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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Dritter Teil – 9. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Neunte Erzählung

Die Hexe des Fränkischen Kreises in der letzten Hälfte des aufgeklärten Jahrhunderts

Eine Frau hatte ihren Mann als Witwer und Vater von zwei Kindern geheiratet und demselben während ihrer Ehe noch zwei Kinder geboren. Der Mann starb, hinterließ dem armen Frau diese Kinder und dazu nur ein sehr geringes Bauerngut, worauf er nichts als Kühe hielt, womit er sein Feld bearbeitete. Auf diesem Gut hafteten noch Schulden vom Siebenjährigen Schlesischen Krieg her, wovon jährliche Zinsen bezahlt und die Steuern abgetragen werden mussten.

Um dies leisten zu können und um nicht an den Bettelstab zu geraten, strengte die arme Bäuerin all ihre Kräfte an, versah selbst Knechts- und Mägdedienste, bezahlte alles richtig und zog ihre Kinder mit vieler Sorge groß. Ihre Töchter ließ sie, wie sie erwachsen waren, dienen, und ihren Sohn brauchte sie, sofern die nicht versäumte Schulzeit es zuließ, als Mitgehilfen bei ihrer Arbeit. Sie war in aller Hinsicht eine rechtschaffene, gottesfürchtige Frau. Man sah daher augenscheinlich, dass die Vorsehung mit ihr war. Wenn ihr ein kleines Unglück in der Wirtschaft widerfuhr, so betrachtete sie es als eine Schickung Gottes. Es kam ihr nicht in den Sinn, kleinmütig und ängstlich zu tun, wie mancher wohlhabendere Bauer ihres Dorfes, der weniger mühsamen Fleiß anwandte und dann über die unbedeutendsten Zufälle klagte, jeden vorbeigehenden Nachbarn davon unterhielt und mit Gott und Menschen über das ihn getroffene Unglück zürnte.

Daher kam es, dass man die arme, zu ihrem Vorteil sich auszeichnende Frau verkannte, beneidete und für eine offenbare Hexe hielt, ja, einige wollten sogar gesehen haben, dass der Drache – Gott sei bei uns –  durch die Feueresse in ihr Haus eingefahren sei. Sie waren in ihrer dummen Einbildung so frech und so unbedachtsam, dies mit den kräftigsten Eidschwüren zu beteuern.

Dergleichen Erzählungen hatte unter anderen auch mein Verwalter gehört. Da er, bei aller seiner Treue im Dienst, doch in Betreff der Geistesbildung noch um ein halbes Jahrhundert zurück war, so glaubte er mit anderen seines Gelichters nichts gewisser, als dass sein Vieh, welches größtenteils erkrankt war, behext, und zwar von jener armen Frau behext sein müsse. Die Frau Verwalterin trug ebenfalls ihr Scherflein zur Vollendung des Verdachtes bei und wollte sichere Hexenanzeigen in dem Gesicht und den Handlungen der armen Frau gesehen und bemerkt haben. Man hatte bereits die allerwichtigsten Vorkehrungen getroffen, um die Wirkungen der Zauberei fernerhin unkräftig zu machen. Allein wirkungslos waren bisher die Kreuze an den Stalltüren, die Besen im Weg, die Kräuter und beschriebenen Zettel am Hals der Kühe. Da alles, was der Aberglaube eingab, nichts helfen wollte, benachrichtigte der Verwalter die Gerichte von dem Vorfall und beschuldigte geradezu jene schuldlose Frau der Hexerei.

Ich kam, als dieses geschehen war, auf dem Gut an und hörte noch eben zur rechten Zeit diese Erzählungen. Da ich das Vieh größtenteils krank fand, fing ich damit an, ihre bisherige Nahrung und die Krankheit zu untersuchen und hauptsächlich auszuforschen, wie die ihnen abgereichte Fütterung gegeben worden sei. Die Kühe hatten Hitze und gaben die unverkennbarsten Anzeigen von einer Entzündung im Blut, welche ich dem häufigen Genuss halb gebrühter Erdäpfelkräuter zuschreiben zu müssen glaubte. Der Gebrauch von Klistieren stellte das Vieh bald wieder her, bis auf eine, die ich töten ließ. In den Magensäcken der getöteten Kuh fand sich das unverdaute Kraut noch, und ich hatte das unaussprechliche Vergnügen, für diesmal den Aberglauben bestritten, eine unschuldige Frau von dem Verdachte der Hexerei befreit und den Leuten so wenigstens einen Beweis von der großen Wahrheit gegeben zu haben, dass alles, was in der Welt geschieht, ganz natürlich zugeht.

Meiner Ankunft und der Klugheit meines achtungswürdigen Gerichtshalters habe ich es zu verdanken, dass sich nicht ein Hexenprozess entsponnen hat, der mir und meiner ganzen Gerichtspflege bei dem denkenden Publikum die gesunde Vernunft abgesprochen haben würde.

Wie unaussprechlich glücklich ist Deutschland, seitdem dieser Geist der aufgeklärten Menschenliebe die Obrigkeiten und Richter beseelt. Wer die schaudererregenden Grausamkeiten kennt, welche der verwahrloste menschliche Geist noch nicht längst verflossener Jahrhunderte bloß in Hinsicht auf den Glauben an Hexerei und Teufelskünste herbeiführte; wer es bedenkt, dass zum Beispiel bloß zu Quedlinburg – besage der dortigen Akten – in den dreißig Jahren von 1569 an, etwa dreißig Hexen verbrannt worden sind, sollte der wohl in seinem missverstandenen Eifer gegen vernünftige Aufklärung so unverständig und undankbar zugleich sein können, dass sein Herz kalt bliebe gegen die Vorsehung, die ihn in unseren Tagen geboren werden ließ? Gesetzt nun auch, das Licht dieser Sonne würde noch dann und wann missbraucht, wird es nicht dennoch besser sein, von ihm beschienen zu werden, als in jener Zeit der Verstandesfinsternis zu leben, wo selbst die denkenden Köpfe mit aller Macht nicht imstande waren, der Mordsucht gegen schuldlos angeklagte, sogenannte Hexen zu steuern?

Man erinnere sich bei dieser Gelegenheit nur an die List, zu welcher sich selbst Kaiser Karl der Fünfte herablassen musste, um der großen Raserei, womit man die Hexen seiner Zeit zum Scheiterhaufen schleppte, wenigstens mittelbar entgegenzuarbeiten, da er nicht mächtig genug war, um es unmittelbar tun zu können. Er erteilte nämlich dem niederländischen Städtchen Oudewater, nicht weit von Utrecht, ein Privilegium, Kraft dessen es das Recht haben sollte, alle berüchtigte und als Hexen angegebene Frauen zu wiegen und diejenigen, welche über dreißig Pfund schwer wären, loszusprechen. Damals glaubte man nämlich, es könne keine Hexe über dreißig Pfund wiegen.

Kaum war Oudewater vom Kaiser mit dieser Wiegegerechtigkeit begnadigt, so wurden nicht allein aus den Niederlanden, sondern auch aus anderen Gegenden Deutschlands unzählige der Hexerei beschuldigte Personen dahin gebracht und gewogen. Dies geschah aber jederzeit mit besonderen Zeremonien. Die Verdäch­tigen mussten sich nackt ausziehen und besichtigen lassen. Den Frauen wurden durch Hebammen allerlei Kreuz- und Querfragen vorgelegt; auch mussten diese sie waschen, mit einem neuen Kamm kämmen und an allen Fleckchen des Leibes untersuchen, ob sie magische Zettel bei oder sonst ein verdächtiges Abzeichen an sich hätten. Darauf wurden sie endlich im Beisein des ganzen Magistrats gewogen und erhielten nach befundener Unschuld ein mit dem Stadtsiegel versehenes Zeugnis.

Hauber liefert ein Originalverzeichnis der Hexenleute, welche in einer nicht namhaft gemachten Residenzstadt während der drei Jahre von 1627 bis 1629 verbrannt worden sind. Es ist in 29 Brände abgeteilt und enthält, wie Hauber versichert, noch nicht einmal alle die Unglücklichen, welche als Zauberer ihr Leben dort verloren. Das Verzeichnis selbst gesteht, dass »bis daher noch viel unterschiedliche Brände wären getan worden.« Dessen ungeachtet beläuft es sich auf einhundertsiebenfünfzig Personen. Die meisten darunter waren alte Frauen und Durchreisende. Unter anderen stehen in diesem Verzeichnis die alte Kanzlerin, die alte Hofseilerin, die dicke Schneiderin, ein fremder Schultheiß und mehrere Kinder von zehn bis Jahren. Oft waren die ungleichen Schlachtopfer des mönchischen Pfaffentums Leute von Stand und Vermögen, die aber wahrscheinlich eben deswegen der Hexerei beschuldiget wurden, weil ihr aufgeklärter Verstand sie reicher, geehrter und witziger machte als ihre in den Schlamm des Aberglaubens und der Vorurteile versunkenen Richter.

Hr. Voigt hatte nach Maßgabe der in dem vorhin namhaft gemachten Zeitraum bloß zu Quedlinburg verbrannten Hexen, der Bevölkerung dieses Stiftes und der wahrscheinlichen Menschenzahl des christlichen Europas berechnet, dass in einem einzigen Jahrhundert der Hexenwut über achtmal hunderttausend schuldlose Menschen hingerichtet worden sind.

Gesetzt auch, diese Angabe wäre um die Hälfte oder sie wäre, was doch gewiss nicht der Fall ist, achtfach zu groß, so bleiben noch immer hunderttausend unschuldig Ermordete für jedes Jahrhundert übrig!

Muss einem nicht schon Grauen und Entsetzen ankommen, wenn man sich auch nur die Todesangst dieser Elenden beim lauten Gefühle ihrer Unschuld lebhaft denkt; wenn man den Kummer der ihrigen, den Untergang ganzer Geschlechter und all das namenlose Elend erwägt, welches eine notwendige Folge davon sein musste?

Das Empörendste dabei war, dass ihnen ihr Leugnen, d. h. das Beteuern ihrer Unschuld nichts, gar nichts half. Die entsetzlichsten Martern zwangen ihnen bald Geständnisse ab, denen Vernunft und Gewissen widersprach.