Timetraveller – Episode 1
Unternehmen Zeitsprung
Vergangenheit,
Kansas City, Winter 1994
Der Mann wollte gerade die Fahrbahn überqueren, als das Auto plötzlich vor ihm auftauchte.
Es war ein großer japanischer Geländewagen. Er hielt genau auf ihn zu, nachdem er zuvor aus einer Parklücke ausgeschert war und dann die Geschwindigkeit erhöht hatte.
Der Fahrer trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Das Fahrzeug machte einen Satz vorwärts und schlingerte mit aufheulendem Motor über die verschneite Straße.
Die wuchtigen Winterreifen mit dem tiefen Profil wirbelten den Schnee auf und ließen ihn zur Seite spritzen.
Der Fußgänger reagierte sofort.
Mit einem Satz sprang er zurück auf den Gehsteig und drückte seine hagere Gestalt an die Wand eines Hauses, während der Wagen um Haaresbreite an ihm vorbei rauschte, um anschließend in irgendeiner Seitengasse der neunundvierzigsten Straße unterzutauchen.
Stockend atmete der grauhaarige Mann aus und versuchte mühsam, den Schauder zu unterdrücken, der seinen schweißnassen Rücken hinauf- und hinunterjagte.
Mitternacht war längst vorbei. Dennoch hetzten ihn seine Verfolger trotz der nachtschlafenden Zeit immer noch erbarmungslos durch das Gewirr der Straßen und Gassen von Kansas City.
Erneut warf er einen ängstlichen Blick über die Schulter.
Diesmal, darüber war er sich längst im Klaren, diesmal würde es ihm nicht mehr gelingen, ihnen zu entkommen.
Seine Gedanken wirbelten durcheinander, als er aus den Augenwinkeln heraus die dunklen Schemen seiner Häscher zwischen den wuchtigen Häusern der Straße umher huschen sah.
Unheimliche, schattenhafte Gestalten, die ihm mit einer beinahe erschreckenden Ausdauer seit seiner Ankunft in der Stadt auf der Spur waren. Sein Plan war fehlgeschlagen und nun glaubte er, den heißen Atem seiner Verfolger bereits im Nacken zu spüren.
Obwohl der Wind eiskalte Luft durch die nächtlichen Straßen peitschte, rann der Schweiß in Strömen von seiner Stirn, lief ihm übers Gesicht und nässte seinen Hemdkragen.
Der Mann war fast am Ende seiner Kräfte.
Seine Handflächen waren feucht, das Herz in seiner Brust hämmerte hoch bis in den Hals und das Blut rauschte in seinen Ohren. Seine Knie zitterten vor Schwäche, und bei jedem Atemzug rasselten seine überanstrengten Lungen gleich einem altersschwachen Blasebalg.
Trotzdem lief er nun weiter. Der Flüchtende rannte die schneebedeckte, von unzähligen Fahrrillen durchzogene Straße entlang und taumelte auf den östlichen Stadtrand zu. Dorthin, wo er seinen Wagen im hintersten, dunkelsten Winkel eines verschwiegenen Parkplatzes abgestellt hatte. Der Lärm des nahen Sterling Boulevards mit seinen Automotoren und den schrill umherzuckenden Leuchtreklamen, den dröhnenden Musikbeats und den nach zweifelhaftem Vergnügen gierenden Menschenmassen der Millionenstadt drang nur noch schwach zu ihm herüber.
»Hilfe!«, keuchte er, aber niemand schien ihn zu hören.
Keine Menschenseele war auf den dunklen Straßen zu sehen.
Schlagartig wurde ihm wieder bewusst, wie entsetzlich allein er eigentlich hier in der großen Stadt war, und wie wenig Hilfe er erwarten konnte. Er stolperte weiter durch die dunkle Stadt, während die Verzweiflung immer mehr Besitz von ihm nahm. Es war kalt! Ganz Kansas City war schneeweiß überzogen. Der Mond hatte längst seinen höchsten Stand erreicht und prangte einer silbernen Scheibe gleich am sternklaren Himmel. Das kalte Licht ließ ihn die Umrisse der versteckt gelegenen Seitengasse erst im letzten Moment erkennen.
Er stolperte hinein.
Augenblicklich sah er den Unrat. Alte Lebensmittel, aufgeplatzte Mülltüten und unidentifizierbarer Abfall, dessen genaue Herkunft er lieber nicht wissen wollte.
Angewidert lief der Mann weiter.
Aber schon nach wenigen Augenblicken hielt er abrupt inne, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Sein Verstand weigerte sich zu begreifen, was seine Augen mit brutaler Deutlichkeit längst erkannt hatten.
Die kleine Seitengasse endete unvermittelt an einer Felswand.
»Guten Abend, Professor Evans!«
Der grauhaarige Mann wirbelte herum und seine Augen weiteten sich jäh, als er mit Entsetzen begriff, wie nahe sie ihm tatsächlich die ganze Zeit über gewesen sein mussten.
Bis zu diesem Augenblick hatte er noch beharrlich versucht, jegliche Gedanken an die Herkunft seiner Verfolger zu verdrängen, aber nun wurden seine schlimmsten Befürchtungen grausame Wahrheit.
Fassungslos starrte er seinen Häschern entgegen, die jetzt breitbeinig den Zugang zur Gasse versperrten. Er hatte bei ihrem Anblick plötzlich das Gefühl, als habe ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.
Sie waren zu dritt.
Männer mit harten Gesichtern. In ihren kalten, dunklen Augen lag die pure Lust am Töten. Ihre mitleidlosen Blicke schienen Evans förmlich zu durchbohren. Langsam gingen sie auf den Mann zu und blieben dicht vor ihm stehen.
Evans konnte ihren Atem als warmen Hauch auf seinem Gesicht spüren. »Was wollt ihr von mir? Los, verschwindet! Lasst mich endlich in Ruhe!«, stieß er aus.
Er versuchte zwar, seine Stimme fest und sicher klingen zu lassen, aber aus seiner Kehle kam nur ein jämmerliches Krächzen.
»Das Spiel ist aus, Professor!«
Es war offensichtlich, dass der hochgewachsene Sprecher mit den stechenden Augen und dem sichelförmigen Schnauzbart der Anführer der Männer war. Eine Aura der Gewalt ging spürbar von ihm aus.
»Nein!«, flüsterte Matthew Evans und schüttelte sich vor Entsetzen.
In dem von unzähligen Pockennarben entstellten Gesicht des Anführers zuckte es kurz auf, und seine Augen musterten den Professor verächtlich.
»Jetzt hör mir mal gut zu, alter Mann! Wir hatten lange genug Geduld mit dir, aber damit ist nun Schluss. Also verrate uns lieber, was du hier in der Stadt zu suchen hattest.«
»Nichts!«
»Lüg mich nicht an, Evans! Kein normaler Mensch rennt um diese Uhrzeit wegen Nichts durch die Gegend. Also los, spuck’s aus. Was für ein Ding ziehst du hier ab? Warum zum Teufel bist du nicht im Institut, bei deiner Arbeit?«
»Das … das geht euch überhaupt nichts an«, stotterte Evans.
Seufzend nahm der Pockennarbige die Hände aus den Taschen seiner schweren Winterjacke und schüttelte bedauernd den Kopf.
Dann schlug er unvermittelt zu.
Seine knochige Faust bohrte sich in den Leib des Professors und ließ diesen mit einem schmerzerfüllten Stöhnen zusammenklappen. Ein weiterer brutaler Hieb traf ihn seitlich am Kopf. Evans verlor das Gleichgewicht und krachte der Länge nach auf den hart gefrorenen Boden.
»Pass auf, du alter Narr!«, fauchte der narbengesichtige Mann gereizt. »Du weißt, wer wir sind, und du weißt auch genau, was wir von dir wollen. Also, fang an zu reden.«
»Ich rede nicht mit Verbrechern!«
Die genagelte Stiefelsohle des Schlägers zuckte vor und ein grausamer Schmerz explodierte in Evans Körper. Der Professor wälzte sich stöhnend auf den Rücken. Blut lief ihm übers Gesicht, und vor seinen Augen begannen feurige Kreise zu tanzen.
»Spiel jetzt bloß nicht den Helden, Evans. Wir bringen dich schon noch zum Reden. Wir wissen ganz genau, dass du diese Maschine gebaut hast. Also, wo hast du das Ding versteckt?«
»Mit euren Plänen würdet ihr die ganze Welt ins Verderben stürzen. Aber das werde ich zu verhindern wissen.«
Der Narbengesichtige lächelte kalt. »Das meinst du, aber es hat sich in den letzten Monaten einiges geändert. Der Fortschritt hat auch vor unserem Institut nicht haltgemacht. Eine neue Zeit bricht an, und es kann nicht sein, dass die Geschicke unseres Landes von einem weltfremden Professor blockiert werden, dessen Ansichten schon seit Jahren hoffnungslos veraltet sind.«
Evans erhob sich taumelnd.
Schwankend stand er einen Moment lang da und stützte sich an einer Hauswand ab, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Während die Schmerzen ihm das Wasser in die Augen trieben, blickte er wie durch einen flimmernden Schleier zu den Männern.
»Was ihr Fortschritt nennt, ist in meinen Augen die Willkür einiger Weniger, die sich mithilfe des Projekts zu selbst ernannten Herrschern über die Menschheit machen wollen. Das werde ich nicht zulassen.«
»Mit dieser Meinung bist du aber glücklicherweise so gut wie allein«, sagte sein Gegenüber scharf und riss den Kopf hoch. Mit den wütend herabgezogenen Mundwinkeln und den zusammengekniffenen Augen hatte er etwas Diabolisches an sich. »Aber jetzt genug geredet. Mach endlich dein Maul auf! Erzähl uns, was wir wissen wollen, oder wir zwingen dich dazu.«
»Lasst mich in Ruhe!«, erwiderte Matthew Evans angesichts seiner hoffnungslosen Lage trotzig. »Solange ich lebe, werde ich nicht einmal daran denken, die Maschine oder die Pläne dafür euch Verbrechern zu überlassen. Also vergesst euer Vorhaben und verschwindet.«
Einen Moment lang herrschte eine eigentümliche Stille.
»Jetzt habe ich aber genug!«
Am Eingang der kleinen Gasse löste sich eine Gestalt aus dem Schatten der umliegenden Häuser. Eine entsetzliche Vorahnung ergriff Besitz von Evans. Irgendwie kam ihm die Stimme vertraut vor. Er konnte sie nur noch nicht richtig zuordnen. Plötzlich erinnerte er sich. Nacktes Grauen erfasste ihn und das Blut in seinen Adern schien zu stocken. Eine eiskalte Hand legte sich um sein Herz, und alle tief in seinem Innersten verborgenen Ängste und die Furcht vor dem nun Kommenden erfassten seinen hageren Körper.
Dieser vierte Mann, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte, drängte sich nun ungestüm nach vorne. Sein gebückt wirkender Körper straffte sich, und die vor ihm stehenden Männer wichen respektvoll auseinander.
Der Unbekannte trug einen knielangen Armeeparka mit einer weit geschnittenen Kapuze, die seinen gesamten Kopf bedeckte. Drohend baute er sich vor Evans auf.
Langsam streifte der Unbekannte seine Kapuze zurück. Namenloses Entsetzen erfüllte Matthew Evans, als sich die Gestalt vor ihm zu erkennen gab.
»Du?«
Der Unbekannte nickte, seine Hand zuckte vor. Die unterarmlange Klinge eines Messers fraß sich durch Fleisch, Knochen und Sehnen und durchbohrte den Leib des Professors.
Matthew Evans war schon tot, noch ehe sein hagerer Körper auf den Boden der Gasse aufschlug. Blut strömte aus ihm heraus und zeichnete ein hässliches Muster in den Schnee.
»Bist du verrückt geworden?«, herrschte der Pockennarbige den Mörder an. »Wie sollen wir jetzt diese verdammte Maschine finden?«
Der Mann mit dem Messer machte eine verächtliche Handbewegung. »Das Institut ist nicht besonders groß. Keine Sorge, wir werden sie schon finden. Außerdem haben wir jetzt genügend Zeit. Evans kann uns nicht mehr in die Quere kommen.«
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