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Die Gespenster – Dritter Teil – 15. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Fünfzehnte Erzählung

Ein merkwürdiges Beispiel, wie der Teufel einst einen behexten Menschen misshandelte

Wilhelm Perry, ein Knabe zu Bilson, in der Landschaft Staffort-Shire, hatte im Jahr 1620 das Unglück, behext zu werden. Man sah die außerordentlichsten Erscheinungen an seinem Körper; und da man sie aus keiner natürlichen Quelle herzuleiten wusste, so schrieb man sie einer Hexe zu, deren sich der Teufel als Mittelsperson bediene. Die Krankheitsparoxysmen waren auch sonderbar genug. Bald glitschte ihm die Zunge in den Schlund hinab und machte ihn völlig sprachlos; bald brachten krampfhafte Zuckungen anderer Art seine Glieder in die widernatürlichsten Lagen. Oft konnten vier handfeste Männer den unbegreiflichen Kraftäußerungen des zwölfjährigen kranken Kindes kaum hinreichend entgegenwirken. Zu Beginn, wenn den kleinen Wilhelm die Starrsucht überfiel, peitschte man ihn einige Male in seiner Bewusstlosigkeit bis aufs Blut mit Ruten und stach ihn mit Nadeln, ohne dass er dadurch zur geringsten Schmerzäußerung gebracht worden wäre. Man tat dies, um sich völlig zu überzeugen, dass hier keine Verstellung, kein boshafter Betrug stattfinde. Auch brach das kranke Kind Wolle, Federn, Nadeln, Zwirn, Werg und mancherlei andere unverdauliche Sachen von sich.

Was war natürlicher, als dass der Knabe das Mitleid aller auf sich zog, welche ihn in diesem überaus bedauernswürdigen Zustand erblickten. Denn ob man gleich in den damaligen Zeiten des Glaubens an Hexen und Teufeleien aller Art schon recht gut wusste, dass es Betrüger gibt, welche die schrecklichen Äußerungen jener Krankheitsparoxysmen täuschend genug nachmachen, so war doch hier an einen jahrelangen Betrug wohl kaum zu denken, denn wie lange hätte ein so junges Kind sein Possenspiel vor prüfenden Erwachsenen unentdeckt treiben sollen.

Unter den Menschenfreunden, die sich des bedauernswürdigen Knaben annahmen, zeichnete sich Niemand mehr aus als die katholischen Geistlichen in und um Bilson. Nichts gleicht der Tätigkeit, womit sie sich den Himmel an ihm verdienen wollten. Sie besprengten ihn in den Krankheitsanfällen unaufhörlich mit geweihtem Wasser. Sie salbten ihn mit heiligem Öl und sprachen die Beschwörungsformeln ihrer Kirche mit einem solchen Eifer über ihn aus, dass man hätte glauben sollen, Beelzebub selbst hätte der austreibenden Kraft nicht widerstehen können. Zwar blieben die Teufelswirkungen in dem misshandelten Kind nach wie vor gleich heftig; indessen schmeichelten sich die geweihten Wunderärzte, dass ihr tätiges Nichtstun wenigstens schmerzstillend sei. In der Tat veranlasste der Knabe selbst diesen Wahn, denn er bat die geistlichen Herren oft flehentlich, ihm recht fleißig mit heiligem Wasser und Öle beizustehen. Auch äußerte er – ich weiß nicht, auf wessen Veranlassung – den sehnlichen Wunsch, dass doch seine protestantischen Eltern und Geschwister katholisch werden möchten, auch er selbst wolle ohne diesen allein seligmachenden Glauben weder leben noch sterben.

Die schreckliche Qual, welche der Bube immerfort ausstehen musste, setzte endlich die Hexenjäger in Tätigkeit.

Das Kind sagte vor Gericht auf die Frage, wer es behext habe, Folgendes aus: »Ich kam einmal aus der Schule, da begegnete mir die alte Kocksche, die behexte mich, weil ich sie nicht grüßte. ›Du grober Schlingel‹, sagte sie zu mir, ›es wäre besser für dich, wenn du mich hübsch gegrüßt hättest.‹ Ich antwortete ihr nichts, aber ihre Worte griffen mir ans Herz. Kaum war ich nach Hause zurückgekehrt, so bekam ich von Stund an meine jetzige Krankheit.«

Auf diese Aussage wurde die Angeklagte Johanne Kock vor den Richterstuhl des Kanzlers Lichtfield vorgeführt, als der Behexte bereits da war. So wie sie in den Gerichtssaal eintrat, äußerte der Knabe, der ihre Annäherung nicht sehen konnte, weil er der Saaltür den Rücken zukehrte, die sichtbarste Todesangst. Gleich darauf fiel er mit dem lauten Schrei »Ach, meine Peinigerin!« in die heftigsten Zuckungen. Was bedurfte es nun weiter eines Zeugnisses wider diese Alte? Man führte sie verhaftet nach Stafford und brachte sie am nächsten Gerichtstag vor das peinliche Halsgericht daselbst. Man stellte die genaueste Untersuchung an und sprach die Beklagte frei. Den Knaben hingegen übergab man dem Bischof von Coventry, der ihn, scharf beobachtet, mit sich nach Feeleshal Castle nahm.

Die heftigsten Paroxysmen folgten ihm nicht nur dahin, sondern der Bosheitsteufel fuhr nun auch dermaßen in den Knaben, dass dieser zuweilen in zwei bis drei Tagen nicht das Geringste genoss. Dies trotzige Betragen machte den Bischof nur noch argwöhnischer. Er besuchte den Kranken nun häufiger als je, um womöglich hinter die Wahrheit zu kommen. Bald versuchte er denselben durch sanfte Mittel und Zureden für sich zu gewinnen; bald schlug er den Weg der Drohungen und des Ernstes ein. Allein auf beide Arten verfehlte er seinen Zweck gänzlich.

Endlich – ziemlich spät – kam man auf den gesunden Einfall, den dummen Jungen zu überlisten.

Der Bischof hatte, wie gesagt, schon angefangen, die Wirklichkeit einer hier obwaltenden Teufelei zu bezweifeln. Der ihm innewohnende Teufel hatte zu verschiedenen Malen einen besonderen Abscheu vor den ersten Worten des Evangeliums vom Johannes bezeigt, indem er in die heftigsten Zuckungen fiel, so oft man sie ihm vorlas. Der Bischof, dem es ernstlich um Erforschung der Wahrheit zu tun war, beschloss, diesen Umstand zu einem Probierstein derselben zu machen.

Bisher, dachte der fromme Mann bei sich selbst, hörte der Bube jene Worte immer in der ihm bekannten Sprache verlesen. Ist er aber wirklich vom Teufel besessen, so muss er auch Zuckungen bekommen, wenn ich jene Worte in der Grundsprache vorlese.

Demzufolge redete er den Knaben, in Gegenwart dessen Vaters und einer Menge Zuschauer, also an: »Entweder du oder der Teufel musst einen Abscheu an diesen Worten der Heiligen Schrift haben. Ist es der Teufel selbst, so habe ich einen gar alten Schüler vor mir, der während seines sechstausendjährigen Hausens unter den Menschen unstreitig jede ihrer Sprachen kennen gelernt haben und wissen wird, wann ich jenen biblischen Spruch nach dem Grundtext her lese.

Der Bischof las ihm hierauf den erstbesten Vers aus der Apostelgeschichte vor. Der Bube mochte das Gelesene für den Anfang des Evangeliums vom Johannes halten und fiel augenblicklich in Zuckungen. Ruhig und ohne eine Miene zu verziehen, wartete der Bischof das Ende des Paroxysmus ab und las, nachdem der Letztere vorüber war, nun die wirklich evangelischen Worte: Im Anfang war das Wort …

Der aufmerksam horchende Bube schien zu bemerken, dass dies nicht wie vorhin klang und mochte glauben, dass man ihn nun erst durch einen nicht evangelischen Vers in Versuchung führen wolle, und blieb daher ohne Zuckungen. So war nun der zwölfjährige Erzbetrüger entlarvt; indessen versuchte er seine Verlegenheit, so gut er konnte, zu verbergen. Indem er nun mit einem Paar starren Augen immer auf einen Fleck hinsah, hatte er die Frechheit, den Anwesenden einbilden zu wollen, er werde durch den Anblick zweier scheußlichen Mäuse beunruhigt.

Der Bischof hielt sich nun völlig überzeugt, dass er in dem Knaben nicht einen Teufel, sondern einen Teufelsbraten, das heißt, einen sehr gottlosen Jungen vor sich habe. Er verschwendete von nun an nicht mehr gute Worte, nicht mehr Drohungen, sondern ließ ihm den entblößten Hintern mit Ruten bis aufs Blut auspeitschen. Er hoffte so ein Bekenntnis aus ihm herauszubringen; allein der Bube empfing die Züchtigung wie ein gefühlloser Klotz. Er rührte und regte sich nicht und gab keinen Laut von sich.

Indessen brachte diese einige Male wiederholte Behandlung den boshaften Buben fast zur Verzweiflung. Er gab durch Zeichen zu verstehen, dass man ihm ein Messer geben möchte; vermutlich, um sich selbst Leides damit antun zu können. In dieser stummen Misslaune beharrte er fast drei Monate. Endlich wurde sein Urin schwarz und die Ärzte – unstreitig schlechte Chemiker zweiselten keinen Augenblick, die Natur des armen bezauberten Kindes werde bei so bewendeten Umständen bald unterliegen müssen.

Auch den guten Bischof dauerte der Kranke, den er nun wieder gelinder behandeln ließ. Indessen ließ er ihn, um alles versucht zu haben, durch einen Mann, auf den er sich verlassen konnte, ganze Tage lang beobachten. Dies geschah vermittelst einer geheimen, dem Knaben unbemerkbaren Öffnung in der Stubentür, welche die Richtung auf sein Bett hatte. An einem Sonntag, als der Bischof in der Kirche und alles im Haus still war, bemerkte der geheime Beobachter auf seinem Posten, dass der Bube im Bett sich aufrichtete und aufmerksam lauschte. Hierauf stieg er sogar aus dem Bett heraus, welches er, seinem Vorgeben nach, schon längst nicht mehr zu tun imstande gewesen war. Endlich zog er aus dem Bettstroh ein dort verborgenes hörnernes Tintenfass hervor, tauchte ein wenig Baumwolle in die schwarze Tinte und verbarg die so getränkte Wolle innerhalb eines gewissen geheimen Teils seines Körpers. Nachdem er das Tintenfass wieder in das Bettstroh gesteckt hatte, legte er sich wieder zu Bett.

Der Bischof hatte kaum diese endliche Entdeckungen der bübischen Betrügerei vernommen, so ging er zu dem Knaben und fragte ihn, wie er sich befände. Der Bube zeigte, wie bisher schon oft geschehen war, mit einem jämmerlichen Blick auf sein Wasser hin. Nun lief dem Bischof die Galle über. Er ließ beides, das Tintenfass und die gefärbte Baumwolle, da, wo sie verborgen waren, suchen und hervorziehen und traf Anstalt, den jungen Bösewicht der gerichtlichen Strafe zu überliefern.

Es war am 13. Oktober 1620, als der nun seiner Betrügerei überführte Knabe Wilhelm Perry öffentlich das Bekenntnis seines gespielten boshaften Betruges ablegte. Zugleich bekannte er, Thomas, ein alter Sünder, der zu Bilson Gläser zum Verkauf herumtrug, habe einst zu ihm gesagt: »Höre, Knabe, wenn du tun willst, was ich dir sagen werde, so brauchst du nicht mehr in die Schule zu gehen, denn ich kann dich solche Kunststücke lehren, dass die Leute, welche dich sehen, dich für behext halten und dich aus Mitleid reichlich beschenken werden.« Hierauf habe ihn Thomas zu sechs verschiedenen Malen unterwiesen, wie er grunzen, heulen und seine Augen auf eine erschreckliche Art verdrehen sollte; auch habe er ihm geheißen, diejenigen, welche man als Hexen in Verdacht habe, als seine Peinigerinnen anzuklagen.

Übrigens wiederholte der Bube diese Aussage auf dem allgemeinen Gerichtstag, der am 12. Juli 1621 von den königlichen Richtern Sir Warburton und Sir Hamphry Winch zu Staffort gehalten wurde. Auch musste er dort vor Gericht zuvörderst Gott und die in den Ruf der Hexerei gebrachte, unschuldige Johanne Kock, dann alle, welchen er ein Ärgernis gegeben hatte, öffentlich um Verzeihung bitten.