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Die Plauderstube – Die Abenteuer eines Leutnants – Kapitel 5

Die Abenteuer eines Leutnants
Novelle
Aus dem Schwedischen von E. Sickenberger
Sonntag, 3. März 1861

V.

Wir lassen nun Sommer, Herbst und Winter verschwinden, ehe wir den Faden unserer Erzählung wieder aufnehmen. Hjalmar hatte unterdessen immer mehr Wohlbehagen in seiner neuen Heimat und in der Gesellschaft seines edlen Freundes, die ihm mit jedem Tag teurer wurde, gefunden. Herr Franck hatte im Herbst in wichtigen Angelegenheiten auf ein paar Monate eine Reise außer Landes angetreten, aber vor seiner Abreise Hjalmar das feierliche Versprechen abgenommen, während der Zeit sich um keinen Preis verlieben zu wollen. Obwohl Hjalmar nicht begreifen konnte, weshalb ein derartiges Versprechen von ihm gefordert wurde, gab er es doch gerne, und da sich gerade in der ganzen Nachbarschaft keine Mädchen fanden, denen er seine Huldigung hätte widmen können, so war es nicht schwer, dasselbe zu halten. Er konnte also seinem Freund bei dessen Rückkehr an Weihnachten versichern, dass sein Herz vollkommen frei sei, eine Mitteilung, die sichtbar ganz willkommen war.

An Neujahr hatte unser Held auch seinen versprochenen Wechsel erhalten, aber da er unter den jetzigen Verhältnissen nicht so viel Geld brauchte, vertraute er diese geheimnisvolle Sache Herrn Frank an, indem er zugleich sein Bedauern darüber ausdrückte, dass er seinen unbekannten Wohltäter nicht entdecken konnte, um ihn nun zu ersuchen, diese Summe besser anzuwenden, als sie einer Person zu geben, die nichts bedürfe.

»Was schwätzt du da wieder?« Man sieht, die beiden Freunde hatten Smollis getrunken. »Geld ist immer gut zu haben. Was du im Augenblick nicht brauchst, kann dir in der Zukunft einmal sehr zustattenkommen. Damit du nicht in Verlegenheit bist, was du mit deinen Kapitalien anfangen sollst, so will ich sie auf Zinsen anlegen und dir die Renten davon geben.«

Eines schönen Morgen zu Anfang April kam Herr Franck auf Hjalmars Zimmer. Er setzte sich aufs Sofa und sagte nach kurzem Schweigen: »In einigen Wochen muss ich wegen wichtigen Angelegenheiten nach Paris reisen. Hast du wohl Lust, mich dahin zu begleiten. Es versteht sich von selbst, dass ich die Reisekosten trage.«

Hjalmar wollte kaum seinen Ohren trauen; nach dieser unermesslichen Metropole der modernen Zivilisation, an die er immer mit Vorliebe gedacht hatte, zu kommen – das war ein Glück, das er bisher nicht zu träumen gewagt hatte. Anstatt mit Worten zu antworten, flog er auf und schloss seinen edlen Freund heftig in seine Arme.

»Nun, nun, langsam«, sagte dieser lächelnd, »aber es freut mich, dass du so bereitwillig auf meinen Vorschlag eingehst. Suche nun um Urlaub nach und mache dich reisefertig, denn in den ersten Tagen des Mai müssen wir auf der Reise sein.«

Der Urlaub wurde erbeten und bald erteilt, und unter beständigen Träumen von Paris und von all dem Wunderbaren, das er sehen sollte, verflossen Wochen, allerdings langsam genug, aber sie verflossen dennoch, und an einem hellen Maimorgen saßen Herr Franck und der glückliche Hjalmar im Reisewagen, um sich nach Göteborg zu begeben, wo sie an Bord des norwegischen Postdampfbootes gehen wollten.

Da wir durchaus nicht gewillt sind, eine Reisebeschreibung zu geben, begnügen wir uns zu erzählen, dass unsere beiden Reisenden an einem lieblichen Maiabend wohlbehalten mit der Eisenbahn in der großen Weltstadt ankamen. Es wäre vergeblich, Hjalmars Verwunderung beschreiben zu wollen, als er an der Seite seines Freundes in diesem welthistorischen Labyrinth umherwandelte, wo sich an jeden Palast unsterbliche Erinnerungen knüpfen. Mit einem gewissen Schauer sah er die gespensterhafte Kirche Notre-Dame, die er schon aus Victor Hugos geistreichen, aber unheimlichem Roman kannte. Bezaubert stand er auf der Place de la Concorde, wo der viertausendjährige Obelisk von Luxor mit seinen zahlreichen Hieroglyphen auf die lärmende Menschenmasse, die an seinem Fuß herumwimmelte, niederschaut. Weiter in der Ferne breiteten sich die elysäischen Felder mit ihren vielfältigen Alleen aus, an deren Ende Napoleons Triumphtor seinen kolossalen Bogen ausspannte. Und wie erstaunte er nicht, als er in das Palais Royal, dieses einzige Haus, das eine Welt für sich genannt werden kann, trat, wo alles, was ein Mensch sich wünschen kann, vom Größten bis zum Kleinsten zu erhalten ist, Notabene ums Geld, wie sonst überall, wo etwas zu bekommen ist.

Am folgenden Morgen, als Hjalmar an der Seite seines Freundes durch die endlose Rue Richelieu schlenderte, schrie dieser ihm ins Ohr, denn Sprechen reicht in Paris nicht hin: »Da sieh einmal das hübsche Mädchen hier oben am Fenster!«

Hjalmar sah empor und blieb wie bezaubert von einer himmlischen Erscheinung einen Augenblick gefühllos gegen alle die kräftigen Stöße, die ihm reichlich von den ewigen Volksströmen erteilt wurden, stehen.

»Mein Ideal!«, rief er hastig, »ja wirklich mein Ideal. Wie sonderbar! Zu einer gewissen Zeit habe ich von einem solchen Engelsbild geträumt, das ich früher schon irgendwo einmal gesehen haben muss – aber das ist so unmöglich – unmöglich …«

Hier erhielt der werte Sprecher einen so tüchtigen Puff, dass er beinahe umgefallen wäre.

»Gehen wir in das Café hier gegenüber, da kannst du nach Belieben gaffen, denn hier stehst du nur im Weg«, sagte sein Begleiter und fasste ihn am Arm. »Aber, was schwatzt du da von deinem Ideal?«

»Du kannst über mich lachen«, antwortete Hjalmar, »aber es ist nichtsdestoweniger gewiss und wahr, dass ich mir früher einmal das Mädchen, das ich würde lieben können, gerade so wie diese vorgestellt habe … Aber mein Herz ist so voll, dass ich gar nicht sprechen kann.«

»Hm! Sehr sonderbar!«, sagte Franck lächelnd, »aber nun sind wir am Platz, und hier an diesem Fenster hast du eine vortreffliche Aussicht nach deinem sogenannten Ideal!«

Sogleich stand Hjalmar am Fenster und betrachtete urverwandt die schöne Erscheinung. Und es war in der Tat eine sehenswerte Erscheinung.

Mit jenem unnachahmlichen Geschmack gekleidet, der nur den Pariserinnen eigen zu sein scheint, stand dort am Fenster gegenüber ein junges, schlankes, blühendes Mädchen, mit sittsam gesenkten Augen. Glänzend schwarze Locken beschatteten die schönsten vollen Wangen und rollten sich herab auf einen Hals von blendendem Weiß. Und als sie nun ihre großen Augen aufschlug und bemerkte, wie unerwartet sie von Hjalmar betrachtet wurde, breitete sich das tiefste Rot über das sanfte Gesichtchen. Doch blieb sie noch einige Augenblicke stehen, indessen der kleine Rosenmund sich zu einem unbeschreiblich milden Lächeln verzog. Darauf legte sie die Hand aufs Herz und verschwand eilig …

»Hast du gesehen!«, fragte Hjalmar schwer aufatmend.

»Ja, gewiss habe ich gesehen. Das war ein ausgezeichnet schönes Mädchen. Aber komm nun, sie hat deine Unbescheidenheit bemerkt und kommt jetzt, bei meiner Treu, sobald nicht wieder zum Fenster zurück.«

»Aber ach! Wer kann sie sein? Wenn ich nur das wüsste!«

»Was könnte dir das nützen? Es ist eine Französin, mit der du in aller Ewigkeit nicht bekannt werden wirst. Komm also! Ich will dich zum Louvre begleiten, wo du dir einige Stunden die weltberühmte Gemäldegalerie ansehen kannst, indessen ich einige Geschäfte abmachen will.«

Sicherlich war Hjalmar bei seinem Eintritt in die prächtige, mit einem verschwenderischen Luxus ausgestattete und vergoldete Galerie, so reich an Arbeiten der größten Meister überrascht; aber weder Raphaels noch Corregios herrliche Madonna noch Tizians oder Rubens Venus konnten ihn das schöne Bild, das er vorhin am Fenster gesehen hatte, vergessen machen. An all diesen Meisterwerken der Kunst ging er, um es kurz zu sagen, mit gleichgültigen Augen vorüber und sehnte sich nur, jenes Meisterstück der Schöpfung wiederzusehen, das mit seinem geträumten Ideal eine so große Ähnlichkeit hatte. Endlich wurde diese Sehnsucht so stark, dass er hinausstürzte, sich in seinen Fiaker warf und wieder zur Rue Richelieu zurückkehrte, wo seine scharfen Augen sogleich das Haus wieder erkannten, das die Göttliche einschloss. Er ging in das Café, setzte sich ans Fenster und richtete seine strahlenden Blicke auf das gegenüberliegende Haus, aber das Fenster war leer. Lange saß er dort, innerlich klagend über seine getäuschte Hoffnung. Schon wollte er wieder gehen, als er zu seiner unbeschreiblichen Freude wieder die Erscheinung des Engelsbildes erblickte, die diesmal sich nur auf einige Augenblicke zeigte, während deren er jedoch dasselbe flüchtige Erröten, dasselbe milde Lächeln zu bemerken glaubte, nur blieb diesmal aus, dass sie die Hand aufs Herz legte, als die sylphidische Gestalt verschwand.

Vielleicht erscheint sie noch einmal, dachte Hjalmar und blieb beharrlich auf seiner Warte sitzen; allein diese Hoffnung schlug fehl, obwohl er länger denn eine Stunde wartete. Mit schwerem Herzen kehrte er also zu seinem Hotel zurück, wo er Herrn Franck traf.

»Du bist mir ein sauberer Vogel«, sagte dieser, »ich suchte dich im Louvre, aber das Herrchen war schon ausgeflogen. Wo warst du?«

»Im Café dem Mädchen gegenüber«, antwortete Hjalmar errötend. »Ich kann mir die Ursache nicht erklären, aber es war unmöglich, der heftigen Sehnsucht, die mich wieder zu ihr zurücktrieb, zu widerstehen.«

»Was du ein närrischer Kauz bist! Aber was gibst du mir, wenn ich dich mit dieser Schönheit, die dich so bezaubert hat, bekanntmache?«

»Fordere alles, alles!«, rief Hjalmar eifrig.

»Nun, nun, ich fordere nichts, aber siehe, ich habe soeben erfahren, dass das Mädchen eine Schwedin ist, die sich auf Besuch bei ihren Verwandten hier aufhält, mit denen ich schon seit langer Zeit bekannt bin. Wenn ich nun diesen meinen Besuch mache, so ist es mehr als wahrscheinlich, dass wir dorthin eingeladen werden, und da hast du Gelegenheit, dein Ideal zu betrachten, soviel es dir beliebt.«

»Himmel! Welche Eröffnung machst du mir da! Gehen wir, gehen wir sogleich! Ich beschwöre dich!«, rief Hjalmar außer sich.

»Nicht so hitzig, mein Junge!«, antwortete Franck lachend. »Du wirst mich wohl warten lassen können, bis wir diniert haben.«

Am Nachmittag ging Herr Franck aus und kam, wie er versprochen hatte, nach einigen Stunden mit einer Einladung zum Diner auf den folgenden Tag zurück. Hjalmars Herz schlug dabei vor Freude hoch auf und die mannigfaltigen Vergnügungen, die Paris dem Fremden bietet, konnten nicht verhindern, dass ihm die Zeit grausam langweilig vorkam. Aber alles Warten nimmt einmal ein Ende – so auch das seine, und am folgenden Tag eilte er mit beinahe beflügelten Schritte zu dem unvergesslichen Haus in der Rue Richelieu.

Beim Eintreten fand er nur drei Personen im Zimmer, einen Mann in den mittleren Jahren von fröhlichem, freundschaftlichem Aussehen, eine dicke Frau und die schöne Schwedin. Franck wurde von Wirt und Wirtin auf das Herzlichste bewillkommnet, worauf er ihnen seinen jungen Freund vorstellte. Darauf führte er ihn zu dem errötenden Mädchen und sagte mit einem bedeutsamen Lächeln auf den Lippen: »Mein schönes Fräulein, ich habe das unbeschreibliche Vergnügen, Ihnen einen jungen Landsmann vorzustellen, der natürlich willkommener sein wird als ein alter, wie ich bin. Ich weiß aus Erfahrung, dass Bekanntschaften unter Landsleuten, die sich unvermutet auf fremden Boden treffen, leicht geschlossen sind, weil man, wenn man sein Vaterland liebt, auch gerne einen Landsmann liebt, der ja einen kleinen Teil davon ausmacht – und ich will hoffen, dass weder mein schönes Fräulein noch der Herr Leutnant von dieser fast allgemeinen Regel eine Ausnahme machen werden.«

Das schöne Mädchen schlug lächelnd ihre großen, dunkelblauen Augen auf und heftete sie mit einem besonders schwärmenden Ausdruck auf Hjalmars schöne Züge. Dann reichte sie ihm, jungfräulich errötend, ihre Hand und sagte mit melodischen, aber etwas bebender Stimme: »Ich kann nicht leugnen, dass es unendlich erfreulich ist, seine Muttersprache, wäre es auch mit einem uns ganz Fremden, zu sprechen.«

»Um wieviel erfreulicher ist es nicht für mich«, antwortete Hjalmar mit einer artigen Verbeugung, »hier ganz unerwartet unsere schöne Muttersprache von so schönen Lippen hören zu können.«

»Ich höre, Sie haben schon angefangen, Franzose zu werden«, erwiderte das Mädchen und lächelte. »Aber sprechen mir nun von Alt-Schweden.«

Die beiden jungen Leute ließen sich nun auf ein paar Taburetts nieder. Hjalmar bot seine ganze Beredsamkeit auf, schilderte seine verschiedenen Reiseeindrücke, sprach von seiner warmen Freundschaft für Herrn Franck, der ihn dieses Vergnügen bereitet habe und dergleichen. Das schöne Mädchen horchte aufmerksam seinen Worten, indessen ihre schönen Augen sich hie und da mit einem unerklärlichen Ausdruck, der ihm doppelt warm ums Herz machte, auf ihn hefteten.

Nun wurde serviert, und der glückliche Hjalmar, als der einzige Kavalier, erhielt seinen Platz an der Seite der Schönen. Da Wirt und Wirtin nicht schwedisch verstanden und Herr Franck den beiden jungen Leuten nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken schien, konnten sie ihr Gespräch ungestört fortsetzen, währenddessen Hjalmar oft Gelegenheit hatte, die Naivität seiner jungen Landsmännin, ihr anmutiges, kindliches Wesen, vereint mit vielem natürlichen Verstand und einer gewissen stillen Schwärmerei, womit sie von dem einen oder dem anderen sprach, zu bewundern. Aber am meisten von allem fesselte ihn ihre schönen Augen, wenn sie sich, wie vorhin, mit jenem rührenden, innigen Ausdruck, den er nicht zu erklären wusste, von dem er aber doch im vollen Maße bezaubert war, auf ihn hefteten.

Die jungen Leute unterhielten sich auf diese Weise ununterbrochen einige Stunden und am Abend, als Hjalmar endlich gehen musste und er zum Abschied die Hand seiner Landsmännin mit Wärme drückte, glaubte er, von einem langjährigen Bekannten zu scheiden.

»Sie werden mich bald wiedersehen«, lispelte er und erhielt zur Antwort einen Blick, der viel mehr als Worte sagte.

Während des Nachhause Gehens fragte Herr Franck, was er von dem jungen Mädchen hielte, dessen Bekanntschaft er gemacht hatte.

»Ach, sie ist bezaubernd!«, rief Hjalmar, »und wenn ich nicht deinen entschlossenen Hass gegen alles, was Liebe heißt, kennen würde, so könnte ich dir erzählen, das ich bereits ganz und gar in sie verliebt bin.«

»O, das ist wohl nicht so gefährlich. Ich hoffe nur die dumme Liebe, die zu keinem anderem Resultat führt, als zu Seufzern und schlaflosen Nächten, und die einen fröhlichen Jüngling zu einem weinerlichen Kerl macht, wie du einer warst, als du dich in jene Braut auf Kinnekulle verliebt hattest. Aber mit diesem Mädchen ist es eine ganz andere Sache: sie ist à prende und wird außerdem ein beträchtliches Vermögen haben, weshalb ich dir deinen Geschmack durchaus nicht verargen kann.«

»Ach, was kümmere ich mich um ihr Vermögen, wenn ich nur ihr Herz gewinne!«, rief Hjalmar und seufzte.

»Das eine Gute schließt das andere nicht aus«, antwortete sein Freund lächelnd, und beide gingen schweigend weiter.

Am folgenden Tag sagte Herr Franck seinem jungen Freund, dass er eine Loge in der großen Oper genommen und dahin den Wirt und die Wirtin von gestern, samt der schönen Schwedin eingeladen habe. »Und ich stellt das Ersuchen an dich, ihr Kavalier zu sein«, fügte er lächelnd bei.

Dass dieses Ersuchen überflüssig war, zeigte sich deutlich während der Vorstellung. Man gab den Propheten; oder worauf die jungen Leute oder vielmehr Landsleute hörten, das war keineswegs die schöne Musik. Die lispelnden Töne, die gegenseitig über die Lippen der beiden flossen, schienen ihre Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch zu nehmen, und viel lieber als auf die berühmte Schlittschuhpartie sah Hjalmar in die schönen Augen seiner Nachbarin, in denen sich eine ganze Welt sanfter Gefühle spiegelte.

Als er so einmal ihr reines, griechisches Profit betrachtete, lispelte er: »Wie wunderbar! Wenn ich Sie von der Seite ansehe, kommt es mir beinahe vor, als hätte ich Sie seither schon einmal gesehen – es ist ein Bild, das ich schon lange im Herzen trage – aber das ist unmöglich – kann nicht anders als unmöglich sein.«

Er bemerkte nun, wie das Mädchen rasch erbleichte und wie eine Träne auf ihre Wange fiel. Er fasste ihre Hand, die sie ihm nicht entzog, und lispelte: »Sie weinen? Um Gott! Warum?«

»Ach! Es ist nichts«, antwortete das Mädchen leise, und Hjalmar glaubte zu bemerken, wie sie leicht seine Hand drückte. »Ich habe eben an etwas gedacht, an eine liebe und schmerzliche Erinnerung von … von meiner … Kindheit her.«

»Können Sie, ein so junges, glückliches unschuldiges Wesen eine schmerzliche Erinnerung haben?«, fragte Hjalmar.

»Ich hatte keine andere vor nicht langer Zeit«, sagte das Mädchen und gab Hjalmar einen strahlenden Blick, in dem eine zarte Träne glänzte.

Das Wort Geliebte schwebte auf Hjalmars Lippen, aber da er wahrscheinlich glaubte, das wäre doch etwas zu rasch gehandelt, sprach er es nicht aus, sondern begnügte sich, ihr noch einmal die Hand zu drücken, die sie nun endlich der seinen entzog. Aber als der Vorhang fiel und der sechste Akt zu Ende war, schien es Hjalmar, als habe diese lange Oper nur einige Minuten gedauert.

»Heute«, sagte Herr Franck am folgenden Morgen, »werden wir eine Tour in der nächsten Umgegend von Paris machen und dann einem meiner Freunde, der einen reizenden Landsitz in der St. Denis bewohnt, einen Besuch machen; aber ich bitte dich, dich auf eine kleine Überraschung gefasst zu machen.«

Neugierig, worin wohl diese Überraschung bestehen könnte, setzte sich Hjalmar in den Wagen, aber bald wurde ihre Aufmerksamkeit von all der Herrlichkeit, die sich ihren Augen vorstellte, angezogen. Mit Bewunderung betrachtete er die kolossalen Straßenanlagen, die der Imperator durch diesen unruhigen Krater ziehen ließ, um die immer glühenden Herde der Revolution zu trennen und allmählich zu erlöschen. Mit einem aus Ehrfurcht und Grauen gemischten Gefühl betrat er die Gruft von St. Denis, wo die Könige von zwölf Jahrhunderten ruhen und von der Vergänglichkeit der Macht träumen.

»Es ist nun Zeit, den versprochenen Besuch zu machen«, sagte Franck, da sie aus der Kirche traten. Er bezeichnete dem Kutscher ihr Reiseziel und nach ein paar Minuten hielt der Wagen vor einer kleinen, reizenden Villa in einer blühenden, englischen Anlage. Da nun Hjalmar in ein prachtvoll möbliertes Zimmer trat, sah er zu seiner Verwunderung seine schöne Landsmännin in einer Causeuse mit einem Buch in der Hand sitzen. Überrascht und errötend fuhr sie auf und reichte lächelnd ihre Hand Herrn Franck, der zu Hjalmar gewandt ausrief: »Nicht wahr, du erwartetest nicht, diese Dame hier zu finden? Aber ich kann dir die Aufklärung geben, dass sie ein kleiner, guter Geist ist, der sich versetzen kann, wohin er will. Junge Leutchen, Sie werden mir indessen verzeihen, wenn ich Sie auf eine kleine Stunde allein lasse? Au revoir!«

Das junge Mädchen war in sichtbarer Verlegenheit. Sie errötete und erbleichte abwechselnd und gab nur halbe, abgebrochene Antworten auf Hjalmars feurige Fragen; aber er ließ sich dadurch nicht im Geringsten abschrecken, denn ihre Blicke waren nun umso sprechender und strahlten noch freundlicher als vorher. Er bemerkte indessen, dass sie öfter unruhig zur Tür sah. Endlich öffnete sich diese und Franck führte am Arm eine bleiche, sanft lächelnde Frau herein. Schweigend ging er auf Hjalmar zu, fasste seine Hand und sagte mit tiefer Rührung in seiner männlichen Stimme: »Mein Freund! Ich habe das unbeschreibliche Vergnügen, dich die Bekanntschaft mit einer mir unendlich teuren Person, die dich niemals vergessen konnte, erneuern zu lassen.«

Hjalmar verbeugte sich und betrachtete verlegen das bleiche, milde Gesicht der Frau.

»Ich weiß … ich glaube nicht«, stammelte er, »schon einmal die Ehre gehabt zu haben … «

»Erinnere dich genau«, sagte Franck gerührt.

»Gewiss erinnere ich mich eines Gesichtes, dem dieser Dame gleichend, aber das ist unmöglich, das war unter anderen Umständen, himmelweit verschieden von … von …«

»Den jetzigen. meinst du«, ergänzte Franck. »Du erinnerst dich also der beiden unglücklichen Wesen. die du hilflos und ohnmächtig im Wald trafst. Nun gut, hier, hier siehst du sie wieder.« Dabei schloss er Mutter und Tochter, überwältigt von Rührung, zärtlich in seine Arme. Die beiden Frauen weinten leise an seiner Brust, und Hjalmar fühlte alsbald eine starke Neigung, dasselbe zu tun, als Herr Franck mit veränderter, froher Stimme ausrief: »Nein, da stehen wir, bei meiner Seele und weinen, und vergessen ganz und gar, dass wir ein Freudenfest feiern wollen, und Hjalmar der arme Junge, weiß ja eigentlich noch nicht, woran er ist! Mein Sohn, denn wie ein Sohn bist du meinem Herzen teuer! Du siehst in dieser hier meine Frau, meine geliebte Frau, die mir alles verziehen hat und die dir eine zärtliche Mutter werden will – und dieses kleine Fräulein hier ist meine vielgeliebte Tochter Caroline, die dich durch mich bitten lässt, deine Schwester sein zu dürfen – bis auf Weiteres.«

Hjalmar war vor Erstaunen ganz außer sich, aber Franck rief fröhlich: »Sieh da, steh doch nicht so verschlagen da! Ich will dir gleich die Aufklärung über all das Wunderbare, was du erfahren hast, geben, aber komme nur erst hierher und umarme deine neue Mutter!«

Warm und herzlich schloss die bleiche Frau Hjalmar in ihre Arme und lispelte dabei: »Edler junger Mann, Sie sprachen prophetische Worte, als Sie, um mich in meinem Elend zu trösten, sagten, Hilfe wäre mir vielleicht näher, als ich glaubte, und Sie waren gleichsam der rettende Engel, den die Vorsehung ausgesandt hatte, um mich zu dem Ziel zu geleiten, wo endlich meine Prüfungen ihr Ende erreichen sollten. Nie, habe ich vergessen, Sie in mein Gebet einzuschließen, wie ich damals gelobte …«

»Aber umarme jetzt auch deine Schwester«, fiel Franck munter ein, »und küsse sie für mich. Du hast es früher schon einmal getan, du Schelm, wie sie mir erzählt hat.« Dass Hjalmar von dieser Erlaubnis Gebrauch machte, brauchen wir wohl nicht zu sagen; aber da er die frischen, warmen, rosigen Wangen des errötenden Mädchens berührte und in diese in Tränen lächelnden Augen sah, erfüllte seine Brust eine unnennbare Freude; aber

Sind den Göttern nur verliehen
Seligkeiten für Äonen
Menschenherzen müssten brechen
Würde nicht das Glück entfliehen.

Wie Franzen so schön singt, und es war deshalb ohne Zweifel sehr heilsam für unseren Helden, dass das schöne Mädchen sich verschämt aus seinen Armen losmachte und sich an seinen Vater schmiegte.

»Aber dass du mein Carolinchen gar nicht wiedererkennen konntest«, sagte der Vater, indessen er die roten Wangen des Mädchens streichelte.

»Wie war es wohl möglich, sich in dem schönen, blühenden Fräulein Carolina das kränkliche, schwache Mädchen denken zu können, das … das …«

»Du nun nicht mehr Fräulein nennen darfst«, ergänzte der Vater. »Ihr seid ja Geschwister, habe ich gesagt.«

Lächelnd reichte Carolina Hjalmar ihre Hand, das Du war besiegelt!

»Aber es ist doch sonderbar«, fuhr Hjalmar fort, »das Profil meiner Schwester, das ich schon bewunderte, als ich sie an Ihrer Brust schlummern sah, schwebte mir seither oft vor, obwohl ich, merkwürdig genug, mich nicht erinnern konnte, wo und wann ich diese himmlischen Züge gesehen hatte. Erst gestern in der Oper kam mir das bleiche, schlummernde Mädchen in den Sinn, obwohl ich mir natürlicherweise unmöglich vorstellen konnte, dass Carolina und sie eine und dieselbe Person wäre.«

»Bist du dabei«, sagte Herr Franck, »so verlassen wir jetzt die Damen auf einige Minuten. »Ich sehe dir an, dass Du neugierig bist, zu hören, wie all das zusammenhängt, aber wenn du mir in den Garten hinaus folgen willst, wird das Rätsel bald gelöst sein.«

»In meiner Jugend«, begann Herr Franck, nachdem sie sich auf ein Berceau niedergelassen hatten, »in meiner Jugend war ich ein äußerst leichtsinniger und unnützer Bursche. Da ich ein kleines Vermögen geerbt und überdies ziemlich gute Kundschaften und Rekommandationen hatte, etablierte ich einen Großhandel in Stockholm und lebte dort eine Zeit lang auf großem Fuß, als hätte ich die größten Geschäfte gemacht. Es ist natürlich, dass das nicht auf die Dauer so bleiben konnte. Meine Verhältnisse zerrütteten sich täglich mehr, doch wusste ich die Sache geschickt zu verheimlichen. Zu gleicher Zeit fasste ich eine heilige Liebe zu einem schönem, jungen, unerfahrenen Mädchen, deren Vater, ein alter, mürrischer Tyrann, der ein hohes Amt bekleidete, in demselben Haus wie ich wohnte und zu dessen Soireen ich Zutritt hatte. Die unverhohlene Huldigung, die ich dem unglücklichen, von ihrem Vater so streng und lieblos behandelten Mädchen widmete, schien ihr zu gefallen. Bald konnte ich sehen, dass ich ihr nicht gleichgültig war. Endlich verabredeten wir ein Stelldichein, was, da wir in demselben Haus wohnten, gar nicht schwer war. Diese Zusammenkünfte wurden immer häufiger – ich Elender betörte sie mit falschen Eiden und war gewissenlos genug, die Schwachheit eines liebenden Weibes zu benutzen.

Gerade zur selben Zeit kamen einige meiner Wechsel mit Protest zurück. Meine Gläubiger öffneten nun ihre Augen und drängten mich zu allen Seiten. Um einer entehrenden Strafe zu entgehen, floh ich Hals über Kopf nach Hamburg und begab mich von dort nach Nordamerika, wo ich so glücklich war, eine höchst vorteilhafte Stelle in einer der größten Handelsstädte zu erhalten. Durch Erfahrung klug gemacht, fing ich nun ein anderen Leben an und gewann bald durch Fleiß und Ordnung das Vertrauen meines Principals. Nach ein paar Jahren nahm er mich als Teilhaber ins Geschäft auf. Die Geschäfte gingen außerordentlich glücklich, und in kurzer Zeit hatte ich ein bedeutendes Vermögen erworben. Den ersten Gebrauch, den ich davon machte, war, dass ich meine Schulden in Schweden mit Zinsen und allem bezahlte. Aber ich hatte noch eine andere Schuld, die schwer auf meinem Gewissen lag, so oft ich an die arme Cäcilia dachte. Großer Gott! Und ich wusste doch nicht alles – ich hatte keine Ahnung, in welcher gefährlichen Lage ich sie gelassen hatte. Von meinen Korrespondenten in Stockholm hatte ich keine andere Nachricht von ihr erhalten können als das in Stockholm verbreitete Gerücht, sie sei gestorben, gleich wie ihr Vater.

Das unbestechliche Gewissen, das, zu unserer wahren Besserung, nie schweigt, klagte mich nun oft als ihren Mörder an; aber um wie viel mächtiger würde es nicht seine Stimme erhoben haben, wenn ich gewusst hätte, dass ich Elend und Unehre über die Gefallene gebracht hatte – aber so glaubte ich sie tot, und ich beweinte sie oft, wenn ich meinen eigenen Fehltritt beweinte.

Konnte ich auch mich selbst nicht glücklich fühlen, so glückten dagegen alle meine Unternehmungen, selbst die kühnsten, und mein Vermögen vermehrte sich mit jedem Jahr. Aber nachdem ich volle siebzehn Jahre mein Vaterland verlassen hatte, ergriff mich plötzlich ein unwiderstehliches Heimweh. Ich realisierte also alles, was ich besaß, legte meine Fonds bei einem reichen Handelshaus in London und Hamburg an und eilte in mein Vaterland zurück, wo ich ein paar Wochen eher eintraf, als ich dich, und, o wunderbare Fügung der Vorsehung, auch die, die ich in Unglück und Elend gestürzt hatte, traf. Weder kann noch will ich die wahrhaft vernichtenden Gefühle beschreiben, die auf mich einstürmten, als ich in den armen Frauen, die du mir so warm ans Herz gelegt hattest, Cäcilia und mein Kind erkannte! Genug davon! Sie, über die ich Schande und Elend gebracht hatte, verzieh mir mit englischer Güte. Nun fühlte ich mich als einen umgewandelten Menschen. Die Schuld, die lange Jahre hindurch schwer auf meinem Herzen lag, war vergeben, und als ich meine sanfte liebenswürdige Tochter umarmte, erfuhr ich das glückseligste Gefühl in meinem ganzen Leben. In größter Heimlichkeit führte ich nun die beiden, mir so teuren Wesen nach Göteborg und nachdem ich dort für ihre Garderobe gesorgt hatte, begaben wir uns sogleich nach Hamburg, wo ich in Gegenwart einiger alter, vertrauter Freunde mich mit meiner geliebten Cäcilie trauen ließ –- die einzige Vergeltung, die ich ihr für alle ihre ausgestandenen Leiden geben konnte. Sie waren in der Tat entsetzlich, und nur ein so wahrhaft religiöser und zugleich edler und stolzer Charakter, wie der ihrige, konnten sie überdauern.

Von ihrem herzlosen Vater verbannt und verstoßen, als sich ihr Unglück nicht länger verheimlichen ließ, verschwand sie, ohne dass jemand hatte erfahren können, wohin sie sich begeben hatte. In einer kleinem entfernten Stadt lebte sie arm und unbekannt und gab dort unserem unglücklichen Kind das Leben. Mit Kinderunterricht und beharrlicher Arbeit gelang es ihr, sich siebzehn lange Jahre unter unaufhörlichen Entsagungen das Leben zu fristen. Als aber die Mittel zu ihrem Unterhalt immer geringer wurden, beschloss sie, an einen anderen Ort überzusiedeln.

Carolina erkrankte unterwegs. Ihre Krankheit währte lange, und das wenige, was sie zu diesem Zweck erspart halten, schmolz in kurzer Zeit zusammen. Dem Bettelstab nahe gebracht, setzte sie, nachdem die Kranke einigermaßen ihre Kräfte wieder gewonnen hatte, ihre Reise fort, und hier, in diesem hilflosen Zustand war es, wo du sie trafst.

Nun weißt du in Kürze alles; aber du weißt nicht, wie oft ich seither dich dankbar für deine Wohltat, die du den meinen, die nie aufhörten, von dir zu sprechen, erzeigt hast, segnete. In Göteborg erkundigte ich mich nach dir und deinen Verhältnissen bei einem Artillerieoffizier, der mit dir auf der Kriegsakademie Kadett gewesen war. Ich hörte mit Vergnügen, was ich voraus wusste, dass du ein vortrefflicher junger Mann seist, aber ich hörte noch etwas, was mich gleichfalls im höchsten Grade freute, dass du ein armer Bursche seist, der ganz verlassen in der Welt stehe. Ich sandte dir also einen anonymen Brief, worin ich mich als einen Freund deines verstorbenen Vaters ausgab. Nein, keine Danksagungen«,  fuhr er fort, als ihn Hjalmar mit Wärme umarmte, »ich bin dir weit mehr schuldig, als mit Gold aufzuwiegen ist.

Nun bleibt mir noch übrig, zu erklären, warum ich meine Frau und meine Tochter nach Paris brachte. Das hatte mehrere Ursachen, aber die hauptsächlichste war die, dass ich diese Armen, die bisher nur Sorgen und Entsagungen erduldet hatten, in die Hauptstadt des Vergnügens und Überflusses versetzen wollte, wo ich hoffte, dass ihnen so viel Neues und Wunderbares begegnen würde, dass dadurch die Erinnerung an ihre überstandenen Leiden allmählich verwischt würde. Auch wünschte ich die Erziehung meiner Tochter zu vollenden, wozu ihre Mutter bereits einen guten Grundstein gelegt hatte. Hierauf riefen mich meine Geschäfte in mein Vaterland zurück. Ich trennte mich von meinen Lieben und suchte nun dich auf, woraus du ersehen magst, dass es nicht so ganz der Zufall war, der uns auf Kinnekulle zusammenführte. Aber länger als ein Jahr konnte ich dem Verlangen nicht widerstehen, dich den meinen zuzuführen, denn ich hatte bereits, sollst du wissen, in Betreff deiner einen Lieblingsplan geschaffen, als ich nämlich merkte, dass du gleich von der ersten Stunde an einen tiefen Eindruck auf das junge Herz meiner Tochter gemacht hattest. Du errötest, deine Augen leuchten. Das ist ein gutes Zeichen. Meinen Beifall und meinen Segen hast du bereits im Voraus, und wenn du von Carolinas Lippen das Bekenntnis ihrer Liebe hervorgelockt hast, will ich eure Hände ineinanderlegen.«

Tief gerührt von so vieler Güte, umarmte Hjalmar seinen edlen Wohltäter, außer Stande, mit Worten seinen Dank und die Freude, die sein Herz erfüllte, auszudrücken.

»Ach, das ist ja reiner Eigennutz von mir«, sagte der edle Mann lächelnd und machte sich aus Hjalmars Armen los, »ich will meine Frau und mein Kind glücklich sehen. Sie waren lange genug unglücklich. Meine arme, totgeglaubte Cäcilia, deren Jugendfehltritt – ach Gott, meine Schuld, meine Schuld! – wahrscheinlich niemanden bekannt ist, kommt nun aus der Fremde wieder nach Hause unter die Zahl der Lebenden, und als die Frau einen reichen Mannen, und mein Töchterchen als verlobte Braut – und wer weiß? Vielleicht sogar als junge Frau; denn ich sehe eine zeitige Heirat als einen großen Nutzen an, insbesondere für den Mann, der dadurch vielen Torheiten entgeht. Aber gehen wir nun hinein, denn unser Gespräch war ziemlich lange.«

Wir haben nun nicht mehr viel beizufügen.

Wenige Tage vergingen, so lag die schöne Carolina mit jungfräulichem Erröten und Tränen in ihren schönen Augen an Hjalmars Brust und gestand ihm ihre warme Liebe, die schon in dem kleinen, elenden Zimmer in jenem Wirtshaus erwacht war. Sie hatte seither immer sein Bild in ihrem Herzen getragen, und als der Vater, bei seinem Besuch in Paris im verflossenen Herbst, ihr das Geheimnis ihres Herzens entlockt und ihr nicht undeutliche Winke gegeben hatte, dass ihr Traum leicht zur Wirklichkeit werden könne, hatte sie ihn mit all der Hingabe, deren die erste Liebe fähig ist, zu lieben angefangen. Daher das unfreiwillige Erröten, als sie während Hjalmars Fensterparade ihre Hand aufs Herz legte, eine Bewegung übrigens, die durch den Papa, den Hjalmar, ehe er ihn in alle Geheimnisse einweihte, schon im Voraus etwas verliebt machen wollte, ins Werk gesetzt war.

Dass auf diese lieben Geständnisse eine Menge Küsse, Freudenseufzer, kurze Ausrufe und dergleichen folgten, versteht sich von selbst, und die Sinne der glücklich Liebenden mussten sicherlich in fernen Regionen schweben; denn weder hörten noch sahen sie, wie Herr Franck am Arm seiner Frau leise eintrat und fröhlich lächelnd die schöne Gruppe betrachtete. Doch endlich wandte Carolina ihren von Seligkeit strahlenden Blick dahin, wo die Späher standen, und mit einem leichten Ausruf flog die errötende Jungfrau auf, zu ihrer Mutter hin, und verbarg ihre brennenden Wangen an ihrer Brust. Aber der Vater fasste sie um die schlanke Hüfte, führte sie zu Hjalmar und legte segnend ihre Hände ineinander.

Gegen den Herbst trat Herr Franck, der mit Recht das Reisen für ein vortreffliches Bildungsmittel für junge, für das Schöne empfängliche Gemüter ansah, eine Reise nach Italien an, wo sie den Winter über verbleiben, und dann im folgenden Frühjahr die Heimreise über Mailand, München, Dresden und Berlin antreten wollten.

Der Liebenden glückliche Träume unter Hesperiens klarem Himmel zu beschreiben, liegt außer meinem Vermögen. Gewiss ist Italien schön im Auge jedes Reisenden, aber wieviel schöner muss es nicht in Hjalmars Augen gewesen sein, der an einer vergötterten Schönheit Arm alle diese Götterschönheiten beschauen konnte. Ja, ich glaube ihn zu sehen, wie er mit der liebenswürdigen Caroline

Selbst von himmlischer Natur,
Schwebt in dieses denn schöner Flur.

Aber, obwohl er nun mehr als je Poesie in sich fühlte, fiel es ihm doch nie mehr ein, das Panier damit zu verderben.

Auf der Heimreise blieben unsere Reisenden einige Wochen in dem herrlichen Dresden und feierten dort in Gegenwart einiger Familien, deren Bekanntschaft sie in Italien gemacht hatten, eines schönen Abends Carolines und des überglücklichen Hjalmars Vermählung.

So wurde unser Held endlich verheiratet, – und nun glaubt der Verfasser all seine Schuldigkeit getan zu haben, da er allein dieser wahrhaften Geschichte handelnden Personen so glücklich gemacht hat, als es nur in seinem Vermögen stand. Es gibt genug Elend in dieser Welt, sodass man nicht erst große Missgeschick in kleinen Novellen zu dichten braucht, und deshalb glaubt der Verfasser, obwohl er arm ist und nunmehr der Liebe entsagt hat, seinen armen Helden so viel Geld und eine so schöne Frau geben zu müssen, wie man sich nur irgendwie wünschen kann. Ist das nicht recht bescheiden, meine liebenswürdigsten Leserinnen?

Bei seiner Rückkehr in die Heimat erhielt Hjalmar den Kaufbrief auf eine große, hübsche Besitzung in der Nähe seines freigebigen Schwiegervaters. Dort lebte er nun, nachdem er um seinen Abschied gebeten und ihn erhalten hatte, ein so glückliches Leben, wie man es nur irgendwie in Romanen finden kann, was gewiss sehr viel heißen will. Hin und wieder erhielt er Besuch von seinem Freund, dem lustigen, reimenden Leutnant, der, als Hjalmar ihn als Gevatter zu der Taufe seines Erstgeborenen einlud, diesem ein paar recht lustige Verse überreichte, unter denen sich folgende Strophe fand:

O fände auch ich mein Paradies,
Wie du, Glücklichster, in Paris!
Und käme auch ich zu den Festen;
Wie du im herrlichen Dresden!

ENDE