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Die Gespenster – Vierter Teil – 11. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Elfte Erzählung

Wie einige Menschen mit Geistern Umgang pflegen
Eine Tatsache

Es ist bekannt, dass die verstorbene Königin Louise Ulrike von Schweden, den Geister­seher Swedenborg einmal aufgetragen haben soll, ihren damals schon verstorbenen Bruder, den Prinzen von Preußen zu fragen, warum er ihr auf einen gewissen, einige Zeit vor seinem Tod ihm zugesandten Brief, nicht geantwortet habe, und dass Swedenborg, laut dessen Schriften, vierundzwanzig Stunden darauf der Königin die Antwort des Prinzen in der Art überbracht haben will, dass die Königin, völlig überzeugt, nie­mand als sie und ihr verstorbener Bru­der, kenne den Inhalt jenes Briefes, in die größte Bestürzung darüber geraten und von des großen Mannes Wunderkraft völlig über­zeugt worden sein.

»Auf Tatsachen«, schreibt ein glaubhafter Kavalier an die Herren Herausgeber der Berliner Monatsschrift, »zumal, wenn man sich auf lebende Zeugen beruft, lässt sich so ohne Beweis nichts antworten. Ich las daher dieses Wunderkreditiv Swedenborgs und schwieg; reiste aber kurz danach nach Stockholm. Hier fand ich Gelegenheit, mit der nun verstorbenen Königin Frau Mutter über Swedenborg zu sprechen. Sie erzählte mir selbst die ihren Herrn Bruder und sie betreffende oben angeführte Anekdote mit einer Überzeugung, die mir seltsam vorkam. Jeder, der diese aufgeklärte Schwester Friedrichs des Einzigen gekannt hat, wird mir recht geben, dass sie nichts weniger als schwärmerisch und dass ihre ganze Geistesstimmung völlig von dergleichen Einfällen frei war. Dennoch schien sie mir von dem über­natürlichen Geisterumgang Swedenborgs so überzeugt, dass ich es kaum wagen durfte, einige Zweifel und meinen Verdacht von geheimen Intrigen zu äußern und ein königliches Je ne fuis pas facilement dupèe (Es ist nicht ganz leicht, mich plump zu täuschen) beendete alle Widerlegungen.

Ich musste also schweigen und auf Gelegenheit warten. Sie fand sich bald – schon des anderen Tages, da ich eben den nun verewigten Ritter Beylon, ehemaliger Vorleser der Königin Mut­ter, besuchte und bei ihm einen der aufgeklärtesten und rechtschaffensten Schweden, den Grafen F., fand. Die Unterredung fiel auf Swedenborg; und ich erzählte, was mir die Königin des Tages zuvor gesagt hatte. Der alte Ritter sah den Grafen F. an und beide lächelten so, als ob sie die geheimen Triebfedern der Geschichte wüssten. Das machte mich aufmerksam, und da ich begierig war, mehr davon zu wissen, so gab mir der Ritter folgende Aufklärung der dunklen Sache.

Von der im Jahre 1756 beabsichtigten Revolution in Schweden, die dem Grafen Brahe und dem Hofmarschall Horn das Leben kostete, wurde die Königin als eine der Haupturheber angesehen. Es fehlte nicht viel, so hätten die damals triumphierenden Hüte ihr das vergossene Blut angerechnet. In dieser so bedenklichen Lage schrieb sie ihrem Bruder, dem Prinzen von Preußen, um sich Rat und Hilfe bei ihm zu erbitten. Die Königin erhielt keine Antwort; und da der Prinz bald danach­ starb, so erfuhr sie nie, warum er nicht geant­wortet hatte. Sie trug deshalb Swedenborg auf, ihn danach zu fragen, und tat dies im Beisein der Reichsräte Grafen T. und H. Der Letzte, welcher jenen Brief unterschlagen hatte, wusste sowohl, wie Graf T., warum keine Antwort erfolgt war. Beide beschlossen, diesen Umstand zu benutzen, um der Königin ihre Meinung über manches zu sagen, was sie ihr auf folgende Art fühl­bar zu machen hofften.

Sie gingen des Nachts zum Geisterseher und legten ihm die Worte in den Mund, die er der Königin als Antwort aus der Geisterwelt überbringen sollte. Swedenborg war froh, in Erman­gelung übernatürlicher Einflößungen wenigstens diese zu erhalten. Er eilte des anderen Tages zur Königin, um ihr in der Stille zu entdecken, dass ihm der Geist des Prinzen erschienen sei und ihm aufgetragen habe, ihr zu sagen, er hätte deshalb nicht geantwortet, weil er das Betragen seiner Schwester zu sehr missbilligt hätte, da sie vor Gott schuld an dem, ihrer unvorsichtigen Staatsklugheit und ihres Ehrgeizes wegen, vergossenen Blut wäre und dafür büßen müsse. Er bäte sie daher, sich nie wieder in Staatshändel einzumischen, der Regierung sich nicht anzumaßen und keine Un­ruhe anzustiften, wovon sie über kurz oder lang das Opfer sein würde.

Die Königin, äußerst verwundert über diese Erklärung und in der festen Überzeugung, niemand als ihr verstorbener Bruder könnte geheime Umstände und Briefe wissen, die sie nur ihm ent­deckt hätte, glaubte seit diesem Augenblick an Swedenborg und wurde seine eifrige Vertei­digerin, ohne sich jedoch auf den Inhalt seines Berichts einzulassen. Und man kann leicht denken, dass die beiden Herren, die der Königin diese mo­ralisch-politische Arznei vorgeschrieben hatten, sich wohl hüteten, davon zu sprechen, denn natürlich mussten sie auch selbst nach der glücklichen Revolution von 1772 befürchten, durch eine solche Ent­deckung es auf immer mit ihr zu verderben.

Nur wenige in Schweden kannten, solange die Königin lebte, diese Anekdote. Der alte Rit­ter Beylon, der von ungefähr morgens um drei Uhr durch den Südermalm ging, wo Swedenborg wohnte, sah die beiden Staatsmänner aus dessen Haus schleichen. Da er auch zugegen war, wie die Königin ihm den Auftrag gegeben hatte, so erriet er bald den ganzen Plan, den er nicht verriet, weil er der Königin einige Ermahnungen gönnte.

Zur Berichtigung dieser natürlichen Erklä­rungsart des ganz unnatürlichen Swedenborgischen Umgangs mit Geistern machte ein anderer höchst glaubhafter Mann, am angeführten Ort folgende, eigenhändig aufgesetzte Erzählung bekannt:

Ich fand, dass man in Stockholm fast durchgängig dem Gerücht Glauben beimaß, Swedenborg habe der verwitweten Königin Luise Ulrike besondere Nachrichten von ihrem verstorbenen Bruder, dem hochseligen Prinzen von Preußen mitgeteilt; Nachrichten, welche unmittelbaren Bezug auf Umstände hätten, die keinem andere als der Königin und dem Prinzen bekannt gewesen wären. Verschiedene behaupteten sogar, die Königin, welche Swedenborg, um die Wahrheit seiner Geisterseherei zu prüfen, den Auftrag gegeben hatte, den Geist ihres Bruders darüber befragen, habe sichtbare Kennzeichen des größten Schreckens von sich gegeben, als ihr nun der Prophet, den sie zur Unterredung bei der öffentlichen Hoftafel der königlichen Familie herbeigerufen, diese Nachrichten mitgeteilt hätte.

Da mir die Königin den freien Zutritt zu ihrer Person erlaubte, so ergriff ich einst die Gelegenheit, sie um die Wahrheit des Gerüchtes zu befragen. Sie antwortete mir lächelnd, dass ihr die Sage selbst ebenso gut bekannt sei, wie die Gründe mancher Personen, welche diese Sage gegen ihre bessere Überzeugung in Glauben zu erhalten gesucht hätten. Es habe mit der Sache folgende Bewandtnis: Swedenborg habe sich in einer Unterredung in welcher sie (die Königin) ihm allerhand Einwendungen gegen die Möglichkeit seiner Visionen gemacht, erboten, ihr die Wahrheit derselben durch Tatsachen anschaulich zu machen. Hierauf habe sie ihm aufgegeben, den Geist ihres seligen Bruders über den Sinn einiger Ausdrücke zu befragen, die ihr bei einer mit ihm gehabten und durch Zufall ab­gebrochenen Unterredung dunkel geblieben wären; sie habe ihm hierzu einige unterscheidende Umstände dieser Unterredung als des Ortes der Materie näher bezeichnet. Swedenborg sei mit der Versicherung von ihr gegangen, ihr über lang oder kurz Nachricht von dem Erfolg seines Auftrages zu bringen. Diese Nachricht aber sei ihr niemals ge­worden. Swedenborg habe sichtbar die Gelegenheiten zu einer Unterredung mit ihr vermieden und ihr zweimal, da er es nicht hatte vermeiden können, gesagt, »er könne den Herrn (nämlich den Geist des Prinzen) noch nicht zum Spruch bringen.« Auch habe er dabei zu erkennen gege­ben, »es hänge nicht von ihm ab, bestimmte Gei­ster zu sprechen, wann und wie er wolle; und es könnten Jahre darüber hingehen, bevor der Herr sich bei ihm einfände. Entladen könne er zwar, aber eine Auswahl der Geister dürfe er nicht treffen. Vielmehr müsse er sich nicht nur gefallen lassen, ob ein Geist mit seinem Zuspruch ihn beehren wolle, son­dern auch, wer es tun wolle, und wo er es wolle. Sie möchte sich also noch gedulden.«

Diese Geduld aber ist durch keinen Erfolg ge­krönt worden. Swedenborg ist vielmehr gestorben, ohne den Herrn jemals zum Spruch zu be­kommen; und die Königin ist gestorben, ohne mit einem Senfkorn Glauben an seinen Visionen zu hängen. Wer nun ein wenig mit den Verstandes- und Herzenseigenschaften dieser Fürstin bekannt gewesen ist, wird dieses ohne Gewährleistung glauben. Sie war zu aufgeklärt, um im Reich des Übernatürlichen etwas auf eines Menschen Wort zu glauben, was ihr nicht durch eigene Sinne zugekommen wäre, und dabei zu wenig zur Verstellung geschickt, um so von der Sache zu sprechen, als sie sprach, wenn sie eine innere Überzeugung vom Gegenteil gehabt hätte.

Es fragt sich nun, wie sind diese zum Teil voneinander abweichenden Erklärungen des Swedenbor­gischen Wunders zu vereinigen? Leicht zu heben ist der kleine Unterschied, dass es nach dem Herrn von … ein Brief, und nach der letzten Erzählung eine Unterredung der Königin mit ihrem Herrn Bruder war, worüber sie Swedenborg befragte.

Herr von … hatte von einem Brief erzählen ge­hört und gelesen, und – da man bei solchen Unterredungen nicht frageweise nach Artikeln vernimmt – so erkundigte er sich wohl, als er bei der Königin das Gespräch auf diese Sache brachte, nur im Allgemeinen, ob der Geisterseher ihr geheime Nachrichten von dem Prinzen gebracht habe, ohne das Wort Brief zu gebrauchen. Und hierauf antwortete sie mit Ja, ohne vielleicht bestimmt eine Unterredung zu nennen.

Aber wichtiger ist die Verschiedenheit bei der Antwort der Königin selbst. Man sieht auch aus diesem Beispiel wiederum, wie misslich es mit der Glaubwürdigkeit aller Wundergeschichten steht, wenn sie nicht den Augenblick öffentlich beglaubigt werden. Gewöhnlich pflegen solche Begebenheiten von den Wundermännern mit großem Fleiß hohen Personen beigelegt zu werden, bei welchen das Untersuchen und Befragen größere Schwierigkeiten hat. Man sollte nichts, am wenigsten etwas Un­glaubliches ohne Bestätigung fest glauben. Aber so sind wir Menschen! Wie manche Fabel von einer Wunderkur, einer Geistererscheinung, einer Vorherverkündigung, einer Ahnung wird auf diese Art fortgepflanzt, wird anfangs vielleicht nur zu irgendeinem bestimmten Zweck erdichtet; wird von einigen wenigen ge­glaubt; wird dann aber immer weitererzählt und sogar öffentlich gedruckt, und wieder gedruckt; wird nicht widerlegt, weil vielleicht nur ein paar Menschen sie widerlegen könnten, welche gerade nicht Lust dazu haben; und wird, bloß auf dieses Erzählen ohne alle Bestätigung geglaubt. Am Ende treten wohl wahrheitsliebende Männer auf, um die Fabel für eine Fabel zu erklären. Nur dann lässt sich oft wegen Entfernung der Personen, der Zeiten und der Umstände nicht alles mehr genau nachforschen. Manches muss unbestimmt und unausgemacht bleiben; ja man verwickelt sich wohl gar bei Aufdeckung einer Unwahrheit, in anscheinende Widersprüche, welche der Wahrheit selbst nachteilig werden können.

Man mag nun von obigen beiden Enträtslungen annehmen, welche man will: So steht der an­gebliche neue Prophet immer, wie man auch vernünftigerweise vermuten konnte, in armseliger Blöße da. Nach der ersten Erzählung aber ist er ein Betrüger, nach der zweiten ein bloßer Lügner. Es ist, da die Hauptpersonen verstorben sind, nun unmöglich, mit Gewissheit auszumachen, wie so verschiedene Erzählungen, nach glaubwürdiger Männer Bericht aus einem Mund kommen konnten. Indessen geben gewisse Ausdrücke in der letzteren Erzählung hierüber einiges Licht. Die Königin sprach von den Ursachen, welche gewisse Personen hätten, die lügenhaften Swedenborgischen Geistergeschichten für wahr auszugeben. Sie sprach von geheimen Plänen, nach welchen man diese himmlischen Wundergaben zu sehr irdischen Absichten in jenen unruhigen Zeiten hätte anwenden wollen. Dies stimmt sehr mit dem Inhalt der ersten Erzählung überein, wo der Geisterbanner sich zum Sprachrohr einer Staatspartei gebrauchen ließ. Wie, wenn die Königin wirklich im Augen­blick der ersten Überraschung etwas Übernatürliches in dem Bericht des Geistersehers zu hören ge­glaubt hätte, bis ihre Scharfsichtigkeit bald darauf den ganzen Plan durchschaute? Wie, wenn sie sich noch länger das Übernatürliche darin zu finden gestellt hätte, um ihren Verdacht nicht ganz zu zeigen? Wie, wenn Swedenborg am Ende selbst ihr die Sache entdeckt hätte? Dann, und vielleicht noch auf andere Art, wäre es erklärlich, wie sie gegen verschiedene Personen und zu verschiedenen Zeiten verschieden über die Sache hätte reden können.