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Turnier- und Ritterbuch – Teil 1

Heinrich Döring
Turnier- und Ritterbuch
Verlag von E. F. Schmidt, Leipzig
Sitten und Gebräuche des Rittertums im Mittelalter

Das Bild, das uns die Geschichte von dem Ritterwesen entwirft, zeigt uns einen wundersamen Kontrast von Religiosität und Galanterie, vom höchsten Prunk und der einfachsten Lebensweise, von der größten Tapferkeit und treusten Unterwürfigkeit . Wir erblicken in diesem Gemälde die sonderbarste Mischung von Gewandtheit und Stärke, von Mut, Beharrlichkeit und Ausdauer. Das Mittelalter zeigt uns in ein und derselben Person die größten Taten, durch fromme Begeisterung erzeugt, und wieder andere, vor denen wir zurückschaudern. Wir sehen Rohheit mit Artigkeit, Grausamkeit mit Milde, Härte mit Edelmut, Ungerechtigkeit mit Ehrliebe auf die wundersamste Weise gepaart. Zu diesem dem Anschein nach widersprechenden Gemälde liegen die Grundlinien in des Ritters Jugenderziehung.

Erstes Kapitel
Der Edelknabe

Schon bei der Geburt eines Kindes, wenn es ein Knabe war, äußerte sich der Eltern Sorge für seinen künftigen Waffenruhm. Aus dem Zeichen, in dem er geboren war, aus der Konstellation seiner Geburtsstunde und aus anderen sorgsam beobachteten Wahrzeichen erklärte man sich schon die dereinstigen Taten des noch in den Windeln liegenden Ritters. Doch vergaß man nicht, dem Kind zuweilen einen Namen zu geben der von großer Vorbedeutung war. So erzählt Kaiser Maximilian I., sein Vater habe ihm bei seiner Geburt einen Namen gegeben, der aus den Namen zweier der tapfersten Männer seiner Zeit zusammengesetzt gewesen war. »Zu einer Offenbarung«, fügte er hinzu, »dass dieses Kind, wenn es herangewachsen, so viel leisten werde, wie jene zwei Helden getan haben.«

Die Geschichte des berühmten französischen Ritters Bertrand du Guesclin musste sogar Merlin, der heilige Vater der Ritterromane einige Jahrhundert vorher schon prophezeit haben, und es fehlte jenem berühmten Ritter nicht an Geschichtsschreibern und Nativitätssstellern, die, obwohl sie weder den Tag noch das Jahr seiner Geburt wussten, doch genau ausgerechnet haben wollten, dass er in dem Zeichen des Mars geboren worden war.

War nun dem Ritter in der Wiege sein Horoskop gestellt worden, hatte man seiner Mutter Träume ausgelegt und alle Wahrzeichen vor und nach seiner Geburt aufgezeichnet, so blieb der Knabe bis in sein siebentes Jahr unter weiblicher Aufsicht. Seine Wärterin und seine Mutter waren es, die ihn pflegten. Bis dahin wurde er als ein Kind behandelt, das noch keines förmlichen Unterrichtes fähig war. Alles, was er von seinen Wärterinnen hörte, waren Volkssagen und Märchen, die in seine Seele den Reim des Abenteuerlichen und Wunderbaren legten und ihm einen hohen Begriff von der Ritterschaft einflößten, die ihm diese Würde in der Folge umso heiliger und ehrwürdiger machen mussten.

Im siebenten Jahr kam der junge Zögling aus den Frauenzimmerhänden unter die Aufsicht der Männer und wurde Edelknabe. Man behielt ihn jedoch nicht daheim, sondern sandte ihn an den Hof irgendeines Fürsten oder zu einem anderen Ritter, der bei ihm Vaterstelle vertrat, und dem er als Edelknabe diente. Denn es gab nicht wenig Ritter, die auf ihrer Burg eine Art von Hof um sich versammelten und auf diese Weise die Könige und Fürsten im Kleinen nachzuahmen versuchten. Dort war es, wo der Knabe sich zum künftigen Ritter bildete, denn dort lernte er Gehorsam, Anstand, Mut, Rechtschaffenheit, Liebe und Religion. Ein lebendiges Vorbild wurden ihm die Ritter um ihn her, und nur in den beiden letzten Punkten genoss er einen besonderen Unterricht. Gott und seine Dame lieben, war der Ritter Hauptpflicht und hierin bedurfte der Edelknabe einer besonderen Belehrung, die ihm von den Damen erteilt wurde. Aus ihrem Mund lernte er zugleich den Katechismus und die Kunft zu lieben, und diese Verbindung der Galanterie mit der Religion, machte den Knaben nicht selten zum Frömmling in Christentum und in der Liebe. Er verehrte ebenso sehr seiner Dame Handschuh, als auch die Reliquien des Heiligen Grabes zu Jerusalem. Das war jedoch nicht genug; er musste sich auch in dieser religiösen Liebe üben. Man ließ ihn irgendeine Dame am Hofe zur Dame seines Herzens wählen. Diese wurde seine Gottheit; ihr vertraute er seine geheimsten Empfindungen, seine verborgensten Wünsche an, ihr gab er Rechenschaft von all seinen Gedanken und Handlungen; mit gleicher Andacht küsste er den Saum ihres Kleides und ein Bildnis der Heiligen Jungfrau Maria.

Hieraus aber entstand jene eigentümliche Art der Rittergalanterie, jene Vergötterung des schönen Geschlechts, wie sie uns in zahlreichen Romanen geschildert wird. Die Damen wurden Gottheiten, deren Augenbraunen mehr Gewalt  über das unerschütterliche Ritterherz hatten als die des Homerischen Jupiter über Himmel und Erde. Eine Dame lieben, hieß, ihr dienen, und einer Dame treu und redlich dienen, hieß, sich seiner künftigen Seligkeit versichern. Wie sinnreich aber die Damen des Mittelalters die Pflichten der Liebe und der Religion vereinigten und wie geschickt sie selbst diese auf jene zu gründen wussten, davon gibt uns ein altfranzösisches Werk nähere Auskunft. Es ist die Histoire du petit Jean de Saintré.

Die junge schöne Witwe, die der Verfasser jenes Romanes immer nur Dame des belles cousines nennt, die aber eigentlich eine Schwester des Königs Johann von Frankreich und einer zweiten Heirat entschieden abgeneigt war, es anmutiger fand, einen bartlosen Knaben in ihren Diensten zu haben als einen bärtigen Ritter – sie wählte unter allen Edelknaben am Hofe des Königs den jungen wohlgebildeten Saintré, ihm ihre besondere Pflege widmend. Sie ließ ihn zu sich kommen, versicherte ihn ihres Schutzes und fing ihren Unterricht gleich mit den sieben Hauptsünden an.

»Die erste Sünde, mein Sohn«, sprach sie, »ist die Hoffart, ein abscheuliches Laster; aber wer seiner Dame treu dient, wird ihr in aller Unterwürfigkeit dienen und daher sicher sein vor diesem Laster. Die zweite Hauptsünde ist der Zorn, aber den wahrhaft liebenden Ritter wird seine Dame auch davor sichern, denn sie wird nicht unterlassen, ihn in der Geduld zu üben. Auch vor Geiz bewahrt die geliebte Dame den Ritter; sie fordert von ihm die entgegengesetzte Tugend der Freigebigkeit und Milde. Selig sind«, fügte sie hinzu, »die Barmherzige , denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.«

Das Glück, eine Dame zu lieben und dadurch Leib und Seele über immer in Sicherheit zu bringe , machte einen so tiefen Eindruck auf Saintré, dass er die Frage herausstotterte, ob ihn denn auch irgendeine Dame in Dienst nehmen und ihn lieben möchte, sofern er ihr ewige Treue und Gehorsam gelobt.

»Warum nicht?«, sprach die Dame. »Bist du nicht ein Edelmann? Bist du nicht ein hübscher Junge? Hast du nicht Augen zum Sehen, nicht Ohren zum Hören, nicht Mund und Zunge zum Reden, nicht Arme und Hände zum Dienen, nicht Füße und Beine zum Gehen, nicht Herz und Körper, um alles zu vollbringen, was sie dich heißen wird? Warum näherst du dich keiner? Glaubst du, dass eine Dame, trotz all des Guten, das du an dir hast, so sehr ihre Ehre vergessen und dich bitten wird, sie zu lieben? Wag es! Nähere dich einer! Du musst den ersten Schritt tun.«

Das war nun deutlich genug, nur nicht für den blöden Saintré.

»Ach«, sprach er, »lieber sterben, als abgewiesen werden und mich dem Spott derjenigen aussetzen, die ich mehr lieben würde als mein Leben.«

So sprechend, stand er zitternd vor ihr, den Blick auf die Spitze ihres Pantoffels geheftet. Das rührte die Dame endlich, und um ihn und sich selbst nicht länger zu quälen, sprach sie: »Wohlan! Versprich mir bei deiner Ehre und bei Gott, keiner lebenden Seele je ein Wörtlein von dem anzuvertrauen, was ich dir jetzt sagen werde.«

Er versprach es und sie fuhr fort: »Wie? Wenn ich selbst die Dame wäre, von der ich sprach, würdest du mir gern dienen?«

Saintré, der eher den Einsturz des Himmels als diese Erklärung erwartet hatte, stand da wie vom Blitz getroffen, dann sank er vor ihr aufs Knie und gelobte ihr Gehorsam in allem, was sie ihm gebieten möchte. Nun war das Intermezzo vorüber, worin die Dame den umgekehrten Roman Abelards und Heloises gespielt hatte. Sie setzte ihren Katechismusunterricht wieder ruhig fort, befahl ihm die zehn Gebote, die sie ihm vorsagte, streng zu erfüllen, die Heilige Jungfrau Maria beständig zu verehren, bei jeder Gelegenheit sich dem Schutz des Heiligen Kreuzes zu empfehlen, täglich einige Vaterunser zu beten u.a.m. Hierauf empfahl sie ihm die zwölf Glaubensartikel, die sieben Hauptstücke und die vier Kardinaltugenden, dann die acht Seligkeiten und die sieben Werke der Barmherzigkeit. Sie befahl ihm ferner, sich beim Aufstehen und Schlafengehen zu bekreuzigen, fleißig das Haar zu kämmen, sich die Nägel zu beschneiden usw. »Wenn du dies alles beachtest, so werde ich dir Gutes tun und dich lieben.«

Da kniete Saintré nieder und schwor auf die Hand der Dame und auf das Evangelium den Eid der Treue und des Gehorsams. Seine weiche liebende Seele und der Dame schöner Mund gehörten freilich dazu, um diesen seltsamen Unterricht lange anziehend zu finden. Doch nicht alle Edelknaben erhielten eine so schulgerechte und gelehrte Bildung. Oft brachten sie schon von Haus aus, aus dem Schoß ihrer Eltern , eine treffliche Denkweise mit. Zum Beweis diente die kurze Lehre, die Bayards Mutter ihrem Sohn mitgab, als ihn sein Vetter an den Hof des Herzogs von Savoyen brachte, – eine Lehre, die ebenso einfach, wie rührend alles enthält, was eine Mutter ihrem Kind nur irgend Heilsames sagen kann.

»Mein Sohn«, sprach Bayards Mutter, als der Knabe schon im Hof des väterlichen Schlosses mit seinem Vetter und Gefolge zu Pferde saß, »mein Sohn, du ziehst jetzt in die Dienste eines vornehmen Prinzen. Lass dir vor allen drei Dinge empfohlen sein. Erfüllst du diese, so wirst du mit Ehren in der Welt leben. Das Erste ist, dass du vor allen Gott fürchtest und ihm dienst, ohne ihn, so viel dir möglich ist, jemals zu beleidigen. Vertraue auf ihn und er wird dich nie verlassen. Das Zweite ist: Sei freundlich und gut mit jedermann und lege allen Stolz ab. Diene willig jedem, der dich darum anspricht. Verleumde niemand, lüge niemals. Halte dich nüchtern im Essen und Trinken und fliehe den Müßiggang, denn er ist ein niedriges Laster. Werde nie ein Schmeichler, nie ein Zuträger, denn damit kommt niemand weit. Sei bieder in Wort und Tat. Halte, was du versprichst. Unterstütze die Armen, beschütze die Witwen und Waisen, und Gott wird es dir vergelten. Das Dritte ist: Was dir Gott beschert, teile willig mit den Bedürftigen. Glaube, mein Sohn, vom Almosengeben ist noch niemand arm geworden. Hundertfach kommt dir wieder ein, was du ausgeteilt hast. Das ist alles , was ich dir ans Herz legen möchte. Ich und dein Vater werden nicht lange mehr leben; lass uns Gutes hören von dir in unseren letzten Tagen.«

So sprechen , zog die gute Mutter ein Beutelchen aus der Tasche, worin sechs Goldstücke und eine Silbermünze waren, und gab es ihrem Sohn. Dann winkte sie einem der treusten Diener, gab ihm ein Päckchen mit Wäsche und anderen Bedürfnissen für ihren Liebling und steckte ihm zwei Taler in die Hand für den Knappenaufseher in Savoyen, dass er ein achtsames Auge auf ihren Sohn haben möchte. »Gott segne dich«, rief sie dem Scheidenden nach, der sein Ross antrieb und in froher Erwartung der Zukunft zum Burghof hinaussprengte.

Dieser Hausunterricht Bayards war ein anderer als der Hofunterricht des jungen Saintré. Aber nicht alle vornehmen Mütter waren so vernünftig wie Bayards Mutter, und nicht alle Hofdamen so gelehrt wie die früher erwähnte Dame des belles cousines. Die Höfe der Fürsten blieben daher noch immer die einzigen Schulen der sogenannten Courtoisie. Die Vorzüge, die von dieser Seite einen vollkommenen Ritter ausmachten, waren Bescheidenheit, Zärtlichkeit, Ehrerbietung, Treue und der höchste Grad von Enthusiasmus für die Schönheit der einmal gewählten Dame; und all dies lernte man damals nirgends als an dem Hof der Fürsten, wo ein großer Zusammenfluss von Damen und Rittern war, und wenn jene diese bildeten, so kann man leicht denken, wie genau und vollständig der Unterricht gewesen sein müsse, da ihr eigener Vorteil gänzlich auf den vorhin genannten Eigenschaften beruhte. Und wirklich war dieser Geist der Galanterie das Einzige, was den Rittern der damaligen Zeit einen feinen Anstrich gab und den rauen und kriegerischen Charakter der Ritterschaft etwas milderte. Es war dies das Werk des weiblichen Geistes und vielleicht das dauerhafteste, dessen sich das schöne Geschlecht rühmen kann. Denn diese übertriebene Art der Verehrung des schönen Geschlechts erhielt sich bis auf unsere Zeiten, nur mit dem wesentlichen Unterschied, dass, was bei Rittern des Mittelalters wahrhaft ungeheuchelte Verehrung und Ergebenheit war, bei den Liebesrittern unserer Zeit ein wenig in blauen Dunst ausartete, in Verstellung und in eine Art von mechanischer Fertigkeit in der sogenannten feinen Lebensart.

So vollkommen aber der Unterricht in der Liebe war, den die Damen des Mittelalters ihren Zöglingen erteilten, so mangelhaft war derselbe in der Religion, wie ein wundersames Gemisch von Irrtümern und Aberglauben. Eine Art von frommer Leichtgläubigkeit und Ehrfurcht für Legenden und Wunder war alles, was der Knabe lernte und die seltsame Verbindung dieses Unterrichts mit dem in der Galanterie hatte noch die natürliche Folge, dass er sich früh gewöhnte, seine Dame mit Gott zu verwechseln und alles, was auf sie Bezug hatte, mit religiösen Augen zu betrachten.

Für diesen Unterricht, den der Knabe am Hofe eines fremden Ritters genoss, musste er seinem Herrn alle kleinen Hausdienste leisten, ihn auf der Jagd und auf Spazierritten begleiten, Botschaften ausrichten, bei der Tafel aufwarten usw. Was den Edelknaben mit dem Geist der Ritterschaft völlig vertraut machte, war das Beispiel der Knappen und Ritter, die er täglich vor Augen hatte. Die der Jugend natürliche Nachahmungssucht machte alle Spiele der Edelknaben zu Nachahmungen ritterlicher Übungen. Sich aus ihren Mützen Helme machen, mit Wurfspießen nach dem Ziel werfen, einen Platz angreifen, den andere verteidigten – das waren ihre liebsten Spiele, wobei sie wohl zuweilen ein Schwert stahlen, um die Stärke ihres jugendlichen Arms an Hecken und Gesträuch zu erproben.

Dieser Wetteifer aber so vieler Edelknaben untereinander, dies stete Zusammenleben, diese durch gängige Gleichheit der Gesinnungen und Leidenschaften, die Gewohnheit, sich als Kinder eines gemeinschaftlichen Vaters zu betrachten, stiftete in den Herzen der jungen Zöglinge oft eine innige lebenslängliche Freundschaft, die sie einander im männlichen Alter durch die unzweideutigen Proben betätigten. Dieser Edelknabenstand aber war der erste Grad des Rittersordens, die erste Stufe zur Würde der Ritterschaft. Sieben Jahre dauerte diese Zeit, die gar wohl geeignet war, einen Ritter zu bilden, dem Geist und Charakter des Mittelalters gemäß.