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Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl – 12. Kapitel

Heinrich Döring
Die wundersamen Märlein vom Berggeist Rübezahl
Verlag C. F. Schmidt, Leipzig, ca. 1840

Zwölftes Kapitel

Wie es dem Glashändler Hans erging auf der Riesenkoppe und wie er aus einem armen Mann ein reicher wurde

Es begab sich aber, dass Rübezahl, lange umhergespäht nach dem Glashändler Hans, den sein Weg, wie er wusste, über die Riesenkoppe führte, ihn ein­herschreiten sah, gar lustig und guter Dinge, einen Kasten auf dem Rücken, voll der schönsten Tafeln böhmischen Glases, die er um einen gar billigen Preis gekauft hatte. Die Sonne brannte sehr, und erschöpft setzte er seinen Kasten auf einen Baumstamm und warf sich hin auf den Rasen, die müden Glieder behaglich ausstreckend. Als er nun so dalag, seinen vorteilhaften Einkauf überdachte und sich ergötzte an mancherlei lustigen Plänen und Entwürfen, wie er es sich künftig bequemer machen und zur Fortschaffung seiner Waren sich einen Esel kaufen wollte, vielleicht auch einen Acker und ein Gärtchen, und zu der Ziege und den Zicklein eine Kuh – da erhob sich plötzlich ein Wirbelwind, der den Kasten von dem Baumstamm den Berg hinabschleuderte, dass klirrend die herrlichen Glastafeln in tausend Stücke zerbrachen. Als er nun dastand, starr vor Schreck, und laut aufschreien wollte und doch nicht konnte, da erscholl ein gellendes Gelächter. Es wurde ihm bald klar, wer ihm den tückischen Streich gespielt hatte.

»Heilloser Berggeist! Verdammter Rübezahl!«, rief Hans, trostlos die Hände ringend. »Dass dich der Satan packte und dich hinabschleuderte in den tiefsten Pfuhl der Hölle! Du Rübenzähler! Du Jungfernräuber! Du böser heimtückischer Kobold! Komm! Hier bin ich! Erwürge mich! Hast du mir alles genommen, so nimm mir auch das Leben!« Kaum hatte er seinem Schmerz Luft gemacht durch diese Verwünschungen, als seine Wangen ihm hoch anschwollen durch ein paar derbe Maulschellen von unsichtbarer Hand. Ein Prügelregen ergoss sich auf seinen Rücken, und von unwiderstehlicher Gewalt den Berg hinabgetrieben, erreichte er seine Hütte in dem kläglichsten Zustand. Mit Tränen schilderte er seiner Frau ausführlich, wie es ihm ergangen war, und schloss seinen Jammerbericht mit den Worten: »Du siehst, es bleibt uns nichts übrig, als dass wir das Letzte verkaufen, was wir noch haben, die Ziege, meine ich, und die Zicklein, und dass ich mit dem daraus gelösten Geld wieder zurückwandere nach Böh­men, um neue Glastafeln zu kaufen.«

Da nahm aber Liese das Wort und sprach: »Ach, lieber Hans, die Ziege und das Zicklein sind tot.«

»Tot?«, entgegnete Hans und das Wort erstarb ihm beinahe auf der Zunge. »Tot die Ziege und die Zicklein? Dass sich Gott erbarme! Dann gibt es keine Rettung mehr für uns alle als einen schleunigen Tod.«

Als Hans noch so sprach und in dem kleinen Stüblein hin- und herlief, vor namenlosem Jammer die Hände ringend, unter lauten Verwünschungen Gottes, der ihn so hart gezüchtigt, da trat der Pfarrer des Dorfes ins Zimmer und verkündete, er bringe ihm eine frohe Botschaft. Hans aber wollte sie gar nicht hören in seinem Unmut.

»Möchte sie«, meinte er, »bestehen, worin sie wolle, meine Ziege und meine Zicklein bekomme ich doch dadurch ebenso wenig wieder, wie meine böhmischen Glastafeln.«

Da verwies ihm aber der Pfarrer ernstlich seinen Mangel an Vertrauen auf die Vorsehung und warf ihm vor, dass er schon seit Jahr und Tag in seine Kirche gekommen sei, dass er sich beherrschen lasse von Habsucht und Geiz und eben daher seine brave Frau oft schlecht genug behandelt habe, und was dergleichen wohlverdiente Vorwürfe mehr waren. »Und doch«, fuhr der Pfarrer fort, »ist Euch durch Eure gute Frau ein unverhofftes großes Glück zuteilgeworden, wofür ihr dem Himmel nicht genug dan­ken könnt. Wisset denn, dass ein reicher unbekannter Vetter Eurer Frau, in Amerika verstorben, sie zur Er­bin eingesetzt von einem Legat von zweitausend Du­katen, doch unter der ausdrücklichen Bedingung, dass der Pfarrer des Ortes, wo sie wohnhaft sei, jene Summe in Empfang nehme und verwalte, weil es dem Verstorbenen wohl bekannt gewesen war, welchem geizigen, lieblosen Mann sie ihre Hand am Altar gereicht habe.«

Als der Pfarrer so sprach, da fiel Hans seiner Frau um den Hals, sie herzlich küssend. Er schien von Stunde an völlig verändert, und bald war kaum noch eine Spur zu finden von seiner rauen Sinnesart. Vielmehr fügte er sich willig in alles, was dem Pfarrer gut dünkte, und als ihm derselbe zu dem Ankauf eines artigen Bauerngütchens verhalf, wohnte er dort mit den seinen in Frieden und Eintracht bis an des Lebens Ende. Nie erfuhr er der eigentli­chen Gründer seines Glücks; aber Liese vergaß nie den guten Rübezahl und dankte ihm oft im Stillen herzinniglich.