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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 4. – 6. Bändchen – Kapitel XIII

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Viertes bis sechstes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XIII. Der Mönch

Zwei Menschen waren ausgestreckt … der eine unbeweglich, das Gesicht nach dem Boden, von drei Kugeln durchbohrt und in seinem Blut schwimmend. Dieser war tot.

Der andere, von den zwei Lakaien, an einen Baum gelehnt, schlug die Augen zum Himmel auf, faltete die Hände und verrichtete ein heißes Gebet … Eine Kugel hatte ihm den Oberschenkel zerschmettert.

Die jungen Leute gingen zuerst zu dem Toten und schauten sich erstaunt an.

»Es ist ein Priester«, sprach Beagelonne, »er hat die Tonsur. Oh, die Verfluchten, welche Hand an die Diener Gottes legen!«

»Komm hierher, gnädiger Monsieur«, sagte Urbain, ein alter Soldat, der alle Feldzüge mit dem Kardinal-Herzog gemacht hatte, »kommt hierher … es ist nichts mehr mit dem anderen zu machen, während man diesen vielleicht noch retten kann!«

Der Verwundete lächelte traurig. »Mich retten? Nein«, sprach er, »aber mir sterben helfen, ja!«

»Seid Ihr ein Priester?«, fragte Raoul.

»Nein, Monsieur.«

»Euer unglücklicher Gefährte schien mir der Kirche anzugehören«, versetzte Raoul.

»Es ist der Pfarrer von Bethune, Monsieur. Er trug an sicheren Ort die heiligen Gefäße seiner Kirche und den Schatz des Kapitels, denn der Monsieur Prinz hat gestern unsere Stadt verlassen, und vielleicht ist morgen der Spanier darin. Da man aber wusste, dass feindliche Parteien im Land umherzogen, und die Sendung gefährlich war, so wagte es niemand, ihn zu begleiten. Da bot ich mich an.«

»Und diese Elenden haben Euch angegriffen! Diese Schufte haben auf einen Priester geschossen!«

»Messieurs«, sagte der Verwundete, um sich herschauend, »ich leide sehr, wünschte aber dennoch in irgendein Haus gebracht zu werden.«

»Wo Ihr Beistand finden könntet?«, sagte von Guiche.

»Nein, wo ich beichten könnte.«

»Aber vielleicht seid Ihr nicht so schwer verwundet, wie Ihr glaubt«, sprach Raoul.

»Monsieur«, antwortete der Verwundete, »glaubt mir, es ist keine Zeit zu verlieren. Die Kugel hat den Schenkelknochen oben zerschmettert und ist bis in die Eingeweide gedrungen.

»Seid Ihr Arzt?«, fragte von Guiche.

»Nein«, antwortete der Sterbende, »aber ich verstehe mich ein wenig auf Wunden und die meine ist tödlich. Versucht es also, mich irgendwohin bringen zu lassen, wo ich einen Priester finden könnte, oder habt die Güte, mir irgendeinen hierher zu führen, und Gott wird Euch für diese fromme Handlung belohnen. Meine Seele muss gerettet werden, denn mein Leib ist verloren.«

»Bei einer guten Handlung sterben, ist unmöglich, und Gott wird Euch beistehen.«

»Messieurs, im Namen des Himmels«, sagte der Verwundete, alle seine Kräfte sammelnd, als wollte er aufstehen, »verlieren wir die Zeit nicht mit unnützen Worten. Helft mir wenigstens, dass ich das nächste Dorf erreiche, oder schwört mir bei Eurem Seelenheil, dass Ihr mir den ersten Mönch, den ersten Priester, den ersten Pfarrer hierher schickt, den Ihr findet. Aber«, fügte er mit dem Ton der Verzweiflung bei, »vielleicht wird es niemand wagen, denn man weiß, dass die Spanier in der Gegend umherstreifen, und ich werde ohne Absolution sterben. Mein Gott, mein Gott!«, rief der Verwundete mit einem Ausdruck des Schreckens, der die jungen Leute beben machte, nicht wahr. Ihr werdet das nicht zugeben? Es wäre zu schrecklich!«

»Monsieur, beruhigt Euch«, antwortete von Guiche, »ich schwöre Euch, dass Ihr den Trost haben sollt, nach dem Ihr verlangt. Sagt uns nur, wo ein Haus ist, in welchem wir Beistand fordern, und wo ein Dorf, wo mir einen Priester bekommen können.«

»Ich danke und Gott vergelte es Euch. Eine halbe Meile von hier, wenn Ihr diesen Weg folgt, findet sich eine Herberge, und ungefähr eine halbe Meile jenseits der Herberge liegt das Dorf Greny. Sucht dort den Pfarrer auf. Ist derselbe nicht zu Hause, so geht in das Augustiner-Kloster, welches das letzte Haus des Fleckens rechts ist, und führt mir einen Bruder herbei; gleichviel, Mönch oder Priester, wenn er nur von unserer heiligen Kirche die Fähigkeit erhalten hat, in articulo mortis zu absolvieren.«

»Monsieur d’Arminges«, sprach von Guiche, »bleibt bei diesem Unglücklichen und wacht darüber, dass er so sanft wie möglich transportiert wird. Macht eine Tragbahre aus Baumzweigen, legt alle unsere Mäntel darauf. Zwei von unseren Lakaien tragen ihn, während sich der dritte bereithält, den Platz desjenigen einzunehmen, welcher müde wird. Der Vicomte und ich suchen einen Priester auf.«

»Geht, Monsieur Graf«, sprach der Hofmeister, »aber im Namen des Himmels setzt Euch keiner Gefahr aus.«

»Seid unbesorgt. Überdies sind wir für heute gerettet: Ihr kennt das Axiom: non bis in idem.«

»Guten Mut, Monsieur«, sprach Raoul zu dem Verwundeten, »wir vollführen Euren Wunsch.«

»Gott segne Euch, Messieurs«, antwortete der Sterbende mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Dankbarkeit.

Und die jungen Leute sprengten im Galopp in die angegebenen Richtung fort, während der Hofmeister des Grafen von Guiche die Verfertigung der Tragbahre überwachte.

Nach einem Ritt von zehn Minuten erblickten die jungen Leute die Herberge.

Raoul rief, ohne vom Pferde zu steigen, den Wirt, benachrichtigte ihn, dass man ihm einen Verwundeten bringen werde, und bat ihn, mittlerweile alles vorzubereiten, was zum Verbinden notwendig sein dürfte, das heißt, ein Bett, Binden, Scharpie, forderte ihn dabei auf, wenn er in der Umgegend einen Arzt, einen Wundarzt oder Operateur kenne, denselben holen zu lassen, und übernahm es, den Boten zu belohnen.

Der Wirt, welcher zwei reich gekleidete, vornehme junge Messieurs vor sich sah, versprach alles, was sie von ihm verlangten, und unsere zwei Reiter, nachdem sie die Vorbereitungen zu der Aufnahme hatten beginnen sehen, entfernten sich abermals und eilten nach Greny.

Sie hatten mehr als eine Meile gemacht und erblickten bereits die ersten Häuser des Dorfes, deren mit rötlichen Ziegeln bedeckte Dächer kräftig aus den grünen Bäumen, von denen sie umgeben waren, hervortraten, als sie, auf einem Maultier reitend, einen armen Mönch auf sich zukommen sahen, den sie nach seinem breiten Hut und seinem Rock von grauer Wolle für einen Augustinerbruder hielten. Diesmal schien ihnen der Zufall zu schicken, was sie suchten.

Sie näherten sich dem Mönch.

Es war ein Mann von zweiundzwanzig bis dreiundzwanzig Jahren, den jedoch die asketischen Übungen merklich gealtert hatten. Er war bleich, aber nicht von der matten Blässe, welche eine Schönheit ist, sondern von dem galligen Gelb. Seine kurzen Haare, welche kaum ein wenig über den Kreis gingen, den sein Hut um seine Stirn zog, waren hellblond und seine blauen Augen schienen des Blickes zu entbehren.

»Monsieur«, sagte Raoul mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit, »seid Ihr ein Priester?«

»Warum fragt Ihr mich dies?«, sprach der Fremde mit beinahe unhöflicher Unempfindlichkeit.

»Um es zu wissen«, antwortete der Graf von Guiche mit stolzem Ton.

Der Fremde berührte sein Maultier mit dem Absatz und setzte seinen Weg fort.

Von Guiche war mit einem Sprung vor ihm und versperrte ihm den Weg.

»Antwortet, Monsieur«, sagte er. »Man hat Euch höflich gefragt, und jede Frage ist einer Antwort wert.«

»Es steht mir, denke ich, frei, den nächsten besten zwei Personen, welche die Laune haben, mich auszuforschen, zu sagen, wer ich bin, oder es nicht zu sagen.«

Von Guiche unterdrückte mit großer Mühe seine wütende Lust, dem Mönch die Knochen zu brechen.

»Einmal«, sprach er mit einer gewaltigen Anstrengung gegen sich selbst, »sind wir nicht die nächsten besten zwei Personen; mein Freund hier ist der Vicomte von Bragelonne und ich bitte der Graf von Guiche; dann fragen wir nicht aus Laune, sondern ein verwundeter, sterbender Mann verlangt die Hilfe der Kirche. Seid Ihr Priester, so fordere ich Euch im Namen der Menschheit auf, mir zu folgen, um diesem Mann Beistand zu leisten. Seid Ihr es nicht, dann ist es etwas anderes. Ich sage Euch im Namen der Höflichkeit, die Ihr ganz und gar nicht zu kennen scheint, dass ich Euch für Eure Unverschämtheit bestrafen werde.«

Die Blässe des Mönches wurde leichenartig, und er lächelte auf eine so seltsame Weise, dass Raoul, der ihn mit den Blicken nicht verlor, fühlte, dass ihm dieses Lächeln das Herz wie eine Beleidigung zusammenschnürte.

»Es ist ein spanischer oder flämischer Spion«, konstatierte er und legte die Hand an den Kolben seiner Pistole.

Ein drohender, einem Blitz ähnlicher Blick antwortete Raoul.

»Nun, Monsieur«, sagte Guiche, »werdet Ihr sprechen?«

»Ich bin Priester, Messieurs«, antwortete der junge Mann. Sein Gesicht nahm wieder seine gleichgültige Miene an.

»Dann, mein Vater«, sprach Raoul, ließ seine Pistole wieder in die Halfter fallen und gab seinen Worten einen ehrfurchtsvollen Ausdruck, der nicht von gutem Herzen kam, »wenn Ihr Priester seid, so findet Ihr, wie mein Freund Euch gesagt hat, eine Gelegenheit, Euer Amt auszuüben. Ein unglücklicher Verwundeter wird uns entgegengetragen und soll in der nächsten Herberge anhalten. Er fordert den Beistand von einem Diener Gottes. Unsere Leute begleiten ihn.«

»Ich begebe mich dahin«, sprach der Mönch.

Und er gab seinem Maultier einen Absatz.

»Wenn Ihr nicht dahin geht, Monsieur«, sagte von Guiche, »glaubt mir, wir haben Pferde, welche imstande sind, Euer Maultier einzuholen, hinreichend Ansehen, um Euch überall, wo Ihr sein möget, ergreifen zu lassen, und dann, ich schwor es Euch, ist Euer Prozess bald gemacht: Ein Baum und ein Strick finden sich aller Orten.«

Das Auge des Mönches funkelte abermals, aber das war alles; er wiederholte seine Worte: »Ich begebe mich dahin!« Und entfernte sich.

»Folgen wir ihm«, sagte von Guiche, »das wird sicherer sein.«

Die jungen Leute ritten fort, wobei sie ihre Schritte nach dem des Mönches richteten, dem sie etwa auf Pistolenschussweite folgten.

Nach fünf Minuten wandte sich der Mönch, um sich zu versichern, ob sie ihm folgen oder nicht,

»Seht«, sprach Raoul, »wir haben wohl daran getan.«

»Ein furchtbares Gesicht, das des Mönches!«, sagte der Graf von Guiche.

»Furchtbar«, erwiderte Raoul, »besonders was den Ausdruck betrifft. Diese gelblichen Haare, diese matten Augen, diese Lippen, welche bei dem geringsten Worte, das er ausspricht, verschwinden …«

»Ja, ja«, sprach von Guiche, welcher von allen diesen Einzelheiten weniger berührt worden war, insofern Raoul den Mönch prüfend anschaute, während von Guiche sagte, »ja, ein seltsames Gesicht; aber diese Mönche sind auch so entartenden Übungen unterworfen; das ewige Fasten macht sie bleich, die Disziplinschläge machen sie zu Heuchlern, und durch das viele Weinen über die Güter des Lebens, welche sie verloren haben, während wir dieselben genießen, werden ihre Augen matt.«

»Ganz gewiss«, sprach Raoul, »doch dieser arme Mann bekommt seinen Priester. Aber der Reumütige sieht aus, als besäße er ein besseres Gewissen als der Priester. Ich gestehe, ich bin gewohnt, Priester von einem ganz anderen Anblick zu sehen.«

»Ah«, sagte von Guiche, »begreift Ihr? Dieser ist einer von den fahrenden Brüdern, welche auf den Landstraßen umherbetteln, bis zu dem Tag, wo ihnen ein Benefiz vom Himmel zufällt. Es sind meistens Fremde, Schottländer, Irländer, Dänen. Man hat mir zuweilen ähnliche gezeigt.«

»Ebenso hässliche?«

»Nein, aber wenigstens gehörig hässliche.«

»Welch ein Unglück für den Verwundeten, dass er in den Armen eines solchen Kuttenmenschen sterben soll!«

»Bah!«, sagte von Guiche, die Absolution kommt nicht von demjenigen, welcher sie gibt, sondern von Gott. Doch soll ich es Euch sagen, ich würde lieber ohne Absolution sterben, als es mit einem solchen Beichtvater zu tun zu haben. Ihr seid auch meiner Meinung, Vicomte, nicht wahr? Ich sah Euch den Kolben Eurer Pistole liebkosen, als ob Ihr versucht gewesen wäret, ihm dem Schädel zu zerschmettern.«

»Ja, Graf, es mag seltsam erscheinen und Ihr werdet darüber erstaunen. Ich fühlte bei dem Anblick dieses Menschen einen unbeschreiblichen Abscheu. Habt Ihr zuweilen auf Eurem Weg eine Schlange aufgejagt?«

»Nie«, antwortete der Graf von Guiche.

»Nun, mir ist dies manchmal in unseren Waldungen in der Heimat begegnet, und ich erinnere mich, dass ich bei dem Anblick der Ersten, die mich mit ihren trockenen Augen, den Kopf wiegend und die Zunge heftig bewegend, auf sich selbst gewunden anschaute, bleich, starr, gleichsam bezaubert bis zu dem Augenblick blieb, wo der Graf de la Fère …«

»Euer Vater?«, fragte von Guiche.

»Nein, mein Beschützer«, antwortete Raoul errötend.

»Seht gut.«

»Wie zu dem Augenblick«, fuhr Raoul fort, »wo der Graf de la Fère mir sagte: ›Auf Bragelonne, den Degen gezogen.‹ Dann erst lief ich auf die Schlange zu und hieb sie entzwei, gerade in dem Moment, wo sie sich zischend auf dem Schweif erhob, um mir entgegenzufahren. Ich schwöre Euch, dass mich dasselbe Gefühl bei dem Anblicke dieses Menschen ergriff, als er, mich anschauend, sagte: ›Warum fragt Ihr mich dies?‹

»Dann müsst Ihr es Euch zum Vorwurf machen, Ihr ihn nicht wie Eure Schlange entzwei gehauen habt.«

»Meiner Treu, ja«, antwortete Raoul.

In diesem Augenblick kam man in die Nähe der kleinen Herberge und erblickte jenseits derselben das Geleit des Verwundeten, der unter Anführung von Monsieur d’Arminges herbeigebracht wurde. Zwei Männer trugen den Sterbenden, der dritte führte die Pferde an der Hand.

Die zwei jungen Leute spornten ihre Rosse.

»Dort ist der Verwundete«, sagte den Guiche, an dem Augustinerbruder vorüberreitend,» habt die Güte, Euch ein wenig zu beeilen, Monsieur Mönch.«

Raoul entfernte sich von dem Bruder auf die ganze Breite der Straße und ritt, den Kopf mit Ekel abwendend, vorbei.

Nun waren die jungen Leute vor dem Beichtvater, statt ihm zu folgen. Sie gingen dem Sterbenden entgegen und teilten ihm die gute Kunde mit.

Dieser erhob sich, um in der angegebenen Richtung zu schauen, sah den Mönch, der, den Schritt seines Maultieres beschleunigend, sich näherte, und fiel, dass Gesicht von einem Freudenstrahle erleuchtet, auf die Tragbahre zurück.

»Wir haben nun«, sagten die jungen Leute, »alles für Euch getan, was wir zu tun imstande waren. Da es uns drängt, zu dem Heer des Monsieur Prinzen zu gelangen, so setzen wir unseren Marsch fort. Ihr werdet uns entschuldigen, nicht wahr, Monsieur? Man sagt, es soll eine Schlacht geschlagen werden, und wir wünschten nicht den Tag nachher anzukommen.«

»Geht, meine jungen Messieurs«, erwiderte der Verwundete, »und seid beide für Euer Mitleid gesegnet. Ihr habt in der Tat, wie Ihr sagtet, alles getan, was Ihr zu tun imstande wart. Ich kann nur wiederholen: Gott beschütze Euch, Euch und diejenigen, welche Euch teuer sind.«

»Monsieur«, sprach von Guiche zu seinem Hofmeister, »wir reiten voraus, Ihr holt uns auf der Straße nach Cambrin ein.«

Der Wirt stand unter seiner Tür. Er hatte alles vorbereitet, Bett, Binden und Scharpie. Ein Knecht war nach Lens, der nächsten Stadt, gegangen, um einen Arzt zu holen.

»Hier die Bezahlung, sorgt für den Verwundeten«, sagte von Guiche zu dem Wirt und warf ihm Geld zu.

»Gut«, sprach der Wirth, »es soll geschehen, wie Ihr wünscht. Aber haltet Ihr nicht an, gnädiger Monsieur, um Eure Wunde zu verbinden?«, setzte er, sich an Bragelonne wendend, bei.

»Ah, meine Wunde ist durchaus von keiner Bedeutung, und es ist Zeit, dass ich mich um den nächsten Halt kümmere. Habt nur die Güte, wenn Ihr einen Reiter vorüberkommen seht, und dieser Reiter sich nach einem jungen Mann auf einem Fuchs und gefolgt von einem Lakai, erkundigt, ihm zu sagen: Ihr habt mich wirklich gesehen, ich aber habe meinen Weg fortgesetzt und gedenke in Mazingarde zu Mittag zu speisen und zu Cambrin über Nacht zu bleiben. Dieser Reiter ist mein Bedienter.«

»Wäre es nicht besser und sicherer, wenn ich ihn um seinen Namen fragte und ihm den Euren nennen würde«, entgegnete der Wirt.

»Dieser Zuwachs von Vorsicht kann nicht schaden«, sprach Raoul, »ich heiße Vicomte von Bragelonne und er Grimaud.«

In diesem Augenblick kam der Verwundete von der einen Seite und der Mönch von der anderen. Die zwei jungen Leute wichen zurück, um die Tragbahre vorüberziehen zu lassen. Der Mönch stieg von seinem Maultier ab und befahl, dasselbe in den Stall zu führen, ohne es abzusatteln.

»Monsieur Mönch«, sprach von Guiche, »hört diesen grauen Mann wohl Beichte und kümmert Euch nicht um Eure Zeche und um die Eures Tieres; alles ist bezahlt.«

»Ich danke, Monsieur«, antwortete der Mönch mit dem Lächeln, das Bragelonne bebend gemacht hatte.

»Komm, Graf«, sprach Raoul, welcher instinktartig die Gegenwart des Augustiners nicht ertragen zu können schien, »kommt, ich fühle mich unheimlich hier.«

»Ich danke noch einmal, meine schönen jungen Messieurs«, sagte der Verwundete, »und vergesst mich nicht in Eurem Gebet.«

»Seid unbesorgt«, erwiderte von Guiche und spornte sein Pferd, um Bragelonne einzuholen, der bereits zwanzig Schritte voraus war.

In diesem Augenblick wurde die Tragbahre von den zwei Lakaien in das Haus gebracht.

Der Wirt und seine Frau, welche nun auch herbeigelaufen war, standen auf den Stufen der Treppe. Der unglückliche Verwundete schien furchtbare Schmerzen auszustehen, und dennoch beschäftigte er sich nur damit, nachzusehen, ob ihm der Mönch folgte.

Bei dem Anblick dieses erbleichen blutigen Mannes ergriff die Frau ihren Mann heftig beim Arm.

»Nun, was gibt es?«, fragte dieser, »befindest du dich etwa unwohl?«

»Nein, aber schau«, erwiderte die Wirtin, auf den Verwundeten deutend.

»Bei Gott«, sagte der Wirth, »er scheint mir sehr krank zu sein!«

»Das ist es nicht, was ich sagen will«, fuhr die Frau zitternd fort; »ich frage dich, ob du ihn erkennst?«

»Diesen Menschen? Warte doch …«

»Ah, ich sehe, dass du ihn erkennst«, sagte die Frau, »denn du erbleichst ebenfalls.«

»In der Tat!«, rief der Wirth. »Wehe unserem Haus, es ist der ehemalige Henker von Bethune!«

»Der ehemalige Henker von Bethune«, murmelte der junge Mönch und machte eine Bewegung, als wollte er innehalten, während auf seinem Gesicht das Gefühl des Widerstrebens hereintrat, das ihm sein Bußfertiger einflößte.

Monsieur d’Arminges, der sich an der Tür hielt, bemerkte sein Zögern.

»Monsieur Mönch, sagte er, »mag dieser Unglückliche Henker sein oder gewesen sein, so ist er darum doch nicht minder Mensch. Leistet ihm also den letzten Dienst, den er von Euch heischt, und Euer Werk wird nur um so verdienstlicher sein.«

Der Mönch antwortete nicht, sondern setzte schweigend seinen Weg zu dem unteren Zimmer fort, wo die zwei Bedienten den Sterbenden bereits auf ein Bett gelegt hatten.

Als die zwei Lakaien den Mann Gottes sich dem Lager des Verwundeten nahen sahen, entfernten sie sich und schlossen die Tür vor dem Mönch und dem Sterbenden.

D’Arminges und Olivain harrten ihrer, stiegen wieder zu Pferde und alle vier entfernten sich im Trab, dem Weg folgend, an dessen Ende Raoul und sein Gefährte bereits verschwunden waren.

In dem Augenblick, wo der Hofmeister und sein Gefolge ebenfalls verschwanden, hielt ein neuer Reisender an der Schwelle des Wirtshauses.

»Was wünscht der Monsieur«, fragte der Wirt, noch bleich und zitternd von der Entdeckung, die er gemacht hatte.

Der Reisender machte das Zeichen eines Mannes, welcher trinkt, stieg ab, deutete auf sein Pferd und machte das Zeichen eines Reisenden.

»Ah, Teufel!«, sagte der Wirt zu sich selbst, »es scheint, dieser Mensch ist stumm. Und wo wollt Ihr trinken?«, fragte er.

»Hier«, antwortete der Reisende, auf einen Tisch deutend.

»Ich täuschte mich«, sprach der Wirt, »er ist nicht ganz stumm.«

Er verbeugte sich, holte eine Flasche Wein und Zwieback und setzte beides dem schweigsamen Gast vor.

»Beliebt dem Herrn sonst noch etwas?«, fragte er.

»Allerdings«, sprach der Reisende.

»Was wünscht der Monsieur?«

»Zu wissen, ob Ihr nicht habt einen jungen Edelmann von fünfzehn Jahren auf einem Fuchs und von einem Lakai gefolgt, vorüberreiten sehen?«

»Den Grafen von Bragelonne?«, sagte der Wirt.

»Richtig.«

»Dann heißt Ihr Monsieur Grimaud?«

Der Reisende machte ein bejahendes Zeichen.

»Nun wohl«, sprach der Wirt, »Euer junger Monsieur war erst vor einer Viertelstunde hier. Er wird in Mazingarde zu Mittag speisen und in Cambrin über Nacht bleiben.«

»Wie weit von hier nach Mazingarde?«

»Zwei und eine halbe Meile.«

»Danke.«

Gewiss, dass er seinen jungen Herrn am Ende des Tages treffen würde, schien Grimaud ruhiger, trocknete sich die Stirn ab und schenkte sich ein Glas Wein ein, das er schweigend trank.

Er hatte sein Glas auf den Tisch gesetzt und schickte sich an, es zum zweiten Mal zu füllen, als ein furchtbarer Schrei aus dem Inneren drang, wo sich der Mönch und der Sterbende befanden.

Grimaud stand rasch auf.

»Was ist das?«, sagte er, »und woher kommt der Schrei?«

»Aus dem Zimmer des Verwundeten.«

»Wer ist der Verwundete?«, fragte Grimaud.

»Der ehemalige Henker von Bethune, der, von spanischen Parteigängern auf den Tod verwundet, hierher gebracht worden ist und in diesem Augenblick einem Augustinermönche beichtet. Es scheint, er leidet sehr.«

»Der ehemalige Henker von Bethune?«, murmelte Grimaud, seine Erinnerungen zusammenfassend … ein Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren… groß, kräftig, von dunkler Gesichtsfarbe, mit schwarzem Bart und schwarzen Haaren?«

»So ist es, nur sind seine Barthaare grau und seine Haupthaar weiß geworden. Kennt Ihr ihn?«, fragte der Wirt.

»Ich habe ihn einmal gesehen«, antwortete Grimaud, dessen Stirn sich bei dem Gemälde, das sich vor seine Erinnerung stellte, verfinsterte.

Die Frau lief ganz zitternd herbei. »Hast du gehört?«, sagte sie zu ihrem Mann.

»Ja«, antwortete der Wirt und schaute unruhig zur Tür.

In diesem Augenblick vernahm man einen Schrei, etwas minder stark als der erste, aber gefolgt von einem langen gedehnten Seufzer.

Die drei Personen schauten sich bebend an.

»Man muss sehen, was es ist«, sagte Grimaud.

»Man sollte glauben, es wäre der Schrei eines Menschen, den man erdrosselt«, murmelte der Wirt.

»Jesus!«, rief die Wirtin, sich bekreuzend.

Wenn Grimaud wenig sprach, so handelte er dagegen viel, wie man weiß. Er stürzte zur Tür und rüttelte mit aller Gewalt daran; aber sie war durch einen inneren Riegel verschlossen.

»Öffnet!«, rief der Wirt, »öffnet, Monsieur Mönch! Öffnet sogleich!«

Niemand antwortete.

»Öffnet oder ich breche die Tür auf!«, rief Grimaud.

Dasselbe Schweigen.

Grimaud schaute umher und erblickte eine Stange, welche zufällig in einem Winkel lag. Er fasste sie rasch, und ehe der Wirt sich seinem Vorhaben widersetzen konnte, hatte er die Tür eingestoßen.

Das Zimmer war von Blut überströmt, das durch die Matratze drang. Der Verwundete sprach nicht, sondern röchelte. Der Mönch war verschwunden.

»Der Mönch! Wo ist der Mönch?«, rief der Wirt.

Grimaud lief zu einem offenen Fenster, das nach dem Hof ging.

»Er wird hier hinaus entflohen sein!«, rief er.

»Ihr glaubt?«, sprach der Wirt ganz bestürzt. »Hausknecht, seht nach, ob das Maultier des Mönches im Stall ist?«

»Kein Maultier mehr«, antwortete dieser.

Grimaud runzelte die Stirn, der Wirt faltete die Hände und schaute misstrauisch um sich her. Die Frau hatte es nicht gewagt, in das Zimmer zu treten, und verharrte voll Schrecken an der Tür.

Grimaud näherte sich dem Verwundeten und schaute seine rauen Züge an, welche eine furchtbare Erinnerung in ihm hervorriefen. Nach einem Augenblick stummer, düsterer Betrachtung sagte er: »Es unterliegt keinem Zweifel, er ist es!«

»Lebt er noch?«, fragte der Wirt.

Ohne zu antworten, öffnete Grimaud sein Wams, um ihm das Herz zu befühlen, während sich der Wirt ebenfalls näherte. Aber plötzlich wichen beide, der Wirt einen Schrei des Schreckens ausstoßend, Grimaud erbleichend, zurück.

Die Klinge eines Dolches war bis an das Heft in die linke Seite der Brust des Henkers gestoßen.

»Lauft nach Hilfe!«, sprach Grimaud; »ich bleibe bei ihm.«

Der Wirt eilte ganz bestürzt aus dem Zimmer. Die Frau war bei dem Schrei ihres Mannes entflohen.