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Die Gespenster – Dritter Teil – 34. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Vierunddreißigste Erzählung

Den Präsidenten von Thou drückt ein, dem Gefühl nach, weiblicher Alp

Der Präsident Jacques-Auguste de Thou erlebte um das Jahr 1596 folgendes nächtliche Abenteuer: Als Schomberg und de Thou zu Saumur waren, um mit den Abgeordneten des Duc von Vereceur Konferenzen zu halten, kamen täglich auch eine Menge von Herrschaften und Edelleuten dahin. Verschiedene begaben sich zum Stadthaus. De Thou begab sich, um den neuen Gästen Platz zu machen, in eines der oberen Zimmer, ohne im Geringsten zu ahnen, dass er hier gleich in der ersten Nacht von einem Gespenst heimgesucht und geängstigt werden würde. Es war hoch Mitternacht, als der Präsident, der kaum ein Stündchen in seinem schmalen Bett fest geschlafen haben mochte, vom Alp gedrückt, plötzlich erwachte. Was ihn drückte, war keineswegs nur dickes Blut oder Fantasiespiel oder ein ängstlicher Traum; nein, die wirkliche Last eines Mehlsacks lag quer über ihn hingestreckt. Er wälzte diese spukhafte Bürde, die er, dem Gefühl nach zu urteilen, für ein weibliches Wesen im bloßen Hemd hielt, eilig von sich ab und zum Bett hinaus. Baff! Sie fiel auf die Fußdecke, ganz wie ein Mehlsack fallen würde, und weckte so den Präsidenten vollends auf. Er begriff nicht, was das sein könne, und glaubte, wirklich wachend noch eine Weile, er träume. Indessen riss er neugierig und prüfend die Bettverhänge ganz auf und erblickte in dem vom Mondlicht, das in die Fenster fiel und von einem noch glimmenden Überrest des Kaminfeuers erleuchteten Zimmer ganz deutlich, dass er sich wirklich einer ihn drückenden, nicht leblosen Masse entledigt habe. Diese wälzte sich nämlich eben von seinem Bett hinweg und erhob sich dann allmählich zu einer ganz weißen Riesengestalt, die beide Arme über dem Haupt zusammenschlug und im Schlafgemach hin und her tappte. Um das Kaminfeuer herum erblickte der verwunderte de Thou mehrere kleine nicht deutlich erkennbare Gestalten, die teils auf Stuhllehnen sich zu stützen, teils auf den Stühlen selbst zu sitzen schienen. Höchst graulich war dieser Anblick, und doch dachte unser Geisterseher noch immer, nicht sowohl an Geister, die ihn umgäben, als vielmehr an schlechte Leute, welche die Absicht haben könnten, ihn zu bestehlen. Nun näherte sich die wandelnde Mehlsackmasse gar seinem Bett. Auf die von der Angst vielleicht eingegebene Frage Wer bist du! gab der Alp die vielsagende Antwort: »Die Königin des Himmels!«

Auch die Stimme wieder verriet ihm, dass er es mit einem Frauenzimmer zu tun habe. Er sprang auf, weckte seine Bedienten, die im angrenzenden Zimmer schliefen, und untersuchte mit deren Hilfe die Natur des weiblichen Geistes.

Es war eine Verrückte aus der Stadt, welche de Thou nie gesehen und von der er nie etwas gehört hatte. Da man in der Familie nicht auf sie Acht gab, so lief sie überall umher und wurde von Bedienten und Straßenjungen geneckt und verspottet. Für die Nacht suchte sie Schutz vor der Witterung, wo sie diese fand. Zufälligerweise war sie dieses Mal in das Zimmer des Präsidenten gekommen, als er schon schlief, indem er seine Tür weder durch Schloss noch Riegel verschlossen hielt, weil seine Bedienten in der Nebenkammer lagen. Die Verrückte, die das Haus kannte, ging ohne Geräusch in sein Zimmer, entkleidete sich beim Kaminfeuer bis aufs Hemd und hängte ihre Kleider, die einige Mutwillige mit Wasser bespritzt hatten, in der Absicht, sie zu trocknen, an den Stühlen um den Kamin herum. Sie selbst legte sich unbefangen über das Bett des Präsidenten hin und schlief ein. Nach einiger Zeit erwachte dieser, von ihrer Schwere gedrückt. Er wollte sie abschütteln; die Närrin fiel und weckte de Thou vollends auf. Die Bedienten mussten sie wegführen.

Am nächsten Morgen erzählte der Präsident die Geschichte dem Herrn von Schomberg, der, so mutvoll er sonst war, sich nicht schämte, zu gestehen, er würde sich an der Stelle des Geistersehers gefürchtet haben. Schamberg brachte dieses nächtliche Abenteuer zu Angers vor den König, der das nämliche Bekenntnis von sich tat. Die Geschichte verbreitete sich bald am ganzen Hof und gab viel Stoff zum Lachen.

Als einige Zeit danach der König am Osterfest in der Jakobinerkirche die Vespermesse besuchte und man das Regina coeli (Königin des Himmels) anstimmte, erinnerte er sich dabei des Abenteuers des Herrn de Thou, stand auf und suchte ihn mit den Augen. Nach dem Amt ging er im Kloster mit dem Duc von Vereceur spazieren, der sich mit dem König ausgesöhnt hatte, rief de Thou zu sich und ließ ihn seine Geschichte erzählen. Heinrich IV. und der Duc von Vereceur bewunderten und lobten die Unerschrockenheit des Präsidenten; aber dieser wünschte dessen ungeachtet, dass er nicht so allgemein zum Märchen der Stadt geworden sein möchte. Schomberg hatte nämlich überall sich das Vergnügen gemacht, noch Umstände hinzuzusetzen, die einem jeden ein Lächeln über den Helden der Geschichte abnötigten.