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Ein Ostseepirat Band 2 – Kapitel 31

Carl Schmeling
Ein Ostseepirat
Historischer Roman, Zweiter Band
XXXI. Große Eile

Der Oberst Staelswerd ging, nachdem er die Wohnung seines früheren Leutnants verlassen hatte, lang­sam und nachdenklich seiner Behausung zu. Ein Teil seiner Gedanken galten jedenfalls dem von ihm so gehassten Freischiffer, ein anderer dagegen wohl dem Leutnant Dalström.

Vielleicht erwog er, warum wohl die irdi­schen Glücksgüter so ungleich verteilt würden und ein Mangel derselben eigentlich nie durch noch so bedeutende Leistungsfähigkeit und Tüchtigkeit ersetzt werden könne.

Vielleicht aber freute er sich auch schon im Stillen darüber, dass es ihm nun gelingen werde, Jacobson festzunehmen und seiner verdienten Strafe zu überliefern.

So langte er vor dem Gouvernementsgebäude an und wäre hier fast von einem Menschen umge­laufen worden, in dem er bei näherer Betrachtung den Schließer erkannte.

»Nun was gibt es?«, fragte der Oberst Staelswerd.

Der Angeredete war so außer Atem, dass er sich erst erholen musste, ehe er antworten konnte.

»Gnädiger Herr!«, stieß er dann hervor, »es ist schon Zeit, der Mann hat mich aufgesucht. Noch in dieser Nacht soll die Befreiung der Damen statt­finden.«

»Alle Teufel« ,stieß der Oberst hervor, »was da, doch jedenfalls kann es nicht geschehen, ohne dass er dabei ist.«

»Nein, gnädiger Herr.«

»Gut, so laufe er – doch nein, gehe er eilig zurück, suche er Zeit zu gewinnen. Wann meint er, dass der Verbrecher erscheinen wird?«

»Ich denke, nach zehn Uhr.«

»Also suche er Zeit zu gewinnen.«

»Gut, gnädiger Herr.«

Der Schließer eilte davon.

Staelswerd blieb noch einen Moment stehen, er musste sich erst sammeln. So nahe seinem Ziel, schien ihm der glückliche oder schlaue Seemann wieder­um den Rang ablaufen zu wollen, das musste wohl erwogen werden.

Es gab nun verschiedene Wege, auf denen der Baron dem Unternehmen des Freischiffers begegnen konnte.

Der eine derselben bestand darin, mit einer star­ken Wache an den Ort der projektierten Tat zu eilen. Hierdurch wurde jedenfalls das Unternehmen verhindert. Ob aber zugleich der Unternehmer gefangen, das war fraglich, weil das Erscheinen einer Anzahl Soldaten jedenfalls hinlänglich Aufsehen erregen musste, um aufmerksam zu machen. Zu vermuten war aber, dass der schlaue Seemann das Terrain für seine Operationen gehörig besetzt halten werde.

Allein ohne Begleitung zu dem bewussten Orte zu gehen, schien noch weniger ratsam, denn der Oberst musste mit Recht darauf zählen, dass ihm der kühne Seemann bei einem etwaigen Begegnen seinen hinterlistigen Verrat gehörig einzutränken, Lust bekommen könne.

Es blieb daher der beste Rat, jenem vorläufig, den eben gewonnenen Dalström entgegenzuwerfen, inzwischen aber irgendeine Macht aufzubieten, dem­selben zu Hilfe zu eilen. Gelang es Dalström und dem Schließer dann nicht, den Mann in der Kustodie festzuhalten, so mochte man ihn immerhin mit Ge­räusch auf der Straße festnehmen.

Staelswerd machte also wieder kehrt und flog diesmal durch die Straßen, bis zu der Wohnung des Leutnants, in die er ohne weitere Anmeldung durch Klopfen eintrat. Sein Äußeres erschien dabei im höchsten Grad aufgeregt. Mit Heftigkeit rief er denn auch, ohne auf die Anwesenheit der Frau zu achten: »Vorwärts, Dalström! Unser Mann wird gegen zehn Uhr in der Kustodie sein, es könnte leicht zu spät werden; ich will unterdessen Unterstützung für Sie hinzuführen. Sie werden außerdem auch auf die des Schließers im Haus zu rechnen haben.«

Es ist möglich, dass Dalström mit seiner Frau über die Wünsche und Absichten des Barons gesprochen hatte. Dieselbe trat jetzt schnell vor.

»Ist es denn nötig«, rief dieselbe, »dass grade mein Mann zu einem solchen Unternehmen verwen­det werden muss?«

»Gute Frau«, sagte Staelswerd schnell, »hier ist keine Zeit zu solchen Verhandlungen. Es gilt dem Dienst des Vaterlandes – übrigens will ich nicht hoffen, dass ein schwedischer Offizier sich von seiner Pflicht durch den unzeitigen Wunsch seiner Frau abhalten lässt.«

»Nein, nein!«, rief Dalström ärgerlich, »schweig Frau, ich bin bereit zu folgen, Herr Oberst; also in der Kustodie soll ich ihn finden, ich begreife nur noch nicht …«

»Geh nicht, Mann!«, sagte die Frau, »mir ahnt Böses!«

»Schweig, Weib!«, herrschte Dalström, »in wel­cher Situation werde ich meinen Gegner dort finden, Euer Gnaden?«

»Er wird die Frauen durch den vermeintlich bestochenen Schließer in Empfang nehmen und fort­führen wollen.«

»Gut, gehen wir!«, sagte der Leutnant, »lebt wohl!«

Diese Letzteren beiden Worte, die gesprochen wurden, während Dalström nach seinen Waffen griff, galten der Familie, und er sowie der Oberst ver­ließen das Zimmer.

Mit schnellen Schritten eilten beide davon, bis sich ihr Weg trennte, und Staelswerd zur Hauptwache zu weiter eilte.

Dalström untersuchte auf dem noch zurückzu­legenden Weg seine Pistolen und lockerte seinen Degen. Bald darauf stand er vor dem immer noch offenen Tor des Gefängnisses, zugleich hörte er Schritte und heftige Worte. Er spähte umher. Als er außerhalb nichts bemerkte, schickte er sich an, in das Haus zu dringen. In demselben hatte sich indessen die Einleitung zu einem Drama weiter entwickelt. Auf die Frage der Frau von der Grieben ant­wortete zunächst Jacobson.

»Gnädige Frau!«, sagte derselbe, »ich meinte, Sie würden mich erwarten. Jedenfalls erkennen Sie mich wohl jetzt an der Stimme. Ich bin da, um Sie von hier fortzuführen, wenn uns nicht dieser Mensch den Streich eines Judas gespielt hat. Bitte, eilen Sie, wir haben in keinem Fall Zeit zu verlieren!«

»Jacobson!«, rief die Frau, »mein Gott, wir sind nicht angezogen!«

»So kleiden Sie sich rasch an, meine Damen, jede Sekunde ist kostbar!«

»Wir werden!«, antwortete die Frau, welche allein sprach, weil sich vielleicht die Töchter trotz der Dunkelheit genierten. »Clara, Sophie, habt ihr gehört, eilt!«

»Ja, ja, Mama!«, hieß es leise.

Jacobson hatte indessen den Schließer ergriffen und ließ ihn die Mündung eines Pistols fühlen.

»Was soll das heißen?«, fragte er dabei.

»Verzeihung, Herr«, stammelte der Mann, »es ist reine Vorsicht, denn wenn ich die Damen unter­richtet hätte, könnten sie sich leicht verraten haben.«

»Ich will hoffen, dass kein anderer Verrat im Spiel ist!«, antwortete der Kapitän, »denn wehe dir, Bursche! Meine Damen, keine überflüssigen Vorrichtungen, nur notwendige Umhüllungen, Sie werden in kurzer Zeit Gelegenheit haben, Ihre Toilette zu vervollständigen!«

»Wir sind fertig!«, rief nun Clara.

»So kommen Sie!«

Die Damen traten der Tür näher.

»Jetzt vorwärts, Freund!«, herrschte Jacobson dem Schließer zu und schob ihn vor sich her, als derselbe nicht schnell genug seinen Gang in Bewe­gung setzte.

Diese Worte und jene Tritte waren es, welche Dalström eben im Begriff einzutreten, vernahm. Gleich darauf tauchten aus dem dunklen Hintergrund des Flures eine Anzahl Gestalten vor ihm auf. Wahrscheinlich hatte Jacobson in der sich in der Tür zeigenden Gestalt zuerst einen seiner Leute zu sehen vermeint. Er erkannte seinen Irrtum erst, als auch Dalström ihn erkannte.

»Dalström!« rief er, »Sie hier?«

»Ja, ich bin hier, wo ich sicher nicht erwartet werde; ergib dich, Bandit!«, rief der Leutnant.

»Also auf diese Weise sprechen wir?«, ent­gegnete Jacobson. Zugleich riss er ein Pistol aus der Tasche und drückte mit Blitzesschnelle die gegen den Leutnant gerichtete Mündung ab. Dalström sank mit einem Seufzer zu Boden, die Damen ließen Ausrufe des Schreckens hören, Jacobsons Leute sprangen herbei.

»Nieder mit dem Verräter!«, rief er ihnen zu, »meine Damen, schnell vorwärts!«

Ein Schlag mit einem Schiffshieber streckte den verräterischen Schließer zu Boden. Jacobson, die Arme der Mutter und der jüngeren Schwester ergreifend, zog diese davon, indem er Clara bat, zu folgen. Alle, die beiden Seeleute eingeschlossen, eilten davon, während verschiedenes Geräusch andeutete, dass die Bewohner der Nachbarhäuser durch den Schuss alarmiert worden waren.