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Die Gespenster – Vierter Teil – 13. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Dreizehnte Erzählung

Die spukende Hausmutter im Magdeburgischen

Man erzählte mir neuerlich als Tatsache ein sehr lächerliches, spukhaftes Ereignis, welches ich zwar insofern nicht verbürgen kann, als ich des Schauplatzes desselben und der Zeit, in welche es fiel, mich nicht mehr genau erinnere, das aber doch – wäre es auch nur der Abwechslung wegen – eines Plätzchens in Ihrer Gespenstersammlung nicht ganz unwert sein könnte.

In einem Magdeburger Dorf lebte ein Ta­gelöhner mit seiner Ehefrau, die, alt und lebens­satt, und mit dem Gedanken des bevorstehenden Todes längst vertraut, schon bei gesunden Tagen sich zwei Särge hatten machen lassen, worin sie nach ihrem Ableben beerdigt werden wollten. Man bewahrte sie aus Mangel an Platz in einer Vorratskammer auf, die man von nun an die Sarg­kammer nannte. Der tägliche Anblick dieser Särge hatte die alten Leute so sehr an dieselben gewöhnt, dass sie ihrer, als wären sie gewöhnliche Kisten, sogar zur Aufbewahrung von allerlei Esswaren sich bedienten. Es fiel ihnen nicht einmal ein, vor Totenhäusern, in deren Gegenwart es höchstens einige vom schönen Geschlecht je zuweilen kalt über­läuft, sich im Geringsten zu grauen. Wirklich standen auch die Särge viele Jahre hindurch völlig so ruhig da, als wären sie nichts weiter als Graupenkisten, und nichts weniger als die zuweilen vorspukende enge Behausung der Heimgehenden.

Endlich entschlief die alte Hausmutter urplötz­lich an dem sanften Tod der Kraftlosigkeit und des Alters und ließ ihren nun einsamen Lebensgefährten trauernd und voll ungekünstelter Sehnsucht nach seiner und unserer aller Heimat zurück. Sein erlittener Verlust machte ihn auf einige Tage so krank und so schwach, dass er das Bett hüten und die mit der Beerdigung verbundenen kleinen Geschäfte seinen Nachbars- und Gevattersleuten überlassen musste. Diese leerten den Sarg der Verstorbenen von den darin aufbewahrten Esswaren, legten kurz und gut das Mütterchen hinein und trugen ihn, als es Abend wurde, mit aller der Herzlichkeit und Teilnahme, welche sie einer so guten alten Frau und deren verlassenem Gatten schuldig zu sein glaubten, zu Grabe. Des Dorfes Glocke verkündigte das christliche Werk vom Kirchturm herab der ganzen Gemeinde.

Wenn gleich dem alten Mann sein Verlust unendlich mehr schmerzte als der heftigste Stoß am Ellenbogen, so brachte ihn doch seine gute Natur bald wieder auf die Beine. Er hatte, um nicht ganz einsam zu sein, ein Paar Kindeskinder, zwei muntere Knaben, zu sich genommen. Eines Morgens schickte er Peter, einen verständigen Burschen, der ihm schon hilfreich an die Hand ging, mit dem Schlüssel zur Sargkammer, um von dem dort aufbewahrten Vorrat an Backobst für den nächsten Mittagsgebrauch zu holen.

»Die gebackenen Pflaumen«, hieß es, »wirst du an dem einen, die Birnen an dem anderen Ende meines Sarges finden.«

Der Knabe ging und kam wieder, aber ohne Obst, zitternd am ganzen Leib und einer Leiche gleich.

Peter: »Ach Gott! Ach Gott! Großmutter ist wieder angekommen; dort liegt sie.«

Großvater: »Junge, bist du bei Sinnen? Was schmatzt, was windbeutelst du da wieder?«

Peter: »Ja, Großvater! Sie ist wiedergekommen; dort liegt sie in Eurem Sarg.«

Großvater: »In meinem Sarg liegt das Obst, welches du holen sollst!«

Peter: »Ich glaube es, aber die Großmutter liegt oben darauf.«

Der Großvater meinte, Peter möchte wohl noch Schlaf in den Augen gehabt und daher unrecht gesehen haben; aber Peter versicherte ganz ehrlich, dass er ja schon längst ausgeschlafen und die Spukende wirklich gesehen, auch sogar gerochen habe.

Indessen hatte der kleine naschhafte Christian, Peters Bruder, der von dem Vorgang nichts wusste, draußen mit Vergnügen bemerkt, dass die Tür zur Sargkammer, von ihm lieber die Obstkammer genannt, aufstand, weil sein Bruder in angstvoller Eile vergessen hatte, sie wieder zu verschließen.

Husch, war er hinein, um blindlings ein paar gebackene Pflaumen aus dem ihm wohlbekannten, auf Schemeln stehenden Sarg herauszugreifen. Aber, o weh! Er fasste statt des Obstes die eiskalte Großmutter. Er erhob ein fürchterliches Zetergeschrei und eilte zum Großvater, der ihm schon entgegenkam und von allen Tönen, welche die Angst auspresste, nur die Worte die Großmutter, die Großmutter deutlich vernahm. Dem alten Mann war das äußerst rätselhaft, und nie hatte er seine kleinen Lieblinge weniger verstanden als jetzt. Indessen schritt er zur Untersuchung an Ort und Stelle. Kaum hatte er den einen Fuß in die Sargkammer gesetzt, so stutzte er heftig. Er sah seine beerdigte Frau leibhaftig im offenen Sarg liegen und traute so wenig nun seinen eigenen Augen, als vorhin den Knaben.

Wie versteinert stand er da, ohne sich sogleich zur näheren Untersuchung der unbegreiflichen Erscheinung entschließen zu können.

Das Geschrei der Knaben hatte indessen die Nachbarsleute herbeigerufen, deren einige in eigener Person die Verstorbene mit zu Grabe getragen hatten. Schrecken und Bestürzung bemächtigten sich aller und machte anfangs sie alle gleich unfähig, das Rätsel zu lösen. Indessen überzeugte man sich endlich, durch drei verschiedene Sinne, durch das Gesicht, den Geruch und das Gefühl, dass das Gespenst eine wirkliche Leiche, und zwar die nämliche Großmutter sei, welche sie vor einigen Tagen zu Grabe getragen zu haben vermeinten.

Die Sache entwickelte sich folgendermaßen. Als man den verdeckten Sarg mit der wirklichen Leiche aus der Sargkammer tragen wollte und auch zu tragen glaubte, ging eine Verwechselung der Särge vor, sodass man statt der Verstorbenen das der Mäuse wegen ebenfalls verdeckte Backobst andächtig beerdigte und statt der vermeinten gebackenen Pflaumen und Birnen die Großmutter stehen ließ.