ging vor ihm die Treppe hinunter, hüpfte in ihrer geschmeidigen Art, dass ihre Haare flatterten, und Tony wunderte sich, dass Frauen so schmale Schultern haben konnten und so zarte, schlanke Arme, die in unglaublich eleganten Händen endeten. Tatsächlich konn­te Lucille Chaudieu diesen Stufen abwärts gleiten wie das klare Wasser eines römischen Brunnens, das von der oberen in die unteren Schalen fließt. Weniger poetisch: Sie war zum Anbeißen.

Spätestens, als sie unten an der Treppe ankam und mit einem klingenden Lachen um einen Gärtner herumhüpfte, der ihr aus Versehen in den Weg trat, war sich Tony Tanner sicher, dass Lucille einen Ersatz für den nächsten Alkoholexzess sein könnte.

»Wohin?«

»Ich würde mir gerne einmal den kleinen Wald anschauen«, erklärte Lucille.

Oh Mann … Tony spürte, dass seine Haut prickelte, als würde ihm Champagner aus den Poren quellen. Mal abgesehen davon, dass Lucille bei ihren einsamen Streifzügen diesen Wald mit mehr als eintausend prozentiger Sicherheit schon ausführlich erkundet hatte, besaß dieser Hain mit seinen lauschigen Plätzen und seinen Lichtungen voller gedämpftem Licht auch eine hohe symbolische Bedeutung.

Und eine praktische. Tony schluckte. Auf irgendeine Art war die Sache schon entschieden. Es konnte nichts mehr schiefgehen und trotzdem war er jetzt am Zug und musste die richti­gen Dinge zur rechten Zeit tun.

Während sich in Tonys Nase der Duft von frisch gemähtem Gras mit dem Duft von Lucilles Parfum mischte, machte er sich Gedanken darüber, ob sein Deo allen kommenden Anforderungen gerecht werden könnte. Er hatte Zweifel. Unter seiner Achsel bildete sich so etwas wie eine feuchte Tropfsteinhöhle. Schweißflecken im Hemd wirkten sicherlich auch auf Französinnen nicht erotisierend, sagte sich Tony und bemühte sich völlig verkrampft um Entspannung.

Lucille lächelte ihn an. Sobald das Mädel seine Kratzbürstigkeit ablegte, war sie schlicht süß. Besser als eine Meg Ryan, die man in Zucker gewälzt hat, stellte Tony fest und fand den Vergleich blöde, weil es immer Francine gewesen war, die ihn in Filme mit dieser Hollywoodsüßspeise geschleift hatte, die er eigentlich nicht ausstehen konnte, weil er jedes Mal einen letalen Zuckerschock im Kinosessel befürchtete.

»Was ist? Du bist so still.« Lucille stupste ihn sanft an. Die Berührung ging Tony wieder durch und durch. Dieses Mädel hätte einen altersschwachen Eunuchen zur Sexmaschine wer­den lassen …

»Tut mir Leid«, murmelte er und ließ den Kopf etwas hängen. »Mir steckt wohl noch der Alkohol in den … (hier hätte Tony fast in den Gliedern gesagt) … im Kopf. Ist sonst nicht meine Art. Aber ich war gestern einfach fertig, hat mich alles ein wenig runtergezogen …«

Kunstvoll ließ Tony den Satz in ein unverständliches Gebrabbel ausklingen und senkte den Kopf noch etwas mehr. Das war miesestes Schmierentheater, aber im Krieg und so wei­ter war jedes Mittel recht und Lucille fuhr total darauf ab.

Sag einer Frau, dass sie dich so richtig fertiggemacht hat und du sammelst Punkte noch und nöcher, sagte sich Tony und verdrängte erste Anflüge von schlechtem Gewissen. Das lästige Aber-Ich bekam keine Chance, sich weiter aufzuplustern, denn Lucille ging jetzt ganz nahe neben ihm und legte ihren Arm um den seinen.

»Vergessen wir bitte, was war«, hauchte sie. »Lass uns ganz neu anfangen. Ich habe ges­tern eine ungeheure Menge an Ballast abgeworfen. Mein ganzes vorheriges Leben. Die Zeit mit Pierre – der mir klargemacht hat, dass er ein in der Wolle gefärbter, eingebildeter Mistkerl war, der mich nur als ein Schmuckstück ansah, das zu seinem Renault Alpine passte. Ich brauchte lange, um das zu akzeptieren. Und dann Mont-Alban. Er hat mich fasziniert und angewidert und ich hasste es, dass er mich faszinierte, ich kam mir so schmutzig vor, so erniedrigt, so nichtswürdig …«

Sie hielt an und zwang damit auch Tony zum Stehenbleiben. Ihr Arm blieb um seinen geschlungen, aber nun drängte sie ihren geschmeidigen Körper gegen ihn. Sie schaute ihn an, mit Augen, dunkel von Verlangen und Hoffnung. Tony spürte Lucilles warmen Atem auf sei­ner Wange. Seine Hand fand ihre Hüfte und fuhr über die leise knisternde Seide ihres Rocks, über ihre straffe Taille. Sie seufzte kaum merklich, als er sie berührte.

»Tony«, flüsterte Lucille.

Es war ein Name, den Tony Tanner noch nie gehört hatte, ein Name wie ein Versprechen, wie ein neues Leben, das ihm geschenkt wurde. Ihre Augen trafen sich. Lucilles Blicke waren wie ein Abgrund, eine Tiefe, die darum bettelte, dass sich Tony darin stürzen möge.

»Lass uns noch einmal bei null anfangen«, hauchte Lucille.

»Bitte, wir vergessen alles, was war, und lassen alles neu sein. Wenn du nur willst …«

Tony hörte jedes ihrer Worte und spürte zugleich ihren Atem auf seinen Lippen. Ihre freie Hand legte sich auf seinen Nacken, er erschauerte den Druck ihrer Finger, die unsicher waren, nervös, weich, voller Begierde, zugleich Frage und Bitte.

Lucille schloss die Augen, stellte sich auf die Zehenspitzen und überbrückte die letzten Zentimeter, die sie beide noch vom Paradies trennten.

Dann begann Tony Tanner wegzurennen.

***

Little saß zu dieser Zeit dort, wo er zu dieser Zeit immer saß … an einem Tisch, von dem aus der Blick über das Gelände schweifen konnte. Sein Gesprächspartner war auch derselbe wie immer – ein bärtiger, langhaariger Mann, der mit seinen dunklen Augen, den wuchernden Augenbrauen und der großen Adlernase das Idealbild eines fanatischen Mönches abgab. Tatsächlich hatte es im Leben von Iohannis Panpopidis eine Reihe von Ereignissen gegeben, die dem Ideal der mönchischen Askese geradezu diametral entgegengesetzt waren. Panpopidis war der Sohn einer holländischen Mutter und eines griechischen Vaters, aufge­wachsen in einer alternativen Kommune auf Rhodos.

Der Zufall wollte es, dass die Entwicklung seines Hormonsystems in etwa mit den ersten Beben der Hippiezeit und ihren sexuellen Gepflogenheiten zusammenfiel. So ergänzten sich kulturelle Umschwünge mit seiner persönlichen Prädisposition auf das Beste, und Panpopidis verbrachte glückliche, wenn auch schweißtreibende Jahre mit zahlreichen Mitmenschen, von denen er heute eigentlich nur wusste, dass sie jung, weiblich, willig und auf der Suche nach dem eigenen Ich, dem Glück, dem Geheimnis des Daseins und so weiter waren.

Dergleichen konnte Panpopidis nicht bieten, aber was er bot, reichte immerhin, um die Welt ein klein wenig glücklicher zu machen. Irgendwann kam Panpopidis einem tempera­mentvollen Begleiter einer solchen Schönen in die Quere, im Sinne des Wortes und mit sei­nen Rippen, zwischen die erstgenannter eine Messerklinge platzierte. Umgeben von außeror­dentlich unattraktiven älteren Krankenschwestern, über deren Oberlippen mehr Flaum wucherte, als sich so mancher erblühende Sechszehnjährige zu ersehnen wagt, hatte Panpopidis viel Zeit, über sein bisheriges Leben nachzudenken. Er fand es einfach klasse und nahm es erneut auf, sobald er sich aus dem Krankenhaus entfernen konnte.

Soviel wusste Little von seinem bevorzugten Gesprächspartner, und mehr war über das Leben des Panpopidis auch nicht zu berichten, weil nicht mehr stattgefunden hatte. Warum sich dieser Rauschebart hier auf Collesalvetti aufhielt, blieb Little ein Rätsel.

»Außenseiter sein«, sagte Panpopidis in diesem Augenblick und zupfte, wie es seine Gewohnheit war, an seinem Bart, »kann man ja durchaus von zwei Seiten sehen. Es kann ja durchaus auch die Mehrheit, die Masse der Menschen sein, die außen vor ist.«

»Das erscheint mir die Perspektive des Rolls-Roycefahrers.«

»Die deswegen aber nicht falsch sein muss.«

»Nein«, Little hörte seine Stimme wie die einer anderen Person, weil er mit den Gedanken schon viel weiter war.

»Noch einen Mokka? Sie sehen so blass aus, mein Lieber«, erkundigte sich Panpopidis.

»Gerne. Mir ist in diesem Augenblick etwas eingefallen. Es ist seltsam – manche Erinnerungen kommen so plötzlich, als würde sie erst in dem Moment entstehen …«

Little starrte auf den braunen Schaum auf seiner Tasse.

»Erfreuliche Erinnerungen?«, erkundigte sich Panpopidis und zupfte dieses Mal an seinen Augenbrauen.

Little zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht genau. Es geht um einen Bekannten mei­nes Vaters. Oder besser, um die Geschenke, die er mir manchmal schickte. Es waren nur sel­ten Spielzeuge. Meistens Bücher oder irgendwas in dieser Richtung. Na ja, ich wusste damit selten etwas anzufangen, aber weil ich wusste, dass mein Vater vor diesem Mann ungeheuren Respekt hatte – und mein Vater hatte sonst nur vor Maschinen Respekt – beschäftigte ich mich mit diesem Kram, der mir eigentlich eher auf den Geist ging. Nun ja, gestern Abend kam mir ein Bild in den Sinn. Das Bild eines Mannes, den ich vor kurzen gesehen hatte.

Und da wurde mir klar, dass ich mir diesen seltsamen Onkel Wock immer genauso vor­gestellt hatte. Geheimnisvoll, gefährlich, abgehoben, eine einsame Gestalt. Ein Außenseiter, der draußen bleiben will. Und einer, der Macht hat, ungeheuer viel Macht. Im Grunde habe ich es gehasst, dass er mich mir diesen Geschenken beglückte. Meinetwegen hätte er einem anderen damit auf den Geist gehen sollen. Es war eher Furcht vor meinem Vater, dass ich mich damit beschäftigte, ich meine mit diesen kuriosen Gaben. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, dass an mir ja etwas Besonderes sein muss, wenn sich so eine Gestalt wie dieser Onkel Dingsbums die Mühe macht, mich auf seine spezielle Art zu beglücken. Also musste dieser Kram, den er mir zuschickte, auch eine besondere Bedeutung für mich haben.«

»Klingt überzeugend.«

»Ich war schließlich überzeugt. Heute frage ich mich, ob er mich damit nicht exakt dort­hin gelockt hatte, wo er mich hinhaben wollte.«

»Und das wäre wo?«, fragte Panpopidis und zupfte an einem Nasenhaar. »Ich habe abso­lut keine Ahnung!«

Little hob seine Mokkatasse zum Mund, nahm einen Schluck und ließ die Tasse fallen. Klirrend zerbrach sie auf dem Tisch. Auf dem Tischtuch breitete sich ein brauner Fleck aus …

Für Steele hatte der Tag gut begonnen. Sein morgendlicher Dauerlauf führte ihn über das taufeuchte Gras der weiten Rasenflächen von Collesalvetti. Seine Schritte hinterließen eine silbrig glänzende Doppellinie, von den Ästen rieselten kühle Tropfen, wenn ein Windstoß durch die Bäume fuhr.

 

Das graue Frühlicht enthüllte einen bedeckten Himmel – das erste Mal seit Steele mit sei­nen Begleitern an diesem Ort eingetroffen war. Diese Wetteränderung verursachte bei ihm ein kaum merkliches Unbehagen, als könnte er, fast unbewusst, ein bedrohliches Knacken und Knirschen in der Welt vernehmen. Der blaue Himmel und die Wärme des Frühherbstes schie­nen so selbstverständlich mit diesem Ort verbunden zu sein, dass jeder Wechsel eine andere Bedeutung bekam, die weit über das bloße meteorologische Faktum hinausreichte.

Ärgerlich schüttelte Steele diese Empfindung ab und konzentrierte sich völlig auf das Laufen. Der Rhythmus von Ein- und Ausatmen gewann die Oberhand über das Unbehagen, die Sicherheit seiner kraftvollen Schritte wirkte überzeugender als jede Grübelei.

Steele lief sich warm, steigerte dann das Tempo und drehte seine Runden. Er schien, abge­sehen von einigen Amseln, die aus dem Wäldchen auf den Rasen glitten und den Läufer mit hochgerecktem Schnabel zugleich herrisch und misstrauisch beäugten, bevor sie sich dem Wurmfrühstück zuwandten, das einzige Lebewesen weit und breit zu sein. Selbst das Gebäude schien noch zu schlafen.

 

Als Steele vom Gras herunter und auf den Kiesweg lief, der an der Seite des Gebäudes entlang führte, hörte er Stimmen und das Klappern von Geschirr aus der Küche. Zwei Mädchengesichter erschienen in einem offenen Fenster und schauten neugierig nach dem Mann, der schnaufend und mit wuchtigen Schritten über den Kies knirschend vorbeieilte. Steele hatte genug Atem, um ihnen einen vernehmlichen Gruß entgegenzuschicken. Sie ant­worteten fröhlich und verschwanden dann blitzartig. Aus dem leeren Fensterrahmen erklang ihr mädchenhaftes Gekicher – silbrig klingende, reizende Albernheit wie das Gezwitscher von bunten Paradiesvögeln.

Nach einer Stunde war Steeles Baumwollanzug bis in die letzte Faser schweißdurchtränkt. Seine Oberschenkel begannen zu brennen und Trockenheit machte sich in seiner Kehle breit. Die Schritte wurden kürzer, verloren ihre federnde Kraft. Jetzt übergab der Körper das Kommando an den Willen und so lief Steele mit erhöhtem Tempo eine weitere halbe Stunde. Er nahm seine Umwelt nicht mehr war, befand sich in einem Tunnel, der aus den nächsten Schritten bestand, die er zu erledigen hatte.

Dann konzentrierte er sich auf die letzte Temposteigerung seines Laufes. Er nahm sich vor, bis zur übernächsten Zypresse mit höchster Geschwindigkeit zu laufen. Das waren etwa zwanzig Schritte mehr, als er sich bisher abverlangt hatte.

Steele beschleunigte bis zu dem Busch, den er sich stets als Marke gewählt hatte, erreich­te höchstes Tempo und rannte wie von Teufeln gehetzt, rannte, während die Luft wie heißes Wasser in seine Lunge floss, sein Herz wie ein irregewordenes Tier tobte und der Kopf zu platzen schien. Vor seinen Augen wankte die Landschaft, durchgerüttelt von seinen eigenen, hämmernden Schritten nahm Steele nur noch unklare, verwischte Bilder war. Jede Bewegung war nur noch ein Ausdruck von purem Schmerz. Jeder Meter, den er zurücklegte, war für Steele eine Beute. In seiner raubtierhaften Entschlossenheit riss er den Weg Stück für Stück hinter sich. Er schaffte sieben Schritte mehr als geplant und pendelte dann mit schlenkernden Armen, nach Luft schnappend, aus.

Im Stehen kippte er seine isotonische Getränke, die ihm vor dem Eingang des Gebäudes serviert wurden. Die Szene entbehrte nicht einer gewissen Komik – ein völlig durchgeschwit­zter Mann, der unruhig und immer noch schnaufend hin und her ging, während ein stoisches Hausmädchen in langem, blau-weiß gestreiftem Kleid und rüschenverzierten Handschuhen ein Silbertablett mit fünf Gläsern hielt.

Danach zog sich Steele um, machte sich etwas frisch und ging in den Raum, den er per­sönlich Folterkammer nannte. Niemand hätte beim Anblick von Collesalvetti erwartet, dass sich hinter der historischen Fassade ein Sportstudio befand, dass es mit allen derartigen Einrichtungen in einer Großstadt aufnehmen konnte. Allem Anschein nach war Steele der ein­zige Benutzer aller dieser chromglänzenden Maschinen.

Steele wurde von einem Trainer begrüßt. Nun ja, sagte sich Steele, dieser junge Mann schien neben ihm selbst der zweite Benutzer der Hanteln und Gewichte zu sein. Wie üblich kam die Frage, ob Steele musikalische Untermalung wünschte. Steele hielt musikalische Untermalung beim Gewichtstraining für eine Macke von Weicheiern und Hausfrauen, er wollte sich auf die Anstrengung konzentrieren und gönnte sich auch bei der zehnten Wiederholung im dritten Durchgang derselben Übung keinerlei Ablenkung.

Jetzt aber reizte ihn die mit einer gewissen provokativen Selbstverständlichkeit gestellte Frage: »Wünschen der Herr vielleicht etwas Musik zur Unterhaltung?« und Steele antworte­te: »So was wie Techno, hart, schnell und laut!«

Er gab diese Antwort, weil er von der Unerfüllbarkeit seines Wunsches überzeugt war.

Er sah (vielmehr hörte) sich getäuscht und war gezwungen, die nächste Stunde mit der akustischen Kulisse von hastigen Beats zu verbringen. Es war ungewohnt, ergänzte sich aber, so fand Steele nach einer Weile, ganz gut mit dem Surren der Seilzüge und einer gleichförmi­gen Tätigkeit, die äußerste Energie erforderte.

Der Trainer hatte die Aufforderung  zu lauter Musik sehr wörtlich genommen. Als Steele auf der Hantelbank lag, konnte er spüren, wie die Bässe alles in Vibration versetzten.

So schlecht war das alles nicht, die hämmernden Klänge waren, obwohl Produkte elektro­nischer Instrumente, auf urtümliche, archaische Art mitreißend. Sie krochen förmlich unter die Bauchdecke, vermittelten Energie und Aggressivität.

So fiel es Steele leichter, sich durch seinen Übungsplan zu quälen. Zuletzt kamen die Brustmuskeln an die Reihe. Die Langhantel lag in ihrem Ständer bereit, Steele legte sich auf die Bank, schob sich unter sie und drückte das Gewicht nach oben.

Er war erneut schweißgebadet. Beim letzten Durchgang ließ sich Steele zehn Kilo mehr Gewicht auf die Hantel legen und begann dann verbissen, den Stahl gegen die Schwerkraft zu bewegen. Die ersten drei Wiederholungen schienen überraschend leicht, die nächsten drei for­derten Steele alles ab, die siebte schaffte er nur noch unter äußerster Anstrengung.

Aber Steele wollte acht Wiederholungen. So ließ er das Gewicht auf seiner Brust ruhen, schnappte Luft und fing an, mit rotem Kopf, zusammengebissenen Zähnen und gefährlich angeschwollenen Adern, das Eisen hochzudrücken. Seine Muskeln brannten, die Arme zitter­ten. Von der Person Steele blieb in diesem Moment nichts mehr übrig. Sein Körper hatte nichts mehr mit ihm zu tun, seine Muskeln waren lediglich die Hülle für einen Willen, der sich auf den Satz Ich schaffe es konzentrierte. Mit einer Mischung aus Zischen und Keuchen brachte Steele die Hantel zum achten Mal in die Höhe, zwang seine zitternden Arme, das Gewicht in die Ablage zu platzieren und erst dann ließ er die Arme sinken.

»Sehr schön, hat Spaß gemacht«, konnte er nach einigen Sekunden sagen. Er setzte sich auf die Bank und genoss das Prickeln in seinen geschwollenen Muskeln.

»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, so erscheint mir die Art Ihres Trainings nicht als optimal«, sagte der Trainer.

»Sicher ist sie nicht optimal. Aber sie ist die, die ich will.«

 

Im sprudelnden Wasser des Entspannungsbades betrachtete Steele die blauen Striemen, die seine Schultern, seine Arme und seinen Oberkörper überzogen. Jeder markierte einen Treffer von Meister Ki. Was der äußerlichen Betrachtung entging, waren die Einschlagspuren in Steeles Selbstbewusstsein. Meister Ki hatte ihn schon bei ihrer ersten Begegnung auf das Format eines – im Sinne des Wortes – blutigen Anfänger reduziert. Schlimmer noch, denn ein Meister, der erkennen muss, dass er ein Nichts ist, steht schlechter da als ein Anfänger, der auf dem langen Weg des Lernens die ersten Schritte unternimmt.

Trotzdem bedeutete es jetzt für Steele ein Vergnügen, sich in das weite, blaue Kendo-Gewand zu kleiden und über den kurz geschorenen Rasen zur Fechthalle zu gehen. Ein Blick zum Himmel zeigte ihm dicke weiße Wolken, die sich mit großmütterlicher Betulichkeit durch das Blau bewegten. Wenn sie die Sonne verdeckten, so geschah das in einer Art, als wollten sie den Menschen sagen: »Schont doch eure Haut, Kinderchen!«

Der Weg zur Fechthalle führte durch eine steinerne Pforte in einer dichten Dornenhecke. Dahinter lag das flache schmucklose Gebäude, das im ersten Augenblick wie ein misslunge­ner Bastard aus westlichem Zweckbau mit japanischen Architekturformen wirkte.

Erst nach einigen Tagen hatte Steele festgestellt, dass das Gebäude tatsächlich schon meh­rere Hundert Jahre alt war und dass die japanischen Versatzstücke, wie Wandschirme und Rollbilder wertvolle Originale darstellten. Auf einem dieser Bilder waren die Schiffe der europäischen Langnasen dargestellt, was Steele zu der Vermutung führte, dass einer der Vorbesitzer von Collesalvetti Kenntnisse der japanischen Kultur hatte, vielleicht aus eigener Anschauung, und versuchte, an dieser Stelle Orient und Okzident zu verschmelzen.

 

Wie üblich hatte Meister Ki schon die schweren Schiebetüren der Südseite geöffnet. Der Blick fiel auf den dunklen Holzboden, den Generationen lauernder, angreifender und zurück­springender Füße blank poliert hatten.

Die beiden Männer begrüßten sich – Steele mit einem Vorbeugen des Oberkörpers, Meister Ki mit einem Kopfnicken.

Statt wie üblich sofort die Schutzrüstung anzulegen und zu den Bambusschwertern zu greifen, deutete Meister Ki auf einen dreibeinigen Schemel an der einen Seite der Halle.

»Ruhe finden zuerst du musst«, nuschelte Meister Ki mit seiner Fistelstimme. Ohne sich weiter um Steele zu kümmern, zog er sich auf eine Matte auf der gegenüberliegenden Seite zurück und versank in Meditation.

Etwas ratlos setzte sich Steele auf den Schemel. Er hatte mit Anspannung und Bewegung gerechnet, das stille Sitzen stellte ihn vor eine ungeahnte Herausforderung.

Meister Ki hatte Steele, das stellte der mit wachsender Verärgerung fest, einmal mehr aus­getrickst. Genauso wie bei allen Übungsstunden, wenn er Steeles Angriffsbewegungen schon im Ansatz parierte, Steele mit unkonventionellen Finten ins Leere stolpern ließ oder, nachdem Steele selbst entdeckt hatte, dass auf diesem Fechtboden ein anständiger Kämpfer ein unfähi­ger Kämpfer war, den Hinterhältigkeiten seines Schülers mit Lehrbucheleganz begegnete.

Meister Ki hatte Steele eine Lektion erteilt. Wieder und wieder. Wenn Steele schnell war, war er langsam, wenn Steele rechts schlug, bestimmte Meister Ki, dass die linke Seite die richtige gewesen wäre. Er lächelte höflich, blieb undurchsichtig und schien seinerseits Steeles Absichten zu durchschauen, bevor der sich ihrer überhaupt bewusst werden konnte. Für Steele blieb die Sekunde voller Wut, wenn er erkannte, dass sein Schlag wieder nur pfeifend und sinnlos durch die Luft schnitt oder die Mischung aus Wut und unbewusst aufkommender Furcht, wenn sich der Treffer des Gegners nicht mehr vermeiden ließ.

Kleinere Erfolge Steeles wurden mit einem Hieb bestraft, den Meister Ki ungebremst ins Ziel brachte und dessen Klatschen ein Hinweis darauf war, welche Hautveränderungen durch die Berührung mit dem Bambusschwert hervorgerufen wurden.

Und dabei wirkte Meister Ki wie ein völlig harmloser und wohlwollender Onkel. Tatsächlich erschien er wie ein irdischer Verwandter der fülligen, weißen Wolkentanten, die Steele auf dem Weg zur Halle gesehen hatte. Jenseits der Sechzig war Meister Ki gute andert­halb Köpfe kleiner als Steele. Er war weder schlank noch füllig, hatte allerdings einen deut­lichen Bauchansatz, der den Eindruck der Behaglichkeit nur noch verstärkte. Auf einem kur­zen Hals saß ein runder Kopf, der sowohl an Kinn und Wange wie auch oben zwischen den Ohren einen Überzug aus kurzen Stoppelhaaren aufwies. Eine engagierte Hausfrau hätte wahrscheinlich beim Anblick dieses Kopfes sofort zum Staubtuch gegriffen, um die Kugel ordentlich zu polieren. Eine Stupsnase und ein kleiner Mund vervollständigten das Bild, das mit dem Attribut putzig treffend beschrieben wäre.

Eine Fliege kam von draußen und surrte mit unverschämter Selbstverständlichkeit durch die Halle. Schließlich setzte sie sich auf den Boden, wo ein Sonnenstrahl das Holz wärmte, putzte sich und summte wieder hinaus. Mit den durchbrechenden Sonnenstrahlen kamen der Duft des Rasens, der Geruch des alten Holzes und ein Hauch von Räucherstäbchen, den Steele jetzt zum ersten Mal bemerkte.

Die Augen hätten mich vorsichtig machen sollen, dachte Steele. Die Augen und der Bart. Ich habe ihn unterschätzt. Der schlimmste Fehler, den ich machen konnte. Ohne sich zu bewegen, schaute Steele zu dem Japaner hinüber.

Meister Ki hatte kleine schwarze Augen, die wie flinke, neugierige Tierchen aus ihren Höhlen schauten. Ungefähr so, als würden sie gerne aus ihrem Stall heraus und durch die Welt flitzen, spähend und witternd. Die Vorstellung hatte was: Augen, die wie selbstständige Wesen aus dem Kopf des Besitzers krochen und sich umschauten …

 

Jedenfalls machten sie deutlich, dass behäbige Wohlbürgerlichkeit nicht alles war, was den Meister Ki ausmachte. Natürlich, Steele hatte den Bart vergessen – ein langer, äußerst gepflegter und parfümierter Kinnbart in Frank Zappa- oder General-Custer-Manier. Zuerst hatte Steele den Haarschmuck mit innerlichem Grinsen mit einem Griff verglichen, der zur Handhabung des Billardkugelkopfes notwendig war. Manchmal strich Meister Ki durch sein Barthaar, vergewisserte sich sozusagen über das Vorhandensein seiner Manneszier und lächel­te. Jetzt erst, als er sich an diese Gewohnheit erinnerte, wurde Steele bewusst, dass Meister Ki eitel war. Nicht in der schrillen, aufdringlichen Art einer Diva, sondern in der gesunden, notwendigen und mit Ironie gewürzten Weise eines Menschen, der etwas über sich weiß, der etwas auf sich hält, weil er sich kennt und der etwas von der Welt kennt, in der er leben muss.

Steele war nicht eitel. Jedenfalls nicht auf die sympathische Art, die er jetzt bei Meister Ki entdeckte. Trotzdem stand Steele gestern kurz davor, diesem geschniegelten Lackaffen Tony Tanner schlicht und ergreifend die Fresse zu polieren. Dass dieser wandelnde Kleiderständer der Französin schöne Augen machte, ging Steele am verlängerten Rücken vor­bei. Dass Tanner sich aber zum Oberpsychologen aufschwang, um dieser spitzzüngigen Zicke zu imponieren, versetzten Steeles Wangenmuskeln in mahlende Bewegung.

Gestern hatte Dorkas die Situation gerettet. Steele hatte sich beherrscht und den Dicken mehr oder weniger imitiert.

Blieb die Tatsache, dass Steele kurz davor war, auf die Provokation seitens Lucille Chaudieu bzw. Tony Tanner zu reagieren wie ein Knallfrosch auf das Streichholz. Das war nicht seine Art. Durfte es nicht sein. Temperament oder Gefühlsausbrüche waren Störfaktoren.

Blieb die Tatsache, dass Tony Tanner mit seiner Einschätzung ins Schwarze getroffen hatte. Ja, dieser Fatzke hatte recht. Steele war nicht eitel, weil er sein Leben hinter sich hatte. Weil er nicht mehr in dieser Welt lebte.

Während er regungslos auf dem Schemel saß, tobten in Steele die Gedanken. Man konn­te Gedanken ganz gut vertreiben, indem man sich abends todmüde ins Bett fallen ließ und schlief wie ein Stein. Indem man sich körperlich bis an den Rand des Zusammenbruchs for­derte. Indem man seine gesamte Aufmerksamkeit auf Kampfübungen richtete.

Aber sicherlich nicht, indem man sich auf einen Hocker am Rande einer leeren Holzfläche setzt.

Meister Ki hatte Steele einmal mehr in die Falle gelockt.

 

Steele hatte seine Familie nicht schützen können, hier lag die Ursache seiner Selbstverachtung. Oder?

Gestern hatte Steele die volle Wahrheit über den Tod seiner Familie erfahren. Es war, als ob ein Puzzle, dessen Einzelteile er alle schon kannte, in eine neue Position geschoben wurde und ein anderes Bild ergab. Alle die Dinge, die er geahnt und vermutet hatte, nun aus dem Mund einer anderen Person zu hören, war erschreckend. Und es reizte Steele bis zur Weißglut, als hätte sich ein Fremder an etwas ganz Privatem vergangen.

Privat auf eine Weise, über die sich Steele bisher ungern Rechenschaft abgelegt hatte. Privat als seine ganz persönliche Rechtfertigung, die Welt zu verachten. Ihr ins Gesicht zu spucken, ihren Gesetze die ganz eigene Auffassung von Recht und Unrecht entgegenzusetzen. Sich sein eigenes Gesetz zu schaffen. Er nutzte das Ende seiner Familie als Maske, um dahinter die eigene Fratze zu verbergen.

Und hatte er seine Familie, diese über alles geliebten Menschen, nicht schon immer als Tarnung genutzt oder vielmehr missbraucht?

Ein Stöhnen entrang sich der Brust Steeles, als sich dieser Gedanke in seinem Bewusstsein formulierte. Die Frage saß wie ein Splitter in seinem Kopf. Sie enthielt eine unglaubliche Unterstellung, so unglaublich, dass Steele sie immer wieder verdrängen konnte. Jetzt hatte der Gedanke die Gelegenheit genutzt und sich in Worte gekleidet. Saß da wie eine fette Kröte und ließ sich nicht verscheuchen. Zog weitere Fragen mit sich, Zweifel, Vorwürfe. Wie war denn dein Leben, bevor du in Familie machtest? Hast du dir die Hörner abgestoßen oder hast du kapiert, dass du zwischendurch Ruhe brauchtest, ein kuscheliges, warmes Nest, um nicht völlig vor die Hunde zu gehen? Konntest immer auf das heile Familienleben verwei­sen, wenn dich irgendjemand oder du dich selbst fragtest, warum in aller Welt du das Bedürfnis hattest, den Walker-Pfeiler im Alleingang im Winter hochzukraxeln mit einer Über­lebenschance von eins zu hundertausend? Aber vor Elena hast du getan, als wäre es ein mun­teres Spiel für rosenwangige Knaben, bis sie dir irgendwann eine Drei-Kilo-Schwarte des Titels Moderner Alpinismus über den Kopf rammte und dich anschrie: Dann belüge mich wenigstens nicht, du Irrer. Sie hat es geahnt, sie muss es geahnt haben und sie muss darun­ter gelitten haben. Wie viel Prozent Lüge also steckte in deinem Familienleben und wie sehr passte es dir in den Kram, dass du den furchtlosen Rächer spielen kannst, musst, sollst, darfst??? Das passt dir alles nicht, Steele, stimmt’s? Aber mich kannst du nicht weghauen wie Tony Tanner oder all die anderen, die du weggehauen hast. Ich sitze in deinem Kopf.

Der Gedanke verschwand und hinterließ Leere.

Steele spürte einen Blick auf sich ruhen und hob den Kopf. Die schwarzen Augen von Meister Ki funkelten ihn neugierig an.

»Bereit jetzt du bist?«, erklang die Fistelstimme von der anderen Seite der Halle.

War Steele bereit? Er wusste es selbst nicht. Aber es war ihm egal. Er nickte und stand auf.

 

Meiser Ki drückte sich in den Stand, als wären seine Beine Stahlfedern und ging zu einem der Schwertständer an der Wand.

In diesen Ständern ruhten ziemlich alle Werkzeuge, die jemals geschaffen worden waren, um ein Lebewesen ohne Knall und Kugel umzubringen. Die Auswahl begann mit einer Sammlung von Keulen, reichte von ägyptischen Sichelschwertern über aztekische Holzschwerter mit Feuersteinklingen bis zu modernen Sportdegen, von Morgensternen, Streitäxten, Hellebarden, Spießen bis zu den gefürchteten Assagais der Zulukrieger.

Bisher hatte Steele der Sammlung wenig Beachtung geschenkt. Er hielt sie für reine Dekoration.

Jetzt allerdings beschleunigte sich sein Herzschlag, als er sah, dass Meiser Ki an dem Ständer mit den Bambusschwertern vorbeiging, ohne ihnen einen Blick zu gönnen und sich vor einige Claymore-Schwerter stellte. Egal ob diese Waffen geschliffen waren oder nicht ­allein ihr Gewicht machte sie tödlich. Was hatte der Japaner vor?

Meister Ki selbst schien unschlüssig. Er nahm eines der Claymore-Schwerter, beschrieb damit einige Achterformen in der Luft, wobei die Waffe ein schwer erträgliches, schrilles Pfeifen hören ließ, wog sie in der Hand und legte sie vorsichtig, als könnte das kiloschwere Eisending zerbrechen, zurück.

Die Wieselaugen von Meister Ki sausten zwischen Steele und dem Schwertständer hin und her. Die rechte Hand des Japaners strich über den gepflegten Kinnbart, während er über­legend weiter an der Wand entlang schritt. Ein Bidenhänder erweckte sein offensichtliches Wohlgefallen. Der Japaner nahm das gewaltige zweihändige Schwert, das durch seine schie­re Größe Furcht erregen konnte. Er setzte die Spitze auf den Boden. Der Handschutz war auf Höhe seines Scheitels, der lange Griff überragte ihn um eine Kopflänge.

Aus der Perspektive von Steele wirkte Meister Ki wie ein Kind, das sich mit dem Spielzeug eines älteren Bruders vergnügen will. Mit beiden Händen brachte Meister Ki die Waffe in Rotation. Wie ein Kreisel wirbelte die perfekt ausbalancierte Klinge um die eigene Längsachse. Ein plötzlicher Tritt gegen die Spitze schleuderte den Bidenhänder hoch in die Luft. Er schien leicht wie eine Feder gegen die Hallendecke zu schweben und fiel dann genau in die Hände des Meisters, als wäre sie ein gut dressierter Jagdfalke. Meister Ki nutzte den Schwung des Falls und formte ihn zu einem sausenden Sichelschnitt, bei dem er sich blitz­schnell um die eigene Achse drehte. Die Klinge durchschnitt fauchend die Luft, der weite blaue Kendoanzug bildete dazu mit manchmal hart klingendem, manchmal weich tönendem Flattern die Untermalung.

 

Für eine Weile blieben das die einzigen Geräusche in der Halle. Fasziniert schaute Steele zu, wie Meister Ki die schwere Waffe schwang. Er wirbelte sie um sich, drehte sich, wechsel­te die Griffhaltung, packte den Knauf mit der Rechten, fasste mit der Linken den ungeschlif­fenen Oberteil der Klinge und verwandelte sie in eine Stoßwaffe, mit der er einen imaginären Gegner durchbohrte, um im nächsten Augenblick die Waffe über die Schulter zu werfen, nach hinten zu stoßen und sich in der Bewegung umzudrehen, als müsste er einen von hinten angreifenden Gegner abwehren. Die Hiebe, Stöße, Schläge, Schnitte gingen ineinander über, ergänzten sich wie Töne einer in stählernen Noten gesetzten Harmonie, formten eine Choreographie, in der sich Stärke und Leichtigkeit miteinander vereinigten. Steele verstand nun, warum die Elitetruppen der Landsknechte als Schwertspieler bezeichnet wurden.

Tatsächlich vollführte Meister Ki ein Spiel, nichts anderes als das Guckt mal, was ich kann eines Kindes. Aber um das Spiel überhaupt spielen zu können, waren die Energie, die Zähigkeit und die Entschlossenheit eines Mannes notwendig gewesen. Es war ein Spiel, das sich aus harter Arbeit entwickelt hatte. Ein Spiel, das sich darum nicht selbst ernst nahm.

Die Klinge fuhr in den Boden, Meister Ki schwang sich an dem Griff wie an einem Stab hoch. Seine Vorführung war so perfekt, dass sich vor Steeles Augen die Situation, die durch­gespielt wurde, bildlich formte. Ein gepanzerter Reiter wurde durch den Tritt des Meister Ki aus dem Gleichgewicht gebracht, ein Stüber mit dem Schwertknauf ließ das Pferd steigen, der folgende weit ausholende Schlag warf den Reiter zu Boden, ein letzter Stoß erledigte den Gegner. Steele glaubte förmlich das erschrockene Wiehern des Pferdes, die Schreie der Kämpfenden, das Scheppern der Rüstungen und das Krachen, wenn sich Schwertstahl durch eine Panzerplatte bohrte, zu hören.

Vor seinen Augen wandelten sich zwei getrennte Dinge, ein Mensch und ein Schwert, zu etwas Neuem, dem Krieger.

Langsam, zäh, drängte sich das Verstehen durch alle Verkrustungen und Vorurteilen in Steeles Bewusstsein.

Meister Ki zelebrierte hier seine Eitelkeit, er wollte Steele beeindrucken. So dachte Steele und er war beeindruckt. Bis er verstand, dass Meister Ki so perfekt war, so vollkommen und eins mit sich und seinem Werkzeug, dass ihm jeder Beifall völlig egal war. Das hier war keine Vorführung, das war eine Lektion, eine besondere Lektion, geradezu ein Geschenk an Steele, den hartleibigen, unwilligen, vergesslichen, verständnislosen Schüler.

Meister Ki brachte ihm das bei, was Steele bisher nicht kapiert hatte. Vielmehr er hatte es verstanden und wieder verloren oder wieder verdrängt oder sich nicht genügend darum gekümmert.

Schau her, du verbohrter Narr, sagten Meister Kis mühelose Bewegungen, es ist alles so einfach und darum ist es für dich so schwer. Du verrennst dich, weil du glaubst, nur das Verworrene könnte eine Bedeutung haben. Nimm die Dinge, wie sie sind, du wirst sie nicht ändern können. Nimm die Schwerkraft, das Gewicht des Stahles, die Form des Schwertes, die Stärke deines Körpers. Akzeptiere sie, finde dich damit ab und mach das Beste daraus. Mach dein eigenes Ding. Du kannst, weil du willst. Weil du willst, kannst du. Werde etwas Einmaliges, Unvergleichliches und Unwiederholbares: Werde du selbst. Diejenigen, die selbst diesen mühevollen Weg gehen, werden dich verstehen. Und die anderen, die Masse, die Vielen und Ganzvielen? Scheiß drauf, wenn’s dir die Mühe wert sein sollte. Die Masse hat noch nie gezählt.

Mit zwei Drehungen um die eigene Achse ließ Meister Ki den Schwung seines letzten Hiebes ausklingen, legte den Bidenhänder zurück auf den Ständer und verneigte sich ehr­furchtsvoll. Ein prüfender Blick traf einmal mehr auf Steele, als Meister Ki mit zufriedenem Lächeln, eine Hand im Bart, wieder zurückging.

Dieses Mal zauderte Meister Ki nicht. Er griff nach einem japanischen Langschwert aus Holz, führte prüfend einige Schläge aus und warf dann ein zweites Schwert zu Steele hinü­ber.

Der Wurf war zu kurz, selbst mit blitzschneller Reaktion hätte Seele die Waffe nicht mehr auffangen können. Sie polterte über den Holzboden. Während Steele die drei, vier Schritte zurücklegte, dachte er an Musashi, den bekanntesten japanischen Schwertmeister, der sein letztes Duell mit einem Holzschwert ausgefochten hatte. Er hatte sein Schwert auf dem Weg zur Insel, auf der der Gegner wartete, selbst geschnitzt und den Gegner damit erschlagen. Das hier war also längst keine Übung, kein Spiel mehr. Oder eben doch.

Steele bückte sich, aus den Augenwinkeln sah er den Schatten auf sich zustürmen. Meister Ki hatte keinen Moment gezögert, den Vorteil zu nutzen, den er sich selbst durch den zu kur­zen Wurf des Schwertes verschafft hatte.

Für Steele blieb keine Zeit, seine Waffe in Position zu bringen. Mit einem senkrechten Hieb, in den er alle Kraft legte, hätte ihm Meister Ki den Schädel gespalten, wenn sich Steele nicht instinktiv zu Boden geworfen und zur Seite gewälzt hätte. Das Schwert diente ihm als Abwehr, aber weil er es nur mit einer Hand gefasst hatte, prellte ihm Kis Schlag die eigene Waffe schmerzhaft auf die Brust. Kis Schwert rutschte an Steeles Holzklinge ab und krachte auf den Boden, mit dem Donnern ihres Aufschlages noch Zeugnis für die Wucht des Hiebs ablegend.

Die eine Seite war Steele daher versperrt, er konnte sich nur zur anderen Seite wälzen, was für ihn ungünstiger war, weil er förmlich über die eigene Waffe hinwegrollen musste. Er kam herum, stützte sich auf ein Knie, als der nächste Angriff kam.

Das ist ein Holzschwert, du Obertrottel, man kann es auch an der Klinge anfassen, sagte sich Steele. Wie einen Stock hielt er das Schwert über den Kopf und im nächsten Augenblick prallte der Schlag von Meister Ki auf das Holz. Das Krachen dröhnte durch die Halle, war schmerzhaft laut in den Ohren.

Der Aufprall war ungeheuer hart, er ließ Meister Ki keine Möglichkeit, den vorhandenen Schwung in eine neue Bewegung umzuleiten. Der Japaner sprang einen Schritt zurück, hob seine Waffe für eine neue Attacke. Die zwei Sekunden genügten Steele, um auf die Beine zu kommen. Er hatte nicht die mühelose Eleganz seines Lehrers, sondern hätte einen Beobachter eher an die wuchtige Kraftentfaltung einer großen Katze erinnert. Für solche Selbstbespiegelungen blieb Steele indessen keine Zeit.

Er parierte den Angriff Meister Kis, indem er einen Ausfallschritt zu dessen Schwertarm machte, Kis Waffe an seiner Klinge abrutschen ließ, ging in die Bewegung des anderen, klemmte mit seinem linken Arm den Schwertarm des Gegners ein und riss den anderen in eine Drehung. Dann wollte Steele Kis Schwertarm für einen weiteren Augenblick blockieren, um selbst zum Schlag zu kommen. Der Gedanke war genial, aber Meister Ki setzte auf dasselbe Prinzip, und so fühlte sich Steele kraftvoll um die eigene Achse gewirbelt, verlor einen Herzschlag lang die Kontrolle und konnte im nächsten nur noch den Kopf einziehen und pas­siv den Schlag abwehren. Wurde selbst wieder zum Angreifer, weil er Kis Schwert zur Seite abgleiten ließ und den Schwertarm zu fassen bekam, musste loslassen, weil ihn Ki zur Seite zu reißen versuchte, und wurde durch einen Tritt von den Beinen gerissen. Steele revanchier­te sich, in dem er mit dem Fuß Ki umsäbelte, vielmehr umgesäbelt hätte, wenn der Japaner nicht im letzten Moment seine Attacke abgebrochen hätte und hochgesprungen wäre, was Steele die Möglichkeit bot, aufzuspringen und nach dem Gegner zu stechen, was der mit einem Seitschritt beantwortete, worauf Steele an ihm vorbeisprang und einen Hieb gegen die ungedeckte Seite des Gegners führte.

Zu seinem eigenen Erstaunen gelang ihm der Schwerthieb perfekt, Meister Ki konnte den Körper nur noch in geradezu akrobatischer Manier zurückbeugen. Das Schwert wischte knapp über dem in der Luft stehenden Kinnbart hinweg, dann konnte Steele seinerseits mit knapper Not einem Tritt ausweichen, den Ki zusammen mit einem Rückwärtssalto ausgeführt hatte. Zu gleicher Zeit setzten beide Gegner zu einer Attacke an.

Krachend trafen die Holzschwerter aufeinander, Brust an Brust standen sich Meister Ki und Steele. Die dunklen Augen trafen Steele mit einem munteren, amüsierten Blick. Meister Ki hatte ganz offensichtlich seinen Freude an diesem Duell.

Steele ließ sich nicht beirren. Er erhöhte den Druck, als wollte er den anderen nach hin­ten schieben, passte den Moment ab, in dem Ki zurückwich, um Steele ins Leere laufen zu lassen, ließ plötzlich nach und nutzte den entstandenen Raum zwischen ihnen für einen Schlag.

Ein Angriff folgte auf den nächsten, die beiden Kämpfer strickten mit dem Faden ihrer Aktionen ein kompliziertes Muster ohne Anfang und Ende und ohne Sieger und Verlierer.

Der Kampf forderte seinen Tribut, wo die Reaktionsschnelligkeit des einen nachließ, ver­minderte sich die Kraft des anderen.

Schweißperlen standen den beiden auf der Stirn, ihr Atem ging stoßweise, aber keiner war gewillt nachzugeben und keiner fühlte sich unterlegen.

So standen sie voreinander, belauerten sich, beobachteten das kleinste Zucken des ande­ren, das eine Aktion ankünden konnte.

Gemeinsam ließen sie die Schwerter sinken und schauten zur offenen Seite der Halle.

Sie hörten das, was in diesem Moment jeder auf Collesalvetti hörte.

 

Die friedliche Stille über dem weiten Anwesen wurde von Rotoren gestört, als würde ein übel gelaunter Sushikoch ein Stück Fisch zerhacken.

Steele setzte mit drei Sprüngen aus der Fechthalle, rannte über den Rasen zur Pforte. Seine weites Kendogewand rauschte um seine Beine und brachte ihn zum Stolpern. Zum Rennen war diese Kluft nicht gemacht.

Meister Ki erreichte direkt hinter ihm die Pforte.

Beide Männer wurden von demselben Instinkt zur Vorsicht getrieben. Sie schoben sich langsam vor und spähten auf das weite Gelände.

Zwei laut knatternde Hubschrauber pflügten in diesem Moment mit ihren Kufen durch die Baumwipfel, rissen einen Hagel von wirbelnden Blättern und Zweigen aus dem Wäldchen und setzten zur Landung an.

»Polizeihubschrauber dies sind. Blau die Farbe ist«, fistelte Meister Ki.

»Die italienische Polizei fliegt Lizenzbauten von Agusta. Dies hier sind Originale von Bell. Außerdem hat die Polizei kein Kinnradar.« Jeremiah Steele zog Meister Ki am Ärmel nach unten.

Was Steele Kinnradar nannte, war ein topfförmiger Auswuchs unterhalb des Hubschrauberbugs. Obwohl Steele keine Vorstellung von dessen Funktion hatte, machte ihm der Anblick eines deutlich: Hier schwebten keine Transportgeräte für des braven Bürgers Freunde und Helfer ein, sondern fliegende Waffensysteme, bis unter das Dach mit Elektronik vollgestopft.

Im Vergleich zu den bulligen, dunklen Helikoptern schienen die beiden Gestalten, die über den Rasen hetzten, zerbrechlich und klein. Beim zweiten Hinsehen erkannte Steele, dass es Tony Tanner war, der eine immer wieder strauchelnde Lucille Chaudieu hinter sich herzog.

Der Anblick schenkte Steele eine plötzliche Klarheit. Er wusste, was zu tun war. Während er den Kopf einzog und auf das Gebäude zurannte, erfüllte ihn plötzlich eine heiße Freude. Dies hier war keine Übung, kein Spiegelfechten, kein Schattenboxen. Er hatte geahnt, dass eine solche Attacke kommen würde, nun war sie da – endlich – und Steele spürte die Klarheit und Sicherheit, die aus einer Entscheidung geboren wird. Er hatte als Waffe nur ein Holzschwert, aber das musste reichen. Die Zeit der Kompromisse, des Abwartens und Duckens war vorbei. Jetzt galt es!

»Besser zu gehen durch diese Pforte ist es«, fistelte Meister Ki neben ihm. Es war Steele ein Rätsel, wie sich der kleine Japaner so schnell bewegen konnte. Zumal er keinerlei Zeichen von Anstrengung zeigte. Rechts von ihnen war ein Nebeneingang in der Längsseite des Gebäudes. Die Pforte hätte jedem Grand Hotel zur Ehre gereicht, aber auf Collesalvetti war es nur ein Nebeneingang.

Vermutlich hat der Japaner recht, schoss es Steele durch den Kopf. Sie werden versu­chen, frontal in das Gebäude einzudringen, einige werden die Nebeneingänge nehmen, aber das Gros geht vorne herein, sonst hätten sie ihren Angriff nicht so eingeleitet. Also kommen wir ihnen von innen entgegen, draußen haben wir sowieso keine Chance. Vielleicht schaffe ich es noch bis in mein Zimmer und kann meine Pistole holen …

 

Vor ihm rannte, nein, sprang Meister Ki. Seine Füße berührten nur kurz den Boden, dann warf er sich mit einem weiten Satz nach vorne und ähnelte mit seinem flatternden Gewand für einen Moment einem Reklameplakat mit einem Zirkusartisten. Die zehn Stufen, die vom Rasen zum Eingang führten, überwand Meister Ki mit einem weiteren fliegenden Satz, wäh­rend Steele hinter ihm zurückblieb und drei Sätze brauchte.

Oben fanden sie einen rauschebärtigen Panpopidis, der versuchte, einen völlig hysteri­schen Little durch die Tür zu bekommen.

»Wir müssen hinein, dort sind wir sicherer«, beschwor Panpopidis den anderen und zerr­te ziemlich unbeherrscht an dessen Jackett. Little hingegen kniff die Augen zusammen, tram­pelte auf den Boden und ballte die Fäuste. »Nicht schon wieder«, schrie er, »ich will nicht, nicht schon wieder das alles, ich will nicht, ich will sterben.«

»Das können Sie haben«, mischte sich Steele ein und beendete die weitere Diskussion, indem er Little mit einem Fußtritt umsäbelte, den Stürzenden auffing und sich wie einen Sack über die Schulter warf.

Innen stellte er Little einfach ab und stemmte sich mit den beiden anderen gegen die schweren Bronzetüren, die hinter einem gläsernen Türpaar den eigentlichen Eingang bildeten. Ihrem Gewicht nach konnten die beiden Türflügel durchaus dem Beschuss durch eine Panzerfaust widerstehen, schätzte Steele.

Hier im Inneren des Palastes wurde das Hacken der Rotoren durch die dicken Wände gedämpft. Das Geräusch, das draußen noch Panik erzeugt hatte, wirkte wie das Hämmern eines friedlichen Handwerkers. Die Verbissenheit, mit der die Männer sich daran machten, den Eingang zusätzlich zu verbarrikadieren, wirkte in der gepflegten Salonatmosphäre völlig deplatziert.

Als sie die schweren Riegel vorgelegt hatten, wandten sie sich keuchend um. Little stand mit schuldbewusst gesenktem Kopf vor ihnen.

»Ich habe mich wohl etwas kindisch benommen«, bekannte er zerknirscht. »Tut mir Leid, soll nicht wieder vorkommen.«

»Zumindest können wir sicher sein, dass da draußen nicht bloß der Steuerprüfer kommt«, knurrte Steele. Dann wandte er sich zu der Seite des Haupteingangs.

Hastige Schritte erklangen, erste Rufe störten die noble Ruhe. Einige Bedienstete liefen vorbei. Auf ihren Gesichtern lag nicht unbedingt Panik. Aber immerhin etwas, das ausreich­te, um die Salonatmosphäre so nachhaltig zu zertrümmern wie eine Abrissbirne einen Pappkarton.

***

Die Luft über ihnen vibrierte. Die Rotoren formten die Luft, ballten sie zu Wellen und schleuderten sie wie harte Materie von sich. Der Lärm prallte wie Hammerschläge auf das Trommelfell, wischte jeden klaren Gedanken aus dem Kopf, wirkte lähmend wie ein Pfeilgift.

Trotzdem vernahm Tony Tanner den verzweifelten Schrei Lucilles, als sie ins Straucheln kam und taumelte. Fast riss sie ihn mit. Im letzten Augenblick konnte Tony sich halten, den Arm um Lucilles Hüfte werfen und sie vor dem Sturz retten. Ihre Finger krallten sich in sei­nen Oberarm, als sie jetzt weiter auf die rettende Treppe zuhetzten.

Die Hubschrauber kamen über das friedliche Collesalvetti wie kristallisierte Stücke eines undeutlichen Albtraums. In dem Moment, als der erste Ton sein Ohr traf, wusste Tony Tanner, was ihn erwartete. Es gab kein Zaudern, keine Fragen. Hinter jedem Tag hatte eine Angst gelauert, und nun brach sie mit der Gewalt eines du hast es schon immer geahnt über ihn herein.

Die Sonne kam hinter einem Wolkenrand hervor. Die Landschaft war wieder in schweres, honigfarbenes Licht getaucht. Eine neue, erfrischende Helligkeit, in die sich Wärme kleidete, als wollte die Natur sich neu formen und alles Böse tilgen.

Aber die Hubschrauber verschwanden nicht. Ihre großen dunklen Massen blieben in der helleren Luft, ihre Schatten wanderten wie schwarze Schollen über den Rasen, die Schatten der Rotoren hackten wütend in das frische Grün.

Die Piloten mussten sich zwischen den Felsblöcken, die aus dem Rasen ragten, ihren Landeplatz suchen. Sie ließen ihre Maschinen noch einmal steigen, um über die Hindernisse zu hüpfen.

Diese kurze Verzögerung bedeutete für Tony und Lucille einen entscheidenden Vorsprung. Die Hubschrauber waren neben ihnen, so niedrig, dass sie die Kufen mit den ausgestreckten Händen hätten berühren können. Eine Schiebetür wurde aufgestoßen. Tony konnte aneinan­der gekauerte Gestalten in grün gefleckten Tarnuniformen erkennen. Auf den Köpfen trugen sie Kevlarhelme mit Visieren, Mikrofonen und hochgeklappten Nachtsichtgeräten, die ihnen das Aussehen von Insekten gaben.

Jetzt erst, als klar war, dass es sich um eine Finte handelte, bemerkte Tony die Aufschrift Polizei auf den Seiten der Hubschrauber. Einer der Männer brachte sein Gewehr in Anschlag. Dann kamen Tony und Lucille hinter einem Busch in Deckung.

Warum sind wir nicht in den Wald gelaufen, fragte sich Tony. Sein Herdentrieb hatte ihm die Richtung vorgegeben. Zurück zu den anderen, in Deckung hinter eine Mauer, eine Tür hinter sich zumachen. Inzwischen war die Frage nach der besseren Entscheidung nur noch akademisch.

Tony und Lucille kamen hinter dem ausladenden Busch hervor. Die Luftwirbel der Rotoren bliesen sie fast um, brachten sie ins Wanken wie Betrunkene.

Unter den Hubschraubern tanzten die Grashalme, die Kufen berührten mit ihrem hinteren Teil den Grund und zogen eine Furche, bis die Maschinen endgültig aufsetzen und die ersten Männer heraussprangen.

Unter Tonys Sohlen knirschte der Kies des Weges. Lucille konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, kam immer wieder ins Stolpern und musste von Tony weitergezerrt werden.

Der Fuß der Treppe war erreicht. Eben noch das erwünschte Ziel war sie nun ein fast unüberwindliches Hindernis. Automatisch nahm Tony eine Stufe nach der anderen, zog den schmalen, zitternden Körper Lucilles mit sich. Wirre Gedanken schossen ihm durch den Kopf, Einfälle, die mit seiner Situation nichts zu tun hatten, die ihn zu verspotten schienen.

Die letzte Treppenstufe registrierte er kaum. Er sah den Eingang von Collesalvetti vor sich, rannte darauf zu. Nur noch der Instinkt trieb Tony weiter. Hinter sich hörte er scharfe Befehle und das Klappern von Koppelzeug, als die Angreifer die Treppe hochrannten.

Irgendwo krachte ein Schuss. Tony konnte nicht unterscheiden, aus welcher Richtung er abgefeuert worden war. Aber der Klang reichte aus, um seine letzten Energiereserven zu mobilisieren.

 

Als die ersten Angreifer die Treppe hinter sich hatten, verschwanden Tony und Lucille hinter den Säulen des Eingangs.

Lucille sank erschöpft zu Boden. Tony warf sich über sie, denn in diesem Moment eröff­neten die Angreifer das Feuer. Die Mehrzahl der Kugeln prasselte gegen die Außenseiten der Säulen, einige aber fanden ihren Weg und knallten in die Wand des Gebäudes.

Glas splitterte, das Klirren der Scherben ging im Jaulen der Querschläger unter. Ein Staubschleier senkte sich über den Eingangsbereich.

Tony stemmte sich mit einem Arm gegen eine Säule und versuchte, Lucille mit seinem Körper zu schützen. Ihr Gesicht war hinter dem Vorhang der braunen Haare verborgen. Ein Zittern überlief sie, Hilfe suchend griff Lucille wieder nach Tonys Arm.

Nach dem Lärmen der Schüsse wirkte die jetzt einsetzende Stille als unpassende Unterbrechung. Sie war schlimmer als die Geräusche eben waren, sie machte es unmöglich, das Wummern des eigenen Herzens zu ignorieren, sie machte das Schnaufen des eigenen Atmens hörbar, als wollte sie die Angst und Panik bloßstellen. Sie war wie ein lauerndes Raubtier, bereit, sich mit erneutem Kampflärm auf die gespitzten Ohren und überreizten Nerven zu stürzen. Sie war ein schwarzes Loch, in das adrenalingefüllte Angstvisionen pur­zelten.

Die Angreifer hatten die Treppe nun allesamt hinter sich. Sie verteilten sich, zögerten, nahmen miteinander Blickkontakt auf und gingen dann gegen den Palazzo vor. Sie waren auf­einander eingespielt, offenbar bestens ausgebildet, hoch motiviert und ohne eine Spur von Furcht. Sie verströmten die niederschmetternde Arroganz einer Eliteeinheit.

So wie sie nun geduckt, die Gewehre im Schulteranschlag vorrückten, hatten sie etwas von hungrigen Hyänen, die sich dem erschöpften Opfer nähern.

Wieder wurde Lucille von einem krampfhaften Zittern geschüttelt. In Tony Tanner keim­te der Zorn und paarte sich in der nächsten Sekunde mit dem Gefühl völliger Hilflosigkeit. Er hätte alles getan, alles gegeben, um Lucille zu schützen und war sich klar, dass er nun nichts mehr tun konnte. Tony knirschte mit den Zähnen. Am liebsten hätte er sich schreiend auf die Angreifer gestürzt – nicht, weil er besonders mutig war, im Gegenteil, ihm war schlecht vor Angst – aber um etwas zu tun, um aus dieser Falle des Wartens, des Sich-Duckens, des Versagens zu entkommen.

Verflucht sollten sie alle sein, weil sie ihn zur Null degradierten!

Tony bemerkte jetzt, dass er völlig durchgeschwitzt war. Seine Unterlippe begann nervös zu vibrieren, als wäre er ein enttäuschter Knabe, der vor der Schulklasse die Tränen zu unter­drücken versuchte.

Neben sich hörte er ein Knirschen. Sein Kopf fuhr herum. Da waren sie also schon. Er war halb auf dem Sprung, als er das den blau-weiß gestreiften Rock eines Hausmädchens erkann­te.

Ohne auf die beiden Knieenden zu achten, schob sie sich um die Säule. Vor sich hielt sie ein Sturmgewehr. Als sie weit genug um die Säule herum war, um die Gegner anzuvisieren, schwenkte sie den Lauf nach unten und begann, gezielte Feuerstöße abzugeben.

 

Ein greller Schrei klang noch in das Knattern der ersten Schüsse. Einer der Angreifer warf die Arme hoch … die Waffe fiel ihm vor die Stiefel … taumelte, den Kopf in den Nacken gelegt und stürzte dann zu Boden.

Den Kopf gegen die Deckung gedrückt, konnte Tony den Blick nicht von der Szene abwenden. Wie in Zeitlupe sah er den Sturz, das plötzliche Zusammenknicken der schwach gewordenen Knie, den ungebremsten, brutalen Aufprall auf die Erde, das wütende Zucken der Glieder, das letzte Aufbäumen, das Erstarren, das Rot, das plötzlich neben dem Kopf des Liegenden das Gras färbte. Der Anblick sollte in ihm Triumphgefühle auslösen, das war es doch, was er wollte. Er wollte Lucille schützen, als Held dastehen, die Feinde wegputzen.

Aber der Tod dieses Unbekannten erschreckte ihn und machte ihn auf seltsame Art trau­rig, als wäre er mitschuldig, weil er ihn sich gewünscht hatte. Und dann wurde er wieder zor­nig und fragte sich, warum diese Kerle ihm diese ganze Last von Zorn und Schuld und Scham aufluden.

Warum das alles?

Das Mädchen neben ihm schien die Antwort zu kennen. Oder sie stellte sich die Frage nicht. Sie nutzte den Moment der Verwirrung und feuerte, kühl, präzise und tödlich, denn sie erwischte noch einen weiteren Angreifer. Auch der schrie auf und taumelte, von den Einschlägen, die seine Schutzweste aus der kurzen Entfernung durchdrangen, nach hinten getrieben, wurde zur komischen Figur, als er stolperte und rücklings auf den Boden schlug, wobei sich sein Helm verschob und wie eine Maske das verzerrte Gesicht verdeckte.

»Gehen Sie rein. Schnell. Na los doch!«

Die helle Mädchenstimme riss Tony aus seiner Erstarrung.

»Los, wir müssen rein!«

Es wurde höchste Zeit. Die Angreifer warfen sich auf den Boden, gingen in Anschlag und feuerten, was die Läufe hergaben.

Bevor die Kugeln heranpfiffen, hatte Tony die willenlose Lucille rückwärts zum Eingang geschleift. Das Hausmädchen hatte sich mit einem Sprung aus der Deckung in Sicherheit gebracht.

Dann brach die Hölle los. Das Feuer der Angreifer war präzis, und die Kugeln kreischten unmittelbar über ihren Köpfen in die Eingangshalle. Wieder zerplatzten Glasscheiben, knall­ten wertvolle Kristalllampen auseinander und verteilten ihre rasiermesserscharfen Splitter.

Den Kopf an den Teppich gedrückt robbten sie alle drei rückwärts. Lucille folgte willen­los Tonys Bewegungen, als wären ihre Nerven, ihre Muskeln und Glieder miteinander verwo­ben.

Für einen Moment, als Tony den Druck ihres Schenkels gegen seinen spürte, vernahm er den heiseren Schrei der Sexualität, als würde sich aus dem Dickicht der Todesgefahr dieses Raubtier noch einmal melden wollen, bevor es alle Ansprüche verlor.

 

Tony bemerkte den letzten Hauch von Lucilles Parfüm, spürte ihren weichen Arm, der seine Wange berührte und schüttelte mit einem wütenden Knurren alle diese drängenden Bilder von sich. Das sah ihm ähnlich – Interview vor der Himmelspforte: »Und woran dach­ten Sie in Ihrem letzten Moment Herr Tanner« »Ich dachte ans … Oh peinliches Schweigen im Engelschor Herr Petrus prüfen Sie doch bitte noch mal die Zugangsberechtigung …

Unter seinen Füßen war nichts, ein Moment des Erschreckens, dann Klarheit, natürlich, das waren die Stufen, die in die Halle herunterführten, gute Stufen, brave Stufen, Tony liebte Stufen, eine und noch eine, gib mir eine dritte, ja, da ist sie, jetzt kann man den Kopf sogar heben …

»Weiter, wir können die Stellung nicht halten!«

Verdammt, warum trugen diese Schnuckis eigentlich blau-weiß gestreifte Röcke und schlugen beim Servieren des Drei-Uhr-Tees schamhaft die Augen nieder, wenn sie diese mili­tärische Terminologie draufhatten und mit der Knarre umgingen, als entstammten sie einem B-Film mit Michael Dudikoff und Eric Roberts?

Ruhig bleiben, Tony, noch liegst du nicht auf dem Kompost. Du musst Lucille in Sicherheit bringen. Denk nicht wieder ans …, du geiler Sack! Ich brauche eine Waffe. Ich brauche keine Waffe, ich kann damit nicht umgehen. Hoffentlich mach ich mir nicht in die Hose. Ich will nicht mit vollgeschissener Hose abtreten. Verflucht, warum muss ich mir darü­ber Gedanken machen, ich krieg die Krise, warum hilft mir keiner, wir müssen irgendwie in einen Nebengang, ja, das ist die Rettung, Nebengang …

»Zur Seite«, rief Tony, vielmehr wollte er rufen, aber er brachte nur ein Krächzen hervor. »Zur Seite«, der Versuch klappte, das Mädel mit der Knarre reagierte sogar.

Sie leerte das Magazin, schoss aus ihrer tieferen Position flach über den Boden und zeig­te dann auf eine Tür.

 

Was sich draußen abspielte, konnte Tony nicht sehen, aber er wusste es dennoch. Es war das erhebende Schauspiel einer perfekt durchgeführten militärischen Attacke, das ineinander gleitende Zusammenwirken von Einzelpersonen, als hätten sie nur einen Willen. Einige hiel­ten den Eingang von Collesalvetti unter Feuer, andere gingen geduckt vor und warfen sich dann wieder zu Boden, um zu feuern und den Nachrückenden Schutz zu geben.

Es war die Automatik tausendfach eingeübter Routine.

Unbezwingbar wie eine Sturmflut.

Das Hausmädchen hatte einen Schlüssel am Gürtel, mit dem sie die Seitentür aufschloss. Sie zog die Tür auf und wartete darauf, dass Tony und Lucille durchgingen.

»Das geht nicht«, stieß Tony hervor. Plötzlich war ihm ein Gedanke gekommen und ließ ihn zaudern.

Das Mädchen schaute halb erbost und halb verwirrt auf Tony.

»Was geht nicht?«, fragte sie und ihre Stimme nahm als anerlernten Reflex wieder den sanften, dienstbeflissenen Klang des Hauspersonals an.

»Benevoglio ist noch in der Bibliothek«, stieß Tony hervor. »Man muss ihm helfen. Nehmen Sie Fräulein Chaudieu und ich gehe in die Bibliothek. Benevoglio kommt ohne Hilfe nicht in Sicherheit.«

»Nein, lass mich jetzt nicht allein!«

Mit diesen Worten klammerte sich Lucille an Tony, als wäre der ihre einzige Rettung vor dem Ertrinken. Für einen Moment fühlte sich Tony hin- und hergerissen. Lucille wusste er bei dem Hausmädchen in Sicherheit, während Benevoglio vielleicht gerade völlig hilflos in der Bibliothek auf Rettung wartete.

Andererseits, so wie sich Lucille an ihn krallte, erweckte sie nicht den Eindruck, als ob ihn sie freiwillig ziehen lassen würde.

Das Problem fand zum Glück eine schnelle Lösung. Aus einem Seitengang kam ein jun­ger Mann herangelaufen und starrte die Gruppe verwirrt an.

»Sie müssen hier schnell weg«, rief er.

Mit drei Sätzen schilderte Tony die Lage. Er kannte den anderen als einen der Bedienten, die immer in der Nähe des Conte waren und dessen besonderes Vertrauen genossen.

»Ich werde mich um Benevoglio kümmern«, versprach der sofort. »Machen Sie, dass Sie in Sicherheit kommen. Ich kenne mich in diesem Gebäude besser aus. Ich komme im Notfall immer noch durch einen Seitengang weg. Machen Sie sich keine Sorge um Benevoglio!«

 

Am Eingang gab es eine Explosion. Durch den Qualm stichelten helle Mündungsflammen.

Der Bediente rannte zur Bibliothek.

Tony schob Lucille, die einer Ohnmacht nahe schien, durch die Tür.

Sie befanden sich in einer Art Abstellkammer. Das Hausmädchen steckte den Schlüssel in die Tür.

»Drücken Sie auf die linke Wandseite«, befahl sie Tony, während sie noch mit dem Umschließen beschäftigt war.

Unter seinem Druck gab die Wand nach und entpuppte sich als leichte Konstruktion aus Holzlatten und Gipsplatten, auf die man eine täuschende Putzschicht angebracht hatte. Eine senkrechte Achse ließ sie geräuschlos aufschwingen.

Dahinter lag ein schmaler Gang, der durch einige Notlichter schwach erhellt wurde. Zwischen den beleuchteten Stellen, die wie Flecken von Lichtschimmel wirkten, lagen lange dunkle, bedrohlich wirkende Abschnitte. Warme, abgestandene Luft voller Modergeruch, drang ihnen entgegen.

Sanft schob Tony Lucille in den Gang, obwohl er selbst wenig Lust verspürte, sich in die­ses Loch zu begeben.

»Bitte beeilen Sie sich«, kam die fordernde Stimme des Hausmädchens.

Lucille löste die Umklammerung, in der sie Tony immer noch gefangen hielt.

»Tut mir Leid«, flüsterte sie Tony ins Ohr. »Ich wirke wohl nicht besonders souverän.«

»Es hat mir durchaus gefallen«, antwortete Tony.

»Gewöhne dich besser nicht daran.«

Tony rollte die Augen. Fräulein Chaudieu ging es wieder besser. Sie zeigte erste Anzeichen, pampig zu werden. Das Schlimmste hatte man also anscheinend hinter sich gebracht.

Es gab nur eine Richtung, also enthob sich Tony der Mühe der Nachfrage und schob die zögernde Lucille energisch vorwärts. Hinter ihnen drückte das Mädchen die Wand wieder in die ursprüngliche Position.

Der Gang hatte gerade Schulterbreite und eine Höhe, die es angebracht erscheinen ließ, den Kopf ständig zwischen den Schultern zu ziehen.

 

Obwohl die Notlichter natürlich moderne Einbauten waren, musste dieser Gang, der mit­ten durch die enormen Wände von Collesalvetti führte, aus der Zeit von dessen Errichtung stammen.

Es gab einige Abzweigungen. Von hinten dirigierte sie das Hausmädchen. Tony hatte schon nach dem ersten Abbiegen die Orientierung verloren, zumal er die Empfindung hatte, dass der Gang manchmal abwärts und an anderen Stellen recht spürbar aufwärts führte.

Zwei-, drei Mal begann das Notlicht zu flackern, erlosch sogar für einige Sekunden. Obwohl sie hier sicher zu sein schienen, wurde ihnen nur allzu klar, dass in dem Gebäude eine regelrechte Schlacht tobte.

»Was war das?« Lucille hielt an. Tony lief auf sie auf. Aneinander gedrängt lauschten sie auf das Grollen, das hinter ihnen durch den Gang herzulaufen schien.

»Handgranaten«, erklärte das Hausmädchen trocken. »Sie haben einen der Zugänge gesprengt. Sie werden in das Gangsystem eindringen. Wir müssen uns beeilen, sonst haben wir in dieser Enge keine Chance mehr.«

Die Köpfe noch tiefer eingezogen eilten sie weiter. Tony kamen Zweifel. Wie sollte sich überhaupt ein Mensch in diesem Labyrinth zurechtfinden? Hatte sich also ihre Führerin ver­irrt?

Oder war alles ganz anders? Wurden sie von einer Verräterin bewusst in die Irre geführt? Er erinnerte sich an die Schießerei vor dem Eingang und war wieder beruhigt. Aber der Zweifel nagte und blieb wie ein leiser, aber schriller Hintergrundton. Dass Tony überhaupt mit dem Gedanken spielte, auf Collesalvetti könnte es so etwas wie Verrat geben, dies war der eigentliche Stachel.

»Da vorne links. Bis zur Tür, von dort kommen wir direkt in einen Flur«, kam die Anweisung von hinten.

Tony tippte Lucille, die vor ihm lief, auf die linke Schulter. Sie nickte und bog in den Quergang. Zwanzig Schritte vor ihnen lag die Holztür im matten Schein eines Notlichtes.

Lucille beschleunigte. Sie wollte endlich aus diesem Labyrinth heraus. Die Enge erdrück­te sie, die Luft legte sich wie eine Schicht auf die Bronchien und machte das Atmen schwer. Nur raus hier.

Tony Hände fielen auf ihre Schultern und hielten sie fest. Bevor Lucille protestieren konn­te, legte er ihr eine Hand auf den Mund.

»Still«, flüsterte Tony. »Ich habe etwas an der Tür gehört.«

Lucille schüttelte wütend den Kopf. Sie hatte nichts gehört. Da war auch nichts. Sie war sicher. Sie wollte hier nur raus! Ihr Ellenbogen traf Tony in die Seite, sodass er sich stöhnend krümmte und losließ. Lucille sprang vorwärts.

Sie machte große Schritte, näherte sich der Tür.

Da hörte auch Lucille Geräusche. Stimmen, Kratzen … Zischen …

 

Von hinten sprang Tony sie an und warf sich über Lucille. Keine Sekunde zu spät. Die Explosion warf die Tür aus dem Rahmen und schleuderte sie meterweit in den Gang. Splitter, Steinbrocken flogen durch die Luft, prallten gegen die Wand und rieselten dann zu Boden. Die Tür knallte gegen die Decke, verkantete sich im Niederstürzen. Das war der Augenblick, in dem Tony im Kriechen Lucille wie einen Sack nach hinten zog. Dann fräste sich die Kante der schweren Tür durch den Wandputz und sie polterte zu Boden.

Als Tony sich aufrichten wollte, spürte er einen Fuß im Nacken.

»Unten bleiben«, zischte das Hausmädchen. Es feuerte einige Salven in die Staubwolke, wandte sich dann ab.

»Schnell, kommen Sie!

Gedeckt vom aufquellenden Staub, zogen sie sich zurück und liefen durch einen andern Gang.

»Ich kann nicht glauben, dass diese Schweine es bis hierhin geschafft haben. Irgendetwas stimmt hier nicht.«

Der Haarknoten des Hausmädchens hatte sich gelockert, Strähnen ihres blonden Haares flatterten wie Schlangen um den Kopf einer Furie, als sie jetzt vorlief, an einem Abzweig zögerte und sich dann für eine Richtung entschied.

Lucille schien dem Zusammenbruch nahe. Sie hatte sich die Knie verletzt und konnte kaum den Anschluss halten. Manchmal entkam ein Wimmern ihren verkniffenen Lippen.

Endlich standen sie vor einer weiteren Tür. Vorsichtig wurde aufgeschlossen und durch den Spalt auf den Flur hinaus gespäht. Alleine schon die frische Luft, die jetzt hereinwehte, war eine Erlösung.

»Wir können raus. Leise jetzt!«

Das Hausmädchen verschloss die Tür wieder, dann schlichen sie den Flur entlang. Durch ein rundes Fenster direkt unter der Decke konnte Tony nur grüne Baumwipfel erkennen, fand aber keinen Anhaltspunkt, in welchem Teil des Gebäudes sie sich jetzt aufhielten. Jedenfalls konnte Tony sicher sein, noch nie vorher einen Fuß in diesen Flügel gesetzt zu haben.

Entfernter Lärm war zu hören. Es klang harmlos, als würde lediglich im Nebenzimmer ein Fernseher laufen. Das Hausmädchen blies eine Haarsträhne zur Seite, die ihr vor dem Gesicht hing und versuchte, sich zu orientieren. Nachdem sie gelauscht hatte, deutete ihr Daumen die Richtung an.

»Dort müsste es eine Möglichkeit geben, in den Garten zu kommen«, flüsterte das Mädchen. Sie klapperte mit ihrem Gewehr und sicherte nach hinten. Tony half Lucille weiter. Die Französin lief mit steifen Schritten und hatte offensichtlich Schmerzen, die sie tapfer zu unterdrücken suchte.

Ihr Angstschrei klang in Tonys Ohr, bevor der die Gefahr erkannte. Etwas traf Tony an der Schulter. Der Schlag war auf seinen Kopf gezielt, aber Lucilles Schrei hatte ihn zu einer Wendung veranlasst, die ihn rettete. Dennoch wurde Tony umgeworfen. Er sank zu Boden, sein Rücken rubbelte an der Wand entlang. Das Jackett kann ich vergessen, dachte Tony und wunderte sich selbst, wie sehr er gedanklich alles im Griff hatte. Etwas stürzte über ihn, schwer und doch weich, Hände versuchten, ihn zu würgen. Es gab ein heftiges Gerangel, untermischt von Lucilles Rufen, dann starrten sich Tony und Dorkas an.

»Sie hat mich getreten«, murrte Dorkas vorwurfsvoll und rieb sich die Seite.

»Gehen Sie erst mal von mir runter, dann werden Sie merken, was ICH mit Ihnen mache«, blaffte Tony.

Dorkas lief rot an und wälzte sich von seinem Opfer herunter. Dann bemächtigte er sich seines Schlagwerkzeugs, das er fallen gelassen hatte. Es handelte sich um das Tony schon bes­tens bekannte Paket, jetzt allerdings mit völlig unpassendem Weihnachtspapier umwickelt. Tony starrte einen Moment auf den debil grinsenden Weihnachtsmann, der vor einer Mauer aus bunten Paketen stand, in der er – sein dämliches Grinsen ließ keinen Zweifel – den Kinderlein Haschtütchen bester Qualität zukommen ließ, von denen er selbst schon genascht hatte.

»Wie kommen Sie hier her?«, erkundigte sich das Hausmädchen.

»Der Conte hat mir die Sachen in die Hand gedrückt und mir gezeigt, wo ich hingehen soll­te, als dieser Lärm begann. Vorher musste ich die Sachen ja erst verpacken und dann bin ich auf der Wendeltreppe hammnhmnamh.«

»Wie bitte?«

»Ich bin in der engen Wendeltreppe stecken geblieben. Ich habe bei dem guten Essen hier etwas zugelegt, fürchte ich. Meine Hosen kneifen auch schon.«

»Brave Hosen«, entschied Tony. Der Schreck steckte ihm noch in den Gliedern, mehr noch als die Empfindung, von einer Dampfwalze überrollt worden zu sein.

 

Zu viert gingen sie weiter. Dorkas presste sein Paket wie gehabt an sich, nur ab und zu rieb er sich die Seite und warf Lucille einen anklagenden Blick zu, allerdings ohne auf eine Reaktion zu stoßen. Trotz aller Vorsicht machten ihre Sohlen auf dem Steinboden ein ver­nehmliches tappendes Geräusch. Nach jedem Schritt hielten sie den Atem an und lauschten. Aus der Ferne erklangen manchmal Schüsse, dann herrschte wieder bedrohliche Stille.

Alle fuhren zusammen, als hinter ihnen eine Tür klappte.

»Sieh an«, sagte Steele, der sich durch den Türspalt schob und Little hinter sich herzog, »da ist man ja wieder in trauter Gesellschaft. Wir müssen aufpassen, die Söldner streifen hier überall durch das Gebäude.«

»Bis hierhin werden die Angreifer nicht kommen«, versicherte das Hausmädchen. »Ich muss jetzt zurück.« Sie hob das Gewehr, um anzudeuten, weswegen sie zurückmusste. Nach einer kurzen Erklärung des Weges huschte sie durch eine Seitentür davon.

Über eine Folge von kurzen Treppen, Fluren und querliegende Räume setzten Tony und seine Begleiter die Flucht fort. Steele erwähnte kurz, dass er und Little zusammen mit Panpopidis und Meister Ki in das Gebäude gekommen, dass sie sich aber bald getrennt hat­ten. Little war halb betäubt, hatte glasige Augen und musste geführt werden. In seinem Kopf herrschte ein chaotisches Durcheinander von Impulsen und Empfindungen, die er nicht in Worte fassen konnte.

»Wir haben uns verlaufen«, stellte Tony an einer Stelle fest, an der vier Gänge zusammen­liefen. »Wir sollten nach rechts gehen.«

»Warum rechts?«, fragte Dorkas.

»Als ich zuletzt aus dem Fenster geschaut habe, waren dort Pflanzen auf dem Hügel zu sehen. Vielleicht kommen wir von dort in den Garten.«

»Papperlapapp«, schimpfte Dorkas und ging geradeaus. »Wenn wir uns jetzt auch noch auf Theorien verlassen, sind wir bald völlig geliefert. Wir gehen geradeaus, da kommen wir sicher ans Ziel. Hinten hat das Haus bestimmt eine Tür.«

»Welch ein kluger Mann« zischte Panpopidis, der sich in dem Gang befand, den Tony wählen wollte. Er nahm seine Hand vom Mund des Conte und stieß den alten Mann brutal vorwärts. Versteckt in einer Nische hatte er mit seinem Gefangenen abgewartet, als die Stimmen der Gruppe hörbar wurden. Gegen Steele hätte Panpopidis keine Chance gehabt, selbst vor Dorkas hatte der bärtige Feigling Respekt, weil er ihn verdächtigte, heimlich die Kunst des Sumoringens zu betreiben. Nun, wo die Gefahr vorbei war, überkam Panpopidis ein wildes Triumphgefühl. Er schlug dem Conte seine Faust zwischen die Schulterblätter.

»Es muss doch wehtun, wenn man auf Idioten vertraut, nicht wahr, Alterchen?«

Steele brachte sein Holzschwert in Position, als aus einem Seitengang Schritte auf sie zueilten. Es war der junge Bediente, den Tony schon am Eingang getroffen hatte.

»Nicht dorthin«, rief der junge Mann warnend. »Die Feinde kommen aus dieser Richtung.«

Er führte die Gruppe ein Stück und deutete dann auf einen niedrigen Eingang.

»Dort kommen Sie in den Garten!« Damit wandte er sich um und rannte fort.

»Was ist mit Benevoglio?«, rief Tony ihm nach.

»Die Sache ist erledigt!«

 

Ausgetretene, rutschige Steinstufen führten steil abwärts. Wände aus groben Felsblöcken vereinten sich über ihren Köpfen zu einem Gewölbe. Im Licht der Deckenlampen schimmer­te der Stein feucht. Bald war der Anfang des Ganges hinter den Treppenstufen verschwunden und ein Ende noch nicht abzusehen.

Ihr Weg machte eine leichte Biegung, als sie alle erstarrten. Von oben erklang eine Stimme. Die Stimme des jungen Mannes, der sie zu diesem Gang geführt hatte.

»Dort unten sind sie«, schrie die Stimme. Dann erklang lautes Getrappel. Jeder wusste, wodurch dieser Lärm verursacht wurde. Es waren Kampfstiefel.

»Schneller, wir haben eine gute Chance« sagte Steele. Er griff Littles Arm und zog ihn weiter. Tony musste Lucille weiterhelfen, während sich Dorkas alleine zurechtfinden muss­te.

So war auch Dorkas der Letzte, der es bemerkte. Hinter der letzten Stufe erhob sich eine Wand.

Sie saßen in der Falle.

Im matten Schein der Lampe begann Steele, auf die Steine zu schlagen. Irgendwo musste ein Auslöser sein, der ihnen eine Tür öffnete. Es war nicht logisch, dass man einen solchen Gang mit großem Aufwand baute und ihn vor einer Wand enden ließ. Es sei denn, man woll­te Feinde irreführen. Oder spätere Generationen nahmen eine Änderung vor. Oder …

Für einen Moment hämmerten sie alle gegen die Steine, verzweifelt und von letzter Hoffnung getrieben. Unter ihren Fäusten bewegte sich der Fels nicht, ihre tastenden Finger fanden in den Fugen keinen Mechanismus, der ihnen den rettenden Ausgang öffnete.

Über ihnen, näher und näher, klang das Trampeln der Stiefel.

Steele wirbelte herum. Sein Holzschwert pfiff durch die Luft, zertrümmerte die Deckenlampe und hüllte die Szene in Dunkelheit. Trotzdem nahm Steele drei Stufen in einem Sprung, als er jetzt den Gegnern entgegeneilte. Die nächste Lampe splitterte und verlosch.

 

Steele war sicher, dass oben auf der Treppe nicht mehr als vier Mann waren. Ein einzel­ner Kämpfer mit einem Holzschwert hatte nicht eben die besten Chancen gegen schwer bewaffnete Söldner, aber es war auch nicht von vornherein ein Selbstmordunternehmen. Das war die rationale Schicht in Steeles Überlegungen. Die andere, tiefer liegende und eigentlich herrschende, war schlicht von dem Willen bestimmt, nicht wie eine Ratte im Loch zu sterben.

Das Trappeln der Stiefelsohlen verstummte. Die Männer oben auf der Treppe hatten das Klirren des zerschlagenen Glases gehört, wurden misstrauisch und zögerten.

Steele versuchte abzuschätzen, wie weit sie noch entfernt waren. Wegen der leichten Krümmung konnte er den Gang nicht völlig überblicken. Wenn er sich zu weit vorwagte, lief er ihnen direkt vor die Mündung. Für Steele blieb diese Überlegung dennoch theoretisch. Er sprang weiter aufwärts, drückte sich dann an der Wand entlang und erreichte die nächste Lampe. Als das Holzschwert auch diese Beleuchtung zum Erlöschen brachte, hatte Steele eine Idee.

Er warf sich auf die Stufen, bevor sein Bewusstsein eine Meldung abgab. Erst als die Kugeln, viel zu hoch gezielt, über ihm in die Wand schlugen, wurde Steele klar, was ihn alar­miert hatte. Er hatte das Rauschen von Stoff vernommen, als ein Gewehr in den Anschlag gerissen wurde.

Die Abpraller jaulten, die Wand spie Staub und Funken. Der ersten Salven folgte Stille. Aus einer Fuge rieselte Sand.

Der rote Lichtpunkt des Laserzielgerätes tanzte jetzt suchend über Wand und Decke. Systematisch wie ein Stöberhund glitt der grelle Fleck nach unten, erreichte die Treppenstufen. In den Staubschwaden wurde der Laserstrahl sichtbar, er begann, wie ein Insektenfühler den Gang abzutasten.

Steele rollte sich die Stufen herunter. Glassplitter bohrten sich in seine Ellbogen, das Schwert schlug gegen die Wand und wurde ihm fast aus der Hand geprellt.

Steele stoppte seinen Rückzug und schob sich das Schwert im Rücken unter den Gürtel.

Von oben wurde hastiges Flüstern hörbar. Steele erstarrte, hielt den Atem an und konzen­trierte sich. In seinen Ohren pulste das Blut und schien ihn bösartig behindern zu wollen. Er glaubte, schleichende Schritte zu hören. Dann knirschte Glas unter den Sohlen. Jetzt mussten sie ihre Nachtsichtgeräte aufsetzen. Natürlich hatten sie Geräte der neuesten Generation mit zuschaltbarer Infrarotquelle. Für die Angreifer gab es also keine Dunkelheit.

Oder sie verließen sich schlicht und einfach auf die gute alte Taschenlampe.

Steele versuchte, sich in die Gedanken seiner Gegner einzufinden. Sie brauchten keine Gefangenen zu machen, sonst hätten sie eben nicht geschossen. Sie waren immer noch vor­sichtig und rechneten damit, dass ihre Beute Widerstand leisten würde, sonst wären sie ein­fach die Treppe heruntergestürmt, hätten zwei Magazine geleert und ihren Job als erledigt betrachtet.

 

Jemand hatte sie vor der Beute gewarnt. Gut so. Steele verzog den Mund zu einem zyni­schen Grinsen. Die Furcht, die diese Vorsicht auslöste, war für ihn vorteilhaft. Vorteilhafter als es die Vorsicht für die Angreifer selbst war.

Die vier Männer schlichen geduckt die Treppe hinunter. Die katzenhafte Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen verriet das jahrelange Training, das die Männer geformt hatte. Sie waren für diese Mission ausgewählt worden, weil sie die Besten waren. Sie waren es gewohnt, durch ihre Sichtgeräte auf eine Welt aus blassroten Schemen und schwarzen Schlagschatten zu schauen, die Zeichen zu lesen und zu erkennen und darauf zu reagieren.

Und trotzdem hätte Steele sie um ein Haar überrascht. Nur einer bemerkte das seltsame Bündel, das unter der Decke hing. Sein Warnschrei war zugleich das Signal für Steele. In der völligen Dunkelheit musste er sich nach dem Gehör orientieren. Er ließ das Stromkabel, das die Lampen mit Energie versorgte und an das er sich geklammert hatte, aus den Fingern fah­ren und fiel in die Schwärze.

Er lag immer noch senkrecht in der Luft, als er auf den Gegner aufprallte. Der Mann klappte unter Steeles Gewicht zusammen, bog sich aber noch instinktiv geschickt zur Seite, sodass Steele auf eine Treppenkante traf. Der Schmerz zuckte durch seinen Unterarm und machte ihn unbrauchbar. Aus dem Dunkeln sauste eine Stiefelspitze und traf Steele in die Rippen. Stöhnend drehte sich Steele zur Seite. Während sein Oberkörper gelähmt war, trat er automatisch zu, als hätte sich sein Körper in zwei Teile gespalten. Er spürte den Aufprall, ein wütender Fluch auf englisch quittierte den Treffer.

Zeit zu Triumphgefühlen blieb Steele nicht, denn ein Gewehrkolben traf seine Schulter. Sein nächster Tritt, ziellos in die Schwärze gesetzt, traf auf eine Kevlarweste. Der Träger der Schutzweste verlor das Gleichgewicht und kippte mit einem Schrei nach hinten. Er war außer Gefecht, für einige Sekunden zumindest. Aber es blieben drei andere, und einer von diesen zog Steele den Gewehrkolben über den Schädel. Der Schlag kam für Steele völlig unvermu­tet, vielleicht hatte er eine Zehntelsekunde vorher das Pfeifen der Luft gehört. Sterne explo­dierten vor seinen Augen, Steele fiel nach hinten und kroch in letzter Not zur Seite. Die drei rissen ihre Waffen hoch.

***

»Hier entlang, der hohe Herr«, höhnte Panpopidis und furzte laut und unverschämt. Er stieß den Conte di Saloviva in einen kleinen Raum und rammte ihm einen Stuhl in die Kniekehlen. Der Conte fiel auf die Sitzfläche und blieb regungslos, während Panpopidis ihn wie eine Hyäne umkreiste. Dann unterbrach er seine lauernden Runden und stellte sich hinter seinen Gefangenen.

»Das muss doch wehtun. Das muss doch so richtig wehtun«, zischelte er dem Conte ins Ohr. Auf jedem Laut, den Panpopidis ausstieß, hockte sein unbändiger Hass wie ein feuriger, apokalyptischer Reiter auf seiner Schindmähre. Panpopidis Augen funkelten in triumphieren­der Erregung.

»Alles aus«, zischte er. »Alles aus und alles so schön ausgedacht. Glaubst du dämlicher alter Mann wirklich, ich hätte nicht gewusst, wozu du mich brauchst? Weswegen du mich in deiner esoterischen Irrenanstalt durchfütterst? Mann, bist du mir vielleicht auf den Sack gegangen mit deinem Gesülze, du alter Seiberer. Steck dir deine Lebensweisheiten in den adligen Arsch.« Zur Bekräftigung dieser Gemeinheit ließ er wieder eine fette Blähung abstrei­chen.

Panpopidis richtete sich erneut auf und begann eine unruhige Wanderung durch den Raum. Seine Augen blieben an dem Conte hängen, der gerade und unbewegt auf seinem Platz blieb. Im Gesicht des alten Mannes zeigte eine wachsende Schwellung, wo Panpopidis’ Faust ihn getroffen hatte. Wütend zerrte der an seinem Bart und schoss wieder auf den Conte zu.

»War ja wohl nichts – mich als Indikator einzusetzen. Panpopidis der Intrigant, Panpopidis der Judas. Nur auf Panpopidis schauen und schon weiß man, welcher von den Hausknechten und den Küchenmädchen bereit zum Verrat ist.«

Der Conte di Saloviva blieb unbewegt. Er schien sich hinter die Fassade seines Äußeren zurückgezogen zu haben, ein alter Mann, dessen Wesen sich in den Schutz unbelebter Gesichtszüge geflüchtet hatte. Panpopidis bemerkte diesen Rückzug, diese Flucht nach innen, dorthin, wo er seinem Gefangenen nicht folgen konnte. Kochend vor Wut beugte er sich über den Conte. Seine Augen glühten, sie sprühten eine hypnotische Kraft aus wie schwarze Funken. Es fiel dem Conte unendlich schwer, sich diesem Einfluss zu entziehen. Er ahnte die dämonische Energie, die sich den Bärtigen zunutze machte.

 

Während das dumpfe Krachen von Schüssen und Explosionen die Luft erschütterte, fand in dem abgelegenen Raum ein Duell der anderen Art statt, ein stiller, wortloser Kampf zwei­er Willen, die sich gegeneinander pressten wie Ringer, die sich abtasteten, die Schwäche des anderen suchten, mitleidlos nach einer Wunde suchten, in der man stochern konnte. Panpopidis war der Angreifer, der Conte di Saloviva verteidigte sich und er ließ es nicht zu, dass Panpopidis Macht über ihn gewann. Beide hatten ihr Zeitgefühl verloren. Vielleicht waren nur Wimpernschläge vergangen, vielleicht Ewigkeiten, als Panpopidis sich mit einem plötzlichen Wutschrei abwendete, sich dann auf den Conte stürzte und ihn mit Faustschlägen quälte.

»Ich schlage vor, Sie strapazieren Ihre körperlichen Kräfte nicht über das notwendige Maß und bringen mich jetzt um«, sprach der Conte kalt. Seine Lippen begannen zu schwellen, er nuschelte etwas. Was bei einem anderen vielleicht komisch und sogar entwürdigend gewirkt hätte, erweckte bei dem Conte den Eindruck einer unzerstörbaren Überlegenheit.

Mit gefletschten Zähnen wollte sich Panpopidis auf den alten Mann stürzen, zwang sich dann jedoch, den Schlag, der die Nase des Conte zertrümmern sollte, anzubrechen.

»Warum so eilig, alter Mann«, keuchte er, heiser vor Wut. »Wir wollen das Beste doch nicht verpassen. Wer geht denn aus einer Show, bevor die Hauptattraktion kommt?«

Er drehte sich ab, stolzierte steif, als könnte er seine Gliedmaßen nur schwer unter Kontrolle halten, durch den Raum. Schließlich traktierte er die Wand mit Fußtritten. Mit müh­samer Ruhe, unter der man die Vibrationen seiner Wut spüren konnte, wandte er sich wieder an seinen Gefangenen.

»Das Gegenteil ist eingetreten, alter Mann. Ich habe dich nicht zu möglichen Verrätern hingeführt. Ich habe deine Leute zu Verrätern gemacht.« Die Stimme von Panpopidis triefte vor Hohn, und nun bekam sie einen schmerzhaft schrillen Unterton, in dem Triumph mit­schwang.

»Und wie macht man die Leute des großen Conte Hercole di Saloviva zu Verrätern … Ich habe sie … wie sagt man in Ihren Kreisen, entehrt? Oder geschändet?«

Wie ein Raubvogel auf sein Opfer stürzte sich Panpopidis auf den Conte und brachte seine verzerrte Visage vor die starre Maske des alten Mannes.

»Ich haben sie alle ge … schändet«, flüsterte Panpopidis mit heiserer, sich überschlagender Stimme. »Ich habe sie ge …« Es folgte eine unbeschreibliche Aufzählung aus den vulgärsten Wörtern, und Panpopidis verschonte die Ohren des Conte nicht mit Details seines Umgangs mit den jungen Mädchen und Männern aus dem Umfeld des alten Adligen.

Panpopidis saugte schlürfend den Speichel ein, der ihm schon aus dem Mund zu tropfen begann, und legte den Kopf in den Nacken wie ein Hahn, der zu krähen beginnen will. Ein irres, höhnisches Lachen brach aus ihm heraus. Die nächste Blähung roch ebenso abscheulich wie die Beschreibungen seiner abartigen Praktiken und Gemeinheiten.

»Ich bin Ihnen dankbar, dass ich so kurz vor meinem Tode noch meinen Wortschatz erwei­tern durfte«, sagte der Conte. Der mühsame, aber von eiskalter Beherrschung durchdrungene Satz beendete wie ein Messerschnitt Panpopidis irres Gewieher.

»Ich darf annehmen, dass Sie mir demnächst den Namen Brantley nennen werden«, fuhr der Conte fort.

Mit aufgerissenen Augen starrte Panpopidis ihn an. Der Name ließ ihn vor Ehrfurcht erschauern. Zugleich blitzte einen Moment lang ein Verdacht in ihm auf. Hatte dieser alte Mann etwas geahnt oder sogar gewusst? Hatte der alte Trottel eine Schlange an seinem Busen genährt, wohl wissend, wessen Diener er sich ins Haus geholt hatte? Panpopidis schüttelte diese Zweifel ab und überließ sich wieder völlig seinem Hass.

»Du solltest den Meister nicht nennen, alter Narr.«

Conte di Saloviva verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse, der man den Spott nicht ansah, der sie verursachte.

»Warum nicht? Hatten Sie die Ehre, vom Meister persönlich … wie nannten Sie es doch so poetisch … genagelt zu werden?«

Vor Empörung begann Panpopidis zu zischen wie ein wütender Ganter. Er lief rot an. Trotzdem bemühte er sich um Beherrschung.

»Mitnichten, du alter Trottel, es war eine wundervolle, blonde Holländerin mit endlosen langen Beinen und kleinen Titten. Klein, aber fest, und mit harten Nippeln. Die Nippel an ihren Möpsen waren so hart wie und fett wie Radschrauben mit Zierkappen. Nur verchromt waren sie nicht. Schade eigentlich! Gerade das, was in eine Hand passt.«

Begeistert schaute Panpopidis seine Hand an, als wären dort noch Überbleibsel der beschriebenen niederländischen Herrlichkeiten zu entdecken. »Und einen kleinen knackigen Apfelarsch, wirklich süß«, fuhr er dann fort. Er umkreiste den sitzenden Conte und beobach­tete dessen Reaktion, während er wie ein Wasserfall redete.

Jetzt beschrieb er mit unflätigen Wörtern, was er mit diesem Mädchen getrieben haben wollte, und er sparte nicht mit epischer Breite. Er brüstete sich, er furzte wieder, und er griff zwischen seine Beine, während er immer neue schmutzige Einzelheiten vortrug.

Der Conte schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. »Hatte sie blaue Augen?«

Panpopidis fiel darauf herein. »Keine Ahnung, Gesichter haben mich nie interessiert«, ant­wortete Panpopidis kurz und stutzte dann, verwundert darüber, dass er den Conte überhaupt beachtete.

»Gesichter vergesse ich immer sofort. Aber an das, was zwischen den Beinen ist …«

Nun begann er, hasserfüllt und wie ein Besessener weitere Abartigkeiten preiszugeben, wobei sich seine Stimme regelrecht überschlug. Er ärgerte ihn maßlos, den Conte damit nicht quälen zu können, denn dieser blieb weiterhin fast stoisch hinter seinem geschwollenen, blas­sen Gesicht verbogen blieb.

Panpopidis verstummte und schöpfte tief Atem. Seine Hand legte sich mit einer herablas­senden Geste auf die Schulter des Conte.

»Du hast was verpasst, Alterchen.«

»Ich beginne zu zweifeln. Ihr Beispiel zeigt mir, dass diese Betätigung das Hirn enorm schädigt.«

Mit einem lauten Aufschrei formte Panpopidis die Hände zu Krallen, legte sie um den Hals des Conte und drückte zu.

***

Es war die Hölle. Um ihn war undurchdringliche Nacht, Lucille krallte sich an ihn, wühl­te mit ihren Fingernägeln in seiner Haut, Dorkas schnappte schnaufend nach Luft, Little wim­merte wie ein kleines Kind. In seinem Rücken lag die Mauer, dieses feste, sture, hassenswer­te, fürchterlich wirkliche Hindernis, der zu Stein gewordene Albtraum, die kristallisierte Todesangst.

Tony Tanner schob Lucille von sich. Sie reagierte nicht, klammerte sich fester an ihn und er musste sich in einem absurden Ringkampf von der Frau befreien.

»Ich muss Steele helfen«, murmelte er. Er wollte sich selbst überzeugen, aber in seinen Ohren klang eine fremde Stimme, die keinerlei aufbauende Wirkung entfalten wollte. Mechanisch begann Tony, die Stufen heraufzusteigen. Nachdem er einige Mal ins Stolpern kam, bewegte er sich auf allen Vieren vorwärts.

Vor ihm krachten Schüsse, Tony hielt an. Seine Muskeln zuckten, jeder Reflex zwang ihn zum Rückzug, seine Furcht riss an ihm, aber nach einer Sekunde des inneren Kampfes kroch er weiter nach oben.

Ein Glassplitter bohrte sich in seinen Handballen. Mit einem Schrei fuhr Tony auf. In die­sem Moment polterte etwas die Treppe hinunter, erfasste ihn und riss ihn mit. Über sich den schweren Körper eines Mannes, unter sich die Stufenkanten, rutschte Tony Tanner nach unten. Die abgetretenen Stufen wirkten, als ob sie mit Schmierseife eingepinselt wären.

Der Kerl über ihm stank nach Schnaps und Zigaretten. Das Gewicht schien Tony zu erdrü­cken, irgendein kantiger Gegenstand, der an der Schutzweste befestigt war, bohrte sich in Tonys Rippen, versetzte ihm bei jeder Stufe einen Stoß. Die Wand hielt sie auf. Über Tony krachte der Helm des Söldners gegen den Stein. Trotzdem nahm der Aufprall auch Tony den Atem. Fast hätte er sich selbst die Zunge abgebissen. Vor seinen Augen kreisten Funken. Er schauten ihnen nach und fragte sich, woher diese Fünkchen ihre unverschämte Helligkeit nah­men.

Erst dann bemerkte er, dass er sich strampelnd und schiebend unter dem ohnmächtig gewordenen Gegner herausarbeitete.

Tonys Hand erfasste einen metallischen Gegenstand. Sein Instinkt ordnete das Ding als potentielle Schlagwaffe ein und befahl den Fingern zuzupacken und zu ziehen. Mit dem Gegenstand in der Hand versuchte Tony, die Treppen wieder hochzusteigen. Sein Kopf dröhn­te und erlaubte keinen klaren Gedanken, jede Bewegung wurde zur Qual.

Wie zur Ablenkung tastete Tony den Gegenstand ab. Eine Taschenlampe, erkannte er. Eine schwere Stablampe. Wo war der Schalter? Die Frage kam von ganz allein in den dumpf pochenden Mechanismus seines Denkens und ließ keine Nachfragen zu.

Der Griff war glatt, da konnte kein Schalter sein. Tony stapfte halb betäubt die Stufen hoch, wankte und dachte daran, dass man wohl den Kopf der Lampe drehen müsse, um die bezweckte Leuchterscheinung zu erlangen. Er tastete, drehte, schob. Ein zufriedenes Grunzen erklang, als Tony Tanner merkte, wie sich der Ring um die Glasscheibe bewegen ließ.

Ein Lichtstrahl stach in die Dunkelheit.

Die drei Angreifer fuhren herum.

***

Die Haut des Conte verlor alle Farbe, auf seine Augen hauchte der nahe Tod eine glasige Trübe. Ernst und unbewegt erwartete der Conte Hercole di Saloviva sein Ende.

Aufheulend vor Wut warf Panpopidis die Arme hoch, eine hässliche Travestie einer Freudengeste, als wären die Arme Jagdhunde, die in ihrer Gier dem Besitzer nicht mehr gehorchen wollen.

»Nicht so einfach, alter Trottel«, heulte Panpopidis. »So einfach hatten wir uns den Abgang wohl gedacht. Aber darauf falle ich nicht rein. So blöd bin ich nicht. Da musst du dir was Besseres einfallen lassen.«

Er blickte um sich.

»Wir könnten ja schon einmal die Behausung wechseln.«

Mit einem Griff packte er den Conte am Kragen und halb schleifend, halb stoßend zwang er den alten Mann zum Aufstehen. Eine Tapetentür brachte sie zu einer engen Wendeltreppe. Rücksichtslos stieß Panpopidis den Gefangenen vorwärts, trat ihm in den Nacken, als der alte Mann nicht schnell genug die schmalen Stufen herabging.

Als sie unten angekommen waren, brach der Conte zusammen, aber wieder griff ihn Panpopidis hart zu und schleifte ihn wie eine zerbrochene Puppe über einen Flur und in einen größeren Raum.

Das niedrige Gelass hatte keine Fenster. Einige Kerzen flackerten auf groben Eisenständern. Ihr unruhiges Licht riss die umherstehenden Personen aus der Dunkelheit und schob sie eilig wieder zurück in den Schatten. Der modrige Geruch eines unterirdischen Raumes legte sich auf die Lunge, die verbrauchte Luft machte das Atmen schwer.

Die Augen des Conte waren geschlossen, als er durch die Tür geschleift wurde. Jetzt öff­nete er sie mühsam und unter großem Schmerz. Ein wehes Stöhnen kam von seinen Lippen.

»So viele«, murmelte er fast unhörbar.

Den gierigen Ohren des Panpopidis waren diese beiden Worte voller Verbitterung nicht entgangen.

»Ja, alter Hosenstinker, so viele«, krähte er mit sich überschlagender Stimme.

»Aber ich habe noch etwas für dich!« Mit diesen Worten ließ Panpopidis den alten Mann los. Der Conte fiel in sich zusammen, als wäre nur ein Bündel Kleider in den Raum geschleppt worden. Keiner rührte sich, um ihm zu helfen. Die zitternden Hände gegen die Wand gestemmt, raffte sich der Conte auf und blieb an die Wand gelehnt stehen. Sein Körper war fast zerstört, aber sein fester Blick bezeugte, dass seine Seele ungebrochen war.

Panpopidis ging in den hinteren Teil des Raumes, der vom Licht der Kerzen kaum erhellt wurde. Eine schmale, von einem Umhang umhüllte Gestalt drückte sich dort in den Schatten. Am Arm von Panpopidis schritt sie nun auf den Conte zu. Erst als sie unmittelbar vor dem alten Mann stand, schob sie die Kapuze zurück, die ihr Gesicht verdeckte.

»Auch du, meine Tochter Maddalena«, flüsterte der Conte mit blutigen Lippen.

»Das gefällt dir also doch, altes Arschloch«, kreischte Panpopidis. Er brachte seinen Mund nah an das Ohr des Conte, bleckte die Zähne, als wolle er zubeißen.

»Ich habe sie dir durchgebrögelt, deine teure Maddalena. Du alter Schwachkopf hast nichts bemerkt, du hast geglaubt, dir kann nichts passieren, deine herzensgute Maddalena hat ein Auge auf Panpopidis und sagt dir, wenn sich der Aasgeruch des Verrates in den hehren Hallen deines Domizils breitmacht.«

Den letzten Satz artikulierte Panpopidis mit boshaft übertriebenem Pathos. Dann stellte er sich neben Maddalena. Sein linker Arm schlang sich um ihre Hüfte, mit der rechten Hand begann er, den Busen des Mädchens zu kneten.

»War wohl nichts«, spottete Panpopidis. »Der alte Trottel hier spielt hier den König der Fischer und macht ein Laienschauspiel vom Gral. Tja und währenddessen hab’ ich seine Maddalena durchgebrögelt. Hat’s dir gefallen, du Rose des wahren Glaubens?«

Das Mädchen wendete ihre großen dunklen Augen dem bärtigen Kopf von Panpopidis zu. Sie lächelte ihn an und nickte. »Es war wundervoll. Deine Peitsche ist besser als die Worte der alten Propheten, dein Samen ist süßer als das heilige Brot.«

Der Widerspruch zwischen ihrem sanften Gesicht, ihrer fast überirdischen Schönheit und den gemeinen Worten, die von ihren Lippen kamen, war zugleich faszinierend und abstoßend.

So muss der Satan sein, fuhr es dem entsetzten Conte durch den Kopf, engelhaft schön und widerwärtig verworfen …

»Siehst du«, Panpopidis bleckte die Zähne wie ein Schimpanse, als er den Conte höhnisch angrinste.

Darauf folgte ein abstoßender und ekelhafter Bericht, in dem Maddalena und Panpopidis sich ungehemmten Scheußlichkeiten hingaben, und der, könnte ein begnadeter Schriftsteller ihn nachvollziehen, einen Bestsellerroman im pornografischen Genre garantiert hätte.

Damit steckte Panpopidis die Zunge weit heraus und leckte Maddalena vom Kinn bis zur Stirn über das Gesicht. Das Mädchen reagierte mit einem wonnevollen Schnurren.

***

Tony starrte in drei Gewehrmündungen. Der Anblick wirkte wie Aspirin und drei Wochen Strandurlaub zusammen. Im Licht der Lampe sah er die Nachtsichtgeräte, die die Söldner vor dem Gesicht trugen. Und Tony tat das einzig Richtige. Er hielt die Lampe auf die Gegner gerichtet und ließ sich gleichzeitig fallen.

Die Nachtsichtgeräte hatten einen automatischen Blendschutz. Aber das menschliche Auge reagierte schneller als diese Abblendautomatik. Als die drei Bewaffneten herumfuh­ren, war dies ein antrainierter Reflex. Sie hatten keine andere Wahl gehabt. Nun explodierte für eine Sekunde gleißende Helligkeit vor ihren Augen, stach wie eine Stahlspitze in ihre Pupillen. Es schmerzte höllisch, und es machte sie blind. Trotzdem krümmten sie die Finger um den Abzug und schossen.

Der erste Feuerstoß heulte durch den Platz in der Luft, den Tony Tanner noch eine Sekunde vorher für sich in Anspruch genommen hatte. Drei Daumen fuhren zu den Umstellhebeln und schwenkten auf Dauerfeuer. Immer noch waren die Söldner halbblind, immer noch schmerzten die Augen, als hätten sie Sand unter den Lidern.

Immer noch agierten sie mit der kühlen Ruhe des perfekten Soldaten. Schulter an Schulter stehend wollten sie den Gang vor sich mit Kugeln füllen, bis die statistische Trefferwahrscheinlichkeit bei hundert Prozent lag.

***

»Ich vergaß zu erwähnen, dass ich deiner Maddalena eine Rasur verpasst habe. Sie hatte wirklich so was von einem Busch im Höschen, das muss ja geradezu Hygieneprobleme gege­ben haben, und das mit neunzehn Jahren, also wirklich, mit fünfundzwanzig hätte sich ein Bärenfell entwickelt … tstststs …«

Höhnisch schüttelte Panpopidis den Kopf und schnalzte in gespielter Besorgnis mit der Zunge. Dabei fuhren scheele Blicke unter seinen buschigen Brauen wie Schlangen hervor und betasteten das starre, weiße Gesicht des Conte.

Triumphierend witterte Panpopidis seine Chance, den Willen des Conte doch noch zu bre­chen. Für den Bärtigen ging es um alles. Er hasste den Conte von ganzem Herzen, wie man nur etwas hassen kann, dessen Existenz das eigene Wesen leugnet und niedrig macht. Wie oft hatte sich Panpopidis diesen Sieg ausgemalt! Das Personal, dem der Conte vertraute, zu sei­nen Gespielen zu machen, war für Panpopidis nur ein erster Vorgeschmack. Selbst als es ihm gelang, Maddalena Strozzi von dem hohen Ross ihrer höchstkatholischen Jungfernschaft zu stürzen, sie abhängig zu machen und zu den widerwärtigsten Perversionen aufzustacheln, war dies nur ein Vorgeplänkel. Eingehüllt in die schweren Wolken seiner Wollust spürte Panpopidis immer noch den Widerstand Maddalenas, musste in ihren Lustschreien den bitte­ren Hilferuf vernehmen, das Aufbäumen einer reinen Seele, die sich von dämonischen Kräften gefesselt weiß.

Maddalena selbst interessierte Panpopidis nicht. Sie war bloß eine Frau. In all den Jahren, in denen sich Panpopidis wie eine Echse durch eine Einöde von Fleisch gewälzt hatte, von hellem oder dunklem, bereitwilligem, bereitliegendem Menschenfleisch, von auffordernd gespreizten Schenkeln, von aufreizend präsentierten Hinterteilen, war ihm das menschliche Fleisch immer mehr zu einem Sumpf geworden, in dem er zu versinken drohte. Jeder neue Körper war der Versuch, sich vor dem Verschlungenwerden zu retten, einen Halt zu erlangen, eine Insel der Rettung in Meer gleichförmiger, gleichgültiger Leiber und der schalen Lüste, die sie ihm brachten.

Der Widerstand, den Maddalena ihm entgegensetzte, reizte ihn. Ihn zu brechen bereitete Panpopidis ein Feuerwerk der Lust. Sie zu erniedrigen, sie zu den perversesten Handlungen zu treiben und zu wissen, dass in dem jungen Mädchen zwei Seelen miteinander kämpften, daraus erwuchs für Panpopidis eine verfeinerte Form des Genusses. Aber sie wurde ihm ver­gällt, als er erkannte, dass selbst die Einflüsse seines Meisters Brantley nicht ausreichten, Maddalena vollständig zu dem hohlen Gefäß seiner Geilheit zu formen, das er sich wünsch­te.

Sie war Panpopidis zu Willen, sie wälzte sich vor Lust in seinen Armen, sie litt und sie verachtete sich selbst. Und diese letzte Glut von Scham konnte Panpopidis, das erkannte er schließlich, erst austreten, wenn der Conte sich gebeugt hatte.

Nun bereitete es ihm einen lustvollen Kitzel, den alten Mann langsam an den Rand der Klippe zu drängen, hinter der die völlig Leere der Selbstaufgabe und Selbstverachtung lagen. Würde der Conte springen, dann erst würde Maddalena den letzten Funken Reue in sich til­gen – und dann erst hatte Panpopidis sie wirklich gehabt und konnte sie zur Seite schieben.

»Sie hat es genossen«, flüsterte Panpopidis dem Conte ins Ohr. »Oh Mann, sie wurde ganz wild, als ich sie rasierte. Zuerst warmes Wasser, dann der Schaum schön mit den Fingerspitzen einmassiert, und dann kam die Wolle endlich runter. Du hast sie nicht zufällig mal im Bad beobachtet oder so? Das war ein echter Schwamm, den sie mit sich rumschlepp­te, ein Kilo Haare mindestens, du könntest dir eine Perücke daraus machen lassen. Sie hat richtig gequiekt und gezittert, als ich ihr mit dem Rasiermesser das Zeug runterholte. Und jetzt sieht es so süß aus. Süüüüüüüß! Dieser kleine weiße Bauch und dieser Spalt, so klein und rosig. Du müsstest dir das eigentlich mal angucken, Alter! Weißt du, wenn sie geil wird, dann kommen ihre Schamlippen zum Vorschein, das musst du dir einfach mal vorstellen, diese weiße glatte Haut und dann kommen diese roten Blüten hervor, es sieht absolut stark aus und ein bisschen abartig, so wie eine Fleisch fressende Pflanze. Weißt du was, Schnucki …« Panpopidis machte zwei Schritte zu Maddalena und bückte sich, um ihren Rock hochzuhe­ben.

»Du sollest dem Conte mal etwas von dir zeigen. So was kennt der gar nicht mehr. Und dann mach ich dich ein bisschen geil und du lässt was raushängen, ist doch scharf!«

Bevor er seine Absicht verwirklichen konnte, wurde die Tür aufgestoßen und zwei Personen betraten den Raum.

Beim Anblick der einen überlief ein Schauer den zu Tode geschwächten Körper des Conte di Saloviva.

Meister Ki strich sich seinen Bart und schaute dem Conte ins Gesicht.

»Wie Fassade von Haus des Menschen Antlitz sein. Nie wer dahinter wohnt du wissen wirst«, sagte er mit einem sarkastischen Lächeln.

 

Steele reagierte nach einem erlernten Muster. Halb betäubt, wie er immer noch war, muss­te er sich auf die Spuren verlassen, die die jahrelange Übung in seinen Nervenbahnen hinter­lassen hatte. Seine Hände griffen nach hinten, seine Finger suchten eine vertiefte Fuge. Dann zog Steele sich hoch, stemmte den Rücken gegen die Wand und trat mit aller Kraft zu. Er traf den ersten der drei Söldner. Der Mann geriet ins Taumeln, schob sich gegen den neben ihm stehenden und dieser wiederum brachte wie ein fallender Dominostein seinen Nachbarn aus dem Gleichgewicht. Bevor sie sich wieder fangen konnten, war Steele, leicht schwankend, wieder auf die Füße gekommen und warf sich mit voller Wucht auf die Männer.

Jetzt hatten sie keine Chance mehr, das Gleichgewicht zu halten, ohne die Position zu ändern. Sie machten Ausfallschritte, kamen sich gegenseitig in den Weg, mussten sich völlig darauf konzentrieren, nicht zu stürzen. Einem gelang es nicht. Er prallte gegen die Mauer und rutschte über die glatte Stufe ab.

Die anderen beiden hatten weniger Glück. Den Ersten erwischte Steele von hinten mit einem Tritt, der den Mann von den Beinen riss und ihn fast waagerecht in der Luft liegen ließ. Bevor er zu Boden fallen konnte, war Steele bei ihm, schob sein Knie wie einen Amboss unter den Rücken des Gegners und dann hämmerte er ihm mit einigen Ellbogenstößen die Luft aus der Lunge.

Die Aktion war hübsch erdacht und sauber ausgeführt, (eine Sechs-Komma-Null für die technische Ausführung und eine Acht-Komma-Sieben für den künstlerischen Eindruck, lobte sich Steele in diesem Moment selbst), aber Steele hatte die Kevlarweste nicht einberechnet und brauchte daher einige Ellenbogenhämmer mehr als geplant und als seiner Lebenserwartung förderlich war. Als er den erschlafften Körper des Söldners zur Seite rollte, hatte ihn derjenige, der in der Mitte stand, schon als Angreifer identifiziert. Er schwenkte zur Seite, seine Waffe nahm die Bewegung vorweg.

Im Licht der schwankenden Taschenlampe hasteten Schatten über Wand und Decke, ein schwarzer Stachel richtete sich auf Steele.

 

In diesem Moment wurde es wieder dunkel, der Lichtstrahl hüpfte hysterisch den Gang entlang. Ein Schrei ertönte. Noch niemals hatte der Söldner daran gedacht, sich Schienbeinschoner anzulegen. Als die Lampe genau unter seinem Knie einschlug, war es zu spät, das Versäumnis nachzuholen. Tony Tanner hatte sich das Vergnügen eines weiten Ausholens gegönnt und knallte nun die schwere Stahllampe geradezu liebevoll gegen das gegnerische Schienbein. Der Schlag sandte rot glühende Schmerzexplosionen durch die Nervenstränge des Söldners, trieben ihm ein Gurgeln aus der Kehle, lähmten für den Bruchteil einer Sekunde alle seine jahrelang eingeübten Reflexe. Dann erst gewann das andere Programm erneut die Oberhand, unterdrückte alle Schmerzimpulse und machte die Bahn für den puren Tötungsinstinkt. Der Finger des Mannes krümmte sich um den Abzug.

Für Steele war dieser Sekundenbruchteil ausreichend. Er verzichtete auf alle Schnörkel und Feinheiten. Sein Instinkt sagte ihm, dass er keine Zeit hatte, um den Ellbogen zum Ausholen nach hinten zu bringen. So stieß er ansatzlos den Arm vor. Seine Handfläche traf auf das Nachtsichtgerät. Die Wucht des Treffers versenkte das Gerät halb im Gesicht des Söldners, sein Kopf wurde nach hinten geschleudert und wurde nur durch den Kragen der Weste aufgehalten. Seine Salve hämmerte los, die Kugeln schlugen Steinbrocken aus der Decke. Wie eine Lawine prasselten die Splitter auf die Männer im Gang herab.

Tony Tanner hatte inzwischen die Lampe auf den dritten Gegner gerichtet. Er konnte nicht genau erkennen, was Steele machte, aber er spürte die feinen Tropfen, die durch die Luft wir­belten wie Nebel und er roch geradezu, welche Farbe diese Flüssigkeit hatte.

Schwer schlug der Körper neben ihm auf und Steele stürzte sich wie ein Tiger auf den Liegenden, der die Waffe abwehrend vor den Körper hielt. Steele trat sie zur Seite.

Mein Gott, dachte Tony dann, er hat diesem Kerl den Zeigefinger durch die Stirn gerammt …

Der Gedanke war absolut unfasslich. Tony war gelähmt und fühlte sich eingefangen wie eine Mücke im Bernstein in diesem Moment, wo sich um ihn ein Kampf abspielte, der eben­so grausam und archaisch war wie die Revierkämpfe urzeitlicher Raubsaurier. Dann kam ihm das Gesicht Maddalenas in den Sinn, und obwohl es ihm selbst weniger passend erschien, nahm Tony Tanner diese hehre Erscheinung zum Vorwand, um dem dritten Söldner, der sich gerade wieder aufrichten wollte, einen Schlag gegen das Kinn zu verpassen. Selbst das Mikrofon, das der Mann vor dem Kinn trug, konnte die Wucht des Schlages nicht mindern. Der Söldner verdrehte die Augen und sank gegen die Wand, gerade als sich Steele auf ihn werfen wollte.

Tony empfand eine tiefe Befriedigung. Wieder einer weniger, der die wunderschöne Maddalena bedrohte!

Steele schaute Tony an, als würde er sich mit ihm um die liegenden Opfer streiten wollen.

Achtung, jetzt kommt eine blöde Bemerkung, fuhr es Tony durch den Sinn, bevor er den Mund aufmachte. Aber er musste jetzt etwas sagen, da war er sich sicher, um Steele davon abzuhalten, mit seinem Gemetzel weiterzumachen, und sich den kleinen Tony als nächstes Opfer vorzuknöpfen. Dieser Blick hatte Tony alles gesagt. Für Steele war in diesem Moment jeder Zweibeiner ein Jagdwild.

»Haben Sie für den Zeigefinger einen Waffenschein?«

Erstaunt, als würde er sich erst jetzt dieses Körperteils bewusst werden, betrachtete Steele seinen rechten Zeigefinger und bemühte sich dann, die Masse unter dem Nagel zu entfernen.

»Der Trick besteht darin, alle Energie zu konzentrieren«, erklärte er dann und der etwas pedantische Ton beruhigte Tony Tanner in diesem Augenblick sehr. »Alle Körperenergie an einem Punkt. Meister Ki sagte, man kann damit auch Beton durchbohren. Hab ich aber noch nicht versucht.«

Die Mauern der Umgebung werden sich freuen, dachte Tony.

Dann zuckte er zusammen, weil hinter ihm, aus der Tiefe des Ganges, Schüsse knallten.

***

Der Mann, der mit Meister Ki eingetreten war, wandte sich an Panpopidis.

Ein weiter, bis zum Boden reichender Umhang, der ihm das Aussehen eines mittelalterli­chen Mönches gab, umhüllte eine hagere, nur durchschnittlich große Gestalt. Der Kopf war unter einer tief herabhängenden Kapuze verborgen.

Nur die Tatsache, dass der Umhang aus schwarzem Leder gefertigt war, bewies, dass der Träger anderen Zielen als denen eines frommen Ordensbruders verpflichtet war.

Jeder empfand sofort die bedrohliche Aura, die den Mann umgab. Er wirkte wie ein ruhi­ger Fluss im Sonnenschein. Ein Fluss, von dem man weiß, dass er von Krokodilen wimmelt.

»Ich entbiete dir den Gruß des Meisters«, sagte der Neueingetretene. Seine Stimme schien aus einer Gruft zu erschallen. Als er den Kopf hob, wurden für einen kurzen Moment eine große, schmale Nase, ein strenger Mund und fanatisch glitzernde Augen unter der Kapuze sichtbar.

Panpopidis war verwirrt. Das Erscheinen der beiden Männer hatte seine schönsten Hoffnungen zunichtegemacht. Er ahnte, wie nah er daran war, den Conte endgültig zu zer­stören. Maddalenas Rock gehoben, ein bisschen an ihr herumgespielt, im Notfall einen der umstehenden Kerle herbeibefohlen, der es ihr besorgte, wie Panpopidis es schon oft prakti­ziert hatte – der Conte hätte das nicht überstanden. Seine Seele wäre zerbröckelt wie mürber Ton. Er, Panpopidis, hätte über ihn triumphiert.

Es war das Aufzucken eines Aufbegehrens, nicht mehr. Dann zog Panpopidis den Kopf zwischen die Schultern und machte eine tiefe Verbeugung.

»Ich entbiete meinen Gruß dem Boten des Meisters.«

Panpopidis Hand zeigte auf den Conte, der sich mühsam aufrecht halten konnte. Der alte Mann lehnte an der Wand. Sein Gesicht war geschwollen und blutig. Aber sein Blick hatte die Härte und das Funkeln geschliffener Diamanten, die auf einem zerrissenen Tuch ausgestellt sind.

Der Bote wandte sich dem Gefangenen zu. Verborgen unter der Kapuze betrachtete er den Conte, lange und ausführlich, lauernd und abschätzend. Für den Conte war es eine Folter mehr, der er tapfer standhielt. Er hob die Augen, schaute in das schwarze Loch unter dem Rand der Kapuze, aus dem ihm boshafte Blicke wie tastende Insektenfühler entgegendrangen.

Mit einem Rauschen des Umhanges wandte sich der Hagere ab.

»Seid Ihr zufrieden, Nuntius?«, schmeichelte Panpopidis. Er hatte Maddalena losgelassen und stand jetzt leicht gebeugt wie ein Bittsteller auf einem alten Gemälde.

»Er ist ein tapferer Mann«, antwortete der andere. »Seine Seele ist stark, sehr stark. Er hat Mächte auf seiner Seite, die ihn stützen.«

»Gebt mir nur noch fünf Minuten. Fünf kleine Minütchen, und ich werde ihn brechen«, bettelte Panpopidis und deutete zwischen Daumen und Zeigefinger an, wie wenig Zeit er nur noch brauchte.

»Schweig, du feiger Narr!«, antwortete die tiefe Stimme. »Merkst du nicht, wie er dich in die Irre führt? Du glaubst, du kannst ihn brechen? Aber er nimmt dir alle deine Kraft! Nein, wir brauchen eine starke Seele, es ist ganz recht so. Also auf, um den Herrn zu loben!«

Mit kriecherischer Höflichkeit wies Panpopidis dem anderen den Weg. Nicht ohne vorher seine Hand zwischen Maddalenas Beine geschoben und ihr ein albernes, lüsternes Kichern entlockt zu haben.

»Hier ist alles vorbereitet. Schaut und prüft, ob es eure Zustimmung findet.«

Damit drückte Panpopidis auf einen Stein an der gegenüberliegenden Wand.

Alle hielten vor Spannung den Atem an. Zuerst geschah nichts, dann wurde ein Knirschen hörbar, das aus der Mauer zu kommen schien. Es wurde lauter, untermischte sich mit mecha­nischem Knacken und dem Quietschen schlecht geölter Räder. Die Wand ruckte, Staub drang aus den Ritzen, dann schob sich ein Teil zur Seite und gab den Blick auf den angrenzenden Raum frei.

Der Bote trat gemächlich an die Öffnung. Eine Wolke von Weihrauch quoll aus dem Raum hervor und verdeckte fast die Konturen des hageren Mannes. Nach einer Weile nickte er.

»Ich bin zufrieden. Holt den Gast!«

Sofort eilte Panpopidis zum Conte und riss ihn nach vorn. Der geschwächte Greis fiel auf den Boden, Panpopidis begann, ihn wie einen Sack fortzuschleifen.

»Würde! Etwas mehr Würde!«, erklang die tiefe Stimme. Der Ärger des Boten über diese widerwärtige Szene war unüberhörbar. Panpopidis knickte zusammen, als hätte er einen Keulenschlag in den Nacken erhalten. Er ließ den Conte los und stand mit hängenden Armen wie ein gemaßregelter Schulbub.

Es war Meister Ki, der dazu trat und den Conte aufhob. Zusammen mit einem Diener half er dem Conte in den nächsten Raum und setzte ihn auf einen Stuhl.

Meister Kis Haltung war von oberflächlicher Höflichkeit geprägt. Eine menschliche Verbindung zu dem Conte schien er nie gehabt zu haben.

Panpopidis und Maddalena blieben als letzte zurück.

»Ich hätte jetzt so richtig Lust auf so eine Kleine!«, erklärte der Bärtige. Dabei legte er die Hand um die schmalen Hüften des Mädchens und knetete ihr Hinterteil.

»Bist du schon schön feucht, Schnucki?«

»Feuchter als der Jordan, an dem der Täufer stand«, antwortete Maddalena sanft.

»Scheiße, da winkt schon einer. Du könntest mir wenigstens zwischendurch die Segnungen deines Schnullemundes zuteilwerden lassen, Baby.«

»Ich gäbe meine ewige Seligkeit dafür«, versicherte Maddalena.

»Ist mir klar, Honey, wenn du’s gut machst, erlaube ich dir vielleicht auch noch bei mir, denn ich habe eine dunkle Kehrseite.«

»Meine Zunge wäre ein eifriger Diener, du guter Jüngling.«

»Ja doch, ihr Penner, wir kommen ja schon. Dreifach verfluchte Scheiße, weiß diese Scheißgesellschaft eigentlich, dass sie ihre Jugend neurotisiert, wenn sie sie ständig von einem gesunden Sexualleben abhält?«

Grunzend stapfte Panpopidis los und zog Maddalena mit sich. Das engelgleiche Gesicht des Mädchens zeigte seine bittere Enttäuschung.

»Du hast mir etwas versprochen, bitte, bitte!!«, bettelte sie und zog ein herzallerliebstes Schmollmündchen.

»Halts Maul!«

***

Schneller als Tony Tanner denken konnte, federte Steele in die Höhe und hastete den dunklen Gang hinunter.

»Licht!« Steeles Schrei war so laut, dass er donnernd durch den Gang rollte.

Tony raffte sich auf und eilte steifbeinig hinter Steele her. Im Schein der Lampe tauchte Steeles Rücken auf, ein groteskes Schattenspiel huschte über die Wände.

»Planquadrat F, wiederhole Planquadrat F, brauchen Verstärkung!«

Steele fluchte. Er war zu spät gekommen. Der vierte Söldner war aus der Ohnmacht erwacht, hatte noch halb betäubt eine Salve abgegeben und war nun klar genug, um seine Kumpane herzupfeifen.

Der Söldner hörte den herantrampelnden Steele, sah den Lichtschein, drehte sich mühsam zur Seite. Der Sturz hatte ihn halb zerschlagen, jetzt erst fühlte er den brennenden Schmerz, der von einem gebrochenen Armknochen rührte.

Mit einem Aufschrei wälzte sich der Mann blitzschnell herum, hielt die Waffe einge­klemmt zwischen Oberarm und Achsel und griff mit der anderen Hand nach dem Abzug.

Der Rückschlag prellte seine gebrochenen Rippen. Sein Schrei übertönte selbst den Lärm der Abschüsse.

Die Kugel waren gut gezielt, trotz alledem. Sie hätten Steele durchlöchert.

Nun waren sie allenfalls dazu geeignet, einen Tony Tanner in Panik zu versetzen, zu des­sen rechter Seite sie in die Wand einschlugen. Ein Querschläger surrte an Tonys Ohr vorbei, dass der Luftzug spürbar war. Das schrille Geräusch schmerzte.

Steele hatte trotz der wankenden Beleuchtung, die der hinterherstolpernde Tony Tanner mit der Lampe bot, schon den Ansatz der gegnerischen Aktion richtig erkannt und gedeutet. Er warf sich der Länge nach auf die Stufen und rollte abwärts.

Über ihm sirrten die Kugeln. Steele verlor die Orientierung, wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Seine Schulter prallte gegen ein Hindernis. Ein gurgelnder Schmerzensschrei wurde ausgestoßen. Direkt neben seinem Ohr krachten Schüsse, so nah, dass er die Hitze des Abschusses spürte. Steele war zwischen der Stufe und dem Körper seines Gegners einge­klemmt. Er hatte sich, vom Schwung getrieben, wie ein Keil zwischen beide gesetzt.

Der Söldner winselte vor Schmerz, würgte kehlige Laute zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Hand, auf der Steele mit seinem gesamten Gewicht lag, tastete nach dem Messer, das er am Oberschenkel trug. Gleichzeitig rückte er ein wenig zur Seite, um sich herumwälzen zu können. Damit hatte er die Möglichkeit, Steele die Mündung seiner Waffe direkt in die Rippen zu drücken und ihn zu zerfetzen.

Steele war in diesem Augenblick nicht in der Lage, den Schachzügen seines Gegners zu folgen. In seinem Kopf waberte noch immer der Dunst einer halben Betäubung. In seinem Ohr kreischte ein unerträglicher Ton, laut und schrill, das Ergebnis eines überstrapazierten Trommelfells.

Was für eine Idiotie, dachte Steele, was mache ich hier?

Derjenige, der auf genau diese Frage spezialisiert war, ersparte ihm weitere Grübeleien.

Tony Tanner hatte sich die Treppe hinuntergearbeitet, war mehrmals um ein Haar ausge­rutscht und heulte innerlich vor Wut über seine Ungeschicklichkeit und die Schmerzen, die ihn so behinderten.

Er sah den reglosen Steele und das zur Grimasse verzerrte Gesicht des Söldners. Zwischen Helmrand und dem heruntergerutschten Nachtsichtgerät nahm dieses Gesicht im Schein der Taschenlampe die Züge einer Dämonenfratze an.

Erschreckender als, war die Mündung, die direkt auf seinen Bauch gerichtet war. Der Anblick reichte, um in Tonys Bauch ein Kribbeln auszulösen, als würde dort eine Brausepulverdetonation stattfinden. Diese Mündung hatte etwas Endgültiges an sich. So wie sie, rund und schwarz, im Lichtschein erschien, war sie wie eine Verurteilung ohne Revisionsmöglichkeit.

Tony spürte, wie ihm das Herz stockte.

Dann schoss seine Hand vor, traf den Lauf und prellte ihn nach hinten.

Die Salve krachte. Über ihm sprühten die Funken der Abpraller.

Hilflos schlug Tony zu. Der Schlag war ungezielt und geradezu lächerlich schwach. Aber er traf einen Arm, durch dessen Haut sich schon die Zacken eines Splitterbruches gestoßen hatten.

Der Söldner stöhnte auf und fiel in Ohnmacht.

 

Aus der Tiefe des Ganges, dort wo Dorkas, Little und Lucille festsaßen, ertönte ein ver­zweifelter Schrei.

Der unterirdische Raum war wie eine einzige Demonstration aller gängigen Klischees. Selbst der fantasieloseste Ausstatter hätte diese blakenden Fackeln gewählt, diese Kerzen, die sich auf ihren Ständern zu gleißenden Pyramiden auftürmten, diese schwarzen Tücher voller silberner und goldener Symbole und diese Weihrauchfässer, aus denen es blau, schwer und betäubend wölkte.

Aber es war kein mittelmäßiger Film. Es war die Wirklichkeit – auch sie sehr mittelmä­ßig. Aber die Einzige, die der Conte hatte. Und die er bald verlassen sollte.

Der Bote traf seine Vorbereitungen. Ruhig und konzentriert gab er Anweisungen, ließ Kerzen zu einem Kreis zusammenstellen, prüfte die Position der Symbole auf den Tüchern.

In seinen Handlungen war weder Triumph noch Fanatismus merkbar. Was ihn antrieb war die ruhige Gewissheit eines Mannes, der die Dinge tat, die er tun musste.

Nur einmal stockten die Vorbereitungen. Der Bote bemerkte eine Bewegung eines Tuches, das mit anderen die Wand schmückte. Er zögerte, trat dann zu der Stelle und schob das Tuch zur Seite.

Dahinter öffnete sich ein Durchgang, gerade groß genug, dass ein Erwachsener sich mit Mühe durchschieben konnte.

Der Bote winkte er Panpopidis heran.

Der bärtige Mann ließ die Finger vom Hinterteil Maddalenas und ging leicht gebückt, als wolle er schon im Vornherein einem Schlag ausweichen, auf den Boten zu.

»Was ist das?«, fragte er streng.

»Nichts, gar nichts«, dienerte Panpopidis.

»Du hast recht, mein Gefährte. Da ist nichts. Nichts, wo eine Mauer sein sollte. Was soll das?«

Mit blödem Gesicht starrte Panpopidis in den Durchgang und wühlte erst in seinem Bart, dann in seinem Haar.

Ein kalter Luftzug wehte nun aus der Öffnung. Die Fackeln und Kerzen, die in der Nähe standen, brannten unruhig und begannen zu qualmen. Deutlich mischte sich der Geruch von feuchtem Moder in den Weihrauchduft.

Stotternd schaute Panpopidis in die Öffnung, schaute dann Hilfe suchend in den Raum, kne­tet am Ende seiner affenartig baumelnden Arme die Finger und schien immer mehr zu schrumpfen.

Neben sich spürte er die gewaltige Präsenz des Boten. Der aufkeimende Ärger war wie fernes Donnergrollen aus einer schwarzen Wolkenwand.

Der Schweiß klebte die Haare an Panpopidis Stirn fest.

 

Endlich kam ihm einer der Hausdiener zu Hilfe.

Mit gesenktem Kopf blieb er vor dem Boten stehen.

»Nun, was hast du mir zu sagen?«, fragte der Bote. Der Ärger veränderte den Klang sei­ner tiefen Stimme, als hätte sie Zähne, an denen man sich die Ohren aufreißen konnte.

»Der Durchgang führt zu einem Gang … vielmehr zu einem Gangsystem«, erklärte der Diener mit mühsam unterdrückter Furcht.

»Das ist nicht gut. Das ist überhaupt nicht gut. Man hätte einen anderen Raum wählen müssen.«

»Die Gänge sind verschlossen. Es gibt keinen Zugang, außer durch diesen Raum hier«, versicherte der Diener und gewann wieder an Sicherheit.

»Bist du sicher?«

»Absolut. Die Gänge sind seit Jahrhunderten verschlossen. Keiner wagte sich, sie zu betreten.«

»Nun gut.« Der Bote schwieg überlegend. »Ich vertraue dir«, entschied er dann. Mit einer entschlossenen Bewegung brachte er das schwarze Tuch zurück in die ursprüngliche Position, entließ den Diener mit einem Kopfnicken und scheuchte Panpopidis mit einer ungeduldigen Geste von sich. Der brauchte keine zweite Aufforderung und flitzte zurück zu seiner Maddalena.

Eine lange Zeit brauchte der Bote nun, um sich erneut zu konzentrieren. Die anderen Personen standen stumpf herum, sie wirkten puppenhaft und ohne eigenen Willen, nur dazu geeignet, auf Anweisungen des Boten zu reagieren.

Nur Panpopidis, der wieder Maddalena wie einen Hefeteig durchknetete, machte eine Ausnahme.

Die Stille in dem Raum wurde so schwer wie der blaue Dunst des Weihrauchs. Nur ein­zelne Atemzüge, das Knistern einer Kerze oder das unterdrückte Stöhnen des Conte di Saloviva zeigten, dass es überhaupt noch eine Welt der Klänge gab, die sich auch in diesen unterirdischen Raum gerettet hatte.

Als wären sie in diesen Augenblick eingegossen wie in durchsichtigen Kunststoff, erstarrt vor Erwartung und Furcht, füllten die leblosen Gestalten den Raum.

Mit einem Rauschen seines Umhanges setzte sich der Bote wieder in Bewegung und gab neue Befehle.

Seine Worte waren wie das Umlegen eines Schalters, mit dem eine Maschine in Betrieb genommen wird. Eifrig wurden Kerzen umhergetragen, Fackeln in Position gebracht. Drei Männer schleppten eine Kiste herbei und stellten sie vor den Boten.

Ein leichtes Heben der Finger deutete ihnen, den Deckel zu öffnen. Im Schein der Kerzen glänzten auf schwarzer Seide silberne und goldene Gerätschaften. Es waren Dolche, Nadeln, Becher, Medaillons.

Die Becher schienen auf den ersten Blick kirchliche Vorbilder nachzuahmen. Der zweite Blick offenbarte, dass diese Ähnlichkeit nur flüchtig war, während die Bildwerke, die die Becher schmückten, auf widerwärtigste Weise alle menschliche Moral und jeden Wert der westlichen Kultur leugneten.

Die schmalen Hände des Boten strichen zärtlich über die offensichtlich wertvollen Gegenstände. Er bewunderte sie ausführlich, nahm jeden in die Hand und betrachtete ihn aus­führlich, stieß manchmal ein gehässiges Lachen aus, wenn ihm eine Darstellung besonders gefiel, und brummte bei anderen wohlgefällig.

»Alles ist bestens bereitet«, entschied er nach einer Weile. »So wollen wir denn begin­nen!«

***

Als das Gefühl des Eingekeiltseins schwand, holte Steele tief Luft. Diese Luft roch muf­fig, trug den Geruch von Blut und Schießpulver mit sich, aber sie half ihm, wieder einen kla­ren Gedanken zu fassen.

»Wo wollen Sie hin«, blaffte er Tony Tanner an, der sich aufmachte, in der Manier eines alten Mannes die Stufen herunterzusteigen.

»Der Schrei«, antwortete Tony. Er war über die Frage derart verblüfft, dass er ins Stottern kam. Wo sollte er denn hin, wenn nicht nach unten, zu den anderen?

»Haben Sie den Schrei nicht gehört? Jemand könnte verletzt sein … oder …«

Oder Lucille könnte getötet worden sein, hämmerte es in Tonys Kopf. Sie könnte tot sein und du wirst sie nie wieder, nie wieder …

»Das war Little«, sagte Steele, während er sich über den ohnmächtigen Söldner beugte und nach dessen Waffe griff. »Little schreit doch immer.«

»Aber es könnte was Ernstes sein. Man muss ihm helfen«, beharrte Tony und stieg aus Trotz eine weitere Stufe nach unten.

Steele richtete sich auf. Den Rücken zu beugen, bereitete ihm Schmerzen. Er verzog den Mund und stützte einen Arm in die Hüfte.

»Helfen, ja? Gute Idee? Und wie? Händchen halten, vielleicht? Oder Notarzt spielen? Emergency Room für Arme, wir legen ihn auf die Bahre, eins, zwei, drei, geben Sie schon mal dreihundert Milliliter Trihexapipapo, Doktor Schönling? Tatsache ist, werter Herr, dass Sie nichts machen können. Gar nichts!«

»Haben Sie einen besseren Vorschlag?«

»Habe ich, of course, naturalmente. Wir gehen hoch und schauen, wie wir in den Garten kommen. Irgendwo in der Nähe muss ein Ausgang sein.«

»Dann nehmen wir die anderen aber mit«, verlangte Tony.

»Schwachsinn. Wir müssen schnell handeln. Dieser hysterische Hühnerhaufen behindert uns nur. Wir holen die anderen nach! Oder wollen Sie mit der Frau auf dem Buckel rumlau­fen? Oder lieber unseren dicken Gelehrten?«

Auf eine unklare Art fühlte sich Tony geschmeichelt, dass Steele mit uns sich und ihn meinte. Und im selben Moment witterte er Unrat, als wollte Steele einen Graben aufwerfen, der ihn von Lucille trennte … und von Dorkas.

»Dieser Kerl hat Verstärkung gerufen. Dieser Palast ist riesig aber nicht so groß, als dass diese Verstärkung nicht in der nächsten Minute hier sein kann.«

»Richtig. Darum gehen wir nach oben und machen sie oben fertig. Wir werden sie über­raschen. Wir erwischen sie, wenn sie nicht mit uns rechnen, das ist die einzige Chance, die wir haben. Sonst nageln sie uns in dieser Rattenfalle fest. Soll ich Ihnen sagen, wie man es richtig macht? Handgranaten! Fünf Handgranaten – und die Kerle können uns von der Wand abkratzen. Also … nehmen Sie ein Gewehr mit!«

Ohne weiter auf Tony zu achten, drehte sich Steele um und stürmte nach oben.

 

Er hatte wieder eine richtige Waffe in der Hand – das Holzschwert war bei seiner letzten Rutschpartie zerbrochen und hatte ihm zum Abschied einige Splitter in den Rücken gerammt. Aber nun hielt Steele eine britische SA-80 zwischen den Fingern, voller Patronen im Kaliber 5,56, die nur darauf warteten, Löcher in menschliches Fleisch zu reißen, Blutgefäße zu zer­fetzen und das Lebendige zu toter Materie zu degenerieren. Der Gedanke gefiel Steele. Jede Patrone in dem Gewehr war für ihn wie ein Reißzahn, und wenn er eben noch zahnlos und ausgesetzt war, dann hatte er mit dem Gewehr die Initiative auf seiner Seite.

Er hetzte wieder die Treppen hoch. Jede Bewegung schmerzte, aber nun war es ein will­kommener Schmerz, die Akupunktur des Kampfes, die ihn aufstachelte, die ihn wütend mach­te, die ihn böse machte.

Tony schaute nach unten und lauschte. Nichts war zu hören. Hin- und hergerissen zögerte er und machte sich dann auf, Steele zu folgen. Das hatte nichts mit Mut zu tun, gestand er sich selbst. Es war die blanke Feigheit. Er wollte nicht alleine dort im Gang bleiben und Entscheidungen treffen müssen. Wenn er bei Steele war, bekam er Befehle. Das hatte etwas Tröstliches.

Die Notwendigkeit, den vorauseilenden Steele einzuholen, zwang Tony zu einer schnelle­ren Gangart. Er wünschte sich sehnlichst, sich niemals wieder so alt zu fühlen.

Keuchend erreichte er den Beginn des Ganges. Dort drückte sich Steele an die Wand und beobachtete den Flur. Er deutete auf ein Gewehr, das vor ihm auf dem Boden lag.

»Aber bedienen Sie sich doch! Ich wusste, dass Sie vergessen würden, sich selbst eines zu besorgen«, sagte er, ohne Tony anzublicken.

Außer ihren hastigen Atemzügen war nichts zu hören.

Tony schob den Kopf vor und schaute auf den Flur. Er erstreckte sich etwa zehn Meter nach links und etwa dieselbe Strecke nach rechts. Dann mündete er jeweils in einen Gang.

»Klingt gut«, sagte Steele.

»Ich höre nichts.«

»Eben!«

Noch einmal vergewisserten sie sich. Bei Tony Tanner war es ein Zaudern. Bei Steele hatte dieses Abwarten etwas von verlängerter Vorfreude. Er war wieder im Spiel. Sie sollten es schon bald merken.

Sein Daumen schwenkte zur Seite.

»Sie rechts, ich links. Schießen Sie auf alles, was sich bewegt, sofern es nicht zum Hauspersonal oder zu unserer kleinen Schicksalsgemeinschaft gehört. Hinlegen, Armauflage, Kimme und Korn und abdrücken. Halten Sie das Ding fest an die Schulter, sonst schlägt der Rückstoß Ihnen die Kinnlade in Stücke. Und passen Sie auf, dass Sie keine leere Patrone ins Gesicht kriegen, der Ausstoß ist bei diesen Bullpup-Schießeisen ungewohnt weit hinten, wenn sie eine M 16 gewohnt sind.«

Nach dieser Einweisung in die Kunst des Kriegshandwerks huschte Steele zur Seite. Er sprang an die gegenüberliegende Wand, drückte sich an ihr entlang. Seine Waffe hielt er in Schussposition, als könnte er kaum erwarten, ein Ziel zu finden.

Tony nahm das Gewehr auf. Er wusste nicht, was in aller Welt ein Bullpup-Schießeisen war. Und er hatte auch nie gewohnheitsmäßige Begegnungen mit einer M-16 gehabt. Was immer M-16 auch war.

Ohne Enthusiasmus humpelte Tony zur rechten Seite hinüber. Das Gewehr schleppte er wie einen Fremdkörper mit sich. Er kam sich damit schlicht lächerlich vor. So etwa wie ein Junge, der für eine Studiofotografie die viel zu große Militärmütze seines Vaters aufsetzt.

Sein Blick fiel auf ein Gemälde an der Wand und sein Herzschlag stockte. Konnte das Zufall sein? Oder hatte hier das Schicksal seine Hand im Spiel? Das Bild zeigte die Szene, die der Conte am Vortag beschrieben hatte: die Begegnung von Ambroglio und Domenica.

 

Die Farben des Gemäldes waren verblasst, die Gesten der Figuren schienen auf lächerli­che Weise übertrieben und ihre Gestalten teilweise sogar ungeschickt dargestellt. Aber das Gesicht Domenicas! Dieser Anblick fesselte Tony Tanner und ließ ihn alle Gefahr vergessen. Dort auf der Leinwand war das liebliche, das überirdisch schöne, das engelgleiche Antlitz der Maddalena dargestellt!

Tony wusste nicht, ob es ein Zufall war oder ob der Conte vielleicht einem genialen Fälscher den Befehl gegeben hatte, die Züge seines Lieblings in diesen zwar alten, aber ziem­lich nebensächlichen Ölschinken einzufügen, um ihm einen Glanzpunkt zu geben. Es war auch egal. Tony starrte auf das Bild und wusste, was zu tun war. Er musste sich in den Kampf werfen – für Maddalena. Es war seine innere Überzeugung, klar und rein. Er musste alles tun, was in seiner Macht stand, um sie vor dem Bösen zu bewahren.

Mit einer neuen Entschlossenheit fasste Tony Tanner seine Waffe und humpelte bis zur Einmündung des Ganges. Dort legte er sich auf den Boden und schob sich vorsichtig um die Ecke.

Er hatte nicht einmal Zeit, die Situation zu überblicken, da krachte eine Salve. Die Kugeln schlugen direkt neben seinem Gesicht ein. Tony zuckte zurück. Sein Körper begann zu zit­tern.

Er legte sich flach auf den Boden, bemühte sich wütend, das nervöse Zittern zu unterdrü­cken und fummelte ungeschickt das Gewehr in Position. Das erste Durchziehen des Abzuges brachte kein Ergebnis.

Sein kämpferischer Enthusiasmus hatte das gegnerische Feuer nicht überlebt. Obwohl ihm das Adrenalin förmlich aus den Haarspitzen troff, kam sich Tony Tanner in diesem Moment lächerlich vor. Als spiele er ein Spiel, für das er bei Weitem zu alt war. Als bemühe er sich, einen Helden in einem Rambazamba-Streifen zu imitieren. Aber der Gedanke an diese Filme war hilfreich. Er erinnerte sich an solche Dinge wie Sicherungshebel und drückte auf den einzigen Hebel, den er erkennen konnte. Dann zog er wieder den Abzug durch.

Eine Salve brach los und riss ihm die Waffe fast aus der Hand. Tony hatte gefeuert, ohne zu zielen und die Schüsse konnten allenfalls Decken bewohnende Spinnen getroffen haben. Er drückte die Waffe fest auf den Boden, stemmte sich gegen die Wand und feuerte erneut. Die Vorstellung, dass dieses tödliche Gerät auf seinen Wille antwortete und Kugeln spuckte, hatte etwas Überraschendes.

Es kam kein Gegenfeuer. Stattdessen kollerte etwas über den Steinfußboden.

Bevor Tony den Begriff Handgranate im Kopf formulieren konnte, knallte es schon.

Nicht so schlimm, dachte er im nächsten Augenblick. Aber eine orangefarbene Wolke quoll auf und verdeckte jede Sicht.

Durch das Zischen des ausströmenden Tarnnebels hörte er heranstürmende Schritte.

Ihm blieb nur der Rückzug.

Wütend feuerte er eine weitere Salve in den Nebel und stellte dann fest, dass sein Magazin leer war.

Tony wollte sich zu Steele retten, da sprang ein olivfarbener, kugelförmiger Gegenstand an ihm vorbei und kullerte in Richtung auf den Gang, in dem Lucille und die anderen fest saßen.

Das Gewehr fallen lassen und losspurten, war für Tony Tanner eins. Er überholte den immer noch kullernden Gegenstand, warf sich auf den Boden, rutschte die letzten beiden Meter auf dem Bauch und tauchte in den Gang ein. Hinter ihm explodierte die Handgranate in einem Hagel von kantigen Splittern.

Mit eingezogenem Kopf rutschte Tony Tanner wie ein Skeletonfahrer am Beginn der Bahn die glatten Stufen herunter. Hinter ihm brach die Hölle los. Die Splitter krachten heu­lend in Wand und Decke, alles war plötzlich in Staub gehüllt.

Tony rappelte sich wieder auf. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Über den Flur zogen dicke Rauchwolken und nahmen ihm die Sicht.

Schüsse krachten, eine Salve nach der anderen wurde systematisch abgefeuert. Eine sche­menhafte Gestalt sprang aus dem Nebel und näherte sich Tony.

Es war Steele.

»Keine Chance zum Durchbruch«, rief er Tony zu. »Wir können nur versuchen, uns hier zu halten und hoffen, dass irgendwann Hilfe kommt.«

Aber sie konnten sich nicht halten. Aus dem orangefarbenen Nebel wurden sie mit Schüssen eingedeckt, die immer präziser zu werden schienen.

Steele und Tony zogen sich über die Treppe zurück. Steele versorgte sich mit allen Magazinen, die er bei den Söldnern finden konnte. Er fand auch einige Handgranaten und schleuderte sie in den oberen Flur.

Die Schießerei hörte für einen Moment auf, setzte dann aber mit unverminderter Heftigkeit ein.

Was als Rückzug begonnen hatte, wurde zu einer Flucht.

»Ich mache mir Sorgen um den Conte«, sagte Tony Tanner plötzlich.

»Der ist bei Meister Ki und diesem bärtigen Kerl in guten Händen.«

Aber Tony Tanner war sich da nicht so sicher.

 

Die unbegreifliche Böswilligkeit des Zufalls hatte es gefügt, dass die letzte Salve des Söldners, den Tony Tanner mit der Lampe außer Gefecht gesetzt hatte, gegen die Decke des Ganges gerichtet war. Eine der Kugel wurde wie alle anderen von dem harten Stein zurück­geworfen. Aber von nun an nahm sie ihren ganz eigenen Weg, prallte wie eine Billardkugel gegen Decke und Wände, wurde immer wieder zurückgeschleudert, verlor Energie, wurde bei jedem Aufprall brutal aus der Form gehämmert, bis sie einer Art von metallenem Pilz ähnel­te, flog weiter in die undurchdringliche Dunkelheit am Ende des Ganges und schlug in den Körper eines Menschen ein. Sie durchschlug Haut, Muskelgewebe, Blutgefäße und Nerven, zerriss erneut Haut, als sie wieder aus dem Körper austrat, beendete schließlich ihren ersten und einzigen Flug an einer Wand, die am Ende eines Ganges aufragte.

Little schrie. Es war weniger der Schmerz als der Schreck, der ihm den Schrei aus der Kehle trieb.

Er fühlte den Treffer an der Schulter, wurde halb umgerissen und fing sich wieder durch einen instinktiven Griff an die Mauer, vor der er stand.

Little verstand die Welt nicht mehr. Etwas hatte ihn getroffen. Er konnte es einfach nicht begreifen, als wäre er in einer fremden Sprache angesprochen worden, könnte den Satz nicht entziffern und wüsste doch, dass sein Dasein von diesem Verstehen abhing.

Seine Hand tastete über die Schulter. Der Stoff seiner Jacke war zerrissen. Seine Finger fühlten Feuchtigkeit. Automatisch streckte Little die Zunge heraus und leckte an seiner Fingerspitze. Der metallische Geschmack von Blut füllte seinen Mund.

Mit dieser Erkenntnis kam auch der Schmerz. Little spürte, wie das Blut floss. Seine ana­tomischen Kenntnisse waren nicht ausreichend, um einschätzen zu können, ob in dieser Körperregion große Blutgefäße waren, deren Zerstörung tödlich war.

Das Wort blieb in seinem Kopf hängen: tödlich.

 

Die Dunkelheit hing an ihm wie ein Raubtier. Sie deckte ihn ein, umfing ihn, spottete sei­ner Furcht. Little begann zu keuchen, fühlte einmal mehr nach seiner Wunde, spürte erneut zerfetzten Stoff, schob seine Finger zu weit vor und schrie auf, als er den Wundrand berühr­te. Der Schmerz wühlte sich durch seinen Körper und erreichte sein Denken und seine Seele.

Der Schmerz beherrschte ihn, sein Fleisch war nur noch ein verrotteter Fetzen über einem Gestell von Schmerz, er war zu der Gestalt einer hässlichen Vogelscheuche geworden, die auf einer Stange steht.

Wimmernd lehnte sich Little gegen die Mauer, Tränen flossen aus seinen Augen. Aus der Schwärze hörte er Lucilles angstvolles Atmen und beruhigende Worte, die Dorkas in seine Richtung murmelte.

Das beruhigte ihn ein wenig. Für einen Moment glaubte Little, dass er von Dorkas Verständnis und Zuwendung erwarten konnte und er atmete tiefer und ruhiger. Es dauerte nur einige verstörte Herzschläge lang, dann peitschte ihn der Schmerz wieder fort von allen Hoffnungen auf menschliches Verstehen. Es gab nur diesen Schmerz, es war nicht mehr sein Schmerz, sondern er war es, der dem Schmerz gehörte.

Little ging in die Knie. Er verstand, dass er sterben musste. Weder Aufbäumen, noch Resignieren, noch Einverständnis bestimmte ihn. Es war bloßes, kindliches Staunen über die Tatsache, dass er jetzt starb. Das Blut sickerte aus der Wunde, sein unverständiges Herz pumpte weiterhin seinen Lebensflüssigkeit zu diesem Leck und diente als dummer, eifriger Helfer für den kalten Gebieter, den Little kommen spürte.

Es war so gänzlich anders, so unvermutet … der Tod entwickelte eine ganz eigene Kreativität und zeigte sogar, dass er Humor hatte. Wie oft hatte sich Little in den Gefilden der Vernichtung, der Auflösung, des Schreckens befunden? Aber hier, in diesem dunklen, modri­gen Gang in einem riesigen Palast in der Toskana war es zum ersten Mal sein Körper, der ihn in die Arme des Sensenmannes schob. Bisher war es die Seele gewesen, die Psyche – das Tor zu den Schrecknissen lag in seinem Inneren.

Jetzt war es der Körper, der versagte. Welche Ironie!

Little hockte auf den Fersen, starrte in die Dunkelheit und lauschte auf die Stimme seines Schmerzes. Plötzlich spürte er Dorkas neben sich.

Der beleibte Mann tastete umher, ging dann schnaufend in die Knie.

»Sie sind getroffen?«, fragte er.

Little nickte. Er brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass Dorkas ihn nicht sehen konn­te. »Ja«, flüsterte jemand mit einer fremden Stimme und Little brauchte erneut Zeit, um sie als die seine zu erkennen.

»Wo?«

»Schulter.«

»Gott sei Dank, ich dachte schon, es wäre etwas Ernstes.«

»Es tut höllisch weh«, verteidigte sich Little. Dorkas hatte sein Recht zu sterben untermi­niert. Der Schmerz setzte sich durch Littles Mund zu Wehr.

»Das kann ich mir denken. Ich verstehe von diesen ganzen Widerwärtigkeiten zwar nichts, aber der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass eine Kugel, die einige Male gegen eine Wand prallt, ziemlich deformiert sein muss und dadurch üble Wunden schlägt. Steckt sie noch?«

»Nein, sie ist durchgegangen.«

»Mhm. Gut und nicht gut. Gut, weil Sie dann keine Operation benötigen, denk ich mir mal. Aber wenn sie noch stecken würde, dann würde es vielleicht nicht so sehr bluten. Aber es ist auch gut, wenn es blutet, weil die Wunde dann gesäubert wird …«

Dorkas schwieg. Er grummelte vor sich hin.

»Können Sie den Arm bewegen?«, fragte er dann.

Little machte den Versuch. Er konnte, aber er jammerte vor Schmerzen.

»Ich kann ihn bewegen«, teilte er das Ergebnis seines folternden Selbstversuches mit. »Und was ist damit nun bewiesen?«

»Keine Ahnung, ich bin doch kein Arzt«, antwortete Dorkas empört, als müsste er sich plötzlich gegen Zumutungen seitens Little wehren. »Aber ich glaube, es war so, dass man den Arm nicht bewegen könnte, wenn der Knochen verletzt wäre. Oder waren es die Muskeln? Ich hätte einige Semester Medizin mitnehmen sollen. Nur aus praktischen Gründen. Und Jura natürlich, Jura sollte man auf jeden Fall belegen. Aber wer denkt schon an so etwas, wenn er ehrfurchtsvoll zum ersten Mal die Stufen der Alma Mater heraufsteigt?«

»Ich verblute.«

»Sie verbluten? Sind Sie sicher?«

Bevor Little eine Antwort geben konnte, fühlte er Dorkas tastende Finger. Er selbst hatte schon keinen Mut mehr, sich dieser verwundeten Stelle zu nähern. In seiner Vorstellung sah er einen riesigen Krater aus rohem, blutigem Fleisch, der sich aus der weißen Haut aufwölb­te wie ein Vulkan.

»Wenn ich der Wunde zu nahe komme, sagen Sie Bescheid«, meldete sich Dorkas völlig überflüssigerweise.

Er klopfte, tastete und fühlte, zupfte sachte am Stoff.

»Also hier unten ist es noch nicht feucht. Da oben ist alles durchgeblutet, aber da unten noch nicht. Und da Sie keinen Stoff mit besonders saugenden Eigenschaften tragen, darf ich an dieser Stelle in meiner Eigenschaft als medizinischer Laie einmal schließen, dass der Blutverlust zwar merklich, aber noch nicht lebensbedrohlich ist.«

»Noch!«

»Na ja, ich will mal ehrlich sein, auch wenn Sie mir nicht ansehen könnten, wenn ich lügen würde. Die Wunde muss irgendwann in der nächsten Zeit geschlossen werden, sonst gibt es möglicherweise ein ernsthaftes Problem. Aber unmittelbar droht sowohl Ihnen als auch allen anderen Personen in diesem Gang eine Gefahr von anderer Seite.

Dorkas hatte den Satz noch nicht beendet, als eine Detonation den gesamten Gang schüt­telte und ihnen eine Druckwelle entgegenfauchte.

Fortsetzung folgt …