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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Vierzehntes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Vierzehntes Kapitel

Ein Briganten-Salon

Im Pavillon der Villa Rako zu Bisaccia war alles still, der Gast weilte dort nicht mehr, weil die Familie ebenfalls in die Stadt in das Haus der Mutter übergesiedelt war.

Doch in der Villa selbst herrschte, trotzdem es Mitternacht war, ein reges, lustiges Treiben, das aber nicht an die Oberfläche gelangte und sich in unmittelbarer Nähe wie ein unterirdischer Bienenschwarm anhörte.

Die Dienerschaft der Familie Rapo war ebenfalls in der Stadt. Nur wenige davon durften ahnen, was die Häuser ihrer so hochgeachteten Herrschaft oft für seltsame, unheimliche Gäste bargen.

Betreten wir die Villa und begeben uns hinunter in die Kellerräume, welche eigens zu diesem Zweck eingerichtet zu sein scheinen, indem sie nebst einigen kleineren Räumen auch einen großen Salon enthalten.

Dieser unterirdische Salon war so luxuriös ausgestattet, als sei er für fürstliche Gäste hergerichtet. Er übertraf fast noch die oberen Räume, die dazu bestimmt waren, die vornehme Welt Bisaccias zu empfangen.

Eine glänzende Tafel nahm die Mitte des Raumes in seiner ganzen Länge ein, eine Tafel, auf der in goldenen und silbernen Schüsseln die ausgesuchtesten Speisen und die edelsten Weine in Gold- und Silberpokalen prangten.

Schwellende Divans mit roter Seide zogen sich zu beiden Seiten der Tafel hin, und auf diesen saßen und lagen fantastische, reich gekleidete Gestalten beiderlei Geschlechts, vom Wein und den Freuden der Tafel zur wildesten Orgie entflammt.

War das die schöne und geistreiche Seraphine Rapo, welche dort an der Tafel präsidierte?

Ein rotes Gewand von durchsichtigem Flor umfloss ihre üppigen Glieder, welches von einem golddurchwirkten Schal um die Taille zusammengehalten wurde. Ein Kranz von Weinlaub und Rosen umwand ihre dunklen Locken und gab ihrer ganzen Erscheinung mit den funkelnden Augen und den glühenden Wangen den getreuen Ausdruck einer Bacchantin.

Zur Rechten von ihr saß Schiavones Geliebte, die schöne Filomena im fantastischen Räuberkostüm, Seraphines Busenfreundin, während zu ihrer Linken Lupparelli saß, der seine Verbannung nicht hatte ertragen können und heimlich zurückgekehrt war.

Wenn Seraphines Blick auf ihn fiel, verfinsterte sich ihre Stirn ein wenig und die roten vollen Lippen warfen sich trotzig empor, denn an seiner andern Seite saß Zia Maria, die Brigantenkönigin, wie Pasquale Rapo sie nannte. Trotz Seraphines Leidenschaft für den blonden Deutschen loderte doch ihre wilde Eifersucht empor, als Lupparelli heimlich mit Croccos Geliebten scherzte und lachte.

Der wilde Crocco saß an ihrer Seite, sein unschönes, blutdürstiges Gesicht glühte vom Wein.

Sie waren alle versammelt, die Freunde der Familie Rapo. Die würdige Mutter mit ihren vier anderen Töchtern hatte die Bedienung übernommen und spielte mit wahrer Lust die Räuberwirtin.

Sacchetiello, der sanfte Brigant mit dem Kindergesicht, wie Zia Maria ihn nannte, war auch mit seiner Bande von acht Köpfen zu diesem Fest eingetroffen und erzählte soeben mit einer bewunderungswürdigen Unschuld, wie er den guten Kaufmann Amavi aufgefangen, bis aufs Hemd ausgeplündert und ihm ein Lösegeld von 6000 Scudi aufgegeben habe.

»Das wird ihn von der Gespensterseherei heilen«, gab Lupparelli lachend von sich, »was will sich der Narr erlauben, einen frommen Pfarrer in üblen Geruch zu bringen.«

»Du warst selbst ein Narr, dass du dich mit mir in den Pfarrgarten setztest, und wusstest doch, dass man uns nebenan belauschen könne«, rief Schiavone, der mit Michel Rapo im Hintergrund auf und nieder wandelte. »Ja«, fuhr er lachend fort, »der Narr verlangt von mir, ich solle einige unserer Gefangenen abkehlen, wozu ich augenblicklich keine Lust hatte, und die Toten ins Meer schleppen. Der Weg war mir zu lang, Signor Lupparelli.«

»Ihr seid zu sorglos«, versetzte dieser achselzuckend, »was wollt Ihr schließlich mit den Toten in Eurem Keller anfangen? Frisches Fleisch riecht nicht, es kann aber acht Tage später den stummen Verräter spielen.«

»Der Lupparelli hat recht«, sprach Michel Rapo leise zu Schiavone, »weiß der Henker.«

»Pah, schweig mir vom Henker«, brummte Schiavone, »der Name erregt mir Kolik. Sei kein Kopfhänger, Michel! Du bist wie ausgewechselt seit einigen Wochen! Will es dem Pater Gennaro sagen, er soll dich von allem befreien, was deine Seele drückt.«

»Er kann mir keine Absolution von der unerklärlichen Angst erteilen, welche mich in den letzten Wochen gefangen hält«, sprach Michel Rapo düster, »es ist mir immer, als sähe ich das blitzende Schwert dicht über meinem Haupt, als …«

»Nun, daran muss sich allerdings ein Brigant gewöhnen, das hängt schon vom Beginn unserer Laufbahn über uns.«

»Freilich hast du recht, indessen senkt es sich unheimlich tief. Ich wittere einen Judas unter uns. Es gefällt mir gar nicht, dass Pasquale uns die Signorina Marchesa ins Haus geschleppt hat. Er irrt sich, wenn er glaubt, dass sie ihn liebt und ihn heiraten wird, ich verstehe mich auf Weibernaturen, aber diese hat keine bräutliche Miene.«

»Er hätte sie als Geisel behalten sollen«, meinte Schiavone, »das hätte ein prächtiges Lösegeld abgegeben. Ich hatte sie schon einmal in der Gewalt, als Pasquale mir die kostbare Beute abjagte. Jetzt haben wir nichts als Sorge davon.«

»Nun, die Geisel haben wir noch immer in den Händen.«

»Pah, dann gehört sie in den Keller. Doch jetzt lass uns fröhlich sein, bald wird Pater Gennaro mit seiner Absolution kommen, lieber vorweg sündigen als später.«

»Noch ein Wort, Schiavone? Wie halten wir es mit dem Tedesco? Pasquale ist wütend, dass du ihm nicht den Garaus gabst, um den Mord von ihm abzulenken.«

»War auch so mein Wille«, brummte Schiavone unmutig, »aber nicht allein Filomenas Bitte, sondern hauptsächlich die Aussicht auf ein hohes Lösegeld bestimmten mich. Ich habe deshalb den Diener, einen anstelligen Burschen, den ich eigentlich gern für mich behalten möchte, mitgenommen.«

»Wo hast du ihn?«

»Draußen in der Höhle, er möchte gern zu seinem Herrn, aber das darf ich wohl nicht zugeben?«

»Nun, das fehlte tatsächlich noch!«, rief Michel. »Wen die Heiligen verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit. Und es ist mir, als taumeltet Ihr alle dem Schafott zu.«

Schiavone lachte und zog ihn zu der schönen Filomena mit sich fort, welche Arm in Arm mit Seraphine den gefüllten Pokal leerte und mit tollem Jubel die Scherze Lupparellis belohnte.

»He, Crocco!«, schrie die schöne Bacchantin Seraphine, »nimm deine Zia Maria in Acht. Lupparelli will sie entführen.«

Crocco hatte dem Wein schon über die Gebühr zugesprochen, in welchem Zustand es höchst gefährlich war, seine Eifersucht zu wecken.

»Lupparelli, feiger Schuft!«, schrie er wütend, ein Stilett herausreißend und auf den erschreckten Lupparelli zutaumelnd.

Seraphine lachte höhnisch und hielt Filomena zurück.

»Halt«, schrien die Räuber durcheinander, »das ist wider den Eid, hast du etwas gegen ihn, Crocco, dann bring es vor den Pfarrer, er allein hat zu richten.«

Der Trunkene fluchte entsetzlich und zückte den Stahl auf den bleichen Lupparelli.

»Was geht hier vor?«, erscholl eine gebietende Stimme, welche den Lärm übertönte, vom Eingang her. Totenstill wurde es plötzlich, als hätte ein Magier seinen Zauberstab über die wüste Gesellschaft geschwungen.

»Der Pfarrer!«, ging es flüsternd von Mund zu Mund.

»San Gennaro!«

Der fromme Pfarrer Gennaro Rapo schritt näher und blickte dem wilden Crocco, der unschlüssig das Stilett hatte sinken lassen, mit finsterem Ernst an.

»Empörung unter den eigenen Kindern?«, fuhr er langsam fort, »wie oft habe ich Euch das Wort gepredigt: Wenn die Hölle unter sich selber uneins wird, wie soll ihr Reich bestehen?«

»Lupparelli ist ein Teufel«, knirschte Crocco und seine Augen rollten wild umher, »er will mir die Zia Maria entführen.«

»Lupparelli kann deine Bande verstärken, mein guter Crocco!«, versetzte der Pfarrer mit sanfter Stimme, »er ist ein guter Junge, nur ein wenig heißblütig und unvorsichtig. Komm, Zia Maria, mein Täubchen, kredenze dem Vater einen Becher Cyperwein!«

Die Brigantine schenkte einen goldenen Pokal voll des funkelnden Weines, trank davon und reichte ihn den Pfarrer mit dem Worten: »Die Heilige Jungfrau segne es dir, Vater Gennaro!«

»Ich danke dir, meine Tochter!«, versetzte der Pfarrer, »um deinetwillen sei dem Crocco die Sünde wider den Bundeseid vergeben.«

Er leerte den Pokal mit einem Zug, warf dann den Mantel zurück und präsentierte sich in einem malerisch reichen Räuberkostüm.

Ein wilder Jubel brauste bei diesem Anblick durch die ganze Bande; nur Michel Rapo schüttelte leise den Kopf und trat seinem Bruder Pasquale entgegen, welcher hinter dem Pfarrer eingetreten war und düster in einer Ecke lehnte.

Die Mutter Rapo, eine korpulente Dame in reicher neapolitanischer Landestracht, beobachtete ihre beiden Söhne und schüttelte verwundert den Kopf. Dann trat sie zu ihnen und sprach besorgt: »Ihr tragt ja wahre Leichenbittermienen zur Schau, meine Kinder! Ich bitte euch, lasst solches den Onkel Gennaro nicht sehen. Was habt ihr denn? Setzt euch an die Tafel und teilt die allgemeine Lust, oder sollte mein Sohn Pasquale über die stolze Marchesa die lieben Brigantinen vergessen und zu stolz geworden sein, an unserer Freude teilzunehmen?«

Pasquale schaute seine würdige Mutter zerstreut an und versetzte leise: »Weiber gehören nicht in den Rat der Männer, setz dich zu deiner Gesellschaft, Mutter!«

Diese folgte kopfschüttelnd seinem Rat. Und so sah man die schönen, von der vornehmen Welt Bisaccias verhätschelten Töchter der Familie Rapo in dem Kreis der wilden Mordgesellen eine tolle Orgie feiern, bis endlich, als dieselbe fast ihren höchsten Gipfel erreicht hatte, der Pfarrer mit einem gebieterischen Genug! sich erhob.

Dieser Mann besaß eine wunderbare Macht über die Briganten; selbst Crocco zitterte vor ihm und wagte es niemals, dem Pfarrer zu widersprechen oder seinen Anordnungen ungehorsam zu sein.

Diese unheimliche Macht lag in der geistlichen Gewalt über die Seelen, in der Gewalt, zu binden und loszulassen; mit einem Wort, in dem Aberglauben des Volkes.

Der geistliche Herr hatte sich rasch wieder in einen Priester umgewandelt und stand mit kalter Ruhe und starrem Blick auf einer Erhöhung, welche eigens zu diesem Zweck hergerichtet schien.

Auf einen Wink von ihm lag alles auf den Knien und nun erteilte der fromme Herr in der ungeheuerlichsten Blasphemie der gesamten Mordbande die Absolution für alle begangenen Sünden und den Segen der Heiligen.

Wir schreiben keinen Roman in dieser entsetzlich unheimlichen Schilderung, sondern nur die Wahrheit, die wirklichen Ereignisse unserer jüngsten Zeit, wie Italien sie wohl nur allein aufzuweisen hat.

 

*

 

Michel Rapo und sein Bruder Pasquale begleiteten den Onkel Pfarrer nach Bisaccia zurück und bestürmten ihn unterwegs, den vermaledeiten Tedesco Leonardi dem verhängnisvollen Keller zu übergeben.

»Ich darf es der Seraphine nicht zu leide tun«, versetzte der Pfarrer nachdenkend, »sie ist in solchen Dingen zu leidenschaftlich und könnte uns allen die Köpfe heiß machen. Der Tedesco ist reich, sie liebt ihn und will ihn heiraten. Je mehr Bande uns an die gute Gesellschaft fesseln, Kinder, desto sicherer ist unsere Zukunft.«

»Mit dem Damoklesschwert«, murmelte Michel Rapo. »Schaffe den Tedesco auf die Seite, er bringt uns ins Unglück«, flüsterte er dann mit bittender Stimme, »der Schiavone muss auf die Lösegeldsumme verzichten. Da es bekannt ist, dass sich der Deutsche bei uns befindet, sprengen wir dann aus, er sei plötzlich abgereist.«

Pfarrer Gennaro wurde von der Unruhe des Neffen selbst angesteckt und sagte endlich entschlossen: »Gut, du sollst deinen Willen haben, ich überlasse dir den Tedesco. Die Seraphine wird sich auch wohl beruhigen. Damit wäre deine Furcht, die wirklich ansteckend wirkt und einem die notwendige Sicherheit rauben könnte, behoben. Wirf den Tedesco zu den Toten. Was hätten wir dann noch weiter: Du, Pasquale, mit deiner Marchesa. Wie war es doch mit dem Vater oder Oheim? Ist er tot?«

»Leider nein, entflohen mit einem deutschen Knaben, dem Bruder unseres Tedescos.«

»Verdammt«, rief Michel halblaut, »so taucht das alte Gespenst wieder auf.«

»Pah, was will er erzählen? Nichts weiter, als von dem Überfall der Briganten«, versetzte Pasquale leicht hin, um die eigene Unruhe zu verbergen.

»Ganz recht«, sagte der Pfarrer, »ich verstehe tatsächlich deine weibische Furcht nicht, mein Sohn. Nun, mein teurer Pasquale, wie willst du es mit deiner Marchesa halten? Wann willst du sie heiraten? Ich könnte euch hier in Bisaccia trauen.«

»Die Marchesa Cantonelli heiratet dich nicht, Pasquale!«, sprach Michel entschieden.

»Maledetto, bist du heute ein Unglücksrabe?«, rief Pasquale zornig. »Woher hast du diese bestimmte Kunde erhalten?«

»Von meinen Augen«, versetzte jener finster. »Die Marchesa liebt dich nicht, sie gebärdet sich nicht als glückliche Braut.«

»Ich habe ihr Wort.«

»Aber noch nicht ihre Hand; bis zum Traualtar ist noch ein mächtiger Sprung. Eile, Bruder, bevor ein Unwetter dich überrascht.«

»Nun ist es genug«, gebot Pfarrer Gennaro mit harter Stimme, »alberne Träume haben dich zum Kopfhänger gemacht.«

»Nein, Onkel, Lupparelli hat es getan mit seinem Streich gegen den Major. Seit jener Stunde ist die Luft schwüler geworden.«

»Pah, der Major ist wieder hergestellt.«

»Aber er meidet unser Haus und selbst Seraphines Liebenswürdigkeit vermag ihn nicht zurückzuführen, er sinnt auf einen Anschlag.«

Sie waren vor dem Haus des Pfarrers angekommen und dieser trat rasch mit dem Zeichen des Kreuzes hinein, während die beiden Brüder dem Haus ihrer Mutter zuschritten.

»Willst du in dieser Nacht noch zu dem Tedesco?«, fragte Pasquale leise.

»Ich schiebe niemals auf, was ich einmal als notwendig erkannt habe.«

»Gut, dann lass mich teilnehmen.«

»Wie du willst, mein Bruder!«

Und beide traten geräuschlos in ihr Haus.