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Der Kapitän Fracasse – Band 1 – 2. Kapitel

Théophile Gautier
Der Kapitän Fracasse
Ein Mantel-und-Degen-Roman, 1863
Band 1
Zweites Kapitel

Der Thespiskarren

Sigognac ging die Treppe hinunter, indem er seine Lampe mit der Hand gegen den Luftzug schirmte, welcher sie auszulöschen drohte.

Unten angelangt, riegelte er die Tür auf, öffnete den beweglichen Flügel derselben und sah sich einer Persönlichkeit gegenüber, welcher er seine Lampe unmittelbar unter die Nase hielt.

Durch diesen Schein beleuchtet, wurde eine ziemlich groteske Erscheinung sichtbar und ein kahler Schädel von einer Farbe wie ranzige Butter glänzte unter dem Licht und dem Regen.

Graues, an den Schläfen anklebendes Haar, eine rote dicke Nase zwischen zwei kleinen Augen mit sehr dichten seltsam schwarzen Brauen, aufgedunsene, mit roten Pusteln bedeckte Wangen, ein Mund, der einem Säufer oder einem Satyr anzugehören schien, ein warziges Kinn mit vereinzelten borstigen Härchen – all dieses bildete ein Ganzes, welches verdiente, von der Hand eines Bildhauers unter dem Sims des Pont Neuf verewigt zu werden.

Eine gewisse Gutmütigkeit mäßigte den abstoßenden Eindruck, welchen diese Züge auf den ersten Blick zu machen geeignet waren.

Die zusammengekniffenen Augen und die bis an die Ohren gezogenen Mundwinkel verrieten übrigens die Absicht eines freundlichen Lächelns.

Dieser eine Halskrause von zweifelhafter Sauberkeit überragende Kopf krönte einen Körper, welcher in einem schwarzen Kittel steckte und sich mit übertriebener Höflichkeit tief verneigte.

Nach dieser Begrüßung nahm die burleske Persönlichkeit, der Frage, welche der Baron im Begriff stand, auszusprechen, zuvorkommend, in pathetisch deklamatorischem Ton das Wort und sagte: »Entschuldigt, edler Burgherr, wenn ich selbst an die Pforte Eurer Festung poche, ohne einen das Horn blasenden Pagen oder Zwerg voranzuschicken, und obendrein zu so vorgerückter Stunde. Not kennt aber einmal kein Gebot und zwingt selbst die feingebildetsten Weltleute zu Verstößen gegen die gute Lebensart.«

»Was wollt Ihr?«, unterbrach ihn ziemlich kurz der Baron, durch den Wortschwall des alten Kauzes gelangweilt.

»Gastfreundschaft für mich und meine Gefährten, Prinzen und Prinzessinnen, Leanders und Isabellen, Doktoren und Kapitäne, welche mit dem Thespiskarren von Stadt zu Stadt ziehen, welcher Karren, nach antiker Weise von Stieren gezogen, gegenwärtig nur wenige Schritte von Eurem Schloss entfernt im Dreck steckengeblieben ist.«

»Wenn ich das, was Ihr sagt, recht verstehe, so seid Ihr herumziehende Schauspieler und seid vom rechten Wege abgekommen.«

»In der Tat, meine Worte könnten nicht besser erläutert werden«, antwortete der Schauspieler. »Darf ich hoffen, dass Ihr meine Bitte bewilligt, gnädiger Herr?« »Obwohl mein Heim in ziemlich schlechtem Zustand ist und ich Euch nicht viel anbieten kann, so werdet Ihr Euch darin doch immer etwas weniger schlecht befinden als unter freiem Himmel in diesem Regenwetter.«

Der Pedant, denn dies schien die Rolle zu sein, welche er unter der Truppe, zu welcher er gehörte, spielte, verneigte sich zum Zeichen der Zustimmung.

Während dieses Zwiegespräches hatte Pierre, durch das Bellen des Hundes aus dem Schlaf geweckt, sich ebenfalls von seinem Lager erhoben und zu seinem Herrn unter die Vorhalle verfügt. Sobald er gehört hatte, um was es sich handelte, zündete er eine Laterne an und alle drei lenkten ihre Schritte zu dem in dem vom Regen aufgeweichten Boden steckengebliebenen Wagen.

Der Leander und der Matamor schoben an dem Rad und der König stachelte die Stiere mit seinem tragischen Dolch. Die in ihre Mäntel gehüllten Frauen klagten, ächzten und winselten.

Die unerwartete Verstärkung und ganz besonders Pierres Erfahrung brachten den schweren Wagen sehr bald über die schlimme Stelle hinweg. Er wurde dann auf ein festeres Terrain gelenkt, erreichte das Schloss und fuhr durch das Kreuzgewölbe in den Hof hinein.

Die abgespannten Zugtiere erhielten ihren Platz im Stalle neben dem weißen Gaul angewiesen; die Komödiantinnen sprangen vom Wagen herunter, schüttelten ihre zerknitterten Kleider und gingen, von Sigognac geführt, in das Speisezimmer, als dem bewohnbarsten Raum des Hauses, hinauf.

Pierre fand im Hintergrund des Holzstalles ein Reisbündel und einige Arme voll Gestrüpp, welche er in den Kamin warf, wo sie bald lustig emporloderten.

Obwohl man erst in den ersten Tagen des Herbstes stand, so war doch ein wenig Feuer notwendig, um die nassen Kleider dieser Damen zu trocknen. Übrigens war die Nacht auch frisch und die Luft pfiff durch die Ritzen des Wandgetäfels dieses unbewohnten Zimmers.

Die Komödiantinnen betrachteten, obwohl sie infolge ihrer herumziehenden Lebensweise an die verschiedensten Nachtlager gewöhnt waren, mit Verwunderung dieses seltsame Haus, welches die Menschen schon seit langer Zeit den Geistern überlassen zu haben schienen und welches unwillkürlich an tragische unheimliche Geschichten erinnerte.

Dennoch aber verrieten sie als Leute von guter Erziehung weder Furcht noch Überraschung.

»Ich kann Ihnen nur das Couvert geben«, sagte der junge Baron. »Meine Speisekammer enthält nicht einmal so viel, als zum Abendessen für eine Maus hinreichen würde. Ich lebe allein in diesem Schloss, empfange niemals Besuch und Sie sehen, ohne dass ich es Ihnen sage, dass der Reichtum in diesen Räumen nicht wohnt.«

»O, das hat durchaus nichts zu sagen«, entgegnete der Pedant. »Wenn man uns auch auf dem Theater Hühner von Pappe und Flaschen von gedrehtem Holz vorsetzt, so versehen wir uns doch für das gewöhnliche Leben mit anderen wirklichen Nahrungsstoff enthaltenden Dingen. Jene hohlen Fleischspeisen und eingebildeten Getränke würden unserem Magen sehr schlecht zusagen und in meiner Eigenschaft als Proviantmeister der Truppe habe ich immer einen Bayonner Schinken, eine Wildbretpastete, ein tüchtiges Stück Kalbsbraten und ein Dutzend Flaschen Wein von Cahors und Bordeaux in Reserve.«

»Gut gesprochen, Pedant!«, rief der Leander. »Geh und hole die Lebensmittel und wenn der gnädige Herr es erlaubt und sich herablassen will, mit uns zu soupieren, so können wir den Schmaus gleich hier anrichten. Auf jenen Schenktischen steht Geschirr genug und die Damen werden die Tafel servieren.«

Auf die zustimmende Gebärde, welche der über dieses Abenteuer ganz betroffene Baron machte, erhoben sich die Isabella und die Donna Serafina, welche beide in der Nähe des Kamins saßen, und stellten die Teller auf dem vorher von Pierre abgewischten und mit einem alten abgenutzten, aber weißen Tuch bedeckten Tisch in Ordnung.

Es dauerte nicht lange, so erschien der Pedant wieder mit einem Korb in jeder Hand und setzte triumphierend eine Pastetenfestung mit blonden vergoldeten Mauern, welche eine Garnison von Feigendrosseln und Rebhühnern in ihren Flanken bargen, in die Mitte des Tisches.

Dieses gastronomische Fort umgab er mit sechs Flaschen als Außenwerk, welche genommen werden mussten, ehe die eigentliche Festung erstürmt werden konnte.

Eine geräucherte Rindszunge und ein großes Stück Schinken vervollständigte die Symmetrie.

Beelzebub, der Kater, welcher sich auf das oberste Brett eines der Schenktische gesetzt hatte und diese außerordentlichen Zurüstungen mit neugierigem Blick verfolgte, suchte sich wenigstens durch den Geruch all diese in Fülle aufgetragenen Delikatessen anzueignen. Gern hätte er sich dem Tisch genähert und sich seinen Teil an diesem gegen die sonstige Nüchternheit des Hauses gewaltig abstechenden Schmaus ausgebeten, der Anblick der vielen fremden Gesichter aber hielt ihn davon zurück und die Furcht seine Naschsucht und Gefräßigkeit im Zaum.

Der Matamor, welcher den Schein der Lampe nicht hell genug fand, holte aus dem Wagen zwei Theaterleuchter von Holz mit Goldpapier umwickelt und jeder mit mehreren Kerzen versehen, ein Zuwachs, welcher eine ganz prachtvolle Illumination zur Folge hatte.

Diese Leuchter, deren Form an den siebenarmigen Leuchter der Heiligen Schrift erinnerte, standen gewöhnlich im letzten Akt auf dem Altar, an welchem die Liebenden vereinigt wurden, oder in Marianne von Meret und in Herodias von Tristan auf der Banketttafel.

Das vorher so tote, unheimliche Zimmer hatte nun auf einmal einen gewissen Grad von Leben gewonnen. Ein matter roter Schimmer färbte die bleichen Wangen der alten Bildnisse, eine lauere, angenehmere Luft zirkulierte in dem umfangreichen Raum, der beklagenswerte Zustand der Möbel und der Tapeten war weniger sichtbar und das bleiche Gespenst des Mangels schien das Schloss auf einige Augenblicke verlassen zu haben.

Sigognac, welchem diese Überraschung anfangs unangenehm gewesen war, überließ sich einem Gefühl ihm bisher unbekannten Wohlbehagens. Isabelle, Donna Serafina und selbst die Soubrette beunruhigten seine Fantasie auf wohltuende Weise und erschienen ihm mehr wie auf die Erde herabgestiegene Gottheiten denn wie einfache Sterbliche.

Es waren in der Tat sehr hübsche Frauen, welche selbst von Männern, die auf diesem Gebiet weniger Neulinge waren als unser junger Baron, mit günstigen Augen betrachtet worden wären. Alles kam ihm vor wie ein Traum und er fürchtete jeden Augenblick daraus zu erwachen.

Als der Tisch serviert war, reichte der Baron Donna Serafina die Hand und ließ sie zu seiner Rechten Platz nehmen. Isabella setzte sich links, die Soubrette gegenüber, die Duenna neben den Pedanten, Leander und der Matamor, wo sie Lust hatten.

Nun konnte der junge Herr des Schlosses mit Muße die hellbeleuchteten Physiognomien seiner Gäste studieren. Sein prüfender Blick richtete sich zunächst auf die Damen, von welchen wir hier eine flüchtige Schilderung entwerfen wollen, während der Pedant eine Bresche in die Wälle der Pastete sprengte.

Die Serafina war eine junge Dame von vier- bis fünfundzwanzig Jahren, welcher die Gewohnheit, vornehme Koketten zu spielen, das Flair und die Haltung einer Hofdame verliehen hatte. Ihr etwas länglich ovales Gesicht, ihre leicht gebogene Nase, ihre großen grauen Augen, ihr roter Mund, dessen Unterlippe wie die Annas von Österreich durch eine kleine Furche gespalten war und einer Kirsche glich, bildeten eine angenehme und noble Physiognomie, die durch zwei Kaskaden kastanienbraunen Haares geschmückt wurde, welche wellenförmig an den Wangen herabfielen, auf welchen Belebung und Wärme eine anmutige Rosenfarbe hervorgerufen hatten.

Zwei lange Flechten, jede mit drei Schleifen von schwarzem Band gebunden, sonderten sich launenhaft von dem übrigen Haar ab und hoben die duftige Anmut desselben gleich jenen kräftigen Pinselstrichen hervor, welche der Maler auf dem Gemälde anbringt, welches er beendet.

Der Filzhut mit runder Krempe und mit Federn geschmückt, von welchen eine auf die Schultern der Trägerin herabfiel, während die anderen sich emporringelten, verlieh der Serafina ein sozusagen chevalereskes Ansehen. Ein umgeschlagener, mit einem schmalen Spitzenrand versehener und durch eine schwarze Schleife festgehaltener Kragen fiel über den Halsausschnitt eines grünen Samtkleides mit geschnittenen Ärmeln, aus welchen weiße Unterärmel hervorquollen. Eine über die Schulter geworfene Schärpe gab diesem ganzen Kostüm ein entschiedenes und ritterliches Gepräge.

Allerdings war all dies nicht mehr von erster Frische. Der Samt spiegelte hie und da, die Spitzen hätten am hellen lichten Tag ein wenig schäbig ausgesehen, die Stickerei der Schärpe verriet den Flittertand, die Federn des Hutes hingen ein wenig schlaff auf die Krempe herab, der Haarputz war ein wenig in Unordnung geraten und einige darin von dem Wagensitz hängen gebliebene Strohhalme nahmen sich ziemlich armselig aus.

Diese kleinen Schattenseiten hielten aber Donna Serafina nicht ab, die Haltung einer Königin ohne Königreich zu besitzen. Wenn auch ihr Kleid verschossen war, so war ihr Gesicht doch frisch, und übrigens schien dieses Kostüm dem jungen Baron von Sigognac, welcher an dergleichen Pracht nicht gewöhnt war und bisher nur Bäuerinnen in wollenen Röcken und Pelzhauben gesehen hatte, das Blendendste von der Welt zu sein.

Übrigens war er auch mit den Augen der Schönen viel zu sehr beschäftigt, als dass er auf die kleinen Mängel ihres Kostüms geachtet hätte. Isabella war jünger als die Donna Serafina, wie dies ihr naives Rollenfach auch verlangte. Auch trieb sie das Chevalereske in der äußeren Erscheinung nicht so weit, sondern beschränkte sich auf eine elegante bürgerliche Einfachheit, wie es der Tochter Cassandras zukommt. Sie hatte ein kleines niedliches, fast noch kindliches Gesicht, schönes, seidenweiches, kastanienbraunes Haar, ein ausdrucksvolles, von langen Wimpern verschleierte Augen, einen kleinen herzförmigen Mund und ein bescheiden jungfräuliches Wesen, welches mehr natürlich als erkünstelt war. Ein mit schwarzem Samt ausgeputztes Leibchen von grauem Taffet reichte in eine Spitze auslaufend, auf einen Rock von derselben Farbe herab. Eine leicht gestärkte Halskrause richtete sich hinter dem hübschen Nacken empor, auf welchem sich leichte Löckchen ringelten, und eine Schnur falsche Perlen umgab den Hals. Obwohl Isabella auf den ersten Anblick das Auge weniger anzog als die Serafina, so fesselte sie es doch länger. Wenn sie auch nicht blendete, so berührte sie doch angenehm und dies hat auch seine Vorzüge. Die Soubrette verdiente vollkommen das Prädikat Morena, welches die Spanier den Brünetten geben. Ihre Haut spielte in allen goldgelben Farbentönen wie die einer Zigeunerin. Ihr kurzgekräuseltes Haar war schwarz wie die Hölle und aus ihren gelbbraunen Augensternen leuchtete diabolische Bosheit. Ihr großer, lebhaft roter Mund ließ von Zeit zu Zeit ein Gebiss hindurchblicken, welches einem jungen Wolf Ehre gemacht hätte. Übrigens war sie mager und von Feuer und Geist gleichsam verzehrt, dabei aber war ihre Magerkeit jene jugendlich energische, welche durchaus keinen unangenehmen Eindruck machte. Sie gehörte zur Zahl jener Frauen, welche ihre Genossinnen hässlich finden, die aber für die Männer unwiderstehlich sind, und die sich durch ihr Feuer nicht abhalten lassen, kaltblütig zu sein, wie Wucherer, sobald es sich um ihr Interesse handelt. Ihre Toilette bestand aus einem fantastischen blauen und gelben Kostüm, mit falschen Spitzen herausgeputzt. Dame Leonarde, die edle Mutter der Truppe, war ganz schwarz gekleidet wie eine spanische Duenna. Ein Haarnetz umrahmte ihr dickes, blasses und durch vierzigjähriges Schminken gleichsam abgenutztes Gesicht. Ihre Augen hatten einen Ausdruck von Schlauheit und nahmen sich in ihrem fahlen Gesicht aus wie zwei schwarze Flecken. Einige Barthärchen begannen die Mundwinkel zu beschatten, obwohl sie unablässig bedacht war, diese unangenehmen Eindringlinge mit einer feinen Zange hinwegzutilgen. Der weibliche Charakter war fast gänzlich aus diesem Gesicht verschwunden, in dessen Falten man viele Geschichten hätte finden können, wenn man sich die Mühe genommen hätte, sie zu suchen. Komödiantin von ihrer Kindheit an, hatte Dame Leonarde viele Erfahrungen in einem Beruf gesammelt, dessen verschiedene Fächer sie nach der Reihe alle ausgefüllt bis zu dem der Duenna, zu welcher Letzteren die Koketterie, welche sich von den Verheerungen der Zeit nie überzeugen lassen will, nur ungern bequemt. Leonarde besaß aber Talent und so alt sie auch war, so wusste sie noch immer Beifall zu erringen, selbst neben ihren jungen schönen Berufsgenossinnen, welche zuweilen nicht wenig überrascht waren, diese Zauberin mit Bravorufen überschüttet zu sehen. Dies war das weibliche Personal. Es repräsentierte die Hauptrollen der Komödie, und wenn einmal eine Person fehlte, so las man unterwegs eine umherirrende Bühnenkünstlerin auf oder wendete sich an eine Dilettantin, welche sich dann glücklich schätzte, an der Seite so hoher Talente eine kleine Rolle zu übernehmen. Das männliche Personal bestand aus dem schon beschriebenen Pedanten, auf welchen wir nicht weiter zurückzukommen brauchen, aus dem Leander, dem Scapin, dem tragischen Tyrannen und dem Matamor. Der Leander oder Liebhaber, welcher berufsmäßig die Aufgabe hatte, die grausamsten Tigerinnen zahm zu machen wie Lämmer, die Truffaldinos zu hintergehen und zuletzt allemal stolz und siegreich dazustehen, war ein junger Mann von dreißig Jahren, den die außerordentliche Sorgfalt, welche er auf seine Person verwendete, noch weit jünger erscheinen ließ, als er wirklich war.

Es ist keine Kleinigkeit, für die Zuschauerinnen den Liebhaber, jenes geheimnisvolle und vollkommene Wesen darzustellen, welches jeder nach seiner Weise gestaltet. Deshalb rieb der Leander sich jeden Abend das Gesicht mit Talksteinpulver ein und seine Augenbrauen sahen aus wie eine immer dünner werdende, mit chinesischer Tusche gezogene Linie. Seine äußerst sauber gehaltenen Zähne glänzten wie orientalische Perlen in ihrem roten Zahnfleisch, welches er fortwährend sehen ließ, denn er kannte wahrscheinlich nicht das griechische Sprichwort, welches sagt, dass nichts einfältiger ist als ein einfältiges Gelächter.

Seine Kameraden behaupteten sogar, dass er selbst außerhalb des Theaters ein wenig Rot auflegte, um seinem Auge erhöhten Glanz zu verleihen.

Schwarzes, sorgfältig gepflegtes Haar ringelte sich an seinen Wangen in Spiralen herab, welche durch den Regen ein wenig lang geworden waren, was ihm Gelegenheit gab, sie wieder mit dem Finger aufzuwickeln und dabei zugleich eine sehr weiße Hand sehen zu lassen, an welcher ein Solitär funkelte, der viel zu groß war, um echt zu sein.

Sein umgeschlagener Halskragen ließ den runden weißen Hals sehen, an welchem ebenso wie am Kinn keine Spur des sorgfältig rasierten Bartes zu sehen war.

Seine Beinkleider waren mit einer Menge Bänder besetzt, deren Erhaltung ihn sehr zu beschäftigen schien.

Wenn er die Wand ansah, so tat er, als müsste er vor Liebe sterben und er verlangte nie zu trinken, ohne eine schmachtende Gebärde dazu zu machen. Die Interpunktion seiner Phrasen bestand in Seufzern und er warf, selbst wenn er von den gleichgiltigsten Dingen sprach, mit Blicken und Mienen um sich, dass man hätte vor Lachen bersten mögen; die Frauen aber fanden dies höchst liebenswürdig.

Der Scapin oder Intrigant hatte einen spitzen Fuchskopf, seine Augenbrauen bildeten einen Zirkumflex, sein Auge war in immerwährender Bewegung und der gelbe Stern desselben zitterte wie ein Goldstück auf Quecksilber. Boshafte Krähenfüße zeichneten sich an beiden Augenwinkeln, die schmalen beweglichen Lippen zuckten fortwährend und ließen durch ein zweideutiges Lächeln hindurch grimmige spitze Zähne zum Vorschein kommen.

Wenn er sein rot- und weißgestreiftes Barett abnahm, so zeichnete das kurz geschnittene Haar die Umrisse eines höckerigen Kopfes. Dieses Haar war rotgelb und filzig wie das des Wolfes und vervollständigte den in der ganzen Physiognomie ausgesprochenen Charakter.

Dabei fühlte man sich versucht, die Hände dieses Kauzes zu betrachten, um zu sehen, ob nicht von Führung der Ruder herrührende Schwielen daran zu sehen wären, denn er sah ganz danach aus, als hätte er einige Jahre damit zugebracht, mit einer Feder von fünfzehn Fuß seine Memoiren auf den Ozean zu schreiben.

Seine bald hohe, bald tiefe Stimme wechselte so schnell und seltsam, dass man darüber lachen musste, ohne es zu wollen.

Seine unerwarteten und wie durch eine verborgene Feder verursachten Bewegungen hatten etwas Unlogisches und Beunruhigendes und schienen mehr dazu zu dienen, den anderen nicht zum Wort kommen zu lassen, als einen Gedanken oder ein Gefühl auszudrücken.

Es war die Pantomime des Fuchses, welcher hundertmal unter dem Baum hinwegrennt, von dessen Höhe das bestrickte Huhn ihn betrachtet, ehe es sich herabfallen lässt.

Er trug einen grauen Überwurf über seinem darunter hervorlugenden Theaterkostüm, weil er entweder nach seiner legten Vorstellung nicht Zeit gehabt hat, sich umzukleiden, oder weil seine dürftige Garderobe ihm keinen anderen Wechsel gestattete.

Was den Tyrannen betraf, so war er ein großer gutmütiger Mann, welchen die Natur, ohne Zweifel, um sich einen Scherz zu machen, mit allen äußeren Zeichen der Wildheit begabt hatte. Nie hatte eine gutmütigere Seele in einer abstoßenderen Hülle gewohnt. Dicke, zwei Finger breite, kohlschwarze, über der Nasenwurzel zusammenstoßende Augenbrauen, krauses Haar, ein dichter, bis an die Augen heraufreichender Bart, den er sich niemals stutzte, damit er sich keinen künstlichen anzukleben brauchte, wenn er den Herodes oder Polyphontes spielte, dunkelbraune Gesichtsfarbe – alles dies bildete eine grausame, furchtbare Physiognomie, wie die Maler sie den Henkern und ihren Helfershelfern zu geben lieben.

Eine Donnerstimme, bei welcher die Fensterscheiben klirrten und die Gläser auf dem Tische erzitterten, trug nicht wenig bei, den Schrecken zu nähren, welchen diese Gestalt in ihrem Kostüm von abgetragenem schwarzem Samt einflößte. Übrigens war sein Leibesumfang ein ansehnlicher und wohl imstande, einen Thron auszufüllen.

Der Matamor oder Held war mager, schwarz und trocken wie ein Gehängter im Sommer. Seine Haut glich einem auf Knochen geleimten Pergament, eine große, wie ein Raubvogelschnabel gekrümmte Nase, deren schmales Bein glänzte wie Horn, stand wie eine Scheidewand zwischen den beiden Seiten des schmalen, durch einen Spitzbart noch verlängerten Gesichts.

Diese beiden aneinander geklebten Profile vermochten nur mit Mühe ein Gesicht zu bilden, und die Augen mussten sich, um Platz zu finden, wie die der Chinesen, schief nach den Schläfen zu festklammern.

Die halb rasierten Augenbrauen bildeten über den unruhigen Augensternen ein schwarzes Komma, und der übermäßig lange Schnurrbart stand mit seinen beiden gewichsten Spitzen gen Himmel.

Die vom Kopf weit abstehenden Ohren sahen aus wie die beiden Henkel eines Topfes.

Diese ganze, mehr den Charakter der Karikatur als der Natur tragende Erscheinung glich jenen wunderlichen Schattenbildern, welche sich abends um die Laternen der Pastetenbäcker drehen.

Die Eisenfressermanieren des Mannes waren durch die Länge der Zeit seine gewöhnlichen und alltäglichen geworden, und auch außerhalb des Theaters ging er stets gespreizt wie ein Zirkel, den Kopf zurückgeworfen, die Faust auf der Hüfte und die Hand am Degengriff.

Ein gelbes, kürassartig ausgebauchtes, grünverziertes Wams, ein mit Draht und Pappe steifgemachter spanischer Halskragen, mit Gold- und Silberarabesken verzierte Beinkleider, Stiefel von weißem russischem Leder, in welchem die langen hageren Beine klapperten wie Flöten in ihrem Futteral, ein übermäßig langes Rapier, welches er niemals ablegte und dessen eiserner durchbrochener Griff viele Pfund wog, bildeten das Kostüm des Matamors und waren von einem Überwurf bedeckt, dessen unterer Saum von der Spitze des Degens emporgehoben wurde.

Erwähnen wir noch, um nichts zu vergessen, dass zwei gabelförmig aufgesteckte Hahnenfedern den langen grauen, einem Filtriersack gleichenden Hut in grotesker Weise schmückten.

Die Kunst des Schriftstellers steht der des Malers insofern nach, da er die Gegenstände nur einen nach dem anderen vorführen kann. Ein einziger Blick würde hinreichen, um auf einem Gemälde sämtliche Figuren zu umfassen, deren Zeichnung wir hier mitgeteilt haben. Man würde sie mit dem Schatten, dem Licht, den verschiedenen Attitüden dem einer jeden eigentümlichen Colorit und mit einer Menge von Einzelheiten sehen, welche dieser Beschreibung mangeln, die gleichwohl schon viel zu lang ist, trotzdem dass man bemüht gewesen ist, sie so kurz wie möglich zu machen. Es war einmal unumgänglich notwendig, dem Leser diese komische Truppe vorzuführen, welche so unvermutet in die Einsamkeit des Schlosses Sigognac hereingefallen war.

Der Anfang des Mahles war schweigsam. Der Hunger ist ebenso stumm wie die Leidenschaft. Nachdem jedoch die erste Wut desselben beschwichtigt war, kamen die Zungen allmählich in Gang.

Der junge Baron, der sich vielleicht von dem Tag an, wo er von der Mutterbrust entwöhnt worden war, noch nie wieder ordentlich gesättigt hatte, aß oder fraß vielmehr, obwohl er nichts inniger wünschte, der Serafina und Isabella gegenüber den Schmachtenden zu spielen, mit einem Heißhunger, welcher nicht ahnen ließ, dass er schon einmal soupiert hatte.

Der Pedant, dem dieser jugendliche Appetit Spaß machte, türmte auf dem Teller des Herrn von Sigognac Rebhuhnflügel und Schinkenschnitten, die so schnell verschwanden wie Schneeflocken auf einer glühenden Schaufel.

Beelzebub, der Kater, hatte sich trotz seiner Furcht endlich doch entschlossen, den unangreifbaren Posten, welchen er auf dem obersten Brett des Schanktisches einnahm, zu verlassen und sich zu seiner Beruhigung gesagt, dass es schwer sein würde, ihn bei den Ohren zu nehmen, da er ja deren nicht besaß, und dass man sich ebenso wenig den gemeinen Scherz mit ihm erlauben könne, ihm eine Blechpfanne anzuhängen, weil der fehlende Schwanz ein Amüsement unmöglich machte, welches übrigens einer Rotte Gassenbuben würdiger ist als so wohlerzogener Leute, wie die um diesen Tisch versammelten Gäste zu sein schienen.

Sich im Schatten haltend, kam er auf dem Bauch herangekrochen wie ein Panther, der eine Gazelle belauert, und ohne, dass jemand auf ihn achtete. An dem Stuhl des Barons angelangt, richtete er sich auf und spielte, um die Aufmerksamkeit desselben zu erregen, ihm mit seinen zehn Krallen eine Gitarrenmelodie auf dem Knie.

Sigognac ließ den bescheidenen Freund, der in seinem Dienst so oft gehungert hatte, sein Glück teilen, indem er ihm einige Knochen unter den Tisch gab.

Miraut, der Hund, welcher sich hinter Pierre ebenfalls mit hereinzuschleichen gewusst hatte, empfing auch seinen Anteil.

Das Leben schien in diese bisher so tote Wohnung zurückgekehrt zu sein. Es gab Wärme, Licht und Geräusch. Die Damen begannen, nachdem sie einige Schlucke Wein getrunken hatten, zu schwatzen wie Papageien auf ihren Stängeln, und sagten sich über ihre wechselseitigen Erfolge allerhand Schmeicheleien.

Der Pedant und der Tyrann stritten sich über die Vorzüge der komischen und der tragischen Dichtkunst; der eine behauptete, es sei schwerer, vernünftige Leute zum Lachen zu bringen, als sie durch Ammenmärchen zu schrecken, welche kein anderes Verdienst hätten als das Alter. Der andere meinte, die Possen, welche die Lustspieldichter in ihren Werken anbrächten, könnten ihnen unmöglich zur Ehre gereichen.

Der Leander hatte einen kleinen Spiegel aus der Tasche gezogen und betrachtete sich in demselben so selbstgefällig, wie der selige Narcissus in seiner Quelle.

Der sonstigen Gewohnheit eines Leanders zuwider, war er nicht in Isabella verliebt, sondern trachtete weit höher. Er hoffte durch seine Anmut und edelmännischen Manieren irgendeiner entzündbaren reichen Witwe in die Augen zu stechen, damit sie ihn am Ausgang des Theaters mit ihrer vierspännigen Karosse abholen und zu einem Schloss bringen ließe, wo sie ihn im elegantesten Negligé und einer mit den feinsten Delikatessen besetzten Tafel gegenüber erwartete.

War diese Vision schon einmal in Erfüllung gegangen?

Leander versicherte es, Scapin verneinte es, und dies war zwischen beiden ein Stoff zu nimmer endenden Zwisten.

Boshaft wie ein Affe behauptete Letzterer, der arme Leander möge Blicke in die Logen schleudern und sich auf der Bühne gebärden, wie er wolle, so sei es ihm doch noch nie gelungen, auch nur in der geringsten Baronin, selbst wenn sie alt und hässlich wäre, das geringste Gelüst nach der Nähe seiner Person zu erwecken.

Scapin brachte, als er Leander sich im Spiegel betrachten sah, dieses Thema in geschickter Weise aufs Tapet, und Leander, wütend darüber, erbot sich, aus seinem Gepäck ein ganzes Kästchen voll parfümierter Billets hervorzusuchen, welche eine Menge vornehmer Damen, Gräfinnen, Marquisen und Baronessen an ihn geschrieben hatten.

Serafina sagte, wenn sie eine dieser Damen wäre, so würde sie Leander wegen seiner Plauderhaftigkeit und Prahlerei durch ihre Leute durchprügeln lassen, und Isabella erklärte, wenn er nicht bescheidener wäre, so werde sie ihn künftig im letzten Akt nicht mehr heiraten.

Der junge Baron bewunderte, obwohl er vor Schüchternheit nur einige unzusammenhängende Redensarten hervorstottern konnte, die Isabella in hohem Grad und seine Augen sprachen anstatt seines Mundes.

Die junge Dame bemerkte recht wohl die Wirkung, welche sie auf ihn äußerte, und antwortete ihm durch einige schmachtende Blicke, zum großen Missfallen des Eisenfressers, welcher diese Schönheit im Stillen liebte, obwohl, im Hinblick auf sein groteskes Rollenfach, ohne Hoffnung.

Ein anderer gewandterer und keckerer Mann als Sigognac würde seinen Vorteil verfolgt haben; unser armer Baron aber hatte in seinem verfallenen Schloss keine Hofmanieren gelernt, und obwohl es ihm weder an Bildung noch an Witz mangelte, so erschien er doch in diesem Augenblick ziemlich albern.

Die sechs Flaschen waren gewissenhaft geleert und der Pedant machte mit der letzten die Nagelprobe. Der Matamor verstand diese Pantomime und ging hinaus, um aus dem Wagen mehr zu holen.

Der Baron konnte, obwohl er bereits ein wenig grau war, nicht umhin, auf die Gesundheit der Prinzessinnen noch ein volles Glas zu leeren, welches ihm vollends den Rest gab.

Der Pedant und der Tyrann tranken wie alte, erfahrene Säufer, die, wenn auch niemals völlig nüchtern, doch auch niemals völlig betrunken sind.

Der Matamor war enthaltsam wie ein Spanier und hätte leben können wie jene Hidalgos, die sich mittags an drei Oliven und abends an einer Mandolinenmelodie sättigen.

Diese Mäßigkeit hatte ihren guten Grund. Er fürchtete nämlich, wenn er zu viel äße und tränke, die gespenstische Magerkeit zu verlieren, welche sein bestes komisches Hilfsmittel war. Wenn er wohlbeleibt wurde, so verminderte sich sein Talent; deshalb schwebte er in beständiger Furcht und sah oft nach der Schnalle seines Gürtels, um sich zu überzeugen, ob er nicht zufällig seit dem vorigen Abend stärker geworden sei.

Die Duenna nahm eine furchtbare Masse feste und flüssige Nahrungsmittel in sich auf und ihre feiste Unterkehle wackelte taktmäßig mit der Bewegung ihrer noch sehr gut mit Zähnen ausgerüsteten Kinnladen.

Was die Serafina und Isabella betraf, so gähnten sie, da sie keinen Fächer zur Hand hatten, um die Wette hinter dem durchsichtigen Wall ihrer schönen, schlanken Finger.

Der junge Baron gewahrte dies trotz seines leichten Rausches und sagte zu ihnen: »Meine Damen, ich sehe, dass Sie, obwohl Sie aus Höflichkeit den Schlaf zu bekämpfen suchen, doch sich gern zur Ruhe begeben möchten. Gern möchte ich Ihnen jeder ein tapeziertes Zimmer mit Kabinett anweisen lassen, aber mein. armes Schloss geht in Trümmer wie mein ganzes Geschlecht, von welchem ich der Letzte bin. Ich trete Ihnen daher mein eigenes Zimmer ab, das einzige, in welches es nicht regnet. Sie werden darin beide mit Madame Platz finden. Das Bett ist breit und eine Nacht bald vorüber. Die Herren werden hierbleiben und sich mit den Sesseln und den Bänken behelfen. Vor allen Dingen fürchten Sie sich nicht vor den Bewegungen der Tapete, noch vor dem Ächzen des Windes in dem Schornstein, noch vor dem Trappeln der Mäuse. Ich kann Ihnen versichern, dass, obwohl es in diesem Haus sehr unheimlich aussieht, doch von Gespenstern keine Rede sein kann.«

»Ich spiele die Bradamante und bin durchaus nicht furchtsam«, sagte die Serafina lachend. »Die schüchterne Isabelle werde ich beruhigen und was unsere Duenna betrifft, so ist diese selbst ein wenig Zauberin und wenn der Teufel kommt, so wird sie mit ihm zu sprechen wissen.«

Sie ergriff ein Licht und führte die Damen in das Schlafzimmer, welches ihnen allerdings ein wenig unheimlich vorkam, denn die von dem Wind bewegte flackernde Flamme der Lampe ließ seltsame Schatten an den Balken der Decke hin und her huschen und ungeheuerliche Gestalten schienen sich in den nicht erleuchteten Ecken zusammenzuducken.

»Dies wäre eine vortreffliche Dekoration für den fünften Akt einer Tragödie«, sagte die Serafina, indem sie ihre Blicke um sich schweifen ließ, während Isabelle, als sie sich von dieser finsteren feuchten Atmosphäre umgeben fühlte, sich eines Schauers, halb vor Kälte, halb vor Furcht, nicht erwehren konnte.

Die drei Frauenzimmer schlüpften, ohne sich auszukleiden, unter die Decke.

Isabelle legte sich zwischen die Serafina und die Duenna, damit, wenn die haarige Tatze eines Phantoms oder Alps unter dem Bett hervorkäme, dieselbe zunächst eine ihrer Genossinnen packen möchte.

Die beiden mutigen Damen schliefen sehr bald ein, die furchtsame Dritte aber lag noch lange, die offenen Augen auf die verschlossene Tür richtend, als ob sie jenseits derselben Welten von Gespenstern und Schreckensgestalten ahnte.

Die Tür öffnete sich jedoch nicht und kein Gespenst kam in sein Schweißtuch gehüllt und seine Ketten schüttelnd zum Vorschein, obwohl sich in den leeren Gemächern zuweilen seltsame Geräusche hören ließen. Zuletzt streute der Schlaf jedoch seinen Goldstaub selbst auf die Augenlider der furchtsamen Isabelle und ihr gleichmäßiger Atemzug gesellte sich bald zu dem etwas kräftigeren ihrer Nachbarinnen.

Der Pedant schlief mit geschlossenen Fäusten und mit der Nase auf dem Tisch liegend dem Tyrannen gegenüber, welcher schnarchte wie eine Orgelpfeife und träumend einige Fragmente von Trauerspielversen stammelte.

Der Matamor hatte sich, den Kopf auf der Lehne eines Sessels und die ausgestreckten Füße auf den Feuerböcken des Kamins ruhen lassend, in seinen grauen Mantel gehüllt und glich einem in Papier eingewickelten Hering.

Leander hielt, um seine Frisur nicht in Unordnung zu bringen, den Kopf gerade und schlief wie aus einem Stück.

Sigognac hatte sich in einen der noch leer gebliebenen Sessel geworfen, die Ereignisse des Abends aber hatten ihn zu sehr aufgeregt, als dass er hätte schlafen können.

Zwei junge Frauen unterbrechen nicht auf diese Weise das Leben eines jungen Mannes, ohne es zu beunruhigen, besonders wenn dieser junge Mann bisher das traurige, keusche isolierte Leben geführt hatte, welches durch jene harte Stiefmutter, die man die Armut nennt, von allen Freuden seines Alters ferngehalten worden war.

Man wird sagen, es sei nicht wahrscheinlich, dass ein junger Mann von zwanzig Jahren noch keine Liebschaft gehabt habe. Sigognac war aber stolz und da er nicht mit dem seinem Rang und seinem Namen entsprechenden Glanz auftreten konnte, so blieb er zu Hause.

Seine Eltern, deren Hilfe er ohne zu erröten hätte in Anspruch nehmen können, waren tot und er vertiefte sich mit jedem Tag mehr in Zurückgezogenheit und Vergessenheit.

Allerdings war er auf seinen einsamen Spaziergängen zuweilen der schönen Yolande de Foix begegnet, wenn sie auf ihrem weißen Ross in Begleitung ihres Vaters und junger Kavaliere den Hirsch verfolgte. Diese blendende Vision erschien ihm oft in seinen Träumen, aber welche Beziehung konnte jemals zwischen dem schönen und reichen Edelfräulein und ihm, dem armen, herabgekommenen Junker, bestehen?

Weit entfernt, sich zu bemühen, von ihr bemerkt zu werden, hatte er sich daher, so oft er ihr begegnete, so viel als möglich von der Seite gedrückt, weil er durch seinen elenden, verbogenen Filzhut, seine von den Ratten abgenagte Hutfeder, seine abgetragenen, für ihn viel zu weiten Kleider, seinen alten frommen Gaul, der sich für einen Landgeistlichen weit besser geeignet hätte als für einen Edelmann, keinen Stoff zum Lachen geben wollte, denn nichts ist für einen Mann, der das Herz auf dem rechten Flecke hat, schmerzlicher, als der Person, die er liebt, lächerlich zu erscheinen, und er hatte, um diese keimende Leidenschaft zu ersticken, alle kaltblütigen Überlegungen angestellt, welche die Armut einflößt.

Hatte es ihm etwas geholfen?

Dies können wir nicht sagen. Er glaubte es aber wenigstens und hatte jene Idee als eine Chimäre von sich gewiesen. Er fühlte sich ohnehin unglücklich genug, ohne dass er seinen Schmerzen auch noch die Qualen einer unmöglichen Liebe zuzugesellen brauchte.

Die Nacht verging, ohne dass sich weiter etwas ereignet hätte, als dass Isabella ein wenig durch Beelzebub erschreckt wurde, der sich ihr auf die Brust gelegt hatte und nicht wieder fort wollte, weil er dieses Kissen sehr weich fand.

Was Sigognac betraf, so konnte er kein Auge zumachen, sei es nun, dass er nicht daran gewöhnt war, außerhalb seines Bettes zu schlafen, sei es nun, dass die Nähe der schönen Damen ihm keine Ruhe ließ.

Wir möchten aber fast glauben, dass ein unklares Projekt sich in seinen Gedanken zu bilden begann und ihn wach und munter hielt.

Die Ankunft dieser Schauspieler schien ihm ein Fingerzeig des Schicksals und gleichsam eine Botschaft des Glückes zu sein, welche ihn aufforderte, dieses alte Ritterschloss, wo seine Jugendjahre im Dunkel und nutzlos, sozusagen vermoderten, zu verlassen.

Der Tag begann zu grauen, und schon fiel ein bläulicher Schein durch die in Blei gefassten Fensterscheiben und ließ das Licht der dem Erlöschen nahen Lampen fahl und krankhaft erscheinen. Die Gesichter der Schläfer wurden durch diesen doppelten Reflex seltsam beleuchtet.

Die Soubrette erwachte zuerst. Sie richtete sich auf ihre kleinen Füße empor, schüttelte ihre Röcke wie ein Vogel sein Gefieder, fuhr sich mit der flachen Hand über das Haar, um demselben wieder einigen Glanz zu geben, und lenkte, als sie sah, dass der Baron von Sigognac mit hellen Augen wie ein Basilisk im Sessel saß, ihre Schritte zu ihm hin, um ihn mit einer niedlichen theatralischen Referenz zu begrüßen.

»Es tut mir leid«, sagte er, indem er der Soubrette ihren Gruß zurückgab, »dass der verfallene Zustand dieses Hauses, welches eher taugt, Gespenster als lebende Wesen zu beherbergen, mir nicht erlaubt hat, Sie auf angemessenere Weise zu empfangen. Gern hätte ich Sie in Tücher von holländischer Leinwand und unter eine Decke von indischem Damast gebettet, anstatt Sie sich hier auf diesem wurmstichigen Sessel erkälten zu lassen.«

»O, beklagen Sie dies nicht«, antwortete die Soubrette. »Hätten wir nicht bei Ihnen Aufnahme gefunden, so hätten wir die Nacht in einem im Dreck stecken gebliebenen Wagen zubringen müssen, um unter dem herabströmenden Regen vor Kälte zu klappern. Wie würde uns allen heute Morgen zumute sein! Übrigens ist dieses Nachtlager, welches Sie schmähen, ein wahrhaft luxuriöses zu nennen im Vergleich mit den allen Winden geöffneten Scheunen, in welchen wir Tyrannen und Opfer, Prinzen und Prinzessinnen, Leander und Soubretten während unseres unsteten Lebens als herumziehende Schauspieler oft gezwungen sind, auf Stroh zu übernachten.«

Während der Baron und die Soubrette diese Artigkeiten austauschten, stürzte der Pedant plötzlich mit lautem Geprassel zur Erde nieder. Sein Stuhl war, der ungewohnten Last müde, zusammengebrochen und der große starke Mann gebärdete sich, indem er Arme und Beine wie eine umgewendete Schildkröte bewegte, indem er dazu ein unartikuliertes Grunzen von sich gab.

Bei seinem Sturz hatte er sich mechanisch am Rand des Tischtuches festgehalten, sodass das ganze Tafelgeschirr ihm nachstürzte. Dieses Getöse schreckte sofort die ganze Gesellschaft empor.

Der Tyrann bot, nachdem er sich die Arme gedehnt und die Augen gerieben hatte, dem alten Komiker hilfreich die Hand und half ihm wieder auf die Füße.

»Dem Matamor könnte so etwas nicht passieren«, sagte der Herodes mit einem hohlen Gekrächze, welches bei ihm die Stelle des Lachens vertrat. »Der könnte in ein Spinngewebe fallen, ohne es zu zerreißen.«

»Das ist wahr«, entgegnete der auf diese Weise interpellierte Schauspieler, indem er seine langen Beine ausstreckte, »nicht jeder ist so glücklich, ein Polyphem, ein Cacus, ein Gebirge von Fleisch und Knochen zu sein wie du, ebenso wenig wie ein Weinschlauch oder ein zweibeiniges Fass wie Blasius.«

Dieser Lärm hatte die Folge, dass nach Verlauf von wenigen Augenblicken die Isabella, die Serafina und die Duenna auf der Schwelle der Tür erschienen.

Die beiden jungen Damen waren, obwohl ein wenig angegriffen und blass, auch bei hellem Tag immer noch sehr hübsch.

Für den jungen Baron waren sie förmlich strahlende Erscheinungen, obwohl ein tadelsüchtiger Beobachter an ihrer etwas schäbigen Eleganz allerlei auszusehen gefunden hätte.

Was haben auch in der Tat einige verschossene Bänder, einige fadenscheinige Stoffe, einige Ungereimtheiten der Toilette zu sagen, wenn die Trägerinnen derselben jung und hübsch sind?

Übrigens waren die an den Anblick alter, staubiger, verfallener Dinge gewöhnten Augen des Barons gar nicht imstande, diese kleinen Mängel zu bemerken. Was die Duenna betraf, so erfreute sie sich infolge ihres Alters des Vorrechts unveränderlicher Hässlichkeit und nichts konnte in diesem Gesicht wie von geschnitztem Buxbaum, aus welchem Uhuaugen leuchteten, eine Veränderung hervorbringen. Sonnenschein oder Kerzenlicht waren ihm eines so gleichgiltig wie das andere.

Es dauerte nicht lange, so trat Pierre ein, um das Zimmer in Ordnung zu bringen, Holz in den Kamin zu werfen, wo noch einige Kohlen in der weißen Asche glimmten, und die dem befriedigten Hunger so widerlichen Überreste des Schmauses verschwinden zu lassen.

Die emporlodernde Flamme bewog die ganze Gesellschaft, in einem Halbkreis davor Platz zu nehmen.

Ein helles, gemütliches Feuer ist nach einer Nacht wie die soeben verlebte allemal angenehm, und das Missbehagen, welches kurz zuvor noch auf mehreren Gesichtern geschrieben stand, verschwand unter diesem wohltätigen Einfluss gänzlich.

Isabella streckte die innere Fläche ihrer kleinen Hände gegen das Feuer, sodass ein rosiger Schimmer auf ihr Gesicht zurückfiel und die Blässe desselben weniger sichtbar machte. Donna Serafina, welche größer und rüstiger war, stand hinter ihr wie eine ältere Schwester, welche, weniger ermüdet als die jüngere, diese sich setzen ließ.

Was den Matamor betraf, welcher auf einem seiner Storchbeine stand, so träumte er halb wach wie ein Wasservogel, welcher mit dem Schnabel unter dem Flügel und einem Fuß unter den Bauch hinaufgezogen am Rand eines Sumpfes steht.

Blasius, der Pedant, leckte sich die Lippen und hob die Flaschen eine nach der anderen empor, um zu sehen, ob sich noch eine Perle Flüssigkeit darin befände.

Der junge Baron hatte Pierre beiseite genommen, um ihn zu fragen, ob man im Dorf nicht einige Dutzend Eier oder einige Hühner auftreiben könnte, um den Schauspielern ein Frühstück zu bereiten, und der alte Diener hatte sich sofort aufgemacht, um den Auftrag schnellstens zu vollziehen, denn die Truppe hatte augenscheinlich die Absicht, sehr bald wieder aufzubrechen, um eine starke Tagesreise zurückzulegen und den Ort des Nachtlagers nicht allzu spät zu erreichen.

»Ich fürchte, Sie werden sehr schlecht frühstücken«, sagte Sigognac zu seinen Gästen, »und Sie werden sich mit einer pythagoräischen Mahlzeit begnügen müssen. Aber schlecht frühstücken ist immer noch besser, als gar nicht frühstücken, und es gibt sechs Meilen in der Runde weder eine Herberge noch ein Wirtshaus. Der Zustand dieses Schlosses hier sagt Ihnen, dass ich nicht reich bin, da aber meine Armut nur von dem Aufwand herrührt, den meine Ahnen im Krieg zur Verteidigung unserer Könige haben machen müssen, so brauche ich nicht darüber zu erröten.«

»Ganz gewiss nicht, gnädiger Herr«, antwortete der Herodes mit seiner Bassstimme, »und mancher, der mit seinem Reichtum prahlt, würde in große Verlegenheit kommen, wenn er die Quelle desselben nennen sollte. Während der gemeine Mann sich in Goldstoff kleidet, hat oft der Edelmann Löcher im Mantel, aber durch diese Löcher hindurch sieht man die Ehre.«

»Was mich aber wundert«, setzte Blasius hinzu, »ist, dass ein vollendeter Edelmann, wie Sie zu sein scheinen, gnädiger Herr, seine Jugend auf diese Weise sich in einer Einöde verzehren lässt, wo das Glück ihn nicht aufsuchen kann, wie große Lust es auch dazu haben möge. Wenn es an diesem Schloff, dessen Bauart vor zweihundert Jahren ganz gut ausgesehen haben kann, vorbeikäme, so würde es gleichwohl seinen Weg fortsetzen, weil es dasselbe für unbewohnt halten würde. Sie müssen nach Paris gehen, nach Paris, diesem Auge und Nabel der Welt, dem Sammelplatz schöner und tapferer Geister, dem Eldorado und dem Kanaan der französischen Spanier und christlicher Hebräer, dem Gelobten Land, welches durch die Sonnenstrahlen des Hofes beleuchtet wird. Dort wird der Herr Baron nicht verfehlen, seinem Verdienst gemäß ausgezeichnet zu werden und sich hervorzutun, sei es nun, dass er sich an eine vornehme, hochgestellte Person anschlösse, sei es, dass er eine glänzende Tat vollführte, zu welcher sich die Gelegenheit unfehlbar finden wird.«

Diese Worte des Schauspielers waren trotz der burlesken Ausdrücke gar nicht ohne Verstand. Sigognac fühlte die Richtigkeit derselben und hatte während seiner langen Spaziergänge durch die Ebenen bei sich selbst oft leise gesagt, was Blasius ihm nun laut sagte.

Aber er hatte kein Geld, um eine so weite Reise zu unternehmen, und er wusste auch nicht, wie er sich dessen verschaffen sollte. Er war nicht bloß tapfer, sondern auch stolz und fürchtete sich vor einem Lächeln mehr als vor einem Degenstoß.

Ohne große Bekanntschaft mit den Moden fühlte er doch, dass er in seiner abgetragenen und schon unter der vorigen Regierung altväterischen Kleidung eine lächerliche Erscheinung machte.

Nach der Gewohnheit aller durch die Armut schüchtern gemachten Leute brachte er nicht seine Vorzüge in Anschlag, sondern sah seine Lage nur von der schlimmen Seite. Vielleicht hätte er sich die Unterstützung einiger alten Freunde seines Vaters verschaffen können, wenn er die Bekanntschaft mit denselben ein wenig kultiviert hätte, dies war aber eine Anstrengung, welche nicht in seiner Natur lag, und lieber wäre er auf seiner Geldkasse sitzend und wie ein spanischer Hidalgo neben seinem Wappenschild einen Zahnstocher kauend gestorben, als dass er jemanden um einen Vorschuss oder ein Darlehen angesprochen hätte.

»Ich habe allerdings schon oft daran gedacht«, entgegnete er, »aber ich habe keine Freunde in Paris und die Nachkommen derer, welche vielleicht meine Familie gekannt haben, als dieselbe noch reich war und Ämter bei Hofe begleitete, werden sich nicht viel um einen Sigognac kümmern, welcher ausgehungert und mager, mit Klauen und Schnabel von seinem verfallenen Turm herabgeflogen kommt, um seinen Anteil an der gemeinsamen Beute zu beanspruchen. Übrigens sehe ich nicht ein, warum ich mich schämen sollte, es zu sagen, dass ich mich nicht in erforderlicher Weise equipieren und auf einem meines Namens würdigen Fuße erscheinen könnte. Ich weiß nicht einmal, ob ich, wenn ich all meine Mittel und auch die Pierres zusammenraffte, genug haben würde, um nur bis nach Paris zu gelangen.«

»Aber«, hob Blasius wieder an, »Sie brauchen ja nicht triumphierend in die große Stadt einzuziehen wie ein römischer Cäsar auf einem von vier weißen Pferden gezogenen Wagen. Wenn unser bescheidener Stierwagen nicht Ihren Stolz empört, Herr Baron, so kommen Sie mit uns nach Paris, da unsere Truppe sich dorthin begibt. Dort glänzt jetzt mancher, welcher zu Fuß, mit seinem Bündel auf der Spitze seines Rapiers und seine Schuhe in der Hand tragend, um sie nicht abzunutzen, seinen Einzug gehalten.«

Eine schwache Röte färbte Sigognacs Wangen, teils vor Scham, teils vor Freude. Wenn einerseits der Adelsstolz sich in ihm gegen den Gedanken empörte, einem armen herumziehenden Schauspieler etwas zu verdanken zu haben, so wurde andererseits seine angeborene Herzensgüte durch ein Anerbieten gerührt, welches ihm in offener, biederer Weise gemacht wurde, und welches seinem geheimen Wunsch so gut entsprach.

Überdies fürchtete er, wenn er dieses Anerbieten zurückwiese, die Eigenliebe des Schauspielers zu verletzen und vielleicht eine Gelegenheit zu versäumen, die sich ihm nie wieder darbieten würde.

Er schwankte daher unentschieden zwischen Ja und Nein und wog diese beiden entscheidenden Silben in der Waage des Nachdenkens, als Isabelle, mit anmutiger Miene vortretend und sich vor den Baron und Blasius stellend, folgende Worte sprach, welche der Ungewissheit des jungen Mannes sofort ein Ende machten: »Unser Dichter, dem eine unverhoffte Erbschaft zugefallen ist, hat uns verlassen, und der Herr Baron könnte denselben ersehen, denn ich habe, ohne es zu wollen, in einem Bändchen von Ronsards Gedichten, welches neben seinem Bett auf dem Tisch lag, ein an vielen Stellen korrigiertes Sonett gefunden, dessen Verfasser er jedenfalls ist. Er könnte unsere Rollen zurechtlegen, die nötigen Weglassungen, Zusätze und Änderungen bewirken und im Notfall auch ein Stück schreiben, wozu ihm die Idee gegeben würde. Ich habe gerade einen italienischen Entwurf, in welchem sich eine allerliebste Rolle für mich befindet, wenn jemand das Stück ausarbeiten wollte.«

Indem Isabella dies sagte, warf sie dem Baron einen so sanften und zugleich so durchdringenden Blick zu, dass er nicht widerstehen konnte.

Die Ankunft Pierres, welcher einen gewaltigen Eierkuchen mit Speck und einen respektablen Schinken brachte, unterbrach dieses Gespräch. Die ganze Truppe setzte sich um den Tisch herum und begann mit gutem Appetit zu essen.

Was Sigognac betraf, so berührte er die ihm vorgesetzten Speisen kaum. Seine gewohnte Mäßigkeit war so dicht aufeinanderfolgende Mahlzeiten nicht gewöhnt, und übrigens gingen ihm nun auch so viele Gedanken im Kopf herum.

Als das Mahl beendet war, und während der Ochsentreiber die Jochriemen an den Hörnern seiner Stiere befestigte, kamen Isabelle und Serafine auf den Einfall, in den Garten hinunterzugehen, welchen man vom Hof aus gewahrte.

» Ich fürchte«, sagte der Baron, indem er ihnen die Hand bot, um sie die wackeligen, moosbewachsenen Stufen hinabzugeleiten, »dass Sie an dem Dorngestrüpp einige Fetzen Ihres Kleides hängen lassen werden, denn wenn man sagt, dass es keine Rose ohne Dornen gibt, so gibt es doch dafür genug Dornen ohne Rosen.«

Der junge Baron sagte dies in jenem melancholisch-ironischen Ton, welcher ihm eigen war, wenn er auf seine eigene Armut anspielte, gerade aber, als ob der geschmähte Garten ihn Lügen strafen wollte, zeigten sich plötzlich zwei kleine wilde Rosen an einem querüber ragenden Zweig, welcher den jungen Damen den Weg versperrte.

Sigognac pflückte die Rosen und bot sie galant Isabella und der Serafina, indem er sagte: »Ich glaubte nicht, dass mein Garten noch so etwas böte. Es wachsen in der Regel darin nur schlechte Pflanzen und aus Brennnesseln und Schierling kann man keinen Strauß binden. Nur durch die Allgewalt Ihrer Blicke, meine schönen Damen, können diese Röschen so plötzlich hervorgezaubert worden sein.«

Isabella befestigte die Hagedornrose sorgfältig an ihrem Leibchen, indem sie dem jungen Mann einen langen Dankesblick zuwarf, welcher bewies, welchen hohen Wert sie auf dieses Geschenk legte.

Serafine hielt den Stängel ihrer Blume zwischen den Zähnen fest, um die bleiche Rose mit dem dunklen Rot ihrer Lippen wetteifern zu lassen.

So ging man bis zu der mythologischen Statue, deren Phantom am Ende der Allee sich zeigte, während Sigognac die Zweige, welche das Gesicht seiner Begleiterinnen gepeitscht haben würden, auf die Seite bog.

Die junge naive Schauspielerin betrachtete mit einem gewissen Grad von Interesse und Rührung diesen verwilderten Garten, der mit diesem verfallenen Schloss in solchem Einklang stand. Sie dachte an die traurigen Stunden, welche Sigognac in diesem Wohnsitz der Langweile, des Mangels und der Einsamkeit gezählt haben musste, wenn er die Stirn an das Fenster gelehnt, die Augen auf die öde Landstraße heftete, ohne andere Gesellschaft zu haben als einen weißen Hund und eine schwarze Katze.

Die etwas härteren Züge der Serafine verrieten weiter nichts als kalte Verachtung hinter der Maske der Höflichkeit. Sie fand diesen Edelmann entschieden allzu sehr herabgekommen, obwohl sie sich eines gewissen Respekts vor betitelten Leuten nicht entziehen konnte.

»Hier ist die Grenze meines Gebietes«, sagte der Baron, als er vor der Felsennische anlangte, wo Pomona moderte. »Früher gehörten, so weit der Blick von der Höhe dieser Türme reichte, der Berg und die Ebene, das Feld und die Heide meinen Ahnen, aber es bleibt mir gerade noch genug, um die Stunde zu erwarten, wo der Letzte der Sigognac sich zu seinen Vätern in der Familiengruft versammeln wird, welche fortan ihr einziges Besitztum ist.«

»Wissen Sie, dass dergleichen düstere Gedanken sich für Sie eigentlich nicht schicken?«, entgegnete Isabella, indem sie eine heitere Miene annahm, um die Wolke von Traurigkeit zu verscheuchen, welche Sigognacs Stirn zu überziehen drohte. »Fortuna ist ein Weib und obwohl man sie für blind hält, so weiß sie doch zuweilen einen Kavalier von Geburt und Verdienst recht wohl von der großen Menge zu unterscheiden. Man muss nur immer bemüht sein, ihr in den Weg zu kommen. Entschließen Sie sich daher; kommen Sie mit uns und vielleicht machen in einigen Jahren die Türme von Sigognac, mit neuem Schiefer gedeckt, restauriert und frisch getüncht eine ebenso stolze Figur, wie sie jetzt eine klägliche machen. Übrigens würde es mich auch wahrhaft betrüben, Sie in diesem Eulenschloss allein zurücklassen zu müssen«, setzte sie in gedämpftem Ton und so leise hinzu, dass die Serafine es nicht hören konnte.

Der sanfte Glanz, welcher aus Isabellas Augen leuchtete, triumphierte über das Widerstreben des Barons. Der Reiz eines galanten Abenteuers ließ ihn das Demütigende übersehen, was eine auf diese Weise zurückgelegte Reise für ihn haben konnte. Es war nichts Herabwürdigendes, einer Schauspielerin aus Liebe nachzulaufen und sich als Schmachtender an den Thespiskarren zu spannen, denn selbst die feinsten Kavaliere hätten kein Bedenken getragen, dies zu tun.

Der kleine Liebesgott nötigt gern Götter und Helden zu tausenderlei bizarren Handlungen und Verkleidungen. Jupiter nahm die Gestalt eines Stiers an, um Europa zu verführen, Hercules spann seinen Rocken zu den Füßen der Omphale, Aristoteles der Weise lief auf allen vieren und ließ seine Geliebte auf sich reiten – lauter Dinge, die mit der göttlichen und menschlichen Würde in Widerspruch stehen.

Aber war der junge Baron auch wirklich verliebt in Isabella? Diese Frage versuchte er nicht genau zu erörtern, wohl aber fühlte er, dass es ihm fortan schrecklich und unerträglich sein würde, in diesem Schloss zu bleiben, welches einen Augenblick lang durch die Gegenwart eines jungen anmutigen Wesens belebt worden war.

Er fasste daher nun seinen Entschluss sehr schnell, bat die Schauspieler ein wenig auf ihn zu warten, nahm Pierre auf die Seite und vertraute ihm sein Projekt an.

Der treue Diener verhehlte, obwohl es ihm schmerzlich war, sich von seinem Herrn trennen zu sollen, sich nicht die Übelstände, welche ein längeres Verweilen hier auf Sigognac zur Folge haben musste, und obwohl eine Truppe Schauspieler ihm für einen Herrn von Sigognac ein seltsames Gefolge zu sein schien, so gab er diesem Mittel, das Glück zu versuchen, immer noch den Vorzug vor der immer mehr zunehmenden Stumpfheit, welche sich besonders seit zwei oder drei Jahren des jungen Barons bemächtigt hatte.

Es dauerte nicht lange, so hatte er die wenigen Effekten, die sein Herr besaß, in einen Mantelsack zusammengepackt, die wenigen in den Schubfächern eines alten Geldschrankes herumliegenden Münzen in eine Börse gesteckt und, ohne etwas davon zu sagen, seine eigenen kleinen Ersparnisse hinzugefügt – ein bescheidenes Opfer, welches der Baron vielleicht gar nicht einmal bemerkte, denn Pierre bekleidete außer den verschiedenen Ämtern, welche er im Schloss versah, auch das eines Schatzmeisters, eine wahrhafte Sinekure.

Das weiße Pferd wurde gesattelt, denn Sigognac wollte, um seine Abreise zu verheimlichen, erst in einer Entfernung von zwei oder drei Meilen in den Wagen der Schauspieler steigen. Auf diese Weise tat er, als ob er seinen Gästen bloß das Geleit gäbe. Pierre sollte zu Fuß folgen und das Pferd später in den, Stall zurückführen.

Die Stiere waren angespannt und bemühten sich trotz des auf ihrer Stirn lastenden Joches, ihre feuchten schwarzen Schnauzen emporzuheben, von welchen lange silberne Geiferfäden herabhingen; die roten und gelben Mützchen, welche sie auf den Köpfen trugen, und die Decken von weißer Leinwand, welche ebenso wie die Mützen den Zweck hatten, sie gegen Fliegenstiche zu schützen, verliehen ihnen ein majestätisches Ansehen.

Vor ihnen stehend, stemmte der Treiber, ein langer, kräftiger, wilder Bursche, wie ein Hirt der römischen Campagna, sich auf den Stiel seines Stachels in einer Stellung, welche höchstwahrscheinlich, ohne dass er es selbst wusste, an die der griechischen Heroen auf den antiken Basreliefs erinnerte.

Isabelle und Serafine saßen auf dem Vorderteil des Wagens, um die Aussicht zu genießen; die Duenna, der Pedant und der Leander nahmen den Hintergrund ein, denn es lag ihnen mehr daran, ihren Schlaf fortzusehen, als die eintönige Aussicht auf die Ebenen zu bewundern.

Alles war bereit. Der Treiber berührte seine Tiere, welche die Köpfe senkten und ihre muskulösen Beine einstemmten, und der Wagen kam in Bewegung, die Achsen krächzten, die schlecht geschmierten Räder schrien und das Gewölbe der Vorhalle erdröhnte unter dem dumpfen Stampfen des Gespanns. Die Reise ging fort.

In dem Augenblick, wo Sigognac diese traurige Wohnung verließ, fühlte er sein Herz schmerzlich bedrückt. Er warf noch einen letzten Blick auf diese schwarzen Mauern und fühlte sich gewissermaßen undankbar gegen das arme, alte, verfallene Schloss, welches ihn dennoch so gut wie möglich geschützt und trotz seines Verfalls hartnäckig stehen geblieben war, um ihn nicht durch seinen Einsturz zu zermalmen, gerade wie ein achtzigjähriger Diener sich, solange sein Herr zugegen ist, auf seinen zitternden Füßen hält.

Als er, dem Wagen voranreitend, aus dem Tor herauskam, trug ihm ein Windstoß den frischen Duft des von dem Regen abgewaschenen Heidekrautes, das angenehme scharfe Aroma des Heimatlandes zu. Eine ferne Glocke läutete und die metallenen Schwingungen wurden auf den Fittichen desselben Lufthauches hergetragen, welcher den Heidekrautduft brachte.

Dies war zu viel und Sigognac machte, von gewaltigem Heimweh ergriffen, obwohl er kaum erst einige Schritte von seiner Wohnung hinweg war, eine Bewegung, um wieder umzulenken. Das alte Ross bog schon seinen Hals in der angedeuteten Richtung mit einer Schnelligkeit, die man von seinem Alter nicht hätte vermuten sollen. Miraut und Beelzebub hoben gleichzeitig die Köpfe empor, als ob sie wüssten, was in den Gedanken ihres Herrn vorging, blieben stehen und hefteten ihre fragenden Blicke auf ihn.

Das Resultat dieser Bewegung war jedoch ein anderes, als man davon hätte erwarten können, denn Sigognacs Blick begegnete dabei dem Isabellas und diese legte in den ihrigen eine so schmeichelnde Anmut und eine so verständliche, obwohl stumme Bitte, dass der junge Baron fühlte, wie er bald rot, bald blass wurde. Er vergaß die verfallenen Mauern seines alten Schlosses, den Wohlgeruch des Heidekrautes und das Läuten der Glocke, obwohl diese ihren wehmütigen Ruf immer noch ertönen ließ, riss scharf in den Zügel und bewog sein Pferd durch einen kräftigen Druck der Schenkel, ihn schneller vorwärtszutragen.

Der Kampf war beendet, Isabelle hatte gesiegt.

Der Wagen lenkte in die Landstraße ein und die Stiere konnten von nun an die schwere Maschine, an welche sie gespannt waren, etwas schneller bewegen. Sigognac bildete nach einiger Zeit nicht mehr den Vor-, sondern den Nachtrab, um nicht eine allzu auffällige Aufmerksamkeit gegen Isabella an den Tag zu legen, vielleicht auch, um sich ungestörter den Gedanken hingeben zu können, welche seine Seele bewegten.

Die pfefferbüchsenförmigen Türme des Schlosses waren schon halb hinter den buschigen Bäumen verschwunden.

Der Baron hob sich im Sattel, um sie noch einmal zu sehen, und als er seine Blicke wieder zu Boden senkte, gewahrte er Miraut und Beelzebub, deren klägliche Gesichter den ganzen Schmerz ausdrückten, dessen eine Tierlarve fähig ist.

Miraut versuchte bis an das Gesicht seines Herrn emporzuspringen, um es zum letzten Mal zu lecken. Sigognac, welcher die Absicht des armen Tieres erriet, fasste es bei der allzu weiten Haut seines Halses, zog es auf den Sattelknopf herauf und küsste ihm die schwarze Schnauze, ohne sich der nassen Liebkosung zu entziehen zu suchen, welche das dankbare Tier dem Schnurrbart seines Herrn widerfahren ließ.

Beelzebub war mittlerweile auf der anderen Seite an dem Stiefel und Schenkel des Reiters hinaufgeklettert und bat schnurrend und seine großen gelben Augen rollend ebenfalls um ein Zeichen des Abschieds.

Der junge Baron fuhr zwei- oder dreimal mit der Hand über den Schädel des Katers, welcher sich emporrichtete, um diese freundschaftliche Berührung besser zu genießen.

Wir hoffen, man wird nicht über unseren Helden lachen, wenn wir sagen, dass diese bescheidenen Beweise von der Liebe dieser wohl die Seele, aber nicht das Gefühl entbehrenden Geschöpfe ein seltsames Gefühl in ihm erweckten und dass zwei aus seinem Herzen emporgestiegene Tränen auf Mirauts und Beelzebubs Köpfe fielen, und sie auf diese Weise im menschlichen Sinne des Wortes zu Freunden ihres Herrn tauften.

Die beiden Tiere folgten eine Zeit lang mit dem Auge dem jungen Baron, welcher sein Pferd in Trab setzte, um den Wagen wieder einzuholen, und machten, nachdem sie ihn an einer Biegung des Weges aus den Augen verloren, sich brüderlich miteinander auf den Rückweg.

Das Regenwetter der Nacht hatte auf dem sandigen Boden der Ebenen nicht die Spuren zurückgelassen, welche auf einem weniger unfruchtbaren unter solchen Umständen zurückzubleiben pflegen. Die bloß erfrischte Landschaft besaß nun einen gewissen Grad ländlicher Schönheit und am Rand des Horizonts zeigten sich die fernen Gipfel der Pyrenäen in den leichten Dunst eines Herbstmorgens gehüllt.

Bei jeder gefährlichen Stelle des Weges, wie deren ziemlich häufig vorkamen, half Sigognac Isabella, welche furchtsamer oder weniger träge war als die Serafina oder die Duenna, vom Wagen heruntersteigen.

Was den Tyrannen und den Blasius betraf, so schliefen sie sorglos, zwischen den Kisten hin- und hergeworfen, wie Leute, die noch ganz andere Fährlichkeiten zu bestehen gehabt hatten.

Der Matamor schritt neben dem Wagen her, um durch die Bewegung seine gespenstische Magerkeit, auf die er stets die größte Sorgfalt verwendete, zu befördern, und wer ihn von Weitem seine langen Beine emporheben gesehen, hätte ihn für eine riesige, in dem Heidekraut einher marschierende Heuschrecke gehalten haben. Er machte dabei so furchtbare Schritte, dass er sich oft genötigt sah, stehen zu bleiben, um die übrige Gesellschaft nachkommen zu lassen.

Ein mit Ochsen bespannter Wagen geht nicht sehr schnell, besonders auf einem Terrain, wo die Räder zuweilen bis an die Achsen in den Sand einschneiden, und wo die Straßen sich von dem übrigen Boden nur durch Gleise von einem bis zwei Fuß Tiefe unterscheiden.

Die Sonne stand daher schon hoch am Himmel, als man erst zwei Lieues zurückgelegt hatte. Die Bauern, welche mit einem Bündel Gras oder Strauchwerk die Straße überschritten, wurden jedoch schon immer weniger zahlreich und Sigognac hielt es daher für zwecklos, seinen armen alten Gaul noch länger zu ermüden. Er schwang sich aus dem Sattel und warf die Zügel dem Diener zu, dessen verwitterte Züge die Blässe einer tiefen Gemütsbewegung zeigten.

Der Augenblick der Trennung des Herrn und des Dieners war gekommen, ein schmerzlicher Augenblick, denn Pierre war mehr als der bescheidene Freund des Barons denn als der Diener desselben zu betrachten.

»Gott geleite Sie, gnädiger Herr«, sagte er, indem er sich über die Hand neigte, welche der Baron ihm bot. »Möge es Ihnen gelingen, den Glanz der Sigognac wieder herzustellen. Ich bedauere nur, dass Sie mir nicht erlaubt haben, Sie zu begleiten.«

»Was hätte ich in dem unbekannten Leben, welchem ich entgegengehe, mit dir beginnen sollen, mein armer Pierre?«, entgegnete der Baron. »Bei den wenigen Hilfsmitteln, die mir zu Gebote stehen, kann ich dem Zufall tatsächlich nicht die Sorge für zwei Existenzen aufbürden. In dem Schloss wirst du zur Not immer leben können. Unsere vormaligen Pächter werden den treuen Diener ihres Herrn nicht Hungers sterben lassen. Übrigens darf das Schloss der Sigognac nicht den Eulen und den Nattern preisgegeben werden. Die Seele dieser alten Wohnung existiert noch in mir und, so lange ich lebe, soll neben seinem Portal ein Hüter stehen, welcher die Knaben abhält, mit den Steinen ihrer Schleudern nach meinem Wappenschild zu zielen.«

Der Diener machte eine Gebärde der Zustimmung, denn er hing wie alle alten Diener edler Familien mit unverbrüchlicher Liebe an dem Wohnsitz derselben, und sah darin immer noch eines der schönsten Schlösser der Welt.

»Und übrigens«, setzte der Baron lächelnd hinzu, »wer sollte für Bayard, für Miraut und für Beelzebub sorgen?«

»Das ist wahr, gnädiger Herr«, antwortete Pierre und ergriff den Zügel Bayards, dessen Hals Sigognac mehrmals liebkosend zum Abschied streichelte.

Als das gute Pferd sich von seinem Herrn trennte, wieherte es mehrmals und noch lange hörte Sigognac den in der Ferne immer schwächer werdenden liebreichen Zuruf des dankbaren Tieres.

Als der junge Baron endlich allein war, empfand er das Gefühl des Reisenden, welcher sich einschifft und den seine Freunde bis an den Hafen begleitet haben. Es ist dies vielleicht der bitterste Augenblick der Abreise. Die Welt, in welcher man bisher gelebt, zieht sich zurück, und man beeilt sich, seine Reisegefährten zu erreichen, so entblößt und traurig fühlt sich die Seele und so sehr bedürfen die Augen den Anblick eines menschlichen Gesichtes.

Sigognac beschleunigte daher seinen Schritt, um den Wagen einzuholen, dessen Räder Furchen in den Sand zogen, wie Pflugschaaren in weiches Erdreich. Als Isabella den Baron neben dem Wagen hergehen sah, klagte sie, dass sie schlecht säße und wollte absteigen, um sich, wie sie sagte, ein wenig auszugehen, in der Tat aber in der menschenfreundlichen Absicht, den jungen Mann nicht eine Beute der Melancholie werden zu lassen, sondern ihn durch heitere Konversation zu zerstreuen.

Der Schleier von Schwermut, welcher Sigognacs Gesicht bedeckte, zerriss auch in der Tat wie eine Wolke, durch welche ein Sonnenstrahl fällt, als Isabella ihn um die Erlaubnis bat, sich auf seinen Arm stützen zu dürfen, um auf der an dieser Stelle sehr ebenen Straße einige Schritte zu gehen.

So wanderten sie nebeneinanderher. Isabella rezitierte Sigognac einige Verse aus einer ihrer Rollen, womit sie nicht zufrieden war und worin sie einige Abänderungen getroffen zu sehen wünschte, als plötzlich rechts von der Straße in dem Wald sich Hörnerschall vernehmen ließ, mehrere Reiter, die Zweige der Bäume teilend, hervorsprengten und die jugendliche Yolande de Foir in ihrem ganzen Glanz als jagende Diana auf der Mitte des Weges erschien.

Der rasche Ritt hatte ihren Wangen eine höhere Röte verliehen, ihre rosenfarbenen Nüstern zitterten und ihr Busen schlug unter dem Samt und Gold ihres Mieders schneller.

Einige Risse in ihrem langen Reitkleid und einige Risswunden in den Flanken ihres Pferdes bewiesen, dass die unerschrockene Amazone weder Dickichte noch Gestrüpp fürchtete. Obwohl der Eifer des edlen Tieres keiner Anregung bedurfte, so kitzelte sie ihm doch die Kruppe mit der Spitze einer Reitgerte, deren Knopf aus einem Amethyst bestand, auf welchen ihr Wappen graviert war.

Das Pferd bäumte und kurbettierte zur großen Bewunderung der drei oder vier reich kostümierten und berittenen jungen Edelleute, welche der anmutigen Kühnheit dieser neuen Bradamante Beifall zujubelten.

Es dauerte nicht lange, so ließ sie, dieses Spiel aufgebend, ihrem Pferd den Zügel schießen und sprengte rasch an Sigognac vorüber, auf welchen sie einen verächtlichen, aristokratisch insolenten Blick fallen ließ.

»Sehen Sie doch«, sagte sie zu den drei Kavalieren, welche hinter ihr her galoppierten, »der Baron von Sigognac macht den Ritter einer Zigeunerin!«

Und der Trupp jagte mit lautem Gelächter in einer Staubwolke vorüber.

Sigognac fuhr mit einer Bewegung des Zornes und der Scham rasch mit der Hand nach dem Griff seines Degens, aber er war zu Fuß und es wäre Wahnsinn gewesen, Reitern nachlaufen zu wollen. Übrigens konnte er doch auch Yolande nicht zum Zweikampf herausfordern.

Ein schmachtender, unterwürfiger Blick der Schauspielerin machte ihn das übermütige Benehmen des Edelfräuleins bald vergessen.

Der Tag verging, ohne dass sich weiter etwas Bemerkenswertes ereignet hätte, und gegen vier Uhr langte man an dem Ort an, wo gespeist und übernachtet werden sollte.

In dem Schloss Sigognac war der Abend sehr traurig. Die Bildnisse der Ahnen schauten noch mürrischer drein als gewöhnlich, was man nicht für möglich gehalten hätte. Die Treppe knarrte noch lauter und die Zimmer schienen noch größer und kahler. Der Wind heulte seltsam in den Korridoren und die Spinnen ließen sich unruhig und neugierig am Ende ihres Fadens von der Decke herab. Das alte verfallene Haus schien die Abwesenheit seines jungen Herrn zu verstehen und sich darüber zu betrüben.

Unter dem Mantel des Kamins teilte Pierre bei dem räucherigen Schein eines Harzlichtes seine magere Mahlzeit mit Miraut und Beelzebub und in dem Stall hörte man Bayard an seiner Kette zerren und an die Krippe pochen.