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Der Welt-Detektiv Band 6

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Adventskalender 2021 – 7. Türchen

Georg Keil
Märchen und Geschichtchen eines Großvaters
Leipzig, 1847
Knipp und Hupp

Es war einmal ein Krebs und ein Frosch, die waren sehr gute Freunde. Der Krebs hieß Knipp und der Frosch Hupp. Sie waren Nachbarn, denn sie wohnten beide an einem Bach. Knipp, der Krebs, hatte sich eine tiefe Höhle gebaut unter der Wurzel einer alten Eller, die ganz nahe an dem Bach stand, und Hupp, der Frosch, wohnte gleich daneben auf einem großen, breiten Seerosenblatt, dass auf dem Bach schwamm. Knipp hatte aber, wie er glaubte, seine unterirdische Wohnung sehr schön eingerichtet; die inneren Wände der Höhle waren glatt poliert, und vorn war eine runde Öff­nung, durch die er aus- und einging, wie durch eine Tür. Hupp dagegen hatte für seine Wohnung gar nichts getan, und wenn der Bach einmal anschwoll und das Seerosenblatt mit sich fortriss, so war das dem Hupp ganz einerlei. Er nahm sich dann ein anderes zu seiner Wohnung. Hupp war aber auch ein lustiger, leichtsinniger Geselle, der selten nach Hause kam, den ganzen Tag lang herumschwärmte und nichts tat, als zu schreien und zu lärmen. Das tat er sogar auch die Nacht hindurch; die ganze Nachbarschaft konnte kein Auge zu tun. Knipp war aber ein ernsthafter und gesetzter Mann und dabei ein großer Gelehrter; er war immer zu Hause und saß Tag und Nacht über den Büchern und studierte. Sehr selten stellte er sich einmal unter seine Tür und guckte hinaus, um zu sehen, wie es draußen in der Welt aussähe. Deshalb war er auch noch ein Junggeselle und hatte niemals heiraten wollen, weil er dazu keine Zeit hätte, wie er sagte. Hupp dagegen hatte schon vier Frauen gehabt, die aber alle nacheinander gestorben waren; und so war er jetzt wieder Witwer.

Obwohl nun die beiden so verschieden von Charakter waren, so waren sie doch, wie gesagt, gute Freunde, und Hupp besuchte seinen Freund Knipp oft in seiner Höhle auf ein Gericht Regenwürmer oder Schnecken, die aßen sie beide sehr gern.

Einstmals saßen sie nun bei einem solchen Gericht fetter Regenwürmer beieinander.

Hupp sagte zu seinem Freund: »Aber sage mir nur, warum du so ein Duckmäuser und Stubenhocker bist. Ihr Tintenkleckser bekommt von der Welt gar nichts zu sehen, und du wirst immer mürrischer und leutescheuer! Komm einmal heraus aus deinem Loch und lasse uns ein Stückdien hineinwandern in die Welt; dann kannst du auch eine prächtige Reisebeschreibung schreiben und drucken lassen, und die wird gewiss recht schön zu lesen sein! Du musst mir sie aber vorlesen, da ich nicht lesen kann. «

Darauf erwiderte Meister Knipp, denn so nannte man ihn wegen seiner großen Gelehrsamkeit: »Für einen Unstudier­ten sprichst du vernünftig genug, mein lieber Freund Hupp! Aber lass dir sagen, dass wir Gelehrte gar nicht nötig haben, erst eine Reise zu machen, wenn wir eine beschreiben wollen. Wir besitzen die allervortrefflichsten Reisebeschreibungen,  die gelehrte Männer in ihrem Studierzimmer gemacht und beschrie­ben haben. Ich erwähne dir nur die merkwürdige Reise welche mein gelehrter Freund, der Capitain Gulliver ge­schrieben hat, und an deren Wahrhaftigkeit gewiss niemand zweifeln wird. So haben wir auch eine sehr anmutige Reise­beschreibung, welche die allerwunderbarsten und unmöglichsten Dinge erzählt, die man für unglaublich halten würde, wenn sie nicht ein Baron, der Herr Baron von Münchhausen auf seine Ehre versicherte. Sieh, so könnte auch ich eine sehr wahrhaftige Reisebeschreibung in meinem Studierzimmer schrei­ben und in den Druck geben, ohne dass ich erst nötig hätte, einen Fuß aus meiner Wohnung zu setzen! Ich will dir aber nur sagen, mein Freund, dass ich schon im Stillen den Entschluss gefasst habe, eine Reise zu machen, da ich entschlossen bin, meinem Freund, dem gelehrten Magister Moll einen Besuch abzustatten, um seine persönliche Bekanntschaft zu machen, indem ich ihn bisher nur aus seinen Briefen und gelehrten Werken kenne!«

»Kaok! Kaok! Gäck, gäck, gäck!«, schrie Hupp vor Freude und machte einen so großen Luftsprung, dass er mit seinem Kopf an der Decke der niedrigen Höhle anstieß. »Nun so lass uns reisen!«

»Was das Zusammenreisen betrifft«, fuhr der bedächtige Meister Knipp fort, »das wird sich nicht tun lassen! Du bist ein Springinsfeld und hüpfst und läufst fast geschwinder als ein Pferd. Ich aber bin ein besonnener Mann und gehe nur langsam; und außerdem leite ich auch am Podagra und kann deshalb nur kleine Schritte machen.«

»Gäck, gäck, gäck!«, sagte Hupp, »ich werde mich schon nach dir richten. Dein Podagra hast du davon, dass du Tag und Nacht in dem feuchten Loch hier sitzt. Wenn du herauskommst in die frische, freie Luft, wird das schon ver­schwinden. Abgemacht!«

So wurde denn beschlossen, die Reise gemeinschaftlich zu machen. Hupp stand am nächsten Morgen, schon ehe die Sonne aufgegangen war, an der Tür seines Freundes, um ihn zu wecken. Dieser war aber schon reisefertig. Meister Knipp hielt nicht viel auf schöne Kleider, weil er ein Gelehr­ter war, und hatte seinen gewöhnlichen grauen Überrock ange­zogen. Über den Kopf hatte er eine graue Mütze gestülpt, damit er sich nicht erkälte und den Schnupfen bekäme. Über die Schulter hing ihm eine blecherne Büchse für seltene Blumen und Kräuter; auch waren darin Papier, Tinte und Federn. So konnte er gleich auf der Stelle seine Reisebemerkungen nieder­schreiben. Unter dem Arm trug er einen großen Regenschirm, mehr gegen die heißen Sonnenstrahlen als gegen den Regen. Hupp dagegen war ein Modemann und liebte schöne Kleider sehr. Er hatte ein knappes Jäckchen an von feinem bellgrünen Tuch, eine weiße Weste und gelblederne Beinkleider. In der Hand hielt er einen langen Springstock, um mit demselben gelegentlich einen recht weiten Sprung machen zu können. Das war sein ganzes Reisezeug!

Mit Aufgang der Sonne schritten die beiden Freunde aus der Tür der Höhle, die Meister Knipp sorgfältig verschloss, damit man ihm während seiner Abwesenheit seine kostbaren Bücher und Handschriften nicht stehlen konnte. Langsam ging es nun vorwärts; Hupp sprang immer ein Stück Weges voraus und hüpfte dann wieder zurück, sodass er den Weg drei bis vier Mal machte, wie die Hunde tun, wenn sie mit ihrem Herrn auf das Feld spazieren gehen. Knipp dagegen kroch, wenn er zehn Schritte getan hatte, immer wieder fünf Schritte rückwärts.

»Sag mir nur, Freund Knipp«, fragte ihn Hupp, »warum du immer wieder rückwärts gehst, wenn wir ein Stück vorwärts gekommen sind? Auf diese Art kommen wir nicht weiter!«

Darauf antwortete Meister Knipp sehr bedächtig: »Mein lieber Freund Hupp, jedes Ding hat zwei Seiten, und ein verständiger Mann muss das Ding von beiden Seiten betrachten, wenn er darüber urteilen will! Sieh, darum besehe ich mir jede Sache von vorn und von hinten!«

Sie waren endlich auf eine große, grüne Wiese gekommen. Die Frühlingssonne schien so mild und das vom Tau benetzte Gras war so angenehm kühl, dass selbst der ernsthafte Knipp ganz lustig wurde und ein Liedchen aus seinen Studentenjahren anstimmte. Er sang mit lauter Stimme:

Gaudeamus igitur

Juvenes dum sumus!

Seine Stimme klang aber freilich ein bisschen rau und heißer; er hatte sie ja so lange nicht geübt!

Hupp aber jodelte laut und sang mit seiner gellenden Stimme Schelmenliederchen, eins nach dem anderen.

Da kam über die Wiese ein junges Mädchen gesprungen, mit einer Puppe auf dem Arm, der es ein Schlummerliedchen vorsang. Als es den Krebs sah, blieb es stehen und betrachtete ihn genau; dann rief es aus: »Ei, du prächtiger, großer Krebs! Dich will ich mit nach Hause nehmen! Du kannst der Schneider meiner Puppe sein und sollst mir mit deinen gro­ßen Scheren die Hemdchen und Kleider zuschneiden, die ich für sie nähen will!«

Wie zitterte und bebte da der arme Knipp, als er hörte, dass er, der doch so gelehrt war, ein Schneider werden sollte!

Nun bückte sich das Mädchen, um ihn vorsichtig aufzuheben, damit er sie nicht mit seinen Scheren in die Finger kneipen konnte. Als es ihn aber eben fassen wollte, machte Hupp, der die Gefahr sah, in welcher sein Freund schwebte, einen großen Sprung und sprang dem Mädchen gerade ins Gesicht. Als das Mädchen den kalten Frosch, den es gar nicht bemerkt hatte, im Gesicht fühlte, stieß es einen lauten Schrei aus und lief mit seiner Puppe davon. Nach und nach erholte sich Meister Knipp von dem Schreck und dankte seinem Freund, dass er ihn aus einer so großen Gefahr gerettet hatte. Hupp aber machte einen hohen Luftsprung und lachte über die Ängstlichkeit des Meister Knipp.

Bald sollte aber die Reihe zu zittern an ihn selbst kom­men! Über die Wiese her kam nun ein Storch geschritten auf seinen hohen, dürren, roten Beinen. Als Hupp seinen ärg­sten Feind erblickte, duckte er sich zitternd in das hohe Gras nieder und hoffte, der Storch solle ihn nicht gewahr werden. Der hatte ihn aber doch gesehen, bückte sich und packte ihn mit seinem langen Schnabel bei einem Bein, um ihn zu verzehren. So wie dies jedoch der aufmerksame Meister Knipp bemerkte, knipp er den Storch mit seinen scharfen Scheren so stark in sein dürres Bein, dass dieser den armen Hupp vor Schmerz fahren ließ und davonflog. Nach kurzer Zeit hatte aber der leichtsinnige Hupp alles vergessen, hüpfte und sprang wieder umher, als ob nichts vorgefallen wäre.

Am Ende der Wiese setzten sich die beiden Reisegefährten unter einem Dornstrauch nieder, um auszuruhen. Meister Knipp zog sein Schreibzeug aus der Blechbüchse und schrieb die großen Reiseabenteuer nieder, die sie schon bestanden hat­ten. Hupp ließ sich indessen einige fette Raupen, die er sich suchte, gut schmecken und jagte dann aus Langerweile eine Fliege, welche um den Dornstrauch herumschwärmte.

Endlich ging die Reise wieder weiter. Es war Mittag geworden und die Sonne brannte den beiden Reisekame­raden recht heiß auf den Rücken; selbst der Regenschirm wollte nicht dagegen helfen. Und so freuten sie sich, als sie in der Nähe einen großen Wald erblickten, nach dessen kühlen Schat­ten sie sich sehnten. Sie schritten rüstig vorwärts und kamen, obwohl nach vieler Beschwerde, an den Saum des Waldes.

Da erhob sich ein lautes Geschrei. »Heda! Heda! Ihr guten Leute !«, rief es, »helft mir doch, ehe mir der Vogel­fänger den Hals umdreht! Helft mir doch heraus aus dem Netz!«

Es war eine Elster, die so schrie und bat; sie hatte sich in einem Netz gefangen.

Der gutmütige Knipp kroch hinzu und fing an, die Maschen des Netzes mit seinen Scheren zu zerschneiden, und auch Hupp tat sein Möglichstes, die arme Elster aus dem Netz zu wickeln; und das gelang auch. Wer war aber glück­licher als die Elster, als sie sich wieder frei und frank sah! Sie konnte nicht genug Worte finden, ihren Befreiern zu danken.

»Ja, ihr lieben Freunde!«, sagte sie, »Ihr müsst mit mir in meine Wohnung kommen, meine Frau und meine Kin­der müssen Euch kennen lernen, denn auch sie müssen Euch ihren Dank dafür sagen, dass Ihr ihnen den Gatten und Vater errettet habt! Seht, da oben ist meine Wohnung!«

Dabei zeigte sie auf eine etwas entfernte himmelhohe Fichte, auf deren Gipfel ein großes Nest zu sehen war.

»Ja, wie sollen wir denn da hinaufkommen«, sagte der bedächtige Knipp, »da wir keine Flügel haben?«

»Das will ich Euch gleich zeigen!«, antwortete die Elster, fasste in jede Kralle einen der beiden Reisegefährten, erhob sich, flog mit ihnen auf die Fichte und setzte sie fein säuberlich in dem Nest nieder.

Die Elsterfrau glaubte, dass ihr Mann ihr Nahrung brächte für ihre Kinder und wollte eben über den armen Hupp her­fallen, um ihn zu zerreißen und ihn ihren Kindern vorzusetzen, als ihr Mann zu ihr sagte: »Madame! Sehen Sie hier meine Lebensretter und meine besten Freunde! Ihnen allein haben Sie es zu verdanken, dass Sie noch einen Gatten haben und unsere Kinder einen Vater, denn es ging mir nahe ans Leben!«

Da wurde die Frau Elster sehr höflich und machte noch mehr Worte als ihr Mann. Sie bat ihre lieben Gäste tau­sendmal um Verzeihung, dass ihre Stube noch nicht aufgeräumt sei, und dass ihre Kinder noch nicht gewaschen und ange­zogen wären. Die kleinen Elsterchen waren nackt und hatten noch keine Federn. Dann holte sie aus Dankbarkeit einen frischen Mäusebraten herbei, den sie zum Mittagsessen für ihre Kinder in dem Nest versteckt hatte, und setzte ihn ihren Gästen vor. Diese labten sich auch recht an dem fetten Braten, denn sie waren beide sehr hungrig.

Wie wunderte sich aber Meister Knipp, als er von der großen Höhe hinabsah, dass die Welt so weitläufig war! So groß hatte er sie sich nicht gedacht! Er legte sich mit dem Kopf über den Rand des Nestes hinaus, um sich besser umsehen zu können, und fragte dann: »Ist denn das alles noch Welt, was man hier sieht?«

»Jawohl!«, antwortete der Elstermann, »und sie geht noch ein gutes Stück weiter!«

»Ei!«, sagte Meister Knipp und drückte die Augen zu, da es ihm ganz schwindlig wurde.

Es gefiel aber den beiden Reisenden in dem hohen Elster­schloss so gut, dass sie bis gegen Abend blieben, wo sie dann zärtlichen Abschied nahmen, und ihren freundlichen Wirt baten, sie wieder auf die Erde hinabzutragen. Das tat er auch und setzte sie sacht unter der Fichte nieder. Nachdem er ihnen den Weg gezeigt hatte, den sie zur Wohnung des Magister Moll zu nehmen hatten, umarmten sie sich noch einmal und schieden, indem sie sich eine ewige Freundschaft versicherten.

Die beiden Wanderer setzten nun ihre Reise durch den Wald fort und unterhielten sich über die Gastfreundschaft, die ihnen die liebenswürdige Elsterfamilie erwiesen hatte. Meister Knipp bewunderte die Redseligkeit der Frau Elster, die in einer Minute mehr gesprochen hatte als er selbst während eines ganzen Tages.

Es wurde aber unter den dichten Bäumen immer dunkler, und die beiden Reisenden sahen sich nach einem bequemen Nachtlager um. Sie fanden es unter einer großen Eiche, die ihre Äste weit ausbreitete. Der Boden war mit herrlichem weichen Moos bewachsen, so weich wie das weichste Federbett. Auf dieses legten sie sich zur Ruhe nieder. Beide schliefen bald ein, da sie von der langen Tagesreise sehr ermüdet waren.

Der muntere Hupp wachte aber bald nach Mitternacht wieder auf. Es hatte ihn ein lieblicher Gesang geweckt, den er schon lange im Traum gehört hatte. Es klang so schön, und der Mond schien so hell dazu! Hupp sprang auf, ging dem Gesang nach und fand, dass er aus einem Haselnussstrauch kam. Er wagte kaum zu atmen, so herrlich klang der Gesang. Als er jedoch eine Weile verstummte, trat er näher und versuchte die liebliche Sängerin zu erblicken. Da saß auf einem Blatt der Haselstaude eine allerliebste Laub­froschjungfrau. Sie war es, welche ihre Sehnsucht der stillen Nacht in süßen Liedern vertraute. O wie sah sie nied­lich aus in ihrem hellgrünen Atlaskleid! Der gute Hupp war auf der Stelle in Liebe für die schöne Jungfrau entbrannt!

»Ach! Wie singen Sie so herrlich, meine Liebe!«, sagte Hupp zu ihr.

Und die Jungfrau antwortete: »O, ich bitte !«

So gab ein Wort das andere und Hupp fuhr fort: »Der Mond scheint so klar und die Gegend ist so romantisch! Lassen Sie uns doch einen kleinen Spaziergang im Mondschein machen!«

»Mit Vergnügen!«, antwortete sie, »aber nicht weit! Meine lieben Eltern wohnen hier ganz in der Nähe, und Papa ist ein strenger Mann!«

Und so gingen sie miteinander Arm in Arm auf und ab. Dem zärtlichen Hupp wurde das schöne Mädchen von Minute zu Minute lieber, da es so munter und lustig war, wie er selbst. Er warf sich vor ihr auf die Knie nieder, legte seine Hand aufs Herz, gestand der verschämten Jungfrau seine Liebe und fragte sie, ob sie nicht Lust hätte, seine Frau zu werden.

»Ach ja! Recht gern!«, lispelte sie, »aber der Vater muss es vorher wissen!«

»Natürlich!«, sagte der glückliche Hupp. Er sprang sogleich von den Knien auf, küsste der Jungfrau die Hand und drückte sie an sein Herz. Er versprach, sobald seine Reise be­endet sein würde, wiederzukommen und bei ihrem Vater förmlich um sie zu freien, und das war sie zufrieden.

Während Hupp dieses Liebesabenteuer bestand, schnarchte Meister Knipp noch immer auf dem weichen Moos, obwohl die aufgehende Sonne schon die höchsten Baumgipfel vergol­dete. Er träumte gerade von seiner Reisebeschreibung, als ihn jemand bei der Nase zupfte.

»Hilfe! Hilfe! Mörder!«, schrie er, denn er dachte, es wäre ein Wolf oder sonst ein wildes Getier, das ihn fressen wollte. Als er aber die Augen aufschlug, da stand vor ihm ein niedliches Eidechsenmädchen. Es hatte ein glänzendes schwarz­seidenes Kleid an mit goldgelben Mustern, und es war so schön, dass Knipp ganz bezaubert von ihm war.

Er sprang rasch auf, nahm seine graue Nachtmütze ab, machte eine tiefe Verbeugung und stotterte: »Ei! Gehor­samster Diener und einen schönen guten Morgen, holdseligste Jungfer oder Mamsell. Ich bitte tausendmal, aber meine Nachtmütze …!

Laut lachte das Eidechsenmädchen und sagte: »Du bist ja ein ganz allerliebster Mann! Du sprichst so schön! Bist gewiss ein Schulmeister oder wohl gar ein Schneider, da du ein Paar so große Scheren hast?«

Es war so geistreich und witzig, was das schöne Mädchen sagte, dass Meister Knipp ganz entzückt darüber war. Den Schneider überhörte er. Neue, unbekannte Gefühle er­wachten in seiner Brust, sein Herz fing zu klopfen an und sein kaltes Blut wurde so heiß, dass es ihm ordentlich in seinem Leib brannte. Er konnte dem Drang nicht widerstehen, die schöne Jungfrau zu fragen, ob sie wohl Lust hätte, ihn durch ihre Hand glücklich zu machen und Freud und Leid mit ihm zu teilen. Er mochte aber seine Worte sehr unge­schickt vorgebracht haben, was von einem so großen Gelehrten nicht zu verwundern war, denn die schöne Salamandra, so hieß nämlich die Jungfrau, schlug ein lautes Gelächter auf und sagte: »Du altes Hutzelmännchen, wie kannst du nur glau­ben, dass ein junges, lustiges Mädchen dich heiraten wird? Dich mit deinem alten, schrumpeligen Gesicht? Sieh nur, wie hässlich und schmutzig du bist! Geh und schaffe dir erst glatte rote Backen an und einen neuen Rock, gelb oder rot, wie es jetzt Mode ist und sich für einen Freiersmann ziemt, dann komme wieder, und wenn du mir dann besser gefällst, so wollen wir sehe !«

Damit huschte sie lautlachend davon!

»Oh!«, sagte Knipp und sah ihr sehnsüchtig nach.

In diesem Augenblick kam Hupp von seinem glücklichen Liebesabenteuer zurück und war ganz verwundert, den Meister Knipp, der immerfort laute Seufzer ausstieß, ächzte und stöhnte, so verändert zu finden. Dieser erzählte ihm, was ihm indessen begegnet war, und Hupp freute sich, dass dem alten Junggesellen endlich ein Heiratsgedanke beigekommen war. Hupp hatte aber nun Eile und trieb zur Weiterreise. Meister Knipp jedoch war so hinfällig und von seiner Liebe so angegriffen, dass er sich gar nicht auf den Füßen halten und noch viel weniger weitergehen konnte. So musste ihn der gut­mütige Hupp auf den Rücken nehmen und tragen. So setzten sie ihre Reise zur Wohnung des Magister Moll langsam fort.

Der Magister Moll war aber ein gelehrter Maulwurf. Seine Wohnung lag an einem sonnigen Abhang und man erkannte sie gleich an einem kleinen Hügel, in welchem sie sich befand. Die beiden Freunde klopften an und der Magister machte ihnen sogleich die Tür selbst auf. Wie freuten sich die beiden Gelehrten sich kennen zu lernen! Magister Moll war aber ein ganz anderer Mann als Meister Knipp! Er hatte einen sauberen schwarzen Samtrock an und sah sehr ehrwürdig aus. Und wie war seine Wohnung nett! Da war ein großer runder gewölbter Saal und viele Zimmer und Gänge, alles mit Moos belegt und austapeziert. Die Sonne schien zur geöffneten Tür herein.

Die beiden Gelehrten vertieften sich bald in sehr gelehrte Gespräche. Das war aber für den lustigen Hupp, der nichts von Gelehrsamkeit verstand, recht langweilig. Er lief hinaus und sprang in der Gegend herum. Als er nach einigen Stun­den zurückkam, da saßen die beiden Gelehrten einander gegen­über und schnarchten. Sie waren über der zu großen Gelehrsam­keit eingeschlafen. Er weckte sie auf und trieb nun den Meister Knipp zur Abreise, denn ihm lag nun daran, die Reise bald zu beenden; man weiß schon, warum.

Nachdem die beiden Gelehrten voneinander Abschied genommen und sich das Versprechen gegeben hatten, sich recht oft zu schreiben, traten die beiden Reisekameraden ihre Rück­reise an und kamen am folgenden Tag ohne weitere Abenteuer in ihrer Heimat an. Meister Knipp konnte aber die schöne Salamandra gar nicht aus den Gedanken bringen, er aß und trank nicht mehr und wurde ganz mager. Um sich zu zerstreuen, machte er die zärtlichsten Liebesgedichte auf sie und fing an, seine Reisebeschreibung niederzuschreiben. Damit war er bald zu Stande und die Reisebeschreibung wurde prächtig und ohne alle Druckfehler gedruckt und in der ganzen Welt herumge­schickt. Niemand wollte sie aber lesen, obwohl sie so gelehrt geschrieben war. Der Buchhändler bekam das Buch von allen Käufern zurückgeschickt. Von dieser Zeit an nennen die Buchhändler solche Bücher, die ihnen zurückgeschickt werden, Krebse; und so heißen sie noch heute. Darüber hätte sich Meister Knipp gewiss zu Tode geärgert, wenn ihn nicht der Gedanke an die geliebte Salamandra und an die einstige Verbindung mit ihr getröstet hätte. Er dachte nun darauf, wie er sich verschönern und verjüngen könne, um seiner Geliebten zu gefallen. Er wusch und badete sich täglich und sah wirklich viel jünger aus. Sein Kleid blieb aber immer grau, wie es bisher gewesen war. Er hatte zwar einen neuen Rock angezogen, der viel weicher und feiner war als der alte ; aber er sah wieder grau aus. Woher er ein rotes oder gelbes Kleid bekommen sollte, was die schöne Salamandra zur Bedingung ihrer Liebe gemacht hatte, das wusste er nicht. Er fragte seinen Freund Hupp um Rat, aber der wusste auch keinen, doch schlug er vor, sein Freund möge sich an den Doktor Strix wenden, welcher gewiss ein Mittel wissen werde.

Dieser Doktor Strix war ein Käuzchen und wohnte in einer Höhlung der Eller, unter deren Wurzel Meister Knipp seine Wohnung hatte. Er war ein Arzt, der sich nach der Mode zu richten wusste, und hatte deshalb immer einen großen Zulauf von Kranken aller Art. Bald kurierte er auf diese, bald auf jene Weise, wie man es eben verlangte, bald mit Pülver­chen so klein, dass sie zum Frühstück für eine Mücke nicht hingereicht haben würden, bald mit großen Flaschen Arznei­tränken, zu viel für ein Pferd zum Mittagstrank. Nun kurierte er alle Krankheiten mit heißem Wasser. Er hatte diese neue Kurmethode selbst erfunden und nannte sie Zestopathie. Das klang aber so gelehrt, dass alle Kranken gleich Zutrauen zum Doktor hatten. Diesen weit und breit berühmten Arzt fragte Meister Knipp um Rat, und es wurden ihm heiße Wasserbäder verordnet.

Knipp fing seine Kur mit warmen Bädern an, was ihm nicht sehr behagte, da er ein großer Freund des kalten Wassers war. Er bemerkte jedoch, dass seine Haut immer schöner und röter wurde. Als er sich so nach und nach an das warme Wasser gewöhnt hatte, setzte er sich zuletzt in ein heißes Bad. Nun wurde er von Augenblick zu Augenblick noch schöner und röter. Er verbiss den Schmerz, den ihm das kochende Wasser machte, doch er konnte es kaum eine Minute lang aushalten. Mit vieler Mühe kroch er aus dem Bad, denn er war ganz schwach geworden; aber, o Wunder! Sein graues Kleid glänzte nun in der schönsten roten Farbe, und auch seine Backen waren rötlich, wie ge­malt. Er sah sehr schön und jugendlich aus, und wenn ihn die spröde Salamandra so gesehen hätte, gewiss hätte sie ihm ihre Liebe geschenkt und ihn zum Mann ge­nommen. Dieses Glück sollte er aber nicht genießen, denn nach weni­gen Minuten machte ein Schlagfluss seinen Leiden ein Ende. Er verschied wie ein Held. Die letzten Worte, welche er sprach, waren: »O, Salamandra!«

Ob die schöne Salamandra, als sie von seinem Tod erfuhr, seinetwegen ein Tränchen vergossen hat, weiß ich nicht; so viel aber ist gewiss, dass der treue Hupp mit seiner jungen Frau seinen Freund lange betrauerte und von dieser Zeit an gar nicht mehr so lustig war, wie früher.