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Der Detektiv – Band 25 – Das Fernrohr Kapitän Pellertans – Kapitel 5

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 25
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Das Fernrohr Kapitän Pellertans

Kapitel 5

Der linke Arm

»Pellertan«, sagte Harst wie geistesabwesend und schaute dabei zur Deckenlampe empor, »wir sind unterwegs nach Sumatra, wo der Lord eine große Kaffeeplantage besitzt. Er hat sich dort angemeldet – telegrafisch, soviel ich weiß. Wann werden wir in der Hafenstadt Singkel eintreffen?«

»Morgen früh – etwa gegen 6 Uhr«, meinte der Kapitän widerwillig und fügte achselzuckend hinzu: »Was hat das aber mit dem Schuft hier an Bord zu tun, der die Ferngläser gestohlen oder unbrauchbar gemacht hat, der auch das schärfste Glas verschwinden ließ, das wir hatten, nämlich mein altes Fernrohr, das besser ist als all das moderne Zeug zusammengenommen«

»Morgen früh!«, sprach Harst ebenso geistesabwesend vor sich hin. »Also nach 28 Stunden etwa!«

Kurze Pause. Nun schaute er Pellertan voll an.

»Wenn wir den Mörder Ambermakrys bis dahin nicht aufgestöbert haben«, fuhr er fort und betonte die Worte bis dahin sehr stark, »dann … dann sind wir alle verloren. Nein, nicht bis dahin! Wenn wir ihn bis morgen früh zwei Uhr etwa nicht in unserer Gewalt haben, müssen wir die India in den Rettungsbooten verlassen, damit wir nicht mit ihr in die Luft fliegen.«

Pellertan hatte sich auf eine Sessellehne gestützt.

»Master Harst, entschuldigen Sie schon: Aber sind Sie verrückt geworden?«, rief er nun. »Was heißt das: in die Luft fliegen? Und was …«

»Setzen Sie sich bitte, meine Herren«, sagte Harst kalt. »Nur eins kann uns retten: unsere ruhige Überlegung und zielbewusstes Handeln.«

Blindley und der Kapitän nahmen in den Sesseln uns gegenüber Platz.

Harst entwickelte ihnen dann etwa denselben Gedankengang, durch den er mir vorhin den eisigen Hauch über den Leib getrieben hatte.

»So, und jetzt zu den Ferngläsern«, meinte er nun. »Ich behaupte Folgendes: Der Mann, der sich hier verborgen hält, hat genügend Sprengstoff mit, die Jacht und uns alle zu vernichten. Er will jedoch nicht selbst mit zu Grunde gehen; er will noch lebend die Küste erreichen; er will aber auch die Jacht so weit ab von Land in die Tiefe schicken, dass dieses Verbrechen unbemerkt bleibt. So, und jetzt beachten Sie bitte meine Ausführungen ganz genau. Der Mann hat sämtliche Ferngläser an Bord beseitigt oder unbrauchbar gemacht, hat auch die Schiffsinstrumente verschwinden lassen. Er allein besitzt jetzt besonders in Pellertans scharfem Fernrohr ein Glas, das ihm – früher als uns – morgen die Küste von Sumatra zeigen wird. Dann kann er ans Werk gehen, kann seine Höllenmaschine einstellen, dass sie nach vielleicht einer Stunde irgendwo im Schiffsinneren explodiert; dann geht er von Bord; er wird ein guter Schwimmer sein; aber er müsste fürchten, falls die See ruhig ist, im Morgengrauen durch einen Zufall dann bemerkt zu werden, wenn die India ihm schon weit voraus ist, eben durch ein Fernglas! Diesen ihm ungünstigen Zufall, der ja zur Folge hätte, dass die Jacht wenden und ihn wieder herausfischen würde, will er unmöglich machen. Daher beseitigte er die gefährlichen Ferngläser.«

Pellertan lachte nun dröhnend auf, sodass Harst schweigen musste.

»Aber Master Harst!«, rief er mit unverkennbarer Ironie, das alles sind doch nur so weit hergeholte Vermutungen, dass …«

»Noch einen Augenblick!«, fiel ihm Harst ins Wort. Wollen Sie mir eine andere einleuchtendere Erklärung für dieses Verschwinden der Ferngläser geben? Dann bitte! Dieser Mensch müsste ein Irrsinniger sein, wenn er – doch fraglos recht gefährliche Wagnisse – in die Kabinen heimlich eindringt und …«

Da mischte sich auch Blindley eifrig ein. »Verzeihung, bester Harst, ich als Detektiv stehe Ihnen bei. Mir erscheint Ihre Erklärung durchaus nicht so gesucht. Sie haben ganz recht: Der Mensch kann sich nur schwimmend retten, wenn er nicht mit uns das Leben einbüßen will; er kann erst dann die Jacht verlassen, wenn er die Küste erspäht hat, sodass er nicht allzu weit davon entfernt etwa seine Schwimmtour beginnt; anderseits muss er aber auch die Jacht, wie Harst schon betonte, außerhalb der Sichtweite für unbewaffnete Augen, also mindestens drei Seemeilen von der Küste ab, zerstören, damit die Vernichtung der India nicht beobachtet wird. Er wird also bis kurz vor Sonnenaufgang warten müssen, ehe er sich ins Wasser gleiten lässt. Dann ist es hell genug, um mit einem Glas den Kopf eines Schwimmers leicht zu erkennen.«

Pellertan konnte da nicht länger an sich halten. »Aber ich bitte Sie!«, meinte er erregt, »wir haben doch nun durch den Maschinenschaden einen vollen Tag eingebüßt! Wir hätten dadurch ebenso gut in der Nacht in Sicht des Landes kommen können! Dann fällt Master Harsts ganze Theorie wie ein Kartenhaus zusammen.«

»Lieber Pellertan«, erklärte Harst freundlich, »diese Theorie bleibt in jedem Fall anwendbar. Da Sie gerade den Maschinenschaden erwähnen: Dass er auf des Inders Konto kommt, ist doch wohl sicher. Weshalb hat der Mann die Motoren nun für einige Zeit unbrauchbar gemacht? Ich bin der Ansicht, nur deshalb tat er es, um Zeit zu gewinnen, die seiner Rettung gefährlichen Ferngläser sämtlich beseitigen zu können. Er wollte eben absolut sicher gehen. Ihm lag daran, dass kein Fernglas mehr benutzt werden könnte. Wann die India die Küste ansteuerte, konnte er ohnedies nicht genau wissen. Geschah es nachts, dann hatte er eben nur besonderes Glück. Aber auf dieses Glück wollte er sich nicht verlassen. Es konnte ebenso gut am hellen Tag geschehen. Dann musste er zunächst unbemerkt aus der Nähe der Jacht weg, musste unter Wasser eine Strecke schwimmen, durfte stets nur für Sekunden zum Atemholen auftauchen, konnte erst weiter von der Jacht ab, die sich ja von ihm entfernte, seine Schwimmertätigkeit voll entfalten. Das, was ich vorhin als meine Theorie entwickelte, war eben nur den Umständen angepasst, nämlich dass wir morgen früh etwa gegen sechs Uhr den Hafen von Singkel anlaufen werden. Ich betone nochmals: Nennen Sie mir eine bessere Deutung für diese Fernglasdiebstähle und ich will reumütig bekennen, dass ich mich geirrt habe!«

Pellertan jedoch ließ nur ein »Hm – hm!« hören, zuckte wieder die Achseln und schwieg.

Dass Harsts Beweisführung in noch überzeugenderer Art ergänzt werden konnte, sollten wir dann durch die folgenden Ereignisse erfahren.

In der Kajüte Pellertans folgte nun eine lange Beratung, deren Ergebnis zuvörderst in einer nochmaligen Durchsuchung der Jacht bestand. Lord Wolpoore wurde von den Ereignissen der Nacht nichts mitgeteilt. Er und die seinen sollten nicht zwecklos beunruhigt werden. Im Übrigen war alles an Bord in die Sachlage eingeweiht. Es war daher erklärlich, dass wir, die Detektive und die Matrosen, mit gleichem Eifer die India durchstöberten. Es wurde an den unwahrscheinlichsten Orten gesucht, sogar durch Taue, die man unter dem Schiffsboden außen entlang zog, geprüft, ob nicht etwa der gemeinsame Feind unter der Wasserlinie hing. Man sieht: Wir ließen nichts, aber auch gar nichts außeracht; wir übertrieben unsere Sorgfalt fast ins Lächerliche.

Es wurde auf diese Weise Mittag. Alles war vergeblich gewesen – alles! Die Enttäuschung hierüber war deutlich auf allen Gesichtern zu lesen. Flüsternd standen die Matrosen herum; Pellertan schritt oben auf der Brücke grimmig auf und ab. Harst, Blindley, Doktor Halfing und ich saßen auf dem Achterdeck und betrachteten den Lord und die seinen, die kaum zehn Schritt entfernt an der Reling lehnten und einen Dreimaster beobachteten, der unter vollen Segeln stolz und schön unseren Kurs kreuzte.

Wir führten eine Unterhaltung, nur um zu sprechen. Ein unheimlicher Druck lastete auf uns. Harst allein hatte sich wieder so weit in der Gewalt, um seine Unruhe verbergen zu können. Dann meldete Ingenieur Moore dem Lord, dass die Motoren wieder in Ordnung seien. Wolpoore befahl, mit Höchstgeschwindigkeit zu fahren, um etwas von der versäumten Zeit einzuholen.

Die Stunden dieses Tages vergingen uns gerade deshalb so schnell, weil wir sie so gern hätten ins Unendliche recken wollen. Denn mit jeder verrinnenden Minute kam ja das Furchtbare näher, drohte uns der Untergang! Das Schlimmste dabei war, dass wir nicht ein einziges Fernglas mehr hatten, mit dem wir nach der Küste hätten Ausschau halten können. Pellertan blieb dabei, dass wir frühmorgens den hohen Felsgestaden der Westküste Sumatras uns nähern würden. Abends gegen neun Uhr legten Harst, Blindley und ich uns schlafen. Wir wollten um Mitternacht wieder aufstehen. Unser Plan ging dahin, das Schiff von Mitternacht an unauffällig so zu bewachen, dass niemand es unbemerkt verlassen könnte. Wir wollten den Feind eben abfassen, sobald er seine Schwimmtour antrat. Hatten wir ihn ergriffen, so sollte alles schnell in die Boote gehen; diese wieder sollten in tausend Meter Entfernung der India nahe bleiben; dann musste sich ja in ein bis zwei Stunden herausstellen, ob die Jacht durch eine Explosion zerstört werden würde. Lord Wolpoore hatte nun doch von Harst die ganze Wahrheit erfahren. Er musste seine Gattin und seine Kinder vorbereiten, damit das Einbooten rasch vonstattenginge.

Wir wollten schlafen, um frisch zu sein. Aber wir taten kein Auge zu. Bereits um halb zwölf nachts waren wir oben auf der Brücke. Auf der Jacht verriet nichts, dass etwas Besonderes im Gange war. Nur die gewöhnliche Wache war an Deck. Die Matrosen hielten sich angekleidet in ihren Vorschiffkabinen auf. Der Wind war flau, der Himmel klar. Von der Brücke konnte man das ganze Deck übersehen. Pellertan saß im Steuerhäuschen und schwor dem Schuft blutige Rache, der ihm sein Fernrohr gestohlen hatte. Harst meinte dazu, eine Tracht Prügel mit einem Tauende tue es zunächst auch, »falls wir den Menschen wirklich erwischen.« Auch Ingenieur Moore hatte die Unruhe oben auf die Brücke getrieben. Er lehnte neben uns am Geländer.

»Wenn dies der India letzte Fahrt sein sollte«, sagte er nun finster und mit verbissener Wut gegen den unheimlichen Gegner, »dann hätte der Lord sich die Kosten für den neuen Wassertank sparen können, der noch kurz vor unserer Abfahrt auf der Werft von Daberton in Madras im Vorratsraum aufgestellt wurde und der uns so viel Arbeit machte. Dies Ungetüm ging gerade noch durch die große Ladeluke hindurch.«

Harst wandte sich plötzlich sehr hastig dem Ingenieur zu.

»Bei Philipp Daberton wurde der Wassertank eingefügt?«, fragte er.

»Ja, dort war er auch gebaut worden. Der Lord wünschte eine besondere Art von Filteranlage für das Trinkwasser.«

»Blindley!«, rief Harst da leise. »Blindley, denken Sie an die vier Siegellacktröpfchen auf dem Löschblatt bei Daberton!«

Der Detektiv meinte darauf: »Was soll das? Was haben denn …?«

Harst ließ ihn nicht ausreden. »Ich weiß jetzt, wo der Bursche steckt!«, flüsterte er. »In dem Trinkwassertank, den die Bande, die dem Lord nach dem Leben trachtet, durch Bestechung der beteiligten Arbeiter leicht hat so einrichten lassen können, dass darin ein Raum mit einer Tür in der Außenwand für einen Menschen als Versteck geschaffen wurde. Blindley, Schraut, wir legen uns im Gang des Mannschaftslogis vor der stets verschlossen gehaltenen Tür des Vorratsraums auf die Lauer. Dort wird der Bursche hinausschlüpfen. In seinem Versteck dürfen wir ihn nicht überraschen. Sonst sprengt er sich und uns in die Luft.«

Morgens drei Uhr. Im Gang des Mannschaftslogis Stille und Dunkelheit. Nun ein leises Knarren einer sich ein wenig klemmenden Tür. Dann riss Harst die Decke von der großen Schiffslaterne, deren Lichtschein uns nun einen braunen nackten Menschen zeigte, der entsetzt in die blendende Lichtquelle starrte. Wir sprangen zu, packten zu. Aber der Inder hatte sich über und über mit Fett eingerieben. Ein Fausthieb traf Blindley, dann raste der schlanke Bursche den Gang entlang. Harst stieß den verabredeten Pfiff aus, der die drei Matrosen oben an dem Deckausgang der Treppe alarmierte.

Wir liefen hinterher, hörten Flüche, Schreien, dann einen schrillen Ruf. Als wir auf Deck ankamen, trat uns einer der Matrosen entgegen, der sich mit einem Schiffsbeil bewaffnet hatte. Er hielt in der Linken uns einen blutigen, oberhalb des Ellbogengelenks abgetrennten braunen Arm entgegen, rief: »Der Schuft war nicht festzuhalten. Als er sich über die Reling schwang, schlug ich blindlings zu, und die breite, scharfe Schneide tat das ihre!«

Die Jacht stoppte. Während ein Boot ausgesetzt wurde, untersuchten wir den Wassertank. Harst hatte das Geheimnis sehr bald heraus. Die Eisenplatten des Tanks waren zusammengenietet. Zwei senkrechte und eine waagerechte Nietnaht waren die Umrisse einer schmalen niedrigen Tür, von der man selbst bei genauestem Hinsehen nichts bemerkte.

Das Versteck selbst war so eng, dass der Inder darin nur hatte sitzen können. Wir fanden in diesem Sonderbehälter nicht nur die Ferngläser, sondern auch Pellertans Fernrohr – das berühmte Riesenrohr. Aber von einer Höllenmaschine oder dergleichen war nichts zu bemerken.

Harst hatte es merkwürdig eilig, wieder an Deck zu gelangen. Er hatte Pellertans zusammengeschobenes Riesenperspektiv in der Hand, eilte damit auf die Brücke, rief dem Kapitän zu: »Da – sehen Sie es sich zum letzten Mal an, Pellertan!« Dann warf er es in weitem Bogen in die See, fügte hinzu: »Pellertan, es musste sein! Es war kein Fernrohr mehr; es war eine Höllenmaschine! Der Bursche hatte die inneren Auszüge entfernt! Ein Uhrwerk tickte darin. Ihr Perspektiv sollte uns alle in die Tiefe schicken!«

Der Inder wurde nicht mehr aufgefischt. Er war fraglos sofort untergegangen. An dem linken, abgeschlagenen Arm war an der Innenseite des Ellbogengelenks eine Tätowierung zu erkennen, die einen Götzen mit drei Köpfen darstellte: das Zeichen der Thug!

Eine halbe Stunde drauf setzte die India ihre Fahrt wieder gen Osten fort. Wir standen noch auf der Brücke, als Doktor Halfing, der mit seinem wiedergefundenen Fernglas den Horizont absuchte, auf Backbordseite ein Segelboot meldete. Der Morgen dämmerte bereits herauf. Trotzdem hatte das Boot am Mast eine sehr hell brennende, rote Laterne. Harst bat Pellertan, auf den Kutter zuzuhalten.

»Ich behaupte, jenes Boot ist dazu bestimmt, den Inder aufzunehmen«, sagte er. »Daher das rote Licht am Mast. Und dieses Boot ist ein weiterer Beweis für die Richtigkeit meiner Theorie. Wir sollten es nicht bemerken! Also mussten die Ferngläser verschwinden.«

Der so harmlos scheinende Kutter floh vor der India, holte plötzlich die Segel ein und entpuppte sich als Motorboot, das an Geschwindigkeit der Jacht weit überlegen war. Es entwischte uns.

Pellertan aber reichte Harst nun die Hand und meinte: »Ich gebe zu: Ihre Theorie war doch richtig! Nur schade, dass mein braves Fernglas geopfert werden musste!«

Meine Geschichte ist hiermit aus. Vorläufig war jede Gefahr für Lord Wolpoore und die seinen beseitigt. Wir verlebten dann acht genussreiche Tage auf seiner Plantage, bis uns ein Freund des Lords bat, in Batavia Die Gesellschaft der roten Karten entlarven zu helfen.

Hierüber im nächsten Band.