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Fort Wayne – Band 2 – Kapitel 1

F. Randolph Jones
Fort Wayne
Eine Erzählung aus Tennessee
Zweiter Band
Verlag von Christian Ernst Kollmann. Leipzig. 1854

Erstes Kapitel

Korporal Jiggins, wahrlich ein tapferer, in zwanzig Kriegsjahren bewährter Mann, konnte gleichwohl nicht umhin, vor diesen schrecklichen Auspizien, die der Major mit aller Wollust raffinierter Rachsucht vor seinen Blicken aufrollte, gewaltig zu erblassen. Aber im nächsten Moment flog ein belebender Freudenstrahl über seine, unter dem Ausdruck des Entsetzens gewissermaßen erstarrten Züge. Durch das Fenster zum Hofraum deutend, auf welchem sich unter dem Militär eine gewisse Bewegung kundgab, sagte er: »Immerhin werden wir heute und morgen nicht nach Nashville gehen. Schaut, wie unser Volk die Ohren spitzt und zu den Palisaden rennt! Ich kam eigentlich, um zu melden, dass sich der Feind sehen lässt und seine Tête bereits aus dem Walde debouchiert.«

Diese Meldung, deren gesuchte militärische Ter­minologie vielleicht dem primitiven Charakter der feindlichen Streitmacht nicht ganz angemessen sein mochte, war jedoch völlig geeignet, den geplagten Kommandanten von der Bürde seiner Sorgen und Kummer­nisse zu befreien und ihn die Familie Morris augenblicks vergessen zu lassen. Ohne eine weitere Frage an den über seine gelungene Diversion erfreuten Kor­poral zu richten, schob er ihn wie ein hinderndes Möbel auf die Seite und eilte auf den Wallgang, wo sich bereits die ganze Besatzung mehr in der Haltung einer einem interessanten Schauspiel harrenden Zu­schauermenge, als in militärischer Ordnung versammelt hatte. Schweigend und mit raschen Schritten ging der Major zu dem Punkt, wo die oft erwähnte Kanone den Eingang in das Fort und die südliche Abdachung des Hügels beherrschte und der bereits der Sammelpunkt des Offizierskorps, das heißt des Lieutenant Gloomy und Feldwebel Gregg, geworden war.

Die, wenn auch nicht eben grandiose und er­habene, doch anmutige und heitere Landschaft bot un­ter der Einwirkung des jugendlichen Tages und seiner strahlenden Lichtfülle in der Tat einen so friedlichen Anblick dar, dass man hätte meinen sollen, selbst der rohe Indianer müsse sich scheuen, in dieses liebliche Bild die Schrecken des Krieges und gegenseitiger Vernich­tung zu tragen. Ein leichter blauer Duft schwebte über dem dunklen Waldsaum, der sich in einer uner­messlichen Linie halbkreisförmig um den Bluff zog. Da, wo hellgrünes Schilf oder Gestrüpp das Vorhandensein eines von der letzten Überschwemmung zu­rückgebliebenen Wasserpfuhles andeutete, dampfte ein weislicher Nebel wie der leichte Rauch eines Kraters empor. Die Gebirgskette, welche nach Süden und Osten die Fernsicht schloss, zeigte eine schillernde Far­benpracht von Purpur, Ultramarin und Gold – einen Wechselflug von Licht und Schatten, den kein Maler wiederzugeben vermag, und der nur allmählich sich in ein abgestuftes Blau verlor, als die Sonne höher am Himmel heraufstieg.

Die feierliche Sabbatstille, welche auf der ganzen Gegend ruhte, und die Anmut des großen Land­schaftsbildes waren es freilich nicht, was die Blicke des Majors und seiner Krieger fesselte. Am Saum des Waldes, wo sich dessen dichte Massen mehr in einzelnen Baumgruppen lichteten und sich allmählich in niedrigem Buschwerk und Unterholz zu der Ebene verloren, bewegten sich braune, glänzende Gestalten, nahe genug, um von den in kriegerischer Beobachtung geübten Blicken der Besatzung deutlich erkannt, wenn auch nicht mit der Büchse erreicht wer­den zu können. Den Bogen und den kurzen Wurf­speer in der Hand, schlichen sie sacht und spähend durch die Büsche, hier einzeln, dort zu dritt und zu viert, aber augenscheinlich durch einen gleichen Zweck zusammengehalten, was auch oft wiederholte Signale und Zeichen deutlich bewiesen. Dass dieser Zweck vorläufig nicht im Geringsten mit einem Angriff auf das Fort zusammenhing, wurde den Bewohnern desselben augenblicklich klar und gab Veranlassung zu einem lebhaften Austausch der verschiedenartigsten Ansichten und Behauptungen.

»Die braunen Gentlemen haben irgendetwas auf der Spur!«, sagte der Kommandant, »und es sollte mich nicht wundern, wenn sie hier unter unseren Augen das unterhaltende Schauspiel einer in­dianischen Metzelei aufführten, wodurch glücklicher­weise dies Gewürm sich gegenseitig vertilgt. Gebt mir Euer Glas, Lieutenant Gloomy, vielleicht kann man den Spürhunden einen Wink geben, für den sie uns ohne Zweifel dankbar sein werden.«

»Die Burschen gerieren sich, als ob es kein Ding wie Fort Wayne in der Welt gäbe!«, brummte der Lieutenant, während Murchinson aufmerksam die Szene rekognoszierte. »Vielleicht ist es auch eine ihrer verwetterten Kriegslisten, obwohl ich nicht einsehe …«

»Hallo, da haben wir es!«, rief nun plötzlich der Kommandant, »da bricht das Wild aus! Seht doch, dort links am Weg zum Fort; gleich wird die Meute anschlagen und …«

Ein schallendes Geheul, als ob ein Rudel hungriger Wölfe aus der Tiefe des Waldes bräche, drang nun in schauerlicher Disharmonie aus dem Talgrund herauf. Es bedurfte nicht des ausgestreckten Zeigefingers des Kommandanten, um jedermann sofort die Bedeutung und den Zusammenhang der nun folgenden wildbelebten Szene deutlich zu machen.

An dem Punkt, wo der schmale Pfad, der zum Bluff hinaufführte, aus dem Busch in die Ebene trat, war ein einzelner Indianer erschienen, augenscheinlich ein verfolgter, hart bedrängter Flücht­ling; denn nur einen Moment hatte er umhergeblickt und sich unmittelbar keinem Gegner gegenüber gefun­den, als er in gewaltigen Sprüngen in gerader Rich­tung die Anhöhe hinaufstürmte und schon einen be­trächtlichen Vorsprung gewonnen hatte, ehe er auf der völlig kahlen Fläche den Blicken seiner Landsleute – zugleich seiner bittersten Feinde – sichtbar wurde. Diese hatten, in der Voraussetzung, dass es dem von ihnen Gesuchten nicht einfallen werde, das von allen Indianerstämmen gleichsam verabscheute Fort aufzusuchen, sich so weit nach rechts und links zerstreut, dass dem Verfolgten, selbst wenn er gewollt hätte, kein anderer Ausweg, keine andere Richtung, als die zu der Festung hin übrig blieb. Als das Geschrei der in ihren Erwartungen betrogenen Indianer den Flücht­ling überzeugte, dass er entdeckt und nur noch in der Schnelligkeit seiner Füße und der Barmherzigkeit der Bewohner des Forts Rettung zu suchen sei, verdoppelte er die Geschwindigkeit seines Laufes und rannte wie ein gehetzter Hirsch den Hügel hinauf, nicht achtend eines sausenden Pfeilhagels, mit dem die Nachsetzen­den ihn begrüßten. Wie durch einen Zauberschlag wurde nun der Wald lebendig. Zum großen Erstaunen und einigem Unbehagen der Besatzung ergab sich aus dem Gewimmel zahlloser bronzefarbiger Gestalten in flatternden Jagdhemden und bunten Mokassins, die ohne Ordnung und in blinder Verfolgungswut daher stürmten, dass nicht eine Streif­partie, sondern eine Armee, wenigstens tausend Köpfe stark, unter den Palisaden von Fort Wayne versammelt war.

»Da haben wir den Wirbelwind und er bläst stärker, als ich die vermutete!«, sagte der Kom­mandant kopfschüttelnd. »Was meint Ihr, Lieutenant Gloomy, sollen wir dem Feind durch eine Salve zu verstehen geben, dass der Rayon des Forts nicht der geeignete Ort für ein indianisches Wettrennen ist?«

»To be sure — ganz gewiss! Übrigens scheint dieser Flüchtling einem uns befreundeten Stamme anzugehören und bringt vielleicht wichtige Nachrichten, die uns verloren gehen könnten, wenn jener lange Bursche mit der Adlerfeder dem Läufer in die Flanke fallen kann, wie er zu beabsichtigen scheint.«

»Also vorwärts, Kinder!«, wendete sich der Kommandant zu den Soldaten, die schon, die Kolben an den Wangen, schussfertig lagen. »Aber vergesst nicht: die erste Lage über ihre Köpfe weg! Hoffentlich geben sie dann alsbald die Jagd auf. Man soll nicht sagen, dass wir die Feindseligkeiten eröffnet und die blinde Raserei dieser Menschen benutzt haben.«

In der Tat war es höchste Zeit, wenn eine Intervention zu Gunsten des Fliehenden noch irgend Erfolg haben sollte, denn er begann sichtlich zu ermatten. Die erstaunliche Behändigkeit und Kraft, mit welcher er bisher den Hügel hinaufgestürmt war, schien in demselben Grad nachzulassen, wie der Eifer seiner Verfolger wuchs. Einer derselben, ein hoch gewachsener Krieger im Häuptlingsschmuck, war, allen Übrigen voran, nicht in der geraden Richtung des Fußweges, sondern eine Seitenlinie beschreibend, und mit ersichtlich genauer Kenntnis des Terrains, bereits auf einen Punkt gelangt, der dem, welchen der Gejagte erreicht hatte, parallel war, sodass er hoffen durfte, denselben an dem Fort abzufangen. Das keuchende, angstvoll umherblickende Opfer erkannte nur zu gut das Ver­zweifelte seiner Lage und raffte, da bereits fast die Hälfte des Hügels zurückgelegt war, seine letzten Kräfte zusammen, um die Palisaden zu erreichen. Sein flehender Blick richtete sich voll Todesangst auf die Soldaten; zugleich streckte er wiederholt beide Arme hoch empor und legte sie dann flach auf die Brust – ein Zeichen des Ergebens und Hilfeflehens, welches von der Besatzung wohl verstanden, von den Indianern durch ein gellendes Spott- und Hohngeschrei begleitet wurde.

In diesem verhängnisvollen Moment, wo der dem Flüchtling bis auf höchstens zwanzig Schritte nahe gekommene Häuptling mit einem Ausruf des Triumphes seinen Speer zum tödlichen Wurf emporhob, krachte eine volle Salve von der Festung herunter und veränderte im Nu die ganze Szene zum größten Vorteil des Bedrängten. Als der leichte Pulver­dampf sich verzogen hatte und noch das Echo des Schusses längs des Waldrandes hin rollte, sahen der Kommandant und seine Leute zu ihrer Befriedigung und nicht geringen Ergötzung, dass die Indianer mit doppelt so großer Schnelligkeit den Abhang hinunter­rannten, als sie ihn erstiegen hatten, und ihrer getäuschten Wut durch drohendes Geschrei und ingrim­miges Schütteln der langen, mageren Arme Luft mach­ten, ohne dabei eher stehen zu bleiben, bis sie sich außer Schussweite und im Schutz der Lysiere des Waldes befanden. Nur der junge Häuptling, der seines Opfers schon sicher gewesen war und bereits den Vorgeschmack befriedigten Hasses gekostet hatte, zögerte eine Weile, sich der wilden Eilflucht seiner Gefährten anzuschließen, und wendete seine zornig blickenden Augen unschlüssig bald auf den Flüchtling, bald zum Fort, bald hinunter zu den fliehenden Kriegern. Aber zu gut war von dem Gehetzten der günstige Moment benutzt worden, und ehe der grollende Krieger einen Entschluss gefasst, hatte sein entronnenes Opfer die erste Palisadenreihe erreicht und verschwand jenseits der Brücke, um eine Minute später mitten unter der Besatzung zu erscheinen – gerettet und geborgen, und demgemäß nach Art seines Volkes ein jauchzendes Siegesgeheul ausstoßend, welches dem getäuschten Ver­folger, der langsam seinen Landsleuten folgte, Tränen der Wut in die Augen presste.

Als die Besatzung sich überzeugt sah, dass ein Angriff des Feindes vor der Hand keineswegs zu erwarten sei, wendete sich ihre Aufmerksamkeit natürlich dem so unvermutet wie aus den Wolken herabgefallenen Gaste zu, und würde denselben alsbald einem genauen, öffentlichen Examen unterworfen haben, hätte nicht der Kommandant es vermöge seiner Stellung als Befehlshaber für gut befunden, vorerst in einem Gespräch unter vier Augen die Schicksale des Flücht­lings und die Nachrichten, welche derselbe, wie er vor­aussetzte, nach Fort Wayne zu bringen beauftragt war, zu erkunden. Nachdem er noch einige, die sorgfältige Bewachung des Platzes betreffende Befehle erteilt hatte, begab er sich zum großen Leidwesen der neugierigen Soldaten mit dem Indianer zur Kom­mandantur. Gut eine Stunde verging, ehe man den Letzteren wieder auf dem Hofraum erscheinen und den Weg zur Küche einschlagen sah, die er, ein Beweis des außerordentlichen Spurvermögens seiner Art, ohne Führer augenblicklich zu finden wusste. Jedes Symptom der Aufregung und Ermüdung nach dem verhängnisvollen Wettlauf um Dasein und Leben war aus den dunklen Zügen des Ankömmlings verschwunden, nur seine Augen schweiften scharf und mit einer gewissen Unruhe umher und schienen jeden Winkel des Forts durchdringen zu wollen. Im Übrigen schlenderte er so behaglich und sorglos umher und empfing die ihm dargereichte Schüssel voll dampfenden Maisbrei mit einer so komischen Miene gnädiger Herab­lassung, als sei er überzeugt, dem Fort durch seine Gegenwart eine außerordentliche Ehre erwiesen zu haben. Auf die Fragen, mit welchen ihn die Soldaten bald einzeln, bald im ungeduldigen Chorus bestürmten, ant­wortete er entweder gar nicht, oder mit kurzen, abgebrochenen Phrasen in jenem wunderlichen Gemisch indianischer und englischer Worte, die nur ein durch längeren Umgang mit den Eingeborenen geübtes Ohr einigermaßen zu entziffern vermag, und aus dem die Aufhorchenden nichts weiter zu entnehmen wussten, als dass ihr neuer Zeltgenosse der Nation der Hiwassee angehöre und sich des lieblichen Namens Matti-cho-wuh zu erfreuen habe.

Lieutenant Gloomy, der es unter seiner Würde hielt, sich dem Haufen der Neugierigen anzuschließen, die eine Art Hofstaat um den auf den Fersen hocken­den, mit erstaunlichem Appetit essenden Mann bil­deten, fühlte sich gleichwohl sehr befriedigt, als er zum Kommandanten gerufen und von diesem mit einem Resümee des vorangegangenen Zwiegesprächs erfreut wurde. Murchinson hatte mit großer Geduld des Indianers wüstes Gegurgel, wie er sich ausdrückte, angehört, und nach zahllosen, verstandenen und missverstandenen Fragen folgende Tatsachen festzustellen vermocht. Matti-cho-wuh war von seinem Stamm, der, seit dessen Kraft durch einen blutigen Krieg mit den Cherokee fast gänzlich gebrochen, den Weißen ein treuer Bundesgenosse geblieben war, nach Georgia abgeschickt worden, um die Nachricht einer allgemeinen Erhebung sämtlicher Nationen zwischen dem Tennessee und Ohio zu überbringen. Als Führer einer Anzahl Reisenden, welche den Auftrag übernommen hatten, den Major Mur­chinson auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen und ihn von der nahen Ankunft einer stattlichen Streitmacht zu benachrichtigen, hatte er dieselben mitten durch feindliches Gebiet glücklich bis an den Tennessee gebracht. Beim Übergang über diesen Fluss war jedoch der kleine Trupp auf die Cherokee unter Ta­kannah gestoßen und zerstreut worden. Ohne über das Schicksal seiner Begleiter irgendeine Kunde er­langen zu können, hatte der Hiwassee den Weg nach Fort Wayne allein fortgesetzt, hart verfolgt von den Cherokee, die seine Spur entdeckt und ihn, wie wir gesehen haben, noch am Ziel seines abenteuerlichen Weges ohne die Intervention der Musketen des Forts in ihre Hände bekommen hätten.

»Das ist ungefähr der Kern des konfusen Ge­schwätzes, mit welchem dieser krähende Hahn meine armen Ohren peinigte«, schloss der Major seine Mitteilung, »wir wissen nun wenigstens, woran wir sind, und dass wir über kurz und lang ein Ren­contre mit Cherokee, Shawnee, Seneka und noch einem Dutzend heidnisch benamster Stämme zu gewärtigen haben. Nun – all’s ready about! Wir sind bereit, sie gehörig zu empfangen, wenn sie wirk­lich toll genug sind, sich den Schädel an Fort Wayne einzurennen. Es würde mir fast leidtun, Gloomy, wenn sie sich inzwischen eines Besseren besinnen.«

Der Lieutenant schien die kriegslustigen Erwar­tungen des Kommandanten vollkommen zu teilen, denn als er auf den Platz heraustrat, erhellte ein schadenfrohes Lächeln sein mürrisches Gesicht. Er rieb sich die Hände so vergnügt, als habe er das Captains-Patent, den Zielpunkt seiner sehnsüchtigen Wünsche, bereits in der Tasche. Murchinson aber beeilte sich, der Aufforderung seiner Schwester, zum Frühstück herüberzukommen, Folge zu leisten, denn fast hatte er Mitleid mit der guten Dame, von der er nicht ohne Grund voraussetzte, dass sie einer um­fassenden Relation über die Ereignisse dieses Morgens mit brennender Begierde entgegensehe.