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Der Wildschütz – Kapitel 32

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875

Zweiundreißigstes Kapitel

Ein letztes Andenken. Das Urteil

Der Graf Praßlin wohnte wieder in seinem Schloss, das er seit den letzten Ereignissen nicht mehr verlassen hatte. Seine Gesundheit hatte sehr gelitten durch die vielfachen Veranlassungen, wodurch die Ruhe seines Herzens gestört worden war.

Vor ihm auf seinem Tisch lag ein kleines Etui. Es war geöffnet und enthielt einen entsiegelten Brief, es waren die Schriftzüge seiner unglücklichen Amalie, die ihm der Hass und der Stolz seiner Mutter entrissen hatte.

»So lebst du also doch noch, teures Wesen!«, sagte er, das Etui an sein Herz drückend. »O Gott, dein Verlust hat mich viel gekostet, und der Gram hat mich vor der Zeit zum Greis gemacht. Ich werde sterben, ohne dich gesehen zu haben, und unser Sohn wird mir nicht die Augen zudrücken! Was nützt es ihm auch, wenn er es erfährt, dass der alte Mann sein Vater ist? Möge mein Name lieber mit meinem Leben entschlafen, möge mein Wappen verlöschen, dessen Familie einst mächtig und angesehen war. Niemand soll Zeuge dessen sein, was ich als das letzte Andenken von Amalie erhielt. Ich will es der Vergessenheit übergeben und dann mein Haupt zur Ruhe legen.« Der Graf erhob sich, nahm das Etui und übergab es den Flammen, die trübe in dem Marmorkamin flackerten, dann kehrte er zu seinem Sitz zurück. Einige Zeit darauf meldete Christian die Ankunft Curts und Käthchens.

»Führe sie herein«, sagte der Graf, »und lass uns durch niemand stören.«

Christian entfernte sich. Nachdem er mit Käthchen, deren Anblick den alten Mann entzückte, in der Eile eine Unterredung gehabt hatte, führte er die Liebenden zu dem Zimmer des Grafen. Die Eingetretenen verneigten sich tief vor ihrem Wohltäter, er empfing sie mit freundlichem Ernst, und nachdem sie auf seinen Wink sich niedergelassen hatten, sagte er: »Ihr seid gekommen, um mir zu danken, nun ich freue mich darüber und kann euch nicht verhehlen, dass ihr mir willkommen seid.« Käthchen erhob ihre Augen gegen den Sprecher, indem sie lispelte: »Ach, Ew. Gnaden sind zu gütig! Ich habe Ihren Unwillen erregt und gestehe es mit reuigem Herzen, dass ich denselben auch verdiente.«

»Es ist vergessen und vergeben«, sagte der Graf, »und ich will nicht mehr an das Vergangene denken. Mein Blick soll von nun an nur der Zukunft zugewendet sein, in ihr liegt ja meine letzte Hoffnung. Komm«, fuhr er gegen Curt gewendet fort, »lass mich auf deiner Schulter ruhen, ich glaube, es ist zum letzten Mal, dass es geschieht.« Curt näherte sich seinem Vater, der den Arm nach ihm ausstreckte und auf seine Brust legte. »So will ich ruhen und sterben, Amalie!«, murmelte er, während sein Haupt auf die Brust des jungen Mannes sank. »Amalie, ich scheide in den Armen deines Sohnes!«

»Heiliger Gott!«, rief Curt, »der Graf sinkt zusammen, die teure Last wird mir zu schwer. Käthchen, komm, hilf mir den Ohnmächtigen auf das Sofa tragen, dann lauf und rufe den alten Christian herbei!«

Käthchen tat, was Curt in der Eile befahl, und es dauerte nicht lange, so erschien der Kammerdiener und eilte an das Lager seines Herrn.

»Mein Gott, der Graf ist tot!«, rief Christian von Entsetzen ergriffen, »er fängt ja bereits an, zu erstarren.«

Christian hatte recht, der Graf regte sich nicht mehr, sein Leben war für immer erloschen und der Geist hatte die Hülle verlassen, welche vor der Zeit gebrochen wurde durch die Macht des Schicksals. Curt und Käthchen sowie der alte Christian standen mit nassen Augen und gefalteten Händen neben der Leiche. Während sie neben derselben niederknieten, bewegten sich ihre Lippen in einem andächtigen Gebet zum Himmel für die Seele des Entschlafenen.

 

*

 

Ein halbes Jahr ruhte der Graf in seiner stillen Gruft; der Segen des Priesters hatte Curt und Käthchen für immer vereint. Sie lebten glücklich auf ihrem schönen Gut und es fehlte nichts, um ihr zufriedenes Los noch zu erhöhen. Mutter Elisabeth lebte in der Mitte ihrer Kinder, als welche sie die jungen Eheleute betrachtete, und ihre alten Tage vergingen ihr in Ruhe und Freude.

Kapitän Falkland lebte in seiner Zurückgezogenheit fort, während das Schloss des Grafen nebst den dazugehörigen Besitzungen als erledigtes Lehn an die Regierung zurückfiel, weil keine legitimen Erben desselben vorhanden waren. Infolge dieser Ereignisse verlor der alte Christian seinen Posten, der Graf hatte jedoch hinlänglich für ihn gesorgt. Er erhielt eine Pension, die ihn vor Mangel und Entbehrungen im Alter schützte.

Martin, der Graveur, war im Laufe der letzten gerichtlichen Verhandlungen von seiner Strafe bis auf einen kleinen Rest freigesprochen worden, und die Milde des ehemaligen Raubschützen bewilligte ihm sowie seinem ältesten Sohne Fritz ein Asyl auf seinem Gut. Er übergab ihm ein Ämtchen und Martin bewies sich in der Folge als ein Ehrenmann.

Martha nebst ihrer blinden Tochter erfreuten sich mancher Wohltat von ihrer Freundin und Klaus lebte in der Gesellschaft seines Sohnes und Freundes sehr glücklich; der Letztere verheiratete sich und Curt nebst seinem Weibchen wohnten dem frohen Fest bei. Es wurde in der Nähe ein Gut angekauft und die beiden Freunde, die sich unter höchst kritischen Umständen kennenlernten, hielten stets gute Nachbarschaft miteinander.

Meister John nahm den wärmsten Anteil an dem Glück der beiden jungen Männer, und die Letzteren zollten ihm den aufrichtigsten Dank für die Hilfe, die er ihnen in der Not erwiesen hatte. Sie schätzten ihn hoch und vergaßen nicht, dass sein Edelmut die Bahn zu ihrem späteren Glück eröffnet hatte.

Sein Amt legte ihm jedoch noch eine schmerzliche Pflicht auf. Berthold nebst seinen Kumpanen war nun zum Verbrechertod reif; der Galgen erwartete seine Opfer.

An dem zur Hinrichtung bestimmten Morgen hatte sich eine unabsehbare Menschenmenge gesammelt. Die Verurteilten wurden aus dem Gefängnis herausgeholt und auf einem Karren zum Richtplatz gebracht, dessen ganze Fläche von Neugierigen erfüllt war.

Georg erstieg zuerst die Leiter, sein Körper zitterte und die Zähne schlugen gegeneinander; nach ihm kam Julian an die Reihe, er zeigte etwas mehr Fassung in seinem Wesen und schien mit Ergebung die Strafe hinzunehmen.

Berthold war der Letzte, dieser mehr Teufel als Mensch zeigte die größte Frechheit in seinem Benehmen. Er lachte höhnisch und warf einen spöttischen Blick auf seine ihm vorangegangenen Gefährten, welche über ihm schwebten und in zuckenden Bewegungen in der Luft tanzten. John legte ihm nun die Schlinge um den Hals, der Strick wurde angezogen und bald darauf schaute der Verbrecher in Gesellschaft seiner Helfershelfer von der schauerlichen Zinne des Galgens herab.