Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Fort Wayne – Band 1 – Kapitel 9

F. Randolph Jones
Fort Wayne
Eine Erzählung aus Tennessee
Erster Band
Verlag von Christian Ernst Kollmann. Leipzig. 1854

Neuntes Kapitel

Während der letzten Jahre der britischen Herrschaft in Nordamerika hatte bereits der Strom jener Auswanderung nach dem fernen Westen begonnen, der, wie der Nil Ägyptens eine wunderbare Fülle von Kultur, Gedeihen und Wachstum nach allen Seiten verbreitend, seitdem seine Zielpunkte rastlos immer weiter und weiter hinausgeschoben und endlich die Ufer des Stillen Ozeans und die Goldtäler der kalifornischen Sierra erreicht hat. In den Tagen unserer Erzählung war der Begriff des Far West noch in enge Grenzen gezogen, da die alten Provinzen selbst noch zu viel des Raumes und der herren­losen Wildnis darboten, um die Emigration nach Westen zu einem Bedürfnis zu machen. Der Mississippi, der seine königlichen Fluten in mächtiger Breite von Norden nach Süden wälzt, war das äußerste Ziel yankeeischer Rastlosigkeit und Unternehmungslust. Selbst der herumschweifende Jäger und Fallensteller dachte nicht daran, ihn zu überschreiten und sich in die ungeheuren Prärien zu verlieren, welche sich in endlose Ferne bis zu den fabelhaften Felsengebirgen ausdehn­ten. Die wirklichen Ansiedler, die landbauenden Pio­neers, die dem Urwald ein Stück Land streitig mach­ten, um Platz für eine Blockhütte und einige Acres Mais zu gewinnen, begnügten sich, der Richtung des Ohio und seiner Nebenflüsse zu folgen und wurden, wenn sich ihre wilden, eisenfesten Gestalten einmal auf den Straßen von Boston, Philadelphia und New York blicken ließen, von den Städtern nicht minder als Bewohner des fernen Westens angestaunt, wie heutzutage ein Farmer aus Minnesota, Nebraska und den Schluchten des Ozarkgebirges.

Die Kolonialregierung hatte oder nahm vielmehr wenig Interesse an der Ausdehnung ihres Gebietes und an dem Schicksal der kühnen Familien, welche sich so weit von den Häfen Neuenglands entfernten. Sie betrachtete diese Auswanderer wie undankbare oder doch gleichgültige Söhne, die sich der Autorität und damit dem Schutz des väterlichen Hauses freiwillig entzogen, für deren Geschick demnach niemand als sie selbst verantwortlich seien. Die wenigen, militärischen Positionen, welche den Zweck hatte, eine kleine Truppenabteilung zu beherbergen und die benachbarten Indianerstämme einigermaßen im Zaum zu halten, reichten nicht über den nördlichen Lauf des Ohio und die Ufer des Eriesees hinaus und waren überdies während des Unabhängigkeitskrieges größtenteils durch Freund und Feind zerstört oder freiwillig verlassen worden. Erst die siegreiche Republik erkannte mit dem Seherblicke, den nur die Freiheit gibt , die Aufgabe ihrer Zukunft und begann das Sternenbanner mit fe­ster Hand im Geleit und zum Schirm ihrer kühnen Bürger weit hinaus in die ferne Wildnis zu tragen und auf den Wällen zahlreicher Forts am unteren Ohio, am Kentucky, Cumberland und Tennessee aufzupflanzen.

Wer unter diesen Außenposten der Zivilisation regelrechte Befestigungen nach Baubans, Coehoorns, Montalemberts oder irgendeinem System der Festungsbaukunst überhaupt verstehen wollte, würde sich freilich beim Anblick eines solchen Forts gewaltig enttäuscht gesehen haben. Die Feinde, in deren Ge­bieten sich diese primitiven Zwing-Uris erhoben, besaßen zwar tapfere Krieger und talentvolle Anführer genug, aber weder Turennes, Marlboroughs und Na­poleons noch Artillerieparks, Mineurs und Sap­peurbataillone, gegen deren kunstgerechte Angriffe es doppelter Enceinten, hoher Ravelins, Kontre-Eskarpen und bombenfester Kasematten bedurft hätte. Eine Insel im Strom oder ein erhabener Punkt an der Vereinigung zweier Flüsse, im Notfall ein trockener Graben, hinter welchem eine doppelte Palisadenreihe einen viereckigen Hofraum und die Bretterwohnungen der Solda­ten einschloss, genügte, wenn es sonst nicht an Proviant mangelte, eine ganze Armee von Shawnee, Greek, Osage oder Cherokee wochenlang in Schach zu hal­ten. Besaß die Zitadelle einen alten Neunpfünder, dessen Mündung von dem Bankett über die Palisa­den herüber Tod und Verderben drohte, so war der Kommandant zuverlässig nicht weniger stolz und sah mit nicht minderem Spottlächeln dem Anstürmen der kupferfarbenen Söhne der Wildnis entgegen, wie etwa Lord Elliot der Belagerung seines Gibraltars.

Fort Wayne galt allerdings unter den westlichen Grenzfestungen für besonders stark und wohlbewahrt, unterschied sich aber durch nichts von den übrigen Plätzen dieser Art, wie durch seine von der Natur ge­schützte Lage, die selbst zivilisierten Truppenteilen bei einem gewaltsamen Angriff beträchtliche Schwierigkei­ten und Verluste in Aussicht gestellt haben würde. Da, wo der Harpeth River seine träge, zwischen nied­rigen Ufern einher schleichende Flut mit dem stolzen Cumberlandstrom vereinigt, erhob sich ein ziemlich steil aus der Gabel der beiden Flüsse emporsteigender Hügel, wie sie die Ufer des Mississippi und seiner Nebenflüsse unter dem Namen Bluffs in Menge darbieten. Seine weißen Kalksteinwände glänzten weit­hin in der Sonne und ragten wohl hundert Fuß und fast senkrecht aus der tosenden Stromschnelle, welche das, durch einen jenseits gelegenen, ähnlichen Vorsprung zusammengedrängte Wasser hier bildete. Längs des Harpeth, also im Westen, fiel die Anhöhe rasch und klippenförmig ab; in östlicher und südlicher Richtung dagegen verflachte sie sich nur allmählich in Form eines langgedehnten Rückens, der sich endlich in einem sumpfi­gen Moor verlor, welches den ganzen Platz vom Cum­berland bis eine Meile den Harpeth aufwärts halbmondförmig umschloss. Oft überschwemmte letzterer Fluss, an seiner Mündung von dem Cumberlandstrom zurückgestaut, die ganze Gegend, sodass das Fort inmitten eines weiten Binnensees zu liegen schien. Es lässt sich ermessen, dass auch ohne alle Befestigungswerke dieser wichtige Punkt die vortrefflichste militärische Position darbieten musste. Ein schmaler, kaum sichtbarer Pfad führte vom Wald her in weiten Krümmungen über das Moor, elastisch jedem Fußtritt nachgebend und sich um zahllose, von dürrem Rohr und Gestrüpp umgebene Pfützen herumziehend. Wie sich allmählich der Grund erhob, wurde der Weg natürlich fester, aber einem anstürmenden Feind nur umso gefährlicher, da die ganze Anhöhe, von Bäumen und Strauchwerk entblößt, nicht den geringsten Schutz gegen das Feuer einer wachsamen Besatzung darbot. Etwa dreißig Fuß unterhalb der Spitze des Bluff begegnete man der ersten Palisadenreihe. Hatte man diese durch ein enges, wohlverwahrtes Pförtchen passiert, so erhob sich der Weg plötzlich steil an bis zur Böschung eines tiefen, trockenen Grabens. Drei oder vier Baumstämme bildeten eine primitive Brücke, die im Falle eines Angriffes rasch entfernt werden konnte. Über einer zweiten, die obere Plattform umschließenden Palisadenreihe zeigte ein respektabler, kupferner Neun­pfünder, auf einem starken, mit Rädern versehenen Gerüst ruhend, seine schwarze Mündung, stets bereit, Tod und Verderben den Hügel hinabzuschleudern.

Hatte man diese zweite Umwallung durch eine Öffnung passiert, welche drei auf Zapfen sich bewe­gende Pfähle bildete, so befand man sich auf dem Gipfel des Berges und inmitten der Gebäude, welche das Fort Wayne bildeten. Es waren dies vier lange, ein weites Parallelogramm begrenzende Baracken. Drei derselben unterschieden sich in nichts von den gewöhn­lichen Blockhäusern des Ansiedlers, und auch das vierte, aus dessen Giebelspitze ein mächtig hoher Flaggenstock hervorragte, durfte trotz seiner in hellgrün angestrichenen Rahmen glänzenden Glasfenster und einer schmalen Veranda, die auf einem halben Dutzend mit der Axt gezimmerter Säulen ruhte, nur sehr mittelmäßige Ansprüche mit dem stolzen Namen Kommandantur verbinden, der in großen, schwarzen Lettern auf einem über die Tür genagelten Brett sichtbar war. Hinter diesen Gebäuden und zum Teil über dem Strom hängend, erhob sich eine Art Turm, aus dessen Inneren sich zu verschiedenen Tagesstunden ein misstönendes Knarren und Poltern vernehmen ließ, während von allen Seiten Soldaten in grauen Lager­kitteln mit Eimern und Kannen herbeieilten, um sich mit dem unentbehrlichen Element zu versehen, welches ein paar mächtig große, an Ketten hängende Fässer aus dem Fluss heraufhoben. Da von dieser Seite der jäh herabstürzende Felsen einen Angriff unmöglich machte, so hatte man sich bei der Befestigung nur auf ein Verhack von Baumstämmen beschränkt, deren stehengelassene Äste und Gabeln nicht unzweckmäßig die sogenannten spanischen Reiter ersetzten.

Es war hoher Mittag. Die Mahlzeit der Besatzung war vorüber und außer den Schildwachen, welche träge längs der Palisaden hinschritten, zeigte sich keine Seele auf der den brennenden Sonnen­strahlen ausgesetzten, kahlen Fläche des Festungshofes. Aus einer der Baracken erscholl der eintönige Gesang eines Soldaten; sonst lag tiefer Frieden auf Berg und Tal und hoch in dem blauen Äther wiegte sich ein einsamer Adler im majestätischen Kreisflug. Da trat aus der niedrigen Tür des Kommandantenhauses ein junges Mädchen, einfach, aber nett gekleidet, das sanfte, eine tiefe und stille Traurigkeit verratende Antlitz von einem runden Strohhut beschattet. Sie lenkte ihre Schritte zu dem sogenannten Wasserturm, stieg rasch die leiterähnliche Treppe zu der Plattform empor und ließ von dort ihre Blicke zerstreut über die zu ihren Füßen ausgebreitete Landschaft schweifen. Ringsum dasselbe Bild melancholischer Stille und feierlicher Ruhe! Tief unter ihr rauschte der Cumberland in seinem steinigen Bett und seine breite Fläche glitzerte im Sonnenlicht wie ein wallendes Band von Sternen und Brillanten. Auf dem vorspringenden Gipfel des gegenüberliegenden Hügels stand eine verdorrte, vom Blitz zerstörte Eiche, gleichsam ausgesto­ßen und verbannt von ihren gesunden, üppig grünen­den Schwestern, die etwa fünfhundert Schritte weiter einen fast undurchdringlichen Wald bildeten, dessen dunkelgrünes Dach allmählich in Violett und Blau übergehend sich unabsehbar am Horizont hin ausdehnte. Die ganze weite Szenerie war gleichartig; nur in östlicher Richtung konnte ein scharfes Auge vielleicht eine Lichtung erkennen, einen hellen Punkt, der die Lage der Stadt Nashville andeutete, damals nur ein Haufen unregelmäßig zerstreuter, von Fenzen und Ackerfeldern umgebener Blockhäuser.

Die tiefe Stille ringsum schien mit der trüben Gemütsstimmung des jungen Mädchens, welches den lieblichen Kopf in die Hand gestützt, in träumerischer Selbstvergessenheit an der Galerie des Turmes lehnte, zu harmonieren. Während ihre Blicke die hüpfenden Wellen des Flusses verfolgten, floh ihr Geist weit, weit hinweg über die Grenzen des Urwaldes und über das im fernen Osten brandende Meer; andere Bilder, süße und bittere Erinnerungen erfüllten ihr Herz und Träne auf Träne rollte langsam die blassen Wan­gen hinab. Ein polternder Schritt auf der Stiege weckte sie aus diesem schmerzlichen Hinbrüten. Bestürzt fuhr sie empor, als fürchte sie einer schreckhaften Erscheinung zu begegnen, aber ein freundliches Lächeln erhellte ihr Antlitz, als ein von einem kleinen dreiecki­gen Hut bedeckter Kopf über der Treppenmündung erschien, dem ein magerer, aber beinahe sechs Fuß langer Körper folgte. Es dauerte lange genug, ehe endlich auch die in glänzend schwarzen Stulpstiefeln steckenden Füße auf der Plattform erschienen und die martialische Gestalt des ehrenwerten Major Murchin­son, Kommandant von Fort Wayne, umflattert von einem alten, viel zu weiten Uniformrock, sich in ihrer vollen Größe und Herrlichkeit gleich einer Flaggenstange auf der Zinne des Turmes erhob. Mit einem väter­lichen Lächeln ergriff er des Mädchens Hand, welches Miene machte, sich hinabzubegeben.

»Einen Augenblick, Miss Mary!«, sagte er, die Angeredete mit seinen scharfen blauen Augen fixierend. »Ich sah Euch heraufgehen und bin Euch absichtlich gefolgt, um ungestört von meiner Schwester mit Euch zu plaudern. Bessy, die gute Seele, hat Euch so völlig in Beschlag genommen und macht ihre Ansprüche auf so entschiedene Weise geltend, dass man den günstigen Augenblick rasch benutzen muss.«

»Mrs. Beagle ist mir gegenüber sehr gütig!«, versetzte das Mädchen, »so gütig und freundlich, wie noch niemand zu mir war – außer Euch. Ich verdanke ihr mehr, als ich jemals vergelten kann.«

»Hm!«, sagte der Kommandant, »ich weiß wahrhaftig nicht, ob Ihr sonderlich dafür dankbar sein dürft, dass sie Euch mit sich in diese abscheuliche Einöde heraufgeschleppt hat. Ich muss gestehen, dass ich ihr eine derbe Strafpredigt zugedacht hatte, als sie mir in einem sehr konfusen Schreiben aus Mo­bile meldete, sie werde in Begleitung einer jungen Dame ankommen. Fort Wayne und eine junge Dame! Ich würde mich nicht wundern, wenn Ihr aus lauter Melancholie einmal in den Strom hinunterspränget.«

Mary schüttelte verneinend das Haupt. »Glaubt Sir!«, sagte sie, »nicht die Gegenwart, sondern der Gedanke an die Vergangenheit macht mich traurig. Nachdem, was ich erlebt habe, ist es just die Stille und Abgeschiedenheit dieses Platzes, die mir gut tut und nie, nie«, setzte sie mit einem nervösen Schaudern hinzu, »möchte ich wieder in die Welt zurückkehren!«

»Also eine Einsiedlerin, eine Art Nonne in einem militärischen Kloster wolltet Ihr bleiben?«, sprach Murchinson mit einem Lächeln auf den Lippen. »Nun, mir ist es umso lieber, denn ich muss Euch nur gestehen, seit den drei Monaten Eures Hierseins …«

»Sechs Monate, wollt Ihr sagen!«

»Also, seit den sechs Monaten – Ihr seht, wie schnell mir seitdem die Zeit verflossen ist – habe ich Euch so lieb gewonnen, dass ich Euch, wären nicht meine sechzig Jahre, einen veritablen Heiratsantrag machen würde. Um des Himmels willen! Erschreckt doch nicht, liebe Miss!«, fügte er hinzu, als Mary bestürzt zurücktrat. »Ist Euch an einem Ehemann nichts gelegen, so werdet Ihr doch einen Vater nicht verschmähen – und den sollt Ihr an mir haben in guten und bösen Tagen.«

Mary brach bei diesen Worten in lautes Weinen aus. Der Major sah etwas verlegen und ängstlich drein, denn aufs Trösten verstand er sich nicht, am wenigsten bei Damen.

»Ich hätte Euch nicht an das Unglück erinnern sollen, hm, hm!«, sagte er nach einer Weile, »ja, es ist schlimm, einen Vater zu verlieren und noch dazu auf so trübselige Weise, wie es Euch geschah. Ich habe die See niemals leiden mögen und will lieber auf einer Pulvertonne liegen als in einer finsteren, stinkenden Koje, wo man so hilflos ist wie der Wolf in der Falle. Bei alledem war es doch immer ein Glück,  dass Ihr davonkamt und Ehre den braven Burschen von Matrosen, die Euch in ihr Boot nahmen.«

»Und Ehre der braven Frau«, bemerkte Mary mit Feuer, »die die von allem entblößte, halb tote Schiffbrüchige, als sie hilflos am Strand umherirrte, in ihren Schutz nahm, sie kleidete, in der langen, schweren Krankheit pflegte und ihr das Anerbieten machte, sie zu einem braven Bruder zu begleiten, den sie aufzusuchen im Begriff stand.«

»Pah! Bessy war so dumm nicht, als sie lieber in guter Gesellschaft die Reise machen wollte als mit den groben Kentucky-Kaufleuten, wie es früher ge­schah. Es war der klügste Einfall, den sie jemals gehabt hat. Wenn ich nur nicht immer fürchten müsste, dass Ihr, unseres eintönigen Lebens müde, einmal auf und davon geht!«

»Und wohin sollte ich gehen?«, versetzte Mary seufzend. »Verlassen von der Welt habe ich keinen anderen Wunsch, als Euch und Eurer Schwester eine treue, dankergebene Dienerin zu sein.«

»Dienerin? Das wäre hübsch!«, brummte der Major. »Schlimm genug, dass Ihr die Geschäfte einer solchen verrichtet, wozu dies ver… Waldleben von selber zwingt. Aber mit Euren Talenten, mit Eurer Schönheit werdet Ihr, sind wir nur erst abgelöst und in die Staaten zurückgekehrt, bald genug eine andere und bessere Heimat finden als die Baracke eines alten Soldaten und einer schwatzhaften, eigensinnigen Witwe.«

Ein schwirrender Ton, wie der rasche Flügelschlag eines Vogels, dem ein leichtes Anprallen an die Holz­wand des Turmes folgte, ließ den Major mitten in seinem Redefluss verstummen. Mary, die nicht wusste, was vorging, blieb ruhig und neigte sich lauschend über die Galerie hinaus. Murchinson aber riss sie so heftig zurück, dass sie beinahe gefallen wäre.

»Hin­unter, Miss! Hinunter!«, rief er und drängte sie zur Stiege. »Habt Ihr noch niemals einen Indianerpfeil pfeifen hören, dass Ihr so gemächlich nach einem zweiten umherschaut? Damn’, dass ich keine Schildwache auf die Brustwehr gestellt habe! Warte, du roter Teufel, mache nur deine Grimassen – es geschieht mir ganz recht! Aber ich sage dir …«

Der Major war dunkelrot vor Zorn und dachte nicht mehr an Mary , die gespannt der Richtung seines Armes folgte, den er erbost gegen den Strom hinüberschüttelte. Und in der Tat war der Anblick ganz geeignet, den Ärger des alten Herrn zu erregen, denn jenseits unter der zerstörten Eiche sprang einem Kobold gleich ein gräulich bemalter Indianer umher und exerzierte seinen Kriegstanz unter grotesken Verrenkungen vor den Augen des ergrimmten Majors, der, was dem wilden Krieger sicher nicht entgangen war, weder eine Waffe bei sich noch einen der Soldaten nahe genug hatte, um solchen Übermut auf frischer Tat zu bestrafen. Ohne Zweifel war es auch allein die Absicht des Indianers, den Kommandanten zu kränken, denn der abgeschossene Pfeil konnte in dieser Entfernung kaum noch Schaden tun und eben nur den Turm schwach berühren, wogegen eine Musketenkugel dem Frohlocken des Wilden sicherlich ein schnelles Ende gemacht hätte.

»Holla – Lieutenant Gloomy! Feldwebel Gregg! Tausend Donnerwetter, zwei Mann herauf oder ich er­sticke!«, brüllte der Major in den schweigenden Hofraum hinab, der auch augenblicks gleich dem ver­zauberten Schloss Dornröschens das Schauspiel plötzlichen Erwachens darbot. Aus den Baracken stürzten die Soldaten; der Lieutenant, in einer Hand den Degen, in der anderen ein Zeitungsblatt, rannte den Tambour über den Haufen, der sich anschickte, Generalmarsch zu schlagen. Aus der Kommandantur kam mit der Schnelligkeit des Wirbelwindes eine ältliche, sehr hagere Dame, angetan mit einem großblumigen Kamisol, und das mit Haarwickeln umgebene Haupt gleich einer Meduse in die Lüfte streckend, von wo der Donnerruf des Majors erscholl. Aber zur Ehre der amerikanischen Truppen sei es gesagt , dass die Ver­wirrung nur einen Augenblick dauerte. Während der Lieutenant, von zwei Mann gefolgt, zum Wasserturm eilte, ordnete Feldwebel Gregg die Kompanie in drei Glieder, ohne auf die Flut von Fragen und Ausrufen zu hören, mit denen Mrs. Beagle, die Schwester des Kommandanten, ihn bestürmte. Mit umso größerer Befriedigung eilte diese daher ihrer Pflegebefohlenen, Miss Mary, entgegen, die endlich dem peremptorischen Befehl des Majors gewichen war und nun mit kurzen Worten die Ursache des plötzlichen Alarms erzählte.

»Ach, was für ein Land, Miss Mary, was für ein Land!«, seufzte Mrs. Beagle, während ihre Blicke voll zärtlicher Besorgnis für den geliebten Bruder auf dem Turm verweilten. »Wäre es nicht um Sams Willen, nicht für hundert Dollar bliebe ich einen Tag länger in dieser Wüstenei, wo man kei­nen Augenblick sicher ist, seinen Kopf auf den Schul­tern zu behalten.«

Die Pantomime , womit die lebhafte Frau das Empfindliche dieses Verlustes näher bezeichnete, führte ihre Hand nach dem bedrohten Teil. Als sie dabei mit großer Beschämung die Papilloten entdeckte, sie auch viel zu hoch von ihrer Würde dachte, um sich in diesem Aufzug länger den kritisierenden Blicken der Kompanie auszusetzen, eilte sie rasch wieder in das Haus zurück, um unter Marys Beistand die unterbrochene Toilette zu vervollständigen.

Zwei rasch aufeinanderfolgende Schüsse bekundeten, dass der Kommandant nicht geneigt war, die Frechheit des Indianers unbestraft zu lassen. Die Soldaten spitzten die Ohren gleich Schlachtrossen beim Klang der Trompeten  und schauten mit großem Be­hagen zum Bollwerk über dem Eingang in das Fort, wo von drei kräftigen Gentlemen in Leinenkitteln höchst ernsthafte Zurüstungen gemacht wurden, um die Kanone, den Stolz der Festung, in schussfertigen Zustand zu bringen. Ein vielversprechendes Gemur­mel, hervorgehend aus dem Austausch der auf ein Rencontre mit dem Feind begründeten Hoffnungen, begann sich allgemach in eine laute und hitzige Debatte zu verwandeln, die Lieblingsneigung des Amerika­ners, wenn auch ringsum die Welt zusammenstürzte, als die Ankunft des Kommandanten und des Lieu­tenants die gebührende Ruhe und Ordnung wieder­herstellte. Murchinson sah verdrießlich aus, ein sehr günstiges Zeichen für das Wohlbefinden des Indianers, der sich auch in der Tat vor der gefährlichen Ent­ladung der beiden Musketen zeitig genug in die Tiefe des Waldes zurückgezogen hatte.

»Seid Ihr Eurer Ansicht gewiss, dass der verd… Vagabunde ein Cherokee war, Lieutenant Gloomy?«, fragte der Major, nachdem er einige Minuten schweigend vor der Front seiner Kriegsmacht auf und ab gegangen war. »Es wäre ein schlimmes Zeichen, wenn diese Burschen sich so weit nach dem Norden heraufgezogen hätten, ohne sich vor den Shawnee und Illinois zu fürchten. Schwatzte nicht der Richter von Nashville, der vor ein paar Tagen mit einem Sack voll Neuigkeiten herüberkam, von einem Bündnis aller dieser roten Hunde, um einen Hauptstreich gegen die Ansiedelungen auszuführen?«

»Freilich tat er es, Sir!«, versetzte der Lieu­tenant mit einer schnarrenden Stimme und mit den Augen blinzelnd, »aber Ihr lachtet ihn aus und batet ihn endlich, zum Teufel zu …«

»Never mind! Genug davon. Es mag nun etwas Wahres an der Sache sein oder nicht, jeden­falls wollen wir unsere Schuldigkeit tun und ein wenig die Augen offenhalten. Fatal, dass Korporal Jiggins noch nicht zurück ist; hoffentlich ist ihm nichts Übles begegnet.«

»Wenn sie nur herankämen, die Feinde, mit ihrem hochberühmten Takannah!«, sagte der Lieutenant. »Bruder Jonathan«, damit deutete er zu der Kanone, die sich eben knarrend auf ihrem Gerüst bewegte, »hat lange genug geschwiegen.«

»Geduld, Mr. Gloomy, ich denke, wir können in den Fall kommen, auch ihn reden zu lassen, wenn wir es wirklich mit allen verbündeten Stämmen zu tun haben. Visitiert inzwischen fleißig die Wachen und seht einmal nach der Munition, obwohl ich nicht glaube, dass der tanzende Narr drüben die Vorhut eines bedeutenden Korps gewesen ist.«

Damit wendete sich der Kommandant nach seiner Behausung, und die Soldaten waren im Begriff, aus dem Glied zu treten, als der ferne Schall eines Schusses und der Ruf des Postens an den äußern Palisaden das Kastell aufs Neue in Aufruhr brachte.

»Was gibt es da oben, Schildwache?«, schrie der Kommandant, auf dem Fuß umkehrend, »sollen wir bei dieser Teufelshitze heute durchaus um unsere Siesta kommen?«

»Korporal Jiggins mit Patrouille!«, lautete die kurze, dienstmäßige Antwort.

»Wetter! Wer heißt Jiggins unnütz das Pul­ver verschwenden und dich unnützen Lärm machen?«, polterte der Major, der noch immer sehr übler Laune war.

»Mit Patrouille und einem Haufen …«

»Haufen? Was? Bist du verrückt oder betrunken? Etwa mit einem Haufen gefangener Rothäute?«

»Will gemuten, es sind Weiße«, fuhr die Stimme draußen fort, »auch ein Wagen mit Ochsen …«

»Still, Bursche, ich will selbst sehen!«, unterbrach der Kommandant die rätselhafte Meldung und eilte mit jugendlichen Schritten auf den Wallgang, der hoch genug war, um über die Palisaden hinweg den Ausblick ins Freie zu gestatten.

»Mrs. Beagle soll mir meinen Degen und das Fernrohr schicken! Ich will verdammt sein, wenn ich darauf gefasst war, heute noch Gäste und Ochsenwagen zu empfangen!«

Vom Wall aus erblickte der Major in der Tat eine kleine Truppenabteilung, deren Gewehre in der Sonne blitzten, und erkannte alsbald die Patrone des Korporal Jiggins. Desto mehr stellte die Beschaffenheit der sie begleitenden Karawane seinen Scharfsinn auf die Probe. Dass es keine gefangenen Feinde, sondern friedliche Reisende waren, davon überzeugte ihn das Fuhrwerk mit seinen langsam einher rollenden Gespann. Dennoch ergriff er mit außerordentliche Neugier das Fernrohr, welches ihm keine geringere Person als Mrs. Beagle selbst zugleich mit dem Degen überreichte – eine Dienstfertigkeit, die weniger Anspruch auf Erkenntlichkeit vonseiten des gestrengen Herrn Bruders als auf persönliche Aufklärung durch den Augenschein hinsichtlich der merkwürdigen Vorfälle dieses Nachmittags machte. Mrs. Beagle wusste sehr wohl, dass der Major ihrer Einmischung in das, was er Dienstsachen nannte, stets mit mehr oder weniger scharfen Tadel zurückwies, aber sie wusste auch, dass er ebenso schnell wieder vergab. Überdies erachtete sie es für heilige Pflicht, so viel wie möglich an der Seite des geliebten Bruders zu weilen. Und da sie eine resolute und unerschrockene Person war, die seit dem Tod des ehrenwerten Mister Beagle, weiland Kaufmann und Postmeister in Mobile, jahrelang die abenteuerlichen Kreuz- und Querzüge der Kompanie begleitet hatte, so war ein gewisser militärischer Typus in ihrem Wesen zum Ausdruck gekommen, der sie trotz mancher Eigenheiten zum Liebling der Besatzung machte.

Inzwischen blickte der Kommandant so eifrig durch das Glas, dass er selbst das Geschäft, den Degen in das Wehrhänge zu stecken, ohne es nur zu bemerken, den kunstgeübten Händen seiner Schwester überließ.

»Was Teufel bringt uns Korporal Jiggins dafür Volk?«, rief er endlich, »eine ganze Familie näselnder Connectikuter ohne Zweifel, die den Untergang der sündigen Welt und das tausendjährige Reich hier unten abwarten wollen. Einen alten, schäbigen Kerl und 2, 3 – 4 Burschen von allen Größen und Breiten. Ich will nicht hoffen, dass sie Fort Wayne für ein Wirtshaus oder eine Methodistenkirche ansehen.«

»Vielleicht sind es Flüchtlinge, Bruder, die der Ruf deiner Tapferkeit und die Sicherheit dieser Festung veranlasst, bei uns Schutz zu suchen!«, bemerkte Mrs. Beagle, deren lebhafter Geist sich bereits einen ganzen Roman von Abenteuer, abgeschlagene Stürme und herrliche Kriegstaten zusammengesetzt hatte. »Ich bin überzeugt» du wirst ihren Erwartungen entsprechen und …!«

»Sie heißen, sich ihres Weges zu scheren, Bessy!, ergänzte mürrisch der Major. »Wer heißt die Narren im Wald herumziehen und ihre ungeschlachteten Gliedmaßen nach Tennessee tragen? Ist in den Staaten etwa nicht mehr Raum genug oder haben wir Überfluss an Proviant, um ein Dutzend solcher Mäuler zu füttern, die ganz Boston aufessen könnten? Aber ich will es den Korporal Jiggins eintränken, er soll mir …«

Das Übrige verlor sich in ein dunkles, für jeden ziemlich bedrohliches Gemurmel. Der Zug war indessen nahe genug gekommen, um seine einzelnen Bestandteile auch mit unbewaffneten Auge erkennen zu lassen, einen Vorteil, welchen Mrs. Beagle fleißig ausbeutete. Obwohl sie zu ihrem Leidwesen bemerkte, dass der Major, der, die Hände auf dem Rücken, mit mächtigen Schritten auf und ab ging und die dem unglücklichen Korporal zugedachte Strafpredigt halblaut memorierte, sie nicht im Geringsten beachtete, konnte sie doch nicht umhin, die Bemerkungen und Konjekturen, welche sich ihr auf die Zunge drängten, an den schweigend und kerzengerade neben ihr stehenden Lieutenant zu adressieren.

»Arme Leute, wahrhaftig! Wie gut, dass sie den Korporal gefunden haben! Ich bin überzeugt, mein Bruder wird sie beschirmen wie seinen Augapfel. Er mag sagen, was er will; er ist ein herzensguter Mann, Clooney – ein Mann, wie ein Kind, das weiß niemand besser als ich. Seht doch Lieutenant, den ehrwürdigen Greis, der zwischen den Soldaten einherschreitet wie ein gefangener Häuptling. Und diese jungen Männer sind ohne Zweifel seine Söhne – wahre Heldengestalten! Meint ihr nicht, dass ein solcher Sukkurs in diesen gefährlichen Zeiten gar nicht zu verachten sei?«

Der Lieutenant blies die Backen auf und zuckte mit negierendem Zweifel die Achse. »Gut genug vielleicht für den Feind, den wir hier zu erwarten haben«, sagte er, »aber ich möchte wissen, ob diese Tölpel bei Saratoga oder Yorktown den Engländern gegenüber etwas anderes getan hätten, als davonlaufen.«

»Nicht doch, Mister Clooney! Es ist vielleicht ein Fehler, dass wir Leute von den Regulären«, Mrs. Beagle trachtete sich stets als einen in die integrierenden Teil der Truppen der Vereinigten Staaten, »dem Zivil gegenüber allzu geringschätzig urteilen. Ich möchte wetten, dass diese braven Männer den Feind so sicher aufs Korn nehmen werden, wie irgendeiner von der Kompanie.«

Inzwischen hatten die Ankömmlinge den Fuß der Höhe erreicht. Korporal Jiggins ließ seine zwölf Mann sich zum regelmäßigen Aufmarsch ordnen und er stieg in glücklicher Unwissenheit über den Sturm, der ihm aus den finsteren Zügen des Kommandanten entgegen drohte, den schmalen Pfad, wobei die Zuschauenden bemerken konnten, dass er seine Schützlinge mit viel größerer Sorgfalt im Auge behielt, als sein Chef es passend und wünschenswert finden mochte. Erst als der Zug die Palisaden und die Brücke passiert hatte, gewahrte Jiggins das ungnädige Mienenspiel des Majors, der, die Arme über die Brust gekreuzt, den nichtmilitärischen Teil der Ankömmlinge keines Blickes würdigte, sondern wie der Habicht auf die Taube, so auf das Herantreten des Korporals lauerte, um seinem gepressten Herzen Luft zu machen.

»Halt! Verwandt! Gewehr bei Fuß! Melde die Patrouille zurück, Kommandant! Alles richtig – oder vielmehr nicht richtig.«

Damit trat der unerschrockene Korporal vor, die Hand am Hut, dass es spontan geschultert, in aller Form und Grazie des wohl dressierten Kriegsmannes.

»Mit Euch wenigsten scheint es nicht richtig zu sein, Jiggins!«, brach nun, nachdem der geeignete Moment erschienen war, der Kommandant los. »Habe ich Euch ausgeschickt, um eine Herde Bauern in das Fort zu führen? Oder seid ihr Werber geworden und habt diesen ungelenken Bären die Ehre zugedacht, in der Kompanie zu dienen? Was soll das alles heißen, Mister Jiggins?«

»Hm! Ich fand sie im Busch bei der Rückkehr von Nashville, wurde von Indianern überfallen, kaum 3 Stunden von hier … ein Frauenzimmer dabei geraubt … glaubte meine Schuldigkeit zu tun, wenn ich sie mit mir brächte, besonders da … weil …«

»Nun, weil? Heraus mit der Sprache!«

»Über diesen Punkt möchte ich mit Euch lieber unter vier Augen sprechen!«, sagte Jiggins, indem er sich aus der Straffheit der militärischen Haltung in die bequemere einer gemütlichen Konversation fallen ließ. »So viel ist gewiss, dass wir angegriffen werden; ganz Indien ist auf den Beinen – um Nashville hat der Betteltanz bereits begonnen, die Ansiedlungen am Stones und Caney River sind ausgeplündert …«

»Was sagt ihr? Also so weit sind wir schon?«, unterbrach den Berichterstatter der Kommandant, dessen Ideen sogleich eine andere Richtung nahmen, »dann ist es wahrlich Zeit, an das Nötige zu denken. Kommt mit mir, Jiggins, und lasst hören, was Ihr mir noch zu sagen habt. Die Sache wird ernsthaft; nun desto besser! Desto besser!«

Und von Jiggins gefolgt, schritt oder trabte vielmehr der tatenlustige Mann zum Kommandantenhaus, in dessen Tür beide kaum verschwunden waren, als Mrs. Beagle den Augenblick ihrer Wirksamkeit gekommen glaubte. Mit einer Miene huldvoller Herablassung trat sie zu den Auswanderern, die um ihr Gespann herumstanden, welches wunderbar genug die gefährliche Passage zum Ford glücklich zurückgelegt hatte.

»Nun, macht es Euch immerhin bequem!«, wendete sich Bessy an das Haupt der Familie, dessen finsteres Gesicht ihr nun weniger ehrwürdig, als aus der Ferne erschien. »Ihr müsst ermüdet sein und auch der Schreck übt seine Wirkung in euren Jahren, Mister … Mister. … Euren Jahren, Mr. … Mr. … Euren Namen, wenn ich bitten darf!«, setzte sie etwas pikiert hinzu, als sie sah, wie der Angeredete mit keiner Miene bekundete, dass er sie verstanden habe.

»Morris, David Morris, Ma’am, wenn Ihr es denn wissen müsst – und damit Ihr Eure Lunge nicht durch längeres Fragen angreifen dürft, will ich sagen, dass dies meine Söhne sind und dass wir nicht entfernt daran denken, Euch weiter als bis morgen früh lästig zu fallen.«

»Lästigfallen ist keine Rede und Ihr könnt nicht im Ernst daran denken, weiter zu reisen, da die roten Stämme das Kriegsbeil ausgegraben haben. Hörte ich nicht vorhin, dass Ihr bereits ein Zusammentreffen mit dem Feind hattet und ein Mitglied eurer Familie verloren habt? Oh, wie beklage ich Euch, aber Mann!«

David Morris schnitt eine Grimasse, die es der guten Dame zweifelhaft ließ, ob sie Schmerz über das erlittene Unglück oder Ungeduld über das lästige Examen ausdrückte. Ihr gutes Herz entschied sich umso lieber für die ernsthaftere Deutung, da sie nicht Willens war, dem Alten die Erzählung seiner Abenteuer zu erlassen, obwohl Morris, der instinktartig die drohende Prüfung ahnte, sich hinter seiner verschlossenen Miene verschanzte und mit seinen Söhnen Blicke und Winke wechselte, den Hoffnungen der wackeren Mrs. Beagle wenig Erfolg verhießen. Aber das kümmerte sie wenig; wofür wäre sie die leibliche Schwester des höchsten Würdenträgers in Fort Wayne und 20 Meilen in der Runde gewesen, wenn sie nicht jegliche genaue Auskunft über diejenigen hätte verlangen dürfen, welche sie ihren Schutz und mächtigen Einfluss angedeihen zu lassen entschlossen war? Im schlimmsten Fall war ihr Bruder dar, der von Amts wegen die gewünschten Erklärungen zu fordern berechtigt war, und wenn eine Mitteilung aus dritter Hand auch viel von ihrem Reiz verlor, war sie doch besser als gar keinen. Jedenfalls hatte nunmehr die triste, jeder Aufregung bare Monotonie des bisherigen Lebens auf Fort Wayne ein Ende. Und Mrs. Beagle fühlte sich durch dieses Bewusstsein nicht minder gehoben und angeregt, wie der Dichter, der nach langen Sinnen und Suchen endlich den dankbaren Stoff eines neuen Geisteswerkes gefunden hat. Für den Augenblick enthielt sie sich jeder weiteren Forschung und nachdem sie sämtliche Mitglieder der Familie Morris noch einmal scharfen Blickes gemustert und somit für alle Zeiten der empfänglichen Tafel ihres Gedächtnisses eingeprägt hatte, kehrte sie in das Haus zurück, um ihrer viel geliebten Mary die gleichen Ergebnisse der jüngst verflossenen Stunde mitzuteilen.

Die Kommandantur war, wie gesagt, nichts als ein höchst einfaches, nur durch seine größere Länge und Höhe bemerkenswertes sogenanntes Framehouse und bestand eigentlich nur aus zwei Zimmern, welche durch einen in der Mitte liegenden Raum getrennt war, der zugleich als Küche, Vorzimmer und bei schlechtem Wetter selbst als Appellplatz diente. Links führt eine Tür zum Zimmer des Kommandanten, in welchen erarbeitete, rauchte und schlief, kurz, allen Freuden und Sorgen seines öffentlichen, wie seines Privatcharakters ungestört obliegen durfte. Gegenüber hauste Mrs. Beagle, früher manchen traurigen Monat allein, nun beglückt durch die Anwesenheit eines jungen liebenswürdigen Mädchens, welches sie bei ihrer letzten, gewisse gewiss seit Jahren verzögert Geschäfts- und Erbschaftsregulierungen bezweckenden Anwesenheit in Mobile nicht minder den Regelungen edler Menschenfreundlichkeit folgend, als auch in Hinblick auf das Wünschenswerte einer passenden anspruchslosen Gesellschafterin ihrer mütterliche Obhut genommen hat. Einem Hintergrund des von drei kleinen Fenstern erhellten Zimmers quer von einer Wand zur anderen gezogen Vorhang von gewürfeltem Baumwollzeug verbarg die Lagerstätte der beiden Damen und bildete so den Luxus eines Schlafgemach, der sich allerdings erst seit der Ankunft Marys datierte, wie denn überhaupt mit ihr ein Geist der Ordnung, Empfindsamkeit und des Komforts in die arme kahle Bretterhütte gekommen war, dessen freundlicher Wirkung sich selbst der raue Major nicht entziehen konnten konnte, so oft er auch über Verweichlichung und weibliches Sybritentum schmähte. An einem der Fenster stand ein hübscher Nähtisch mit zwei hochliegenden Stühlen; gegenüber eine mächtige Eichentruhe mit schweren kupfernen Schlössern – Gegenstände, die in jener Wildnis sich zu dem Anspruch eines stattlichen Meublements erhoben, die durch das Vorhandensein eines Gestells mit blühenden Topfpflanzen und einer mit wundervollen Schnörkeln und Arabesken verzierten Schlaguhr nicht weniger gesteigert wurde. Umso größer war der Kontrast mit drei oder vier niedrigen Schemeln und einem roh gearbeiteten Schrank von Ahornholz – das Kunstwerk des zum Besatzungspersonal gehörenden Zimmermanns. Gleichwohl war alles sauber und nett; die Grünen Zitzvorhänge an den Fenstern milderten so behaglich den blendenden Reflex der Sonne an den kahlen Felsen, ein sehr kleiner und sehr erblindeter Beagle hing gerade am passenden Ort und ein alter, mit glänzenden Messingnägeln beschlagener Koffer störte so wenig die waltende Symmetrie, dass niemand, der einige Wochen in den Wäldern und ihren mehr oder minder schmutzigen und kahlen Farmwohnungen zugebracht hatte, dieses Gemach ohne ein Gefühl lebhaften Vergnügens betreten konnte.

Mary war mit einer Näherei beschäftigt, als Mrs. Beagle eintrat. Die Gedanken des jungen Mädchens, deren liebliches Profil von glänzend schwarzen Haaren eingerahmt und von ein paar dunkelbraunen, träumerischen Augen belebt wurde, mochten wohl weit von ihrer Arbeit und dem öden Platz entfernt sein, auf welchen sie die Wechselfälle eines bösen Geschicks geworfen hatte. Gleichwohl erhellten sich ihre Züge, als ihre Freundin und Wohltäterin eintrat und den zweiten vorhandenen Stuhl einnehmend, dem Strom ihrer Beredsamkeit freien Lauf ließ. Sie hörte mit Teilnahme von der Ankunft der Auswandererfamilie und zeigte bei der Nachricht, dass der Krieg mit den Indianern bereits begonnen, viel weniger Schrecken und Besorgnis, als Mrs. Beagle erwartet hatte. Sie war, ebenso sehr durch eigene Wahrnehmung als durch die pompösen, von zärtlicher Geschwisterliebe in brillanten Farben gegebenen Schilderungen ihrer Freundin so überzeugt von dem Heldenmut ihres Majors und der Sicherheit seines Schutzes, dass sie in der Tat keine Regung persönlicher Furcht empfand. Überdies hat das Schicksal sie schon in so wahrhaft schrecklichen Lagen und Verhältnisse geführt und ihr Herz mit so herben Erfahrungen heimgesucht, dass die Ankündigung kriegerischer Ereignisse schon darum weniger Eindruck auf sie machte, als sie es sonst bei zarten Frauen zu geschehen pflegt.

»Ich möchte nur wissen, welche Heimlichkeiten Korporal Jiggins meinem Bruder zu melden hat?«, schloss Mrs. Beagle ihre Unterhaltung, die sie beinahe allein geführt hatte. »Ich glaube, sie reden von Mr. Smollis oder Norris, denn Jiggins warf gewisse Blicke auf den Alten, die nichts Gutes versprachen. Er ist ein finsterer und verschlossener Bursche – seht ihn Euch einmal genau an, lieber Mary, da geht er eben über den Platz – aber hinausweisen werden sie ihn hoffentlich dennoch nicht; das hieße ja eine christliche Familie geradezu dem Verderben überantworten. Ich will den Major bitten …«

In diesem Augenblick trat der Erwähnte selbst ein. Sein Antlitz, welches sich sonst stets zu erheitern pflegte, wenn er Miss Mary erblickte, war diesmal ernster als gewöhnlich und zeigte einen Grad von Entrüstung und verhaltenem Groll, den ihr umsonst den Damen gegenüber zu verbergen bemüht war. Mrs. Beagle, die diese schlimmen Anzeichen alsbald gewahrte, und vermöge einer natürlichen Schlussfolge auf Rechnung des Verdrusses setzte, den ihm die Ankunft der Auswanderer verursacht hatte, fühlte sich dadurch nur umso mehr veranlasst, mit beredten Mund die Sache der Familie Morris zu führen, wobei sie, obwohl nur schüchtern und mehr durch Blicke als Worte, von Mary unterstützt wurde. Der Kommandant hörte sie, nachlässig an die Wand gelehnt, mit sichtbaren Anzeichen von Zerstreutheit an. Er blickte ihnen ins Gesicht, ohne mehr als den Klang, nicht aber den Sinn ihrer Worte zu vernehmen, und versank endlich so tief in Gedanken, dass die besorgte Schwester, die Symptome einer tückischen Krankheit oder einen heftigen, ihr verborgen gehaltenen Kummer argwöhnend, plötzlich mitten im Satz inne hielt, vom Stuhl aufsprang und den geliebten Bruder mit angstvollen Blicken fixiert.

»Aber was ist mit dir vorgegangen, Sam?«, rief sie aus und ergriff die Hände des Majors, diese so kräftig schüttelte, dass der Angeredete endlich aus seinem Sinnen erwachte und die beiden Frau erstaunt anschaute.

»Hatte ich Korporal Jiggins verhext? Was für schreckliche Nachrichten müssen das sein, die dich so aus aller Fassung bringen konnten? Oder bist du krank? Hast du Fieber, lieber Sam? Ich rede seit einer halben Stunde zu dir von den Fremden, die du aus dem Fort schicken willst …«

»Aus dem fort schicken? Das werde ich wohl bleiben lassen, Bessy!«, sagte der Major und sein Blick wurde wieder drohend. »Mögen die Jungen meinetwegen heute oder morgen ihres Weges ziehen – der Alte kommt mir nicht von der Stelle, ehe diese Abscheulichkeit aufgeklärt und bestraft ist. Wenn es wahr wäre! Großer Gott, kann ein Kopf mit grauen Haaren solche Schurkerei erdenke?«

Bessy fiel aus dem Wolken. Was war das für ein neues Geheimnis? Welche Wege und Spuren öffneten sich plötzlich ihren forsch-begierigen Blicken! Sie starrte den Major, der mit dröhnenden Schritten im Zimmer auf und ab ging, mit einer Miene an, als sei es Bancos Geist, der auf der knarrenden Diele einherwandelte. Ehe sie sich indessen hinlänglich gesammelt hatte, um das schwere Geschütz ihrer Fragen auf den Bruder zu richten, blieb dieser plötzlich stehen und sagte, dicht an sie herantretend: »Keine Neugierde, liebe Bess! Euch, teure Mary, brauche ich nicht erst von Fragen abzuhalten, die ihr doch niemals an mich richten würdet. Wisse, ich bin einem Verbrecher auf der Spur, zu dessen Aufhellung du, Schwesterchen, nichts beitragen kannst. Die Versicherung jedoch gebe ich dir, dass du um unsere neuen Ankömmlinge unbesorgt sein darfst, wenigstens was ihre Ausweisung aus dem Fort betrifft. Ich würde diesen David Morris festhalten, mit Gewalt festhalten, wenn er gehen wollte.«

Damit kehrte er sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer und über die Maßen betroffenen Frauen. Sie sahen ihn draußen beim Lieutenant mit leiser Stimme Befehle geben, die ohne Zweifel auf den alten Morris näheren Bezug hatten, als er wünschen mochte. Wenigstens schien sich dieser höchst unbehaglich zu fühlen – ein Gefühl, welches sich bis zur schlecht verhehlten Angst steigerte, als er den mit lauterer Stimme geführten Schluss des Gespräches zwischen Murchison und Cloomy vernahm.

»Also lasst den Fremden nicht aus den Augen; gebt den wachen die nötige Odre, dass sie keinen von ihnen die Palisaden überschreiten lassen; mit Sonnenuntergang werden sie eingeschlossen. Habt ihr die Waffen mit Beschlag belegt?«

Statt der Antwort streckte der wortkarge Lieutenant den Arm aus, und mit sehr verschiedenen Gefühlen sahen der Kommandant und David Morris zwei Soldaten mit den Büchsen der Auswanderer, die diese, vertrauend auf den Schutz des Forts, bei ihrer Ankunft auf den Wagen geworfen hatten, im dunklen Eingang eines der Blockhäuser verschwinden.