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Der Detektiv – Der ewige Jude – Teil 5

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 21
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Der ewige Jude

Teil 5

Um neun Uhr frühstückten wir. Harst schrieb dann einen kurzen Brief an den Seher, meldete sich für zwölf Uhr mittags an und fügte dem Schreiben eine englische 100-Pfund-Note bei.

Ich sah es, fragte kopfschüttelnd: »Hm, ob das ziehen wird?«

»Es wird ziehen, verlass dich drauf.«

Den versiegelten Brief sollte der Hausdiener um elf Uhr zu Slami Zchumla tragen und auf Antwort für Master Howard Hopkins warten.

Wir benutzten die Zwischenzeit zu einer Fahrt durch die Stadt, nahmen auch ein Boot und ließen uns so weit zum linken Ufer des Tajo hinüberrudern, dass wir das Panorama von Lissabon vor uns hatten. Die Stadt wirkt sehr malerisch, wie sie sich so terrassenartig vom Flussufer aufwärts zieht. Mir fielen die zahlreichen Kirchtürme auf, aber auch die häufigen Trümmerstätten in den Häuserblocks. Harst erinnerte mich daran, dass Lissabon zweimal Erdbebenkatastrophen von unerhörter Heftigkeit durchgemacht hatte. Die Trümmerstätten seien Plätze, die bei einem neuen Erdboden wieder am meisten gefährdet sein würden, deshalb lasse man sie unbebaut. Das Hafenbild von Lissabon war international. Auf den Kais arbeiteten so zahlreiche Schwarze, dass man sich nach Afrika versetzt glaubte.

Um halb zwölf waren wir wieder im Pensionat Schuman. Der Hausdiener teilte Master Hopkins mit, der Prophet hätte erst gezögert, dann aber doch erklärt, er wolle den Master empfangen.

»Na also!«, flüsterte Harst mir zu. Dann erteilte er mir allerlei Befehle. Und so kam es denn, dass Dasy Hopkins kurz vor zwölf das alte maurische Gebäude in der Rua Kaspino betrat, die Treppe emporschritt und einen eisernen Türklopfer oben gegen eine nachher eingebaute, moderne Flurtür mit kleinen Scheiben fallen ließ.

Nach ein paar Minuten eine Stimme hinter der Tür, die etwas in portugiesischer Sprache fragte.

Dasy Hopkins bedauerte auf Englisch, das Portugiesische nicht zu beherrschen, nannte sich nun Miss Dasy Prunay, bat um Einlass und schob durch den Briefeinwurf ein flaches Päckchen als Angebinde hinein, das eine wertvolle (von uns vorhin gekaufte) silberne Tabaksdose enthielt.

Wieder vergingen Minuten. Dann wurden zwei Riegel zurückgeschoben, dann stand der berühmte Seher, in der Linken einen Leuchter mit drei brennenden Kerzen haltend, vor mir.

Es war ein gebeugter Greis mit schneeweißem Bart, schneeweißen Schläfenlocken, schwarzem Käppchen, mit etwas schmierigem Kaftan und Sandalen an den Füßen. Das Gesicht von durchsichtiger Blässe zeigte so durchgeistigte Züge, so große, dunkle Schwärmeraugen, dass ich durchaus verstand, wenn die Leute hier diesen Alten ehrwürdig und einem Propheten ähnlich fanden.

Die Stimme kannte ich bereits. Das Englisch, mit dem er mich ansprach war fehlerfrei.

»Meine Tochter, du kommst zu schlechter Stunde«, sagte er und schaute mich ohne Argwohn an. »Ich bitte dich, besuche mich am Nachmittag.«

»Aber nachmittags reise ich ja wieder ab! Ich bin nur für einen Tag von San Sebastian (bekanntes Weltbad) herübergekommen. Darf ich Ihnen nicht für die Armen der Stadt eine Summe zur Verfügung stellen? Vielleicht fünfzig Pfund? Ich möchte Sie nur meiner verstorbenen Eltern wegen etwas fragen. Nur wenige Minuten werde ich Sie belästigen.«

Ich holte die Banknote aus meinem Handtäschchen hervor. Der Seher nahm sie, winkte mir, ging mir voran. Er ging wie einer, der noch nichts von der Last des Alters spürt.

Das ärmliche Gemach, in dem wir uns dann gegenübersaßen, lag infolge der bunten, kleinen Fenster in einem anheimelnden Zwielicht. Dazu kam noch die so merkwürdig eintönige, halb singende Stimme des Sehers, seine starre Ruhe, das Abgerundete seiner wenigen Gesten. All das übte selbst auf mich einen eigentümlichen Reiz aus. Etwas wie der Frieden völligen Weltentrücktseins hüllte mich wohlig ein. Ich vergaß fast, dass ich einen Schwindler, einen Genossen Palperlons vor mir hatte.

Ich trug meine Bitte vor. Meine Eltern seien beide plötzlich gestorben, so plötzlich, dass sie mir, der einzigen Tochter nicht einmal hätten das Versteck mitteilen können, in dem mein Vater einen Teil seines Vermögens verborgen hätte.

Ich merkte, dass der Prophet mit schlecht verhehlter Spannung meinen Worten lauschte. Was er antwortete, waren zunächst sehr gelehrte Sätze über Sterben und Vergehen.

Ich hatte dann plötzlich die Empfindung: Du musst diesen Menschen schon einmal gesehen haben – in fernen Tagen! Aber wo nur – wo? Immer deutlicher wurde dieses Gefühl. Ich beobachtete ihn schärfer. Und da wich der friedvolle Reiz dieser Umgebung. Da sah ich, dass die weißen, wohlgepflegten Hände Slami Zchumlas faltenlos, keine Greisenhände waren; da begann ich an der Echtheit des weißen Bartes zu zweifeln. Als früherer Schauspieler hat man für derartiges einen guten Blick. Aber der Bart war echt! Das hatte ich bald heraus.

Und doch: Ich kannte den Mann! Kannte ihn von früher her bestimmt.

Draußen polterte der Türklopfer gegen das Holz. Slami Zchumla stand auf. »Meine Tochter, ich werde dich in ein Nebengemach bringen. Warte dort auf mich.«

»Oh, ich kenne den Herrn, der Einlass begehrt. Es ist ein Landsmann von mir, ein Master Hopkins. Er hat sich wohl bei Ihnen angemeldet.«

Er war arglos, nickte und schritt hinaus, kehrte dann mit Harst-Hopkins zurück. Dieser eilte auf mich zu.

»Ah, Miss Dasy, sehr erfreut! Wie geht’s? Bleiben Sie nur hier! Was ich mit dem berühmten Seher zu besprechen habe, wird auch Sie interessieren.«

Wir nahmen nebeneinander Platz. Slami Zchumla saß mehr im Hintergrund. Der Leuchter mit den drei Kerzen stand hinter ihm auf einem Tischchen. Das war Absicht: Der flackernde Schein machte es unmöglich, die Gesichtszüge des Sehers genau zu beobachten. Vorhin hatte er den Leuchter im Flur gelassen. Nun, wo er Männerbesuch hatte, wandte er diesen Trick an!

Harst schaute sich sehr zwanglos in dem Gemach um. Dann griff er in die Tasche, legte seine Pistole entsichert in den Schoß, stützte die Arme auf die Lehnen des alten Sessels und brachte die Fingerspitzen aneinander.

Slami Zchumla lächelte mild. »Mein Sohn, was soll die Waffe in diesem Haus des Friedens?« fragte er, aber die Stimme klang nun erzwungen monoton.

»Sie soll den Frieden zwischen uns bewahren helfen«, sagte Harst etwas schärfer. »Ich warne Sie vor irgendwelcher Heimtücke. Versuchen Sie nicht, mich zu belügen. Ich weiß so viel, dass ich mir die andere Hälfte leicht ergänzen kann. Wer sind Sie?«

Urplötzlich lag es wie stärkste elektrische Spannung in der Luft: Das Gewitter nahte.

Das Gesicht des Sehers verzerrte sich. Es sollte ein Lächeln sein. Es war eine Grimasse versteckter Angst. Er schwieg. Und seine Augen verloren jäh den schwärmerischen Ausdruck, wurde klein, listig, forschend. Er schwieg beharrlich.

»Nun, dann werde ich es Ihnen sagen!,« fuhr Harst fort. »Im Mai dieses Jahres begegnete Ihnen in München, wo Sie sich kärglich als Malermodell durchschlugen, ein Herr, der Sie mit in sein Hotel nahm. Es war ein Engländer mit dem Allerweltsnamen Brown. Er machte Ihnen den Vorschlag, für ein Jahr in seine Dienste zu treten. Sie sollten sofort 5000 Mark erhalten, nach Ablauf des Jahres 50.000 Mark, nur müssten Sie sich zu unbedingtem Gehorsam verpflichten. Irgendwo im Ausland erklärte Brown, habe er für Sie mit Ihrem patriarchalischen Aussehen eine besondere Stellung, die ganz mühelos sei. Sie sollten ihm jedoch vorher Ihre Lebensgeschichte wahrheitsgetreu berichten. Sie taten es. Das Geld lockte. Sie erzählten, dass Sie im Leben gescheitert seien. Erst hätten Sie Philosophie studiert, wären dann wegen einer Urkundenfälschung bestraft worden, Schmierenschauspieler geworden …«

»Halt!«, rief ich und sprang auf. Nun wusste ich, wer der Mann war. Ich war einst Komiker gewesen und da hatten wir mal bei der Wandertruppe einen Ernst Minger gehabt, den wir seines Organs und seines frommen Augenaufschlags wegen nur den »Heiligen« nannten.

»Halt, Sie sind Ernst Minger!«, sagte ich laut und bestimmt. »Leugnen Sie nicht: Ich bin Ihr einstiger Kollege Max Schraut!«

»Setz dich!«, mahnte Harst gelassen. »Du teilst weder Minger noch mir etwas Neues mit. Da du nun aber doch bereits verraten hast, wer in den Weiberröcken steckt, und da Mingers Gesicht verrät, dass er die Waffen streckt, so will auch ich die Maske lüften: Ich bin Harald Harst, an den Sie, Ernst Minger im Mai dieses Jahres einen Brief nach Kalkutta schickten, weil Sie in der Zeitung gelesen hatten, dass ich dort geweilt hätte. Der Brief, ebenso ein zweiter von Ihnen, irrte mir nach, bis ich ihn dann vor Kurzem nach Hamburg nachgeschickt erhielt. Was in Ihrem ersten Schreiben stand, habe ich soeben berichtet. Ich will damit fortfahren – ganz kurz. Als Schauspieler erkrankten Sie sehr schwer, lagen fast zwei Jahre in einem Lazarett. Als Sie entlassen werden konnten, waren Sie schneeweiß geworden, mit 41 Jahren zum Greis. Nun begann Ihre Laufbahn als Malermodell. Dann traf Sie der angebliche Brown, ein Genosse eines der größten Verbrecher aller Zeiten. Brown war mit Ihrer Lebensgeschichte zufrieden. Ihm lag daran, dass Sie einige Sprachkenntnisse besaßen. Er wiederholte sein Angebot. Es war verführerisch, aber Sie hatten anderseits auch das Gefühl, Ihnen drohe durch die Annahme vielleicht eine Gefahr. Die Zeitungen waren damals voll von Berichten über meinen Kampf gegen Warbatty. Sie baten sich von Brown 12 Stunden Bedenkzeit aus. Ohne ihm etwas davon zu sagen, schrieben Sie an den jederzeit hilfsbereiten Harst und teilten ihm die Begegnung mit Brown mit, baten mich, nach Ihnen zu suchen, falls ich von Ihnen nicht in regelmäßigen Zwischenräumen kurze Nachricht erhielte. So versuchten Sie sich zu schützen. Dies war der Inhalt Ihres ersten Briefes. Der zweite Brief, in Paris aufgegeben, enthielt nur wenige Zeilen. Sie erklärten, ich möchte den ersten Brief als nicht geschrieben betrachten. Sie hätten das Angebot Browns abgelehnt. Die Sache sei damit erledigt.

Dass der Inhalt dieses zweiten Schreibens den Tatsachen nicht entsprach, erkannte ich sofort. Gleichzeitig mit Ihren beiden Briefen erhielt ich einen dritten, sehr umfangreichen, in dem mir ein Herr Johannes Partorius«, Minger senkte den Kopf noch tiefer, »von einer merkwürdigen Prophezeiung berichtete, die er hier bei Slami Zchumla erhalten hatte.

Es war für mich nicht gerade schwer, Brown und den so patriarchalisch ausschauenden Ernst Minger, der im Ausland ohne Mühe in einem Jahr 55.000 Mark verdienen sollte, mit diesem Schreiben des Hamburger Patriziersohnes insofern in Beziehung zu bringen, als ich dreierlei sogleich kombinierte: Erstens, jene Prophezeiung bezweckt einen Anschlag auf das Vermögen des Johannes Partorius; zweitens, der »echte« Seher von Lissabon hätte sich zu einem Schurkenstreich nie hergegeben; drittens, Ernst Minger könnte recht gut in Lissabon die Rolle des Sehers spielen und zu diesem Zweck von Brown angeworben sein.

Ich will nun die Entwicklung dieses raffinierten Streiches unter Weglassung des Nebensächligen schildern. Sollte ich mich in diesem oder jenem Punkte irren, so korrigieren Sie mich sofort, Minger. Sie nehmen also Browns Vorschlag an. Brown bringt Sie heimlich hier nach Lissabon, wo Slami Zchumla schon einige Zeit kränklich gewesen ist. Der Seher stirbt dann. Ob mit oder ohne Nachhilfe wird sich herausstellen.«

»Er war schon einen Tag tot, als ich herkam«, fiel Minger ein. »Ein Freund Browns, ein gewisser Lakrosta, ein Portugiese hat dann die Leiche …«

»… im Hof unter den Olivenbäumen vergraben, wo gestern Nacht halb verhungerte Straßenköter sich alle Mühe gaben, die Leiche herauszuscharren. Brown gab Ihnen dann genaue Anweisungen, wie Sie sich verhalten sollten. Diese von einem gewissen Palperlon geleitete internationale Bande wartete auf ein ihnen geeignet erscheinendes Opfer, das nun mithilfe des falschen Sehers, der mit dem echten fraglos sehr große Ähnlichkeit …«

»… die Ähnlichkeit war überraschend, Herr Harst. Gestatten Sie, dass ich jetzt das Weitere schildere und dass ich Deutsch spreche. Die Hauptsachen dieses von Palperlon seit Jahren schon vorbereiteten Streiches haben Sie ganz richtig erkannt. Palperlon wollte schon immer Slami Zchumla durch einen anderen, ihn ergebenen Menschen ersetzen. Aber man fand keine Persönlichkeit, die sich dazu eignete. Dann begegnete ich jenem Brown, einem der Vertrauten Palperlons. Als ich hier nun drei Wochen Slami Zchumla gespielt hatte, ohne dass jemand Verdacht schöpfte, rückte Brown mit dem fein ausgeklügelten Plan heraus. Wir wollten einen schwerreichen Mann rupfen, der sich durch allerlei trügerische Manipulationen so in Angst würde versetzen lassen, dass er uns freiwillig sein Vermögen abtrat. Wer das Opfer werden sollte, musste sich später ergeben. Als ich nun derart eingeweiht worden war und sah, dass die Leute ohne mich nichts ausrichten könnten, verlangte ich volle Gleichberechtigung mit ihnen, einen entsprechenden Anteil an der späteren Beute und die Zusicherung, dass es dem Opfer nicht ans Leben gehen sollte. Brown war einverstanden. Er merkte, wie brauchbar ich war, und tat alles, sich mit mir gut zu stellen. Er trieb sich nun hier dauernd in den Hotels herum und spähte nach dem geeigneten reichen Ausländer aus, fand so Johannes Partorius und riet ihm, Slami Zchumla aufzusuchen. Partorius prophezeite ich das, was Brown mir wörtlich eingedrillt hatte. Der Hamburger reiste heim. Seitdem haben Brown und Lakrosta ihn dauernd überwacht. Brown trat zu diesem Zweck …«

»… ah, als Chauffeur bei Partorius ein …«

»Ja, und ein weibliches Mitglied der Bande wurde dort Stubenmädchen.«

»Hab’s mir gedacht!«, bestätigte Harst mit einem Nicken.

»Dann kam die Komödie mit der Vision, die Partorius vorgetäuscht wurde, als er seine Mutter im Sarge liegen sah.«

»Weiß schon: Das zurechtgeschminkte Stubenmädchen spielte die Leiche und der Sarg war einer der Mumienkästen oben aus dem Museum. Partorius hatte ja seine Mutter im Sarg liegend in Aquarell skizziert. Nach dieser Skizze …«

»… konnte der Betrug ganz echt wirkend in Szene gesetzt werden. Das stimmt ebenfalls, Herr Harst. Während Partorius in seinem Arbeitszimmer in halber Selbsthypnose im Sessel saß, wurde alles wieder aus dem Sterbezimmer weggeräumt. Ähnlich verhielt es sich mit dem blonden, angeblich taubstummen Mädchen. Diese kleine Taschendiebin war von Brown bestochen und instruiert worden. Auch dies klappte bis ins Kleinste.«

»Schon gut. Dann flüchtete Partorius aus Angst vor dem »dritten« hier zu Slami Zchumla – zu Ihnen, wird Ihnen erzählt haben, dass er mir seine beiden ersten Visionen gebeichtet hätte. Sie depeschierten an Brown, der dann ahnte, dass ich bei Partorius erscheinen könnte und alles für unseren Empfang vorbereitete. Wir kamen wirklich, Brown gab die Rolle des alten Jochem. Der Kutter …«

»… war von Brown gemietet und mit drei zweifelhaften Subjekten bemannt, die Befehl hatten, Sie beide nach Kopenhagen zu Palperlon zu bringen!«

Harst machte eine hastige Handbewegung. »Nach Kopenhagen zu Palperlon?«, fragte er nachdenklich.

»Ja, Herr Harst. Hierüber weiß ich nichts weiter, wirklich nicht! Palperlon ist jetzt allerdings hier in Lissabon – seit gestern. Unter dem Namen Master Horace Bebberton. Er wohnt im Hotel Manuelo.«

Harst schaute mich an. Wir beide saßen nun einen Moment wie die Steingötzen da.

Palperlon in Lissabon! Das war mehr wert als die Entlarvung des falschen Sehers.

»Er will nämlich die Vollmacht, die Partorius zwecks Flüssigmachung seines Vermögens geben soll, auf den Namen Horace Bebberton ausstellen lassen«, fuhr Minger fort. »Na, daraus wird nun nichts! Und ich bin froh darüber! Mir ist die ganze Sache längst leid. Ich hatte immer so die dumpfe Vorahnung, dass meine Briefe an Sie doch Unheil anrichten würden, dass Sie, Herr Harst, nach meinem Verbleib forschen könnten und dann mich selbstredend hier auch aufstöbern würden. Sie werden es mir vielleicht nicht glauben: Ich habe wirklich nie daran gedacht, Brown könnte wirklich bei Herrn Partorius einen so durchschlagenden Erfolg mit diesem ganzen Schwindel haben. Nein, ich hoffte im Stillen immer, Partorius würde noch rechtzeitig merken, wie hier der Hase läuft. Aber er ist ja völlig von dem mystischen Unsinn der Kabbala gefangen genommen, dass er selbst den haarsträubendsten angelesenen Blech, den ich ihn auftischte, als hehre Weisheiten anstaunte.«

»Nun, Sie sind wenigstens ehrlich, Herr Minger«, meinte Harst.

»Warum nicht! Ich habe hier monatelang behaglich gelebt. Mir genügt das. Mag man mich jetzt auch einsperren für einige Zeit. Ich werde es überstehen und dann wieder Modell spielen.«

»Wo befindet sich Partorius?«, fragte Harst und stand auf.

»Hier im Haus auf der anderen Seite. Er schläft wohl noch. Wir haben gestern noch sehr lange philosophiert.«

»Und was sollte mit ihm geschehen, sobald er sein Vermögen los war?«

»In einer Irrenanstalt wollte Brown ihn für immer verschwinden lassen. Ich hätte das aber nicht geduldet.«

»Sagen Sie jetzt! Gehen wir zu Partorius hinüber.«

Auf dem unberührten Bett des lütt Hannes lag ein Zettel:

Ich habe lange mit mir gekämpft. Ich kann all den Luxus, an den ich seit Jugend an gewöhnt bin, doch nicht entbehren. Da ich fürchte, Ihrem Einfluss doch wieder zu unterliegen, gehe ich ohne Abschied und trete sofort eine mehrjährige Weltreise an. Johannes Partorius.

Harst lächelte. »Die Trennung von den vielen Millionen war offenbar schwerer als die der zwecklosen Körpermaterie von der Seele! Gut – nun ins Hotel Manuelo. Sie, Minger, werden wohl nicht fliehen, denke ich. Also auf Wiedersehen.«

Harst kam mir zu ruhig vor für den Fang, der uns bevorstand.

Als ich ihm dies sagte meinte er: »Lieber Alter, Palperlon soll der Mann im Hotel Manuelo sein? Niemals!«

»Aber … aber du warst doch auch völlig versteinert, als Minger erwähnte dass …«

»… ja, dass Palperlon in Kopenhagen sich aufhielte.«

Master Horace Bebberton saß im Lesezimmer.

Und Harst behielt recht: Es war nicht James Palperlon! Nein, es war ein langer, dürrer Kerl, dem die Narbe am rechten Mittelfinger fehlte, die wir als einziges sicheres Merkmal von Palperlon genau kannten.

Der Mensch wurde der Polizei übergeben. Aber weder er noch Brown noch die anderen Genossen Palperlons (im Ganzen wurden sieben ermittelt) konnten irgendetwas Genaueres über ihren Herrn und Meister aussagen. Der hatte sich ihnen stets in wechselnder Verkleidung gezeigt, stets sich bei allem im Hintergrund gehalten.

Ernst Minger aber war spurlos verschwunden, als die Polizei ihn aus dem uralten Maurenbau holen wollte.