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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Ein Kampf um Millionen – Kapitel 4

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Ein Kampf um Millionen
Ein Detektivroman

Nick Carter entdeckt einen zweiten Mordanschlag

»Kann Mlle. Viola an ein neues Auftreten denken, wo sie doch erst mit knapper Not solch einem verruchten Attentat entronnen ist?«, meinte Mrs. Crombie unterwegs.

»Warum nicht?«, gab Nick Carter gelassen zurück. »Es ist doch einmal ihr Beruf.«

»Ich meine, es heißt Gott versuchen!«, sagte die Dame kopfschüttelnd.

Als der Detektiv mit seiner Begleiterin den Bühnenraum betrat, trafen sie die junge Künstlerin in Gesellschaft des Adams’schen Ehepaares soeben im Begriff, den für die Abendvorstellung hergerichteten Apparat in Augenschein zu nehmen. Nick stellte das junge Mädchen Mrs. Crombie vor, indem er kurz den Zweck ihres Mitkommens auseinandersetzte. Auch Berenice trat hinzu, und eine lange Weile unterhielten sich die drei Frauen im Flüsterton.

Sichtlich enttäuscht wendete sich etwa eine halbe Stunde später Mrs. Crombie wieder an den Detektiv. »Nein, Mlle. Viola ist nicht meine Tochter«, versetzte sie betrübt.

»Ich erkannte dies bereits auf den ersten Blick. Weder in ihrem Äußeren noch in ihrer Gesichtsbildung hat sie mit den Ruthvens auch nur die geringste Ähnlichkeit aufzuweisen. Immerhin hat mich die junge Lady sehr für sich eingenommen und ich bitte darum, für alle Unkosten aufkommen zu dürfen, welche die Entdeckung des Bösewichtes, der ihr junges Leben bedroht, verursacht.«

Bald darauf brach Mrs. Crombie auf, nachdem ihr der Detektiv nochmals versprochen hatte, sein ganzes Können an die Ausfindigmachung der armen Marion – wie die geraubte Tochter der unglücklichen Mutter hieß – setzen zu wollen.

Chick und Patsy waren bereits vor ihrem Meister im Theater eingetroffen und hatten eifrig Erkundigungen unter dem Theaterpersonal eingezogen, um womöglich etwas über die Person des Attentäters in Erfahrung zu bringen. Unter dem Personal selbst war er nicht zu suchen, soviel hatten sie bereits ermittelt. Dagegen hatten sie eine Entdeckung gemacht, die ihnen wichtig genug schien, um von ihr ungesäumt Nick Carter Kenntnis zu geben.

Die Seite der Bühne, wo das mit dem Zentnergewicht beschwerte Seil hing, welches das Lufttrapez im Gleichgewicht zu erhalten bestimmt war, hieß im Theaterjargon die O.S., was so viel heißen sollte wie ohne Souffleur. Dieser nützliche Mann stand nämlich in der gerade gegenüberliegenden Vorderkulisse, und wer von den Schauspielern seine Rolle nicht gelernt hatte, hielt sich mit Vorliebe nahe der S.S., der Souffleurseite, auf, um sich einblasen zu lassen. Von der O.S.-Seite führte eine versteckt angebrachte eiserne Tür direkt in die dicht neben der Bühne befindliche Proszeniumsloge, welche für den ausschließlichen Gebrauch des Theaterleiters bestimmt war.

Diese Tür ermöglichte es ihm auch, nach Belieben und ungesehen vom Publikum von der Loge aus den Bühnenraum zu betreten und umgekehrt. Da aber der Andrang zu den Vorstellungen seit dem Auftreten der jugendlichen Königin der Lüfte ein gewaltiger war, hatte der findige Theaterleiter auch die eigene Loge zu erhöhten Preisen dem Publikum zur Verfügung gestellt. Am vorhergehenden Abend war jene Loge unmittelbar vor Beginn der Vorstellung an zwei Herren und eine Dame abgegeben worden. Die Gattin und Schwester eines der Mitwirkenden hatten in der Vorderreihe der ersten Galerie gesessen und von ihren Plätzen aus nicht nur direkt in die Proszeniumsloge schauen, sondern auch deren Insassen genau mustern können. Beide hatten wahrgenommen, wie einer der in der Loge befindlichen Herren unmittelbar nach Beginn der von Mlle. Viola ausgeführten Nummer sich erhob und durch die Eisentür sich nach der Bühne begeben hatte. Sie hatten dies nicht auffällig gefunden, sondern angenommen, der Fremde stehe in Verbindung mit dem Theatermanager und habe diesen aufgesucht. Der aufregende Zwischenfall hatte sie die kleine Episode alsbald vergessen lassen, und erst, als sie auf dem Heimweg mit ihrem Verwandten begriffen waren, das unheimliche Geschehnis besprachen, hatten sie ihm zufällig die von ihnen gemachte Wahrnehmung mitgeteilt.

Sehr zu ihrer Überraschung war der junge Schauspieler stutzig geworden. Ihm war bekannt, dass ein strenges Verbot jedwedem außer dem Manager die Benutzung der zur Bühne führenden Eisentür untersagte, und er hatte nicht verfehlt, gleich beim Beginn der Probe dem Theaterleiter von den Wahrnehmungen, die seine Angehörigen während der letzten Abendvorstellung gemacht hatten, zu verständigen. Der Manager war wiederum betroffen. Er selbst hatte die Tür nicht benutzt, da ja seine Loge verkauft gewesen war, und er kannte keinen der Platzinhaber; ebenso wenig hatte einer von denen ihn auf der Bühne besucht. Er hielt die ihm gemachte Mitteilung für wichtig genug, um sie an Chick Carter und Patsy weiterzugeben, und diese hatten sich, unterstützt von dem Manager, sofort an eine eingehende Untersuchung gemacht.

Der Theaterkassierer entsann sich, die drei Einlasskarten für die Loge an einen braunbärtigen Herren in Gesellschaftsanzug verkauft zu haben; sonst wusste er nur noch anzugeben, dass der Billetkäufer von einer dicht verschleierten, anscheinend jungen Dame, die einen langen Radmantel über ihrem hellen Gesellschaftskleid getragen hatte, begleitet gewesen war. Ob noch ein Dritter dabei gewesen war und wie dieser ausgesehen hatte, wusste er nicht zu sagen.

Der Logenschließer wusste anzugeben, dass die drei Besucher sich während der Schreckensszenen, die sich bei der Errettung der Königin der Lüfte abspielten, eilig entfernt hätten. Und zwar wären die beiden Männer eifrig um ihre Begleiterin, die augenscheinlich durch den schauerlichen Zwischenfall nervenschwach geworden war, bemüht gewesen.

Betrat man von der Loge aus die Bühne, so musste man direkt hinter der Tür erst eine schwere samtene Zuggardine zurückschieben. Der Zwischenraum war geräumig genug, um etwa einem Mann das An- und Auskleiden zu gestatten. Wirklich fanden auch die beiden jungen Detektive unter den Portierenfalten halb verborgen einen abenteuerlichen Zylinder, wie ihn die Darsteller von Clumsey Mike zu tragen pflegten, sowie einen ebensolchen Vatermörder nebst Krawatte.

Aus diesen ermittelten Umständen schloss Nick Carter nun ohne Weiteres, dass der eine Logeninsasse mit dem privaten Bühnenzugang sowie dem hinter diesem angebrachten Zugvorhang, welcher auch ein ungesehenes Umkleiden ermöglichte, vertraut sein musste. Er hatte gewusst, dass die Managerloge, falls der abendliche Andrang sich als zu stark erwies, kurz vor Beginn der Vorstellung zu erhöhten Preisen erhältlich war und hatte darauf bestanden, gerade diese Loge zu bekommen. Seine Begleiterin hatte jedenfalls das später von ihm angelegte Clumsey Mike-Kostüm unter dem langen Radmantel verborgen und mit in die Loge gebracht.

Wie die beiden Frauen von der ersten Galerie aus richtig beobachtet hatten, hatte sich der Attentäter während der Vorstellung unauffällig erhoben und war durch die Eisentür zum Bühnenraum gegangen. Dort hatte er, verdeckt durch die Schutzportiere, sich hurtig als Clumsey Mike herausstaffiert, in der sicheren Annahme, im Kostüm keinem der Bühnenarbeiter aufzufallen. Der Erfolg hatte ihm Recht gegeben.

Durch den Vorhang hatte er die Bewegungen des an dem Seil hantierenden Maschinisten genau beobachten können. In dem Augenblick, da Adams das Gewicht an jenem Tau in der Vorderkulisse befestigt hatte und nach der nächsten Soffite geschritten war, um dort das die Sturzvorrichtung am Trapez auslösende Seil zu erschaffen, war der Fremde auf die Bühne geeilt, hatte geschwind das Zentnergewicht vom Seil abgeschnitten und war ebenso schnell und anscheinend unbemerkt wieder hinter den schirmenden Vorhang geschlüpft. Dort hatte er in großer Hast die Kleider abgestreift, wie sie die Darsteller von Clumsey Mike zu tragen pflegten, und in seiner überstürzten Eile nicht darauf geachtet, dass er bei seinem fluchtartigen Rückzug Hut, Kragen und Krawatte des Kostüms verlor. Er war hurtig in die Loge zurückgetreten und hatte sie den Augenblick darauf mit den in seiner Begleitung befindlichen beiden Personen verlassen.

»Well, Chick«, meinte der Detektiv anerkennend. »Du hast tüchtig vorgearbeitet – was dich anbetrifft, Patsy«, wendete er sich an seinen noch blutjungen Gehilfen, »so sollte es dir kaum schwerfallen, herauszufinden, wer unter den New Yorker Schauspielern sich im Besitz eines Clumsey Mike-Kostüms befindet. Lasse mich bald das Resultat wissen.«

Nachdem Patsy sich entfernt hatte, setzte sich der Detektiv mit Chick in dieselbe Loge, die am Abend zuvor von den der Tat verdächtigten drei Personen benutzt worden war, und verständigte ihn flüsternd von Mrs. Crombies Besuch und ihrem Anliegen.

»Ist das die Lady, welche vorhin mit dir ins Theater kam?«, erkundigte sich Chick.

»Ja. Ich ließ etwas darüber verlauten, dass Mlle. Viola auch ein geraubtes Kind ist, und da wurde die gute Frau ganz aufgeregt und bestand darauf, die Künstlerin kennen zu lernen.«

»Doch an der Sache ist nichts – ich meine, Mlle. Viola ist mit jener Marion nicht identisch?«

»Selbstverständlich nicht«, bestätigte der Detektiv. »Mrs. Crombie sah auf den ersten Blick, dass es sich nicht um ihre Tochter handelte.«

»Sag, Nick«, warf Chick nach kurzem Nachdenken ein. »Ob jener Bellew wohl nach England zurückgekehrt ist – was meinst du?«

»Du schneidest die Frage an, wo sie offen geblieben ist«, entgegnete der Detektiv lächelnd. »Vielleicht kehrte Bellew später ohne Vorwissen von Mrs. Crombie zurück, jedenfalls aber nicht gleichzeitig mit jenem Julian und seiner damaligen Gattin.«

Chick lachte kurz auf. »Die einzige Handhabe, welche die Aussagen der guten Lady für uns bietet, ist schwach genug. Sie weiß nicht einmal sicher, ob der elegant gekleidete Mädchenräuber mit dem jüngeren Vetter ihres damaligen Mannes identisch ist!«

»Zugegeben!«, fiel der Detektiv, gleichfalls lachend, ein. »Doch es ist der einzige Punkt, auf welchem wir fußen können, sollen wir überhaupt mit Nachforschungen beginnen. Versuche es, jemanden aufzuspüren, der 1883 an Wallacks Theater beschäftigt war, und gelingt es dir, so siehe zu, was dein Gewährsmann über jenen Bellew anzugeben weiß.«

Allein in der Loge zurückgeblieben, schaute der Detektiv noch eine Weile den mit der Wiederherstellung des Trapezapparates beschäftigten Arbeitsleuten zu. Doch als Mlle. Viola im Kostüm die Bühne betrat, offenbar in der Absicht, das richtige Funktionieren des Apparates praktisch zu erproben, eilte Nick aus der Loge und wendete sich an Adams.

»Wäre es nicht besser, das Trapez erst probeweise mit Gewichten zu belasten?«

»Das wird kaum nötig sein«, widersprach Adams. »Das Hauptseil ist nagelneu, und die Tragfähigkeit der anderen Seile haben Ihre beiden Gehilfen ja genügend erprobt.«

»Well, seither sind acht bis zehn Stunden verflossen«, wendete der Detektiv ein. »Wer solche Teufeleien im Schilde führt, mag diese Zeitspanne nicht ungenutzt haben verstreichen lassen.«

»Dazu fand er in diesem Haus keine Gelegenheit«, bemerkte lächelnd der Theatermanager, der nahebei stand. »Nur keine Gespensterseherei am helllichten Tag, Mr. Carter.«

»Mag sein«, bemerkte Nick gelassen. »Wäre ich Mlle. Viola, so vertraute ich mich dem Trapez nicht an, ehe es nicht vorher mit einem schweren Gewicht versuchsweise belastet worden wäre.«

»Das ist auch meine Meinung«, pflichtete Berenice bei, die hinzugetreten war.

»Nun fängst du auch noch an!«, bemerkte Adams ungeduldig. »Der Apparat kann nur durch das Hauptseil hier beschädigt werden. Immerhin wollen wir nichts unversucht lassen.«

Damit ordnete er an, dass ein ähnlich schweres Gegengewicht, wie es das Hauptseil haltende war, auf die Bühne getragen und direkt unter das an der Decke hängende Trapez gesetzt würde. Dann wurde dieses niedergelassen und das Gewicht an der Turnstange befestigt. Kaum war dies geschehen, als Adams auch schon den Bühnenarbeitern Befehl erteilte, das beschwerte Trapez wieder hochzuwinden.

Dies geschah. Doch kaum straffte sich das Seil, und die Trapezstange war noch keine zehn Fuß vom Boden entfernt, als auch schon vom obersten Schnürboden her ein prasselndes Geräusch laut wurde, und gleich darauf kam von der Decke das gesamte Seil- und Netzwerk unter donnerähnlichem Krachen herunter und fiel auf die vorderen Parkettreihen nieder.

Alle standen wie schreckerstarrt.

»Ein zweiter Mordanschlag auf das Leben von Mlle. Viola«, sagte Nick Carter gelassen.

Tief bewegt und mit Tränen in den Augen fasste Viola seine Hand. »Zum zweiten Mal verdanke ich Ihrer Umsicht mein Leben, Mr. Carter!«, stammelte sie dankerfüllt. Dann kam ein ersticktes Schluchzen über die Lippen der Erregten. »Welches Ungeheuer kann nur so gierig nach meinem Leben trachten?«, stöhnte sie auf.

Das war eine Frage, auf die keiner der Anwesenden eine Antwort fand.

Nick, Adams und der Theatermanager beeilten sich, an den Hilfsseilen emporzuklettern, um nach der Ursache des neuerlichen Unfalls auszuschauen. Im Dachgebälk fanden sie den eisernen Haken, welcher den letzten Flaschenzug oben an der Decke befestigt hielt, vermittels einer feinen Säge durchschnitten. Der obere Teil des Hakens steckte noch im Holz, die andere Hälfte war samt den eisernen Rollen und den über diese laufenden Seilen unter der Wucht des am Trapez befestigten Gewichtes abgebrochen und in den Zuschauerraum gestürzt.

Mit tiefernstem Gesicht wendete sich der Detektiv, kaum dass sie die Bühne wieder erreicht hatten, an Adams. »Wie Sie sehen, mein Lieber, sind bereits zwei Attentate auf Mlle. Viola gemacht worden. Wir haben es mit einem verzweifelten Bösewicht zu tun, der nicht locker lässt und sein teuflisches Vorhaben ausführt, vereitelt dies nicht die äußerste Wachsamkeit. In Ihrem Apparat befinden sich vier Punkte, welche beschädigt werden können. Diese sind den Verbrechern genau bekannt, und zwei davon wurden bereit beschädigt. Diese vier schwachen Punkte sind das Hauptseil, die Eisenrollen, über welche die Seile laufen, die oberste Rolle, über die das Hauptseil direkt nach dem Trapez geht, und dieses Letztere selbst. Wollen Sie dem jungen Mädchen das Leben erhalten, so prüfen Sie stets fünf Minuten vor ihrem Auftreten den gesamten Apparat!«

»Unbesorgt, sollte es Adams nicht tun, ich bürge dafür!«, rief der Theatermanager eifrig.

»So etwas kommt nicht mehr vor, und müsste ich Tag und Nacht aufpassen!«, knurrte Adams.

»Well, tun wir jeder unsere Pflicht. Was mich anbelangt, so muss ich die Bekanntschaft des Mannes machen, der nach dem Schluss der Vorstellung heute Nacht ins Theater kommen konnte«, bemerkte der Detektiv mit einem grimmigen Lächeln, indem er sich hastig verabschiedete.