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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Achtzehntes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Achtzehntes Kapitel

Vor dem Altar

Wir verließen die Brüder Rapo, als sie, von der Briganten-Orgie in der Villa Rapo heimkehrend, ihr Haus betraten, um an ein blutiges Werk zu gehen. Die beiden Fürchterlichen bebten nicht, als sie die Tür ihres, wie sie wähnten, sorglos schlummernden Gastes geräuschlos öffneten und mit unhörbaren Schritten an sein Bett traten.

Die Nachtlampe war erloschen. Pasquale beugte sich über das Bett, um den Atemzug des Schläfers zu hören. Nichts regte sich. Rasch zog er ein Zündhölzchen hervor und im Nu war das Bett erhellt.

»Teufel! Der Tedesco ist nicht mehr drin!«

»Und hier steht das Fenster offen«, sagte Michel erschreckt, indem er rasch hinaus griff, »Diavolo, da steht eine Leiter, der Vogel ist ausgeflogen.«

Pasquale zündete eine Kerze an, nun zitterte seine Hand.

Er leuchtete umher, alle Gegenstände lagen unberührt, die Kleider waren fort, obwohl er offenbar schon zu Bett gewesen war.

Die beiden Brüder schauten sich zum ersten Mal in ihrem Leben ratlos an.

»Warum hat Schiavone ihn nicht kalt gemacht!«, murmelte Pasquale, mit dem Fuß stampfend, »möge Satan ihn dafür bei nächster Gelegenheit holen.«

»Ein alberner Wunsch«, sprach Michel verächtlich. »Das Damoklesschwert senkt sich immer tiefer.«

»Du mit deinem dummen Geschwätz«, erwiderte Pasquale und lachte höhnisch, »noch ist hier gar nichts geschehen, was uns nur im Geringsten kompromittieren könnte. Vielleicht hat er trotz seiner Abgeschlossenheit gehört, dass die Marchesa mit ihm unter einem Dach weile. Das hat ihn zur Flucht getrieben.«

»Vielleicht auch gar deine Anwesenheit erfahren«, meinte Michel nachdenklich, »nun, so ließe es sich wenigstens zusammenreimen und ich atme wieder freier aus. Was Seraphine dazu sagen wird?«

»Ihretwegen freut es mich, dass der Bursche entflohen ist. Ihre Leidenschaft übersteigt oft alle Grenzen der Vernunft«, sprach Pasquale anmutig, »besser freilich wäre es gewesen, er läge stumm im Keller. Nun, ein Tor, wer sich darum auch nur ein graues Haar wachsen ließe.«

»Sag mir aber nur, Bruder, was willst du mit deiner Marchesa anfangen?«, fragte Michel. »Die Geschichte nimmt kein hochzeitliches Ende. Sie sieht nicht aus wie eine glückliche Braut.«

»Du meinst, sie würde mir nicht freiwillig zum Altar folgen?«

»Ich bin davon überzeugt.«

»Dann schleppe ich sie gewaltsam zum Brigantenbankett und feiere dort ohne Priester die Hochzeit. Bah, mein guter Bruder, einen Rapo hat noch niemand ungestraft gehöhnt.«

»Schleppe sie lieber in den Keller oder lasse sie zurückreisen und von Crocco in den Keller liefern.«

Pasquale blickte finster vor sich hin. »Sollte sie noch an den Hund von Tedesco denken?«, murmelte er. »Gut, morgen ist der letzte Termin, dann ein Ja, oder …«

Er brach kurz ab und verließ bald darauf das Zimmer.

Michel Rapo schüttelte den Kopf, schloss dann das Fenster, löschte das Licht aus, verschloss die Tür und steckte den Schlüssel in die Tasche. Dann ging er geräuschlos in den Hof, um die Leiter zu entfernen, dabei überlegend, wer im Haus bei dieser Flucht wohl hilfreiche Hand geboten und ihre Abwesenheit so trefflich benutzt habe.

Als er wieder ins Haus trat, rollte ein Wagen vor die Tür. Die Mutter kehrte mit ihren Töchtern heim, begleitet von den beiden jüngeren Söhnen.

Wie sie alle so heiter waren, so kindlich und natürlich, wie sie scherzten und lachten und sich so zärtlich eine gute Nacht wünschten.

Michel hörte Seraphines glockenhelle Stimme auf der Treppe, wie sie scherzte und in übersprudelnder Lust sich mit den Schwestern neckte.

Ob er ihr noch vor dem Schlafengehen die Flucht des Deutschen mitteilte?

Nein, er wollte ihre glücklichen Träume nicht stören. Sie war sein Liebling, er hätte sie so gern ganz zufrieden, ganz glücklich gesehen und nur mit schwerem Herzen zu dem Mord des Deutschen sich entschließen können. Doch die Sicherheit stand über jeder Neigung und unglücklich wurde Seraphine deshalb nicht. Ihr Naturell war leicht entzündlich und flatterhaft, wie alle südlichen Charaktere.

Alles schien nun in dem großen Gebäude zu schlafen, nur in einigen unterirdischen Kellerräumen tönten dumpfe Seufzer, die jedoch kein anderes menschliches Ohr als das ihrer Peiniger erreichten.

Doch noch eine wachte in den oberen Räumen, das war Arabella della Cantonelli. Sie saß in ihrem Sessel und starrte düster vor sich hin. Sollte ihr seltsames Geschick, das sie zweimal in die Gewalt der Briganten gegeben und zweimal denselben Retter bestellt hatte, für sie eine Mahnung sein, dass jener Mann für sie bestimmt sei? Warum blieb sie eigentlich in diesem Haus? Warum eilte sie nicht nach Neapel, um über das Geschick ihres armen Oheims Gewissheit zu bekommen? Besaß sie bereits keinen freien Willen mehr?

Diese Fragen drängten sich ihr mit unwiderstehlicher Gewalt auf. Ihr Stolz empörte sich, wenn sie an den Mann dachte, der eine so unheimliche Macht über ihren Willen ausübte.

Liebte sie ihn wirklich? Konnte sie mit Wonne daran denken, die seine zu werden?

Arabellas Herz schauderte bei diesem Gedanken zusammen und ein Widerwille, der an Todesangst grenzte, ergriff sie mit unwiderstehlicher Gewalt.

Leonardis Bild drängte sich zwischen den kecken Studenten und ihr Herz. Die Wehmut der Erinnerung presste ihr Tränen in die Augen.

Das musste wohl Liebe sein? Arme Arabella! Dein stolzes, kaltes Herz kennt nur Schmeicheleien, Huldigungen, aber keine Hingebung, keine Treue, denen Hass und Rache fremd sind!

»Nein, ich ertrage es nicht länger«, rief sie halblaut, mit der ganzen Heftigkeit ihres Charakters. »Morgen werde ich diesen Bann brechen, ich werde doch sehen, woher er die Macht nimmt, mich zu zwingen.«

Dann ging sie zur Ruhe, die sie jedoch vergebens suchte.

Am anderen Morgen saß Seraphine Rapo in ihrem Zimmer bei der Morgentoilette, als Michel eintrat, um ihr einen guten Morgen zu wünschen, wie er dies gewöhnlich tat.

»Was macht mein Tedesco? Will er wirklich fort, Michel?«, fragte sie lebhaft, ihre schwarzen Locken vor dem Spiegel ordnend.

»Hm, er ist in vergangener Nacht entflohen«, lautete die ruhige Antwort.

Seraphine wandte sich erschreckt um. Alles Rot war plötzlich aus ihren Wangen gewichen. Sie blickte den Bruder ungläubig an und sagte: »Lass die dummen Scherze, ich bin dazu nicht aufgelegt.«

»Es ist so, wie ich dir sage, er ist auf einer Leiter aus dem Fenster entflohen. Geh hin und überzeuge dich selber, mein Kind!«

»Heilige Jungfrau! Kannst du hierfür einen Grund auffinden, Michel?  Und ich wähnte mich von ihm geliebt, der Verräter!«

»Er wird seine frühere Geliebte, die Marchesa erblickt haben, vielleicht seinen Feind Pasquale dazu, das wäre Grund genug, davonzulaufen.«

»Aber du hörst ja, er liebte mich«, rief Seraphine, mit dem Fuß stampfend, »was ging ihn da noch dieses alberne Püppchen an, das vor lauter gräflichem Hochmut den Mund nicht öffnet. Höre, Bruder! Pasquale mag mit seiner Marchesa hingehen, wo der Pfeffer wächst. Sie verdirbt mir hier mein ganzes Publikum. Hat doch der alberne Major gesagt, seitdem er die Marchesa Cantonelli gesehen, wisse er erst, was Schönheit sei.«

»Ja, der Major, den hat mir dein Lupparelli auch gründlich verdorben«, seufzte der Nationalgardeoffizier, »ist es doch mit seiner Freundschaft für unser Haus seit jener unseligen Geschichte vorbei; und er ist vor allen ein gefährlicher Feind.«

»Davonzulaufen, und ich liebe ihn, habe es ihm sogar beinahe schon gesagt«, klagte Seraphine, ihre Locken wild zerzausend, »schaffe mir den Verräter wieder, Michel, er soll dann meinen Hass kennen lernen.«

»Gut, mein Kind!«, sprach lächelte Michel Rapo, ihr die Locken aus dem Gesicht streichend, »ich bin ruhig, und so muss es auch sein bei einem Rapo. Ein Schritt nur von der Liebe zum Hass. Auch die stolze Marchesa mag sich in Acht nehmen, sie hat nicht umsonst unser Haus betreten.«

»Du verschaffst mir meinen Tedesco wieder?«, sprach Seraphine, hartnäckig den Gedanken festhaltend.

»Wenn es in meiner Macht steht, Herzchen, sicherlich. Jetzt aber beruhige dich und zeige der Welt wie immer eine heitere, unbefangene Miene.«

Er küsste sie zärtlich und verließ das Zimmer, um sich zu seinem Bruder Pasquale zu begeben.

»Komm mit zum Onkel Gennaro!«, sagte er, »wir wollen ihm die Flucht des Tedesco mitteilen und seine Meinung darüber hören. Mir ahnt nichts Gutes.«

Pasquale hatte bereits sehr elegante Toilette gemacht. Er wollte eigentlich zur Marchesa, doch besann er sich und ging mit dem Bruder zum Onkel Pfarrer.

Dieser saß beim Morgenkaffee und las die neuesten Zeitungen. Er lächelte dabei verächtlich.

»Guten Morgen, Kinder! Hier lese ich soeben, dass man dem Sacchetiello mit seiner Bande auf der Spur sei. Habt Ihr Nachrichten, wo er steckt?«

»Crocco hat ihn noch jüngst in der Villa Rapo gesprochen«, gab Michel lachend von sich.

»So, in verflossener Nacht, nicht wahr?«, meinte der Pfarrer mit einem Lächeln, »ja, die Sbirren haben eine sehr feine Nase, sie riechen Wölfe und finden Mäuse.«

»Aber etwas haben auch wir nicht gerochen, Onkel Gennaro!«, flüsterte Pasquale, »dass wir einen Fuchs beherbergt haben. Der Tedesco ist in letzter Nacht entflohen, aus dem Fenster mithilfe einer Leiter.«

Pfarrer Gennaro warf hastig die Zeitung fort und rief: »Das ist eine schlechte Nachricht, so habt ihr einen Verräter im Haus, allein konnte er die Flucht nicht bewerkstelligen. Denkt nach, wer könnte das wohl sein?«

»Ich wüsste keinen einzigen«, versetzte Michel, »habe die ganze Nacht darüber nachgedacht. Alle sind erprobt oder durchaus arglos, ich will indessen genaue Nachforschungen anstellen. Nun, es wird so schlimm nicht sein, Pasquale und seine Marchesa, welche der Narr geliebt hat, werden die Ursache sein. Wir hielten ihn unter Seraphines Bewachung gänzlich abgeschlossen, auf ärztlichen Befehl natürlich, und doch muss er ihre Anwesenheit erfahren haben, daher seine Flucht. Der Name Rapo war ihm überhaupt nach der Affäre mit Pasquale verhasst, wie Seraphine mir klagte. Die Närrin ist sehr betrübt, wird aber wohl um den Verlust nicht verzweifeln.«

»Die Schonung ist doch nichts wert«, meinte der Pfarrer nachdenkend, »Michel hat recht, wenn er sie in solchen Fällen immer verwirft. Ich bin noch immer zu schwach gegen den Willen der Kinder. Apropos, mein Sohn, Du kannst den Sacchetiello wissen lassen, dass man ihn überall wittert, nur nicht in Bisaccia. Mag er also hier bleiben. Mein Haus hat Raum genug für alle, sie mögen in dem vorderen Keller sich einige Tage verbergen, bis die Hetzhunde auf falscher Fährte sind. Und nun, guten Morgen, meine Söhne, ich muss zur Messe.«

»Noch ein Wort, Onkel!«, sprach Pasquale rasch, »ich möchte mit der Marchesa so bald wie möglich getraut werden.«

»Bist du schon so weit?«

»Ich zwinge sie. Eine Frau ist veränderlich wie der Wind, sobald ich in der nächsten Stunde ihr festes Ja habe, sende ich zu dir, um alles rasch abzumachen.«

»Und sagt sie Nein?«, fragte der Pfarrer.

»Dann soll sie noch einmal den wilden Crocco, aber diesmal ohne meinen Schutz, kennen lernen.«

»So ist es gut, nur keine Drohungen, alles muss glatt und freundlich abgehen. Ich hasse jeden Zwang. Will sie dich nicht, gut, dann lass sie heimreisen, selbst unter dem nötigen Schutz.«

Der fromme Pfarrer gab ihnen seinen Segen und entließ die wackeren Neffen, welche sich auf der Straße schweigend trennten.

Pasquale schritt langsam heim, während Michel ein Café aufsuchte, um sich ein wenig mit seinen politischen Freunden zu unterhalten und allerlei Nützliches für seine Zwecke nebenbei zu erfahren.

Arabella della Cantonelli hatte eine äußerst elegante Morgentoilette gemacht und ging mit Seraphine im Garten spazieren.

Der schöne erfrischende Morgen hatte seine belebende Kraft auf sie ausgeübt und ihrem Geist die nötige Elastizität wiedergegeben. Sie hatte damit ihre ganze Schlauheit und Verstellungskunst wiedergewonnen.

»Es gefällt Ihnen hier bei uns nicht, Marchesa?«, fragte Seraphine mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln. »Sie sind so schweigsam und zurückhaltend, das tut mir weh.«

»Wirklich?«, fragte Arabella, sie zerstreut anblickend und dann den Flug einiger leichter Wölkchen verfolgend, »ach, ich fühle mich unglücklich, meine teure Seraphine. Das ungewisse Schicksal meines armen Oheims, über den Ihr Bruder mir noch immer keine Nachricht hat verschaffen können, peinigt mich unaufhörlich. Wie könnte ich mich freuen und fröhlich sein, da ich viel besser täte, diese bunten Gewänder abzustreifen und Trauerkleider anzulegen.«

»Ihr armer Oheim war geisteskrank, wie ich höre«, versetzte Seraphine, »und, wie mir mein Bruder mitgeteilt hat, unheilbar. Da dürfte sein wahrscheinlicher Tod Sie doch nicht gar zu sehr betrüben.«

»Ich trage die Schuld dieses Todes«, rief Arabella schmerzlich, »warum ließ ich mich, bei der bekannten Unsicherheit dieser Gegend, auf die unselige Reise ein. Signor Pasquale versprach, uns auf sicheren Wegen nach Avellino zu bringen. Er hat sein Wort nicht gehalten. Jesus Maria, mein armer Oheim, ich werde mich nie wieder freuen können.«

»Sie tun unrecht an sich selber, Signorina!«, versetzte Seraphine, »der Oheim war geistig tot, Gott und die heilige Jungfrau haben sich seiner erbarmt, danken Sie lieber dafür. Und mein armer Bruder, ach, Signorina, hat er Sie nicht ungefährdet hierher gebracht? Sollte er Sie vielleicht den Briganten überlassen und den wahnsinnigen Marchese retten? Sie tun ihm unrecht, Signorina!«

Arabella blickte vor sich nieder, fühlte die Gerechtigkeit dieses Vorwurfs und zog es deshalb vor, zu schweigen.

»Malen Sie sich Ihre Lage aus in der Gewalt dieser ebenso grausamen als sittenlosen Briganten, Signorina Marchesa!«, fuhr Seraphine schlau berechnend fort, »Sie, eine schöne, vornehme Dame wären freilich wohl durch eine hohe Lösegeldsumme frei geworden, ob die Räuber aber nicht noch mehr von Ihnen verlangt, Signorina, ja, Sie vielleicht Ihrer großen Schönheit halber ganz behalten hätten? Vielleicht, ja wahrscheinlich als die Geliebte irgendeines Brigantenhäuptlings?«

Arabella schauderte zusammen und bedeckte sich das Antlitz mit beiden Händen. Ja, sie war undankbar gegen ihren Retter Pasquale, der sie mit Gefahr seines eigenen Lebens nun schon zweimal vor diesem grässlichen Los bewahrt hatte.

Als sie die Hände wieder vom Antlitz sinken ließ, war Seraphine in einem der Laubengänge verschwunden. Pasquale Rapo stand vor ihr, mit dem Hut in der Hand, ein schöner, eleganter Kavalier, von Kühnheit und Jugend strahlend.

Er hatte sich ihr in keinem besseren Augenblick nähern können, weilten ihre Gedanken doch gerade in überströmender Dankbarkeit bei ihm, der sie vor Schmach, Entehrung und Tod bewahrt hatte.

»Ah, Signor Pasquale!«, rief sie, überrascht ihm die Hand entgegenstreckend, »soeben dachte ich an Sie.«

»Dieses Geständnis kann mich nur freuen, wenn Ihre Gedanken freundlicher Natur gewesen sind, Signorina Marchesa«, entgegnete jener, ihre Hand ehrfurchtsvoll ergreifend und an seine Lippen führend, »auch ich weilte, wie immer, bei Ihnen.«

»Ich dachte an die Summe des Dankes, welche ich Ihnen schulde, und fand, dass mein ganzes Leben nicht ausreichen könnte, sie Ihnen zurückzuzahlen.«

»Arabella!«, rief Pasquale mit gedämpfter Stimme, sie mit sich fort in einen dichten Myrtengang ziehend, »darf ich diese Worte für mich deuten? Weisen Sie meine Liebe, welche bereit ist, alles für Sie zu opfern, nicht mehr kalt zurück? O, dann sprechen Sie endlich das Ja, welches mich zum glücklichsten Sterblichen machen kann. Werden Sie mein noch heute, mein Oheim traut uns schon in der nächsten Stunde. Was bedarf die wahre Liebe des elenden Flitters, des hohlen Glanzes und betäubenden Lärms, um die Stunde der seligsten Vereinigung zu feiern! Sprich ja, Geliebte! Ich banne die neidische Zeit, welche sich zwischen unser Glück drängen will.«

»Ungestümer Dränger!«, sagte die Marchesa, sich nur sanft seiner Leidenschaft widersetzend, »bin ich Herrin meines Willens? Der Tod meines Oheims ist nicht bestimmt.«

»Er ist bestimmt, ich habe sichere Nachricht darüber«, versetzte Pasquale mit fester Stimme. »Du bist Herrin deines Willens, o komm, sträube dich nicht länger gegen das Schicksal, das uns füreinander bestimmt. Seraphine schmückt dich zum Altar, sie schlingt die Myrte und den Orangenzweig durch deine Locken.«

Er hatte sie leidenschaftlich umschlungen und willenlos duldete sie seine Küsse.

»Nicht heute, nicht jetzt«, rief sie plötzlich, als er sie ungestüm mit sich fortziehen wollte, »o, gönne mir Zeit, Pasquale! Ich kenne dich kaum.«

»Du kennst mich kaum?«, wiederholte Pasquale, sie loslassend und einen Schritt zurücktretend, »so bin ich noch immer ein Fremdling für dich?«

»O, verkenne mich nicht«, bat sie mit flehender Stimme, »gönne mir Zeit bis morgen, dann will ich dein sein.«

Der Student fühlte, dass er mit diesem Zugeständnis zufrieden sein müsse, wolle er nicht alles aufs Spiel setzen.

Er umarmte sie mit Beteuerungen seiner heißen, ewigen Liebe, ergriff dann ihren Arm und lustwandelte mit ihr in dem schönen, schattigen Garten, um sie nicht wieder ihren eigenen Gedanken zu überlassen.

Später wurden in Begleitung Seraphines und Lupparellis Ausflüge in die Umgegend gemacht, von denen man erst spät in der Nacht heimkehrte.

Arabella fürchtete sich entsetzlich vor neuen Überfällen der Briganten, doch kamen sie natürlich ungefährdet nach Hause, sie allein waren gefeit vor solchem Unheil.

 

*

 

Als die Sonne des nächsten Morgens in Arabellas Schlafgemach schien, bestrahlte sie eine bleiche, düstere Braut, welche mit Angst und Entsetzen an die Stunde dachte, wo man ihr das Brautgewand anlegen würde.

Wie ganz anders hatte sie sich diesen Tag in ihren Träumen ausgemalt, mit aller Pracht und Herrlichkeit ihres Standes, von der wogenden Menge der Hauptstadt umschwärmt, angebetet, vergöttert, sie, die Königin der Schönheit!

Myrten und Orangen waren vor ihr Bett gestreut, sie stieß sie unwillig mit dem Fuß fort und seufzte aus tiefster Brust.

Arabella della Cantonelli war nur für den äußeren Glanz und Schimmer des Lebens geschaffen, alles Übrige hatte keinen Reiz für ihr Herz, das einer hohlen Larve glich. Wie furchtbar musste ihr, der stolzen, gefeierten Schönheit, welcher halb Neapel zu Füßen gelegen hatte, ein solcher Hochzeitstag sein, und nun den bürgerlichen Bräutigam aus dem obskuren Städtchen dazu.

Die Trauung war von Pasquale Rapo auf den Mittag festgesetzt worden, doch schützte sie Kopfschmerz und Beklemmung vor und ließ die verhängnisvolle Stunde auf den Abend hinausschieben.

Pasquale wütete, doch musste er sich in diese neue Laune der Braut fügen.

»Gut, gut, bis dahin!«, sprach er zu Seraphine, »nach dieser Stunde bin ich Herr ihres Willens, und dann soll sie ihren Gebieter kennen lernen!«

Sein Antlitz zeigte bei diesen Worten einen so entsetzlich grausamen Ausdruck, dass selbst Seraphine betroffen den Kopf schüttelte und mit der schönen Marchesa ein wenig Mitleid empfand.

Letztere hatte sich den ganzen Tag in ihr Zimmer eingeschlossen, in der Hoffnung, dass noch irgendein glücklicher Zufall ihr Geschick ändern werde.

Sollte sie entfliehen? Wohin?

Das Los der Frau schien ihr in diesem Augenblick so entsetzlich elend und abhängig, dass sie den Mann im Bettlerkleid, den armseligsten Lazzaroni nun beneidete.

Alles Geld, alle Kostbarkeiten hatten die Briganten ihr geraubt, nur die Gewänder, den Putz ihr gelassen, selbst das Kästchen mit den wichtigen Dokumenten des Oheims war fort.

Sie wollte nach Neapel schreiben, an dortige Bekannte, deren sie ja so viele besaß. Es war umsonst, wer sollte den Brief auf die Post befördern? Nur ein Rapo, und dieser würde ihn ganz gewiss an Pasquale ausliefern, dem es daran liegen musste, sie hier um jeden Preis festzuhalten. Und doch wollte sie es versuchen, an den alten Hausarzt in Neapel zu schreiben; trug er doch mit die Schuld ihres Unglücks.

Sie warf Papier und Feder mit einer Art Verzweiflung auf die Seite; der Brief, kam er auch wirklich an seine Adresse, konnte doch ihr Schicksal nicht mehr hindern. Nach der Trauung, Arabella schauerte bei diesem Gedanken in sich zusammen, würde Pasquale wohl mit ihr nach Neapel zurückreisen.

Sehr häufig war Letzterer im Laufe des Tages an ihrer Tür, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und um Einlass zu schmeicheln, wobei er ungesehen von ihr eine grimmig drohende Bewegung machte.

Sie versagte ihm diese Bitte hartnäckig, und nur Seraphine, welche mit ihr auf ihrem Zimmer speiste, gelang es endlich, ihm Einlass zu verschaffen, wo die unendliche Liebenswürdigkeit der Geschwister den Trübsinn von ihrer Stirn bannte, und sie sich endlich, als der Abend herannahte, dazu bewegen ließ, sich von Seraphine schmücken zu lassen.

Eine glänzende Equipage brachte das Brautpaar zu der Kirche, an welcher Gennaro Rapo als Pfarrer fungierte, wo ihrer schon die ganze Familie und einige Freunde harrten. Auch der Pfarrer stand bereits vor dem Altar.

Der Orgelton erbrauste durch den geweihten Raum, soeben wollte der Pfarrer beginnen, als plötzlich am Eingang eine laute Bewegung entstand. Ein Mann im staubigen Reiseanzug drängte sich durch die Menge, welche gaffend zusammen stand. Erschreckt wandte Pasquale, der glückliche Bräutigam sich nach der Störung um. Sollte ihm nun, so nahe am Ziel, noch Unheil drohen?

»Signorina Marchesa! Um aller Heiligen willen, was geht hier vor?«, tönte die Stimme des Mannes. Mit einem Schrei wandte Arabella sich um und stürzte mit dem Ausruf Madonna segne dich, Antonio! Ich bin gerettet! ohnmächtig in des alten Kammerdieners Arme.

Die ganze Gesellschaft stand wie erstarrt, der Kammerdiener aber sprach, die Marchesa fest an sich haltend, mit fester Stimme: »Gott hat über das Leben meines Gebieters, des Herrn Marchese Cantonelli, gnädig gewacht. Er ist heimgekehrt und hat mich abgesandt, um seine Nichte nach Neapel zu führen. Nur er allein, Signor Rapo, hat das recht, über die Hand der Signorina Marchesa zu verfügen, und bitte ich Sie in seinem Namen, nach Neapel zu kommen, und dort um die Hand dieser Dame bei dem Herrn Marchese Cantonelli anzuhalten.«

Bevor noch ein Einziger sich von seiner Überraschung, welche wie ein jäher Blitzstrahl aus heiteren Himmel herabgefahren war und alle, selbst den schlauen Pfarrer Gennaro vollständig gelähmt zu haben schien, zu erholen vermochten, hatte der Kammerdiener mit raschen Schritten die Kirche verlassen, die ohnmächtige Signorina in einen bereitstehenden Wagen gehoben, sich neben sie gesetzt und den Kutscher angetrieben, eilig die Stadt zu verlassen und den Weg zur Heimat einzuschlagen.

Nun erst schien der verlassene Bräutigam sich von seinem Schrecken zu erholen. Er wollte ihr nachstürzen und schalt jenen Mann einen Betrüger.

Der Ortsrichter, welcher auch zugegen war, hielt ihn jedoch zurück und sagte bedächtig: »Das kann doch nicht wohl möglich sein, mein teurer Signor Rapo! Hörte und sah ich doch selber, und die ganze ehrenwerte Gesellschaft mit mir, dass die Signorina Marchesa den fremden Herrn erkannte, sogar seinen Namen rief und dann vor Überraschung, Freude, oder Gott weiß, welcher Erregung, ohnmächtig in seine Arme sank. Darum bitte ich Sie, von jeder Verfolgung abzustehen. Das Betragen der Signorina Marchesa Cantonelli bewies uns die vollständige Autorisation des Signors. Ich bedauere recht sehr, mein verehrter Signor Rapo, dass die Trauung so unglücklich unterbrochen wurde; indessen ist ja noch nichts verloren. Freuen Sie sich, dass der Signor Marchese noch lebt und Ihnen seinen Segen geben kann.«

Der würdige Ortsrichter hatte wie ein Salomo gesprochen. Er drückte allen der Reihe nach, besonders der Familie Rapo bedauernd die Hand, hoffte auf eine baldige, glücklichere Wiederholung der Feier und verließ dann rasch die Kirche, welchem Beispiel die Hochzeitsgäste eilig folgten, bis zuletzt nur noch die ehrenwerte Familie des Bräutigams mit diesem um das Haupt derselben, den frommen Pfarrer Gennaro versammelt war, und diesen ratlos anblickte.

»Begebt Euch nach Hause, Kinder!«, sagte der Pfarrer, fromm die Hände faltend, »wir dürfen der Welt keine Gelegenheit zum Spott geben. Sie ist ohnehin boshaft genug, empfangt den Segen.«

Er breitete die Hände über sie aus, bekreuzigte sich und schritt dann vom Altar herunter, worauf ihm die Familie mit Stolz erhobenem Haupt folgte.

Michel Rapo aber murmelte: »Die Anzeichen mehren sich, wehe über die Sorglosen, welche an dem Schwert des Damokles gewaltsam rütteln, es wird und muss bald fallen. Seraphine!«

»Bruder!«

»Willst du mir in den nächsten Wochen nach Amerika folgen?«

»Träumst du?«

»O nein, ich sehe nur mehr, als ihr, und die Aussicht macht mich schaudern. Wenn dieser schöne, schneeweiße Hals sich röten sollte von einem hässlichen Strick und das reizende Antlitz sich blau färben.«

»Halt ein, Bruder!«, flüsterte Seraphine, »ich folge dir, wohin du gehst.«

»Lupparelli wird uns begleiten.«

»Ich danke dir, Michel, du bist mein guter Bruder!«

Sie lächelte ihn freundlich an und bestieg dann rasch den Wagen, welcher das Brautpaar hergebracht hatte. Der Pfarrer aber hielt Michel zurück und flüsterte: »Vergiss nicht den Sacchetiello. Er macht mir Sorge.«

»Sitzt schon wohlbesorgt im Keller.«

Als Michel Rapo sich noch einmal umwandte, bevor er den Wagen bestieg, schaute er in das spöttisch lächelnde Gesicht des Majors, welcher sich verneigte und ihm zurief: »Bitte, dem Brautpaar meine Glückwünsche abzustatten, Signor Rapo!«

»In die Hölle mit dir, Hund«, murmelte dieser, während er rasch hineinstieg und der Wagen davonrollte.

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