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Der Wildschütz – Kapitel 15

Th. Neumeister
Der Wildschütz
oder: Die Verbrechen im Böhmerwald
Raub- und Wilddiebgeschichten
Dresden, ca. 1875

Fünfzehntes Kapitel

Eine wichtige Entdeckung

In der folgenden Nacht nach Käthchens Verweisung aus dem Schloss geschah es, dass Christian bei seinem Herrn, dem Grafen Praßlin, bis gegen Mitternacht wachen musste. Als er um die genannte Zeit den Korridor zu ebener Erde durchschritt, um sein Lager zu suchen, da deuchte es ihm, als vernehme er ein unterirdisches Ge­töse, worüber der alte Diener heftig erschrak und deshalb nicht minder mit Besorgnis erfüllt wurde.

Nachdem er sich vollkommen überzeugt hatte, dass es keine Täuschung sei, eilte er hastig zu dem Zimmer seines Herrn zurück, um denselben von diesem sonderbaren Umstand zu benachrichtigen. Der Graf ruhte oder lehnte vielmehr schlaflos in seinem Sessel. Er zeigte eine sichtbare Überraschung bei dem abermaligen Anblick seines Dieners, den er für diese Nacht entlassen hatte und fragte ihn im Ton des Unwillens, was ihn veranlagt habe, zurückzukehren.

»Ach, gnädiger Herr Graf«, stöhnte Christian, »der böse Geist treibt sein Spiel in dem alten Schloss. Das hämmert und pocht in der Tiefe, als ob der Berg zerborsten sollte. Der Himmel weiß, was das zu bedeuten hat. Ich glaube, die Erdgeister haben im Schoße des Schlossberges ihren Sitz aufgeschlagen.«

»Du bist ein Narr!«, rief der Graf, »hätte ich doch nicht gedacht, dass du dich auf deinen alten Tagen noch von vermeintlichen Hexen und Gespenstern würdest ins Bockshorn jagen lassen.«

»Nein, nein, Herr Graf«, rief jener, »es ist gewiss etwas an der Sache, und wenn Sie sich selbst davon überzeugen wollen, so will ich Licht anzünden und Ew. Gnaden an das Ende des untersten Korridors führen, wo man das Geräusch sehr deutlich hören kann. Glauben Sie mir, gnädiger Herr, es ist keine Täuschung, wovon ich mich überzeugt habe.«

Die Mitteilungen des alten Dieners erregten die Aufmerksamkeit des Grafen in einem hohen Grad, besonders da dieselben auch mit der Aussage Käthchens genau übereinstimmten. Er entschloss sich, die Sache zu untersuchen, und begleitet von dem Diener, der eine Laterne trug, stieg er nicht ohne Mühe die feuchten und steilen Treppen hinab.

Es konnte eine halbe Stunde nach Mitternacht sein, als sie an der Stelle ankamen, wo Christian das rätselhafte Geräusch hatte hören wollen. Der Graf horchte lange Zeit, ohne das geringste Ge­räusch zu vernehmen. Schon wollte er seinen Unwillen gegen den alten Christian freien Lauf lassen, als ein herzhaftes Hämmern unter seinen Füßen erscholl. Es schien sehr tief aus der Erde zu kommen und die erfolgenden Schläge gaben einen gedämpften Schall von sich, welcher eine merkliche Erschütterung zur Folge hatte.

»Bei Gott! Ich höre es jetzt ganz genau«, murmelte der Horchende mit Verwunderung und Staunen in seinen hageren Zügen. »Was kann das sein? Ich vermag dieses Rätsel nicht zu lösen. Es ist sonderbar. Ich begreife nicht.«

»Ich auch nicht, gnädiger Herr«, stöhnte Christian, »aber so viel wage ich zu vermuten, dass der Satan seine Hand im Spiel hat. Wer um des Himmelswillen kann anders in diesem Felsengrund da unten hausen und sein Wesen treiben, als der – Gott sei bei uns.«

Graf Praßlin achtete weniger auf die Bemerkungen seines Ge­fährten als auf das fortdauernde Geräusch in der Tiefe. »Das muss ich noch in dieser Nacht erfahren«, sagte er. »Wir wollen jetzt hinauf gehen. Hole dann die Knechte herbei und bewaffne sie, ich will mich ebenfalls mit einem Gewehr versehen, und dann wollen wir die Treppe zu dem großen Gewölbe hinabsteigen; von dort her scheint es haupt­sächlich zu kommen. Wir müssen jenen Ort genau durchsuchen.«

Christian begleitete seinen Herrn bis zu dessen Zimmer zurück; dann begab er sich zu den Nebengebäuden des Schlosses, worin einige Knechte schliefen. Sie wurden hastig von ihm geweckt und zu der Burg geführt, wo der Graf zur nächtlichen Untersuchung bereitstand. Er hatte sich mit ein paar Doppelpistolen bewaffnet und seine Rechte hielt einen scharf geschliffenen Degen gefasst, dessen Stahlklinge beim Schimmer der angezündeten Fackeln einen hellen Strahl von sich warf. Bald darauf begab man sich zu dem bezeichneten Keller, in welchem sich das Geräusch noch viel deutlicher vernehmen ließ. Von hier führte ein schmaler Gang in den Felsen und man erreichte zu­fällig denselben Ort, wo sich der entflohene Wildschütz mithilfe eines Seiles in die Tiefe hinabgelassen und seine Freiheit erreicht hatte.

Wie oben gesagt, hatte Käthchen nach seiner Flucht die Öffnung in dem Fußboden mit der Steinplatte verdeckt. Man bemerkte anfänglich nichts von ihrem Vorhandensein und der unbekannte Aus­gang blieb den Forschenden längere Zeit verborgen. Endlich wurde sie doch wahrgenommen und der Graf befahl, den Stein aus seinem Lager herauszuheben. Dieser Befehl wurde in der nächsten Minute, und zwar mit leichter Mühe vollzogen, worauf zum Entsetzen aller ein glühender Feuerschein durch die entstandene Öffnung heraufleuchtete und der Umgebung einen schauervollen Anstrich verlieh.

Christian war nicht imstande, einen Laut von sich zu geben, so sehr war er über diese Erscheinung erschrocken. Er trat hinweg und schlug andächtig ein Kreuz. Auch die Knechte wichen bebend zurück, als hätten sie die Pforten der Hölle geöffnet. Nur der Graf bewies seinen gewöhnlichen Mut. Er näherte sich dem Schlund und schaute mit unverwandtem Blick in die Unterwelt hinab, wo er sein Schau­spiel der seltsamsten Art zu beobachten Gelegenheit fand.

Der hohe Felsenraum unter seinen Füßen wurde von einem sprühenden Kohlenfeuer erhellt, sodass die Gegenstände dem Auge vollkommen deutlich wurden. In der Mitte des Gewölbes war ein Blasebalg angebracht, welcher die auf einem Felsblock angezündete Flamme in beständiger Glut erhielt und von einem bärtigen Mann in bloßen Hemdärmeln in Bewegung gesetzt wurde.

Unweit davon waren zwei andere Männer an einem Tisch beschäftigt, dessen Form völlig roh und unbequem erschien. Sie waren dem Anschein nach mit einer sehr wichtigen Arbeit beschäftigt, was die Sorgfalt bewies, die sie darauf verwendeten.

Wir erkennen auf den ersten Blick die Werkstatt der Falsch­münzer, welche sich, was nun deutlich hervorgeht, unter den Räumen des Waldschlosses befand.

Martin, der Graveur, arbeitete mit trübseliger Miene an einer Form, welche das halb vollendete Gepräge einer Silbermünze vom höchsten Wert enthielt. Julian saß ihm gegenüber und beobachtete den Arbeitenden mit dem Ausdruck der Verwunderung, indem er jede Bewegung desselben mit seinen staunenden Blicken verfolgte.

Die beiden anderen Kumpanen, Berthold und Georg, waren beim Kohlenfeuer in voller Arbeit begriffen und damit beschäftigt, ver­schiedene Metalle zu schmelzen und zu mischen. Es wurde kein Wort unter den unheimlichen Gefährten des Verbrechens gewechselt, und nur durch Zeichen versuchte man sich zuweilen verständlich zu machen.

Dem Grafen Praßlin leuchtete das Treiben dieser Männer sehr bald ein. Er beobachtete sie noch eine lange Zeit und überzeugte sich vollkommen von ihrem unheimlichen Handwerk. Was ihn indessen nicht wenig überraschte, war der Anblick Martins, den er bisher für einen ehrlichen Mann gehalten hatte. Freilich konnten ihm die Umstände nicht bekannt sein, unter welchen sich derselbe hier befand.

Georg schien dem Grafen ebenfalls nicht unbekannt. Er hatte ihn zuweilen gesehen, wenn er durch den Wald schlenderte. Berthold und Julian hingegen waren ihm völlig fremde Erscheinungen.

Er sann hin und her, was unter diesen Umständen zu tun sei, um sich der sauberen Vögel zu bemächtigen. Vor allen Dingen musste der Eingang der Höhle außerhalb des Schlosses ausfindig gemacht werden, um den sauberen Genossen den Rückzug abzuschneiden und in der eigenen Falle zu fangen. Diese Aufgabe war nicht so leicht ausgeführt, weil der Berg am Fuße mit dichtem Gebüsch bewachsen erschien und gegen die Mitte zu von einem breiten Felsengürtel umschlossen wurde. Die Nachforschungen zeigten sich dabei umso schwieriger, indem dieselben bei nächtlicher Weile vollzogen werden mussten, um wo möglich die Verbrecher bei ihrer Arbeit zu überraschen und gefangen zu nehmen.

Der Graf erkannte das Gefahrvolle dieses Unternehmens auch noch von einer anderen Seite. Es stand sicher zu erwarten, dass die Falschmünzer bei einem gewaltsamen Eindringen in ihren Schlupf­winkel ihre Freiheit mit verzweifeltem Mut verfechten würden. Es war daher ein notwendiges Erfordernis, den Angriff nur in Ver­bindung einer gut bewaffneten Mannschaft zu unternehmen. Nachdem diese Umstände reiflich erwogen und geprüft worden, zog sich der Graf geräuschlos zurück, worauf die Öffnung von seinen Begleitern wieder fest verschlossen wurde. Man begab sich hierauf zu den oberen Teilen des alten Schlosses hinauf. Dort angekommen, wandte sich der Burgherr an seine Knechte, indem er begann: »Ich habe soeben eine grauenvolle Entdeckung gemacht. Unter unseren Füßen treibt eine Bande Falschmünzer ihr schändliches Hand­werk. Das Gesetz bestraft dies Verbrechen mit schweren Strafen und wir müssen alles anwenden, um jene Betrüger unschädlich zu machen. Sie sind in unseren Händen, wenn wir mit Überlegung handeln.«

Die Untergebenen staunten den Grafen mit offenen Mäulern an.

»So wäre es weder der Satan noch irgendein böses Wesen, das hier seinen Spuk treibt«, sagte Christian. »Nun dann ist es gut, wenn es Gespenster von Fleisch und Knochen sind, dann fürchte ich mich nicht vor ihnen, dann will ich sie herzhaft beim Genick fassen und festhalten.«

Der Diener erhielt nun Befehl, sich zum Dorf zu begeben, um dort eine Anzahl rüstiger Männer aufzubieten. Er sollte sich mit der gesammelten Mannschaft in der Nähe des Schlossberges auf­halten, bis der Graf zu ihnen stoßen würde. Ein anderer von den Knechten wurde in die Wohnung des Forstmeisters Valentin geschickt. Derselbe sollte sich mit seinen Leuten und mehreren Fanghunden ebenfalls einfinden. Christian entfernte sich sofort mit dem erhaltenen Auftrag. Er begab sich zum Stall, sattelte ein Pferd, warf sich auf dasselbe und verließ das Schloss. Die Anhöhe hinab ging es langsam. Als er jedoch den Wald erreichte, trieb er das Pferd hastig vorwärts und gelangte bald in die Nähe der Bärenschänke. Ohne jedoch dort anzuhalten, ritt er vor­über und jagte dem Dörfchen zu, welches nicht mehr weit entfernt lag.

In der einzigen Gasse des Ortes angekommen, traf er den Nacht­wächter, einen alten von der Gicht steif gewordenen Mann. Er führte einen Hund mit sich am Strick umher und Christian hatte alle Mühe, sich unter dem Lärm der Bestie verständlich zu machen, was noch mehr erschwert wurde, da der alte Kerl fast taub geworden war, eine Eigenschaft, die sich schlecht für seine Stellung vertrug.

Meister Schwarzmantel zeigte sich sogleich bereitwillig, den Be­mühungen Christians seine Unterstützung zu gewähren. Es dauerte nicht lange, so war eine Anzahl von etwa sechszehn Mann auf die Beine gebracht. Sie zeigten den besten Mut zu dem bevorstehenden Unternehmen und hatten sich mit allerhand Werkzeug zum Angriff bewaffnet. Mehrere unter ihnen waren mit Flinten und alten Seiten­pistolen bewaffnet, welche wahrscheinlich von den Vorfahren her­stammten und jahrelang unbenutzt gelegen haben mochten. Die aufgetriebene Schar hatte in der Tat ein grimmiges und krieger­isches Ansehen.

Christian stellte sich zu Pferd an die Spitze des Zuges. Er führte die Patrouille denselben Weg, welchen er gekommen war. Man gelangte nach einem schleunigen Marsch am Fuße des Schlossberges glücklich an, wo sich nach der besprochenen Verabredung der Graf Praßlin bereits befand, um sich nach der getroffenen Anweisung nebst seinen Leuten mit den heranziehenden Hilfsmannschaften in Verbindung zu setzen.