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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Elftes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Elftes Kapitel

San Gennaro

Bei den Ruinen von Pompeji harrte Georg in einsamer Mitternacht, vergebens bemüht, seine Angst abzuschütteln. In geringer Entfernung hielt der Baron mit dem kleinen Wagen hinter einem dichten Gebüsch, das ihn vollständig verbarg.

Dem alten Herrn war ebenfalls seltsam zumute. Doch war es keine Furcht; nur die Angst, statt des geliebten Sohnes vielleicht seine Leiche zu erblicken, presste seine Brust wie ein Alp.

Es war bereits fünf Minuten nach Mitternacht. Immer heftiger schlug sein Herz. Wenn Georg nur Mut genug besaß, seine Mission durchzuführen.

Da plötzlich bebte er zusammen. Aus den geisterhaft beleuchteten Ruinen der alten Totenstadt stiegen mehrere dunkle Gestalten empor.

Georg konnte sich eines Zitterns nicht erwehren, als er die unheimlichen Gesellen auf sich zuschreiten sah. Doch fasste er sich und rief entschlossen: »San Gennaro!«

»Ah, mein guter Bursche, du hast das Losungswort gut behalten«, sprach Schiavone, »soll mich wundern, ob du auch die Summe des Lösegeldes behalten hast. Wieviel hast du mitgebracht?«

»Fünftausend Scudi sollte ich mitbringen, Signor!«, versetzte Georg mutig.

»Solltest du mitbringen, ganz recht, Bursche! Hast du sie denn auch mitgebracht, he?«

Georgs scharfes Auge konnte nirgend seinen Herrn entdecken. Er musste deshalb auf seiner Hut sein.

»Ich habe es noch nicht erhalten, Signor!«, sagte er langsam, »auch sehe ich meinen Herrn nicht in Eurer Mitte. Er lebt doch noch?«

»Versteht sich, Narr!«, rief der Räuber ungeduldig, »doch lässt sich ein solcher Riss nicht in einigen Tagen zusammenflicken, dazu gehören Wochen. So hast du das Geld nicht?«

»Nein, Signor! Doch erwarte ich es täglich.«

»Pah, dein Herr wird wohl ein Taugenichts sein, für welchen der Herr Papa keine zehn Scudi opfern wird«, rief Schiavone spöttisch, »da wollen wir dich einstweilen auch mitnehmen. Du wirst doch wohl einen Sparpfennig haben, mit welchem du dich selber bezahlen kannst. Nehmt ihn in eure Mitte und dann vorwärts!«

»Ach, was wollt Ihr mit mir armen Kerl anfangen, großer Räuber!«, rief Georg. »Wer soll Euch denn das Geld herbringen? Und ich bringe es ganz gewiss, wenn ich nur weiß, wann Ihr meinen Herrn hierherbringt?«

»Ah, Schuft!«, schrie Schiavone wütend. »Du traust meinem Wort nicht? Wo hast du das Geld?«

»Ich habe das Geld noch nicht«, schrie Georg so laut, dass der Baron es notwendig hören musste. »Das wäre ja auch wider die Abrede. Fünftausend Scudi gegen meinen Herrn. Bringt ihn mir, dann sollt Ihr das Geld haben.«

»Ei, wie keck das Bürschchen ist!«, rief Schlavone erstaunt. »Du würdest am Ende einen guten Briganten abgeben. Mut hast Du, das lässt sich nicht bestreiten. Noch einmal, hast du das Geld?«

»Nein!«, versetzte Georg fest.

»Nun, dann vorwärts mit ihm. Wenn das Geld gekommen ist, wollen wir es uns schon holen. Du schreibst uns die Anweisung dazu.«

Zwei Räuber nahmen ihn in ihre Mitte. Georg war unschlüssig, ob er sich mitschleppen lassen solle. Des Barons Untätigkeit schien dazu zu raten. Vielleicht gelang es ihm, seinen Herrn zu sehen, ihn zu befreien.

»Gut denn«, sagte er, »ich will mit Euch gehen, da mir überhaupt keine andere Wahl bleibt. Der Vater meines Herrn wird wahrscheinlich selber nach Neapel kommen, um seinen Sohn zu befreien. Da werdet Ihr mir wohl erlauben, an ihn zu schreiben?«

»Das will ich, damit er das Geld hergibt, sonst bist du und dein Herr dem Tode geweiht, so wahr ich der Briganten-Hauptmann Schiavone bin!«

Georg schrak heftig zusammen, doch fasste er sich bald wieder und schritt mutig zwischen den Räubern im schönsten Mondschein dahin, im gemütlichsten Ton mit Schiavone plaudernd.

Dieser schien ungemeines Behagen zu empfinden, denn er strich sich lachend den Bart.

»Per bacco!«, rief er, »du bist ein kapitaler Kerl und gefällst mir. Willst du bei mir bleiben? Ich suche dir eine prächtige Brigantine aus, es soll dir wohl bei mir gefallen. Wir führen ein Leben wie die Götter.«

»Danke schön, großer Hauptmann! Wenn mein Herr ein Brigant würde, dann bliebe ich bei Euch, aber so geht es noch nicht.«

»Pah, dein Herr ist auf dem besten Weg dazu«, gab Schiavone lachend von sich. »Ihn pflegt die schönste Brigantin der Abruzzen. Was sollen wir wetten, in wenigen Wochen zieht Ihr beide mit mir aus!«

»Na, schwören will ich nicht darauf«, versetzte Georg vorsichtig, »auch keine Wette eingehen, aber unmöglich ist nichts unterm Mond und das ist doch nun einmal Eure Sonne, nicht wahr, großer Hauptmann?«

»Der Mond ist unsere Sonne, meinst du?«, erwiderte Schiavone, nachdenkend die klare, glänzende Scheibe betrachtend. »Freilich, das ist wahr; nur die Nacht ist unsere Freundin. Nichts kommt gegen unser Leben, nur der Räuber allein lebt frei!«

Georg schwieg. Es war ihm, als sähe sein Auge rings umher verstümmelte Leichen, und mitten darunter einen mächtigen Galgen mit dem freien Räuber Schiavone daran.

Er schauerte zusammen und musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um das Gespräch in der heiteren Weise fortzusetzen und den gefährlichen Briganten bei guter Laune zu erhalten.

»So habe ich mir das Räuberleben auch immer gedacht«, versetzte er nach einer Weile. »Wenn nur nicht zu viele Rippenstöße dabei ausgeteilt würden. Ich glaube, dazu gehört eine ordentliche Schule.«

»Freilich! Du wirst es indessen auch schon erlernen, mein Freund! Es fehlt dir nicht an Mut. Das Stilett ist die sicherste und geräuschloseste Waffe, ein gewandter Stoß und das Opfer liegt mäuschenstill. Übrigens kannst du mir auch sonst dienen. Ich brauche Spione, und besonders solche ehrliche und kluge, wie du einer bist. Wie heißt du denn, mein Bursche?«

»Corso«, versetzte Georg. Er hielt diesen ihm verhassten Namen am geeignetsten unter den Räubern.

»Gut, Corso, ich hoffe, wir werden recht gute Freunde werden. Du gefällst mir. Aber wehe dir, Tedesco! Wolltest du etwa den Verräter unter uns spielen!«

»Lasst mich nur zu meinem guten Herrn«, versetzte Georg kaltblütig, »und ich verspreche Euch, das zu werden, was er aus sich selber macht. Seinetwillen werde ich Brigant, wenn er es verlangt, mehr kann ich nicht versprechen, großer Hauptmann!«

Schiavone lachte still vor sich hin. Er dachte an die verführerische Seraphine, welche aus den Männern machen konnte, was sie wollte. Sollte sie den Deutschen, den sie hegte und pflegte, nicht leicht zum Briganten umwandeln können? Weiter und weiter schritten sie, bis sie an eine einsame Schenke kamen, wo sie Essen und Trinken, auch einige Pferde zur Weiterreise erhielten.

»Wo hinaus noch in dieser Nacht, Schiavone?«, fragte der Wirt, ein Brigantenfreund.

Georg spitzte die Ohren.

»Nach Avellino zu! Möchte gern Bisaccia erreichen, aber es geht nicht!«

Der Name Bisaccia schlug zu bekannt an Georgs Ohr. Hatten er und sein Herr doch dem verdammten Studenten von Bisaccia ihr ganzes Unglück zu verdanken.

»Ah großer Hauptmann!«, sprach er in seiner kecken Weise, »kennt Ihr einen gewissen Signor Rapo in Bisaccia?«

Schiavone, welcher eben sein Pferd besteigen wollte, zog den Fuß zurück und schaute sich überrascht nach ihm um.

»Wie kommst du zu solcher Frage, Bursche?«

»Ei, Ihr nanntet soeben Bisaccia und ich kannte im Palast Cantonelli einen Studenten von dort, Namens Signor Pasquale Rapo. Es war derselbe unverschämte Patron, welcher meinen armen Herrn so meuchlerisch bei Pompeji niederstieß und dann davongaloppierte. Es kam mir just so vor, als müsse er Euch dorthin bestellt haben!«

»Du bist ein kluger Bursche, Corso!«, rief der Räuber, sich rasch in den Sattel schwingend, »nur lass mir den Signor Rapo aus dem Spiel, sonst könnten deine Tage leicht gezählt sein. Beppo, nimm den Tedesco auf dein Pferd, und dann vorwärts.«

Es waren nur drei Pferde vorhanden. Beppo hatte sich aufgeschwungen, Corso nahm hinter ihm Platz und fort ging es, wie die wilde Jagd.

 

*

 

Verlassen wir ihn und kehren einen Augenblick nach Pompeji zurück, wo der alte Baron Waldau unter den verschiedenartigsten Gefühlen seinen treuen Georg den Räuberhänden überlassen hatte.

Der alte Herr hatte alles in atemloser Angst beobachtet und wollte bereits das Geld opfern, um Georg zu retten, als er sich noch rechtzeitig besann, und indem er dessen Kaltblütigkeit und Mut in Betracht zog, es für geraten hielt, ihn mit den Räubern ziehen zu lassen; wusste er ihn dann doch in Leonhardts Nähe. Vielleicht war dieser sogar so glücklich, von seiner Hand gepflegt zu werden.

Der alte Herr segnete den treuen Burschen und sprach ein stilles Gebet für ihn und seinen Sohn.

Dann bestieg er den kleinen Wagen und machte sich auf den Rückweg. Es war bereits heller Morgen, als er vor dem Hotel ankam. Der Wirt kam ihm unter Komplimenten entgegen und schleppte selber den schweren Geldkoffer in das Zimmer des Barons.

»Haben Ew. Gnaden kein Glück gehabt?«, fragte er, »vielleicht gar Ihren Diener verloren?«

Der Baron nickte und blickte sich nach Agnes-Fidelio um.

»Schläft mein Sohn?«, fragte er unruhig.

Der Wirt war in großer Verlegenheit. Er hustete einige Male, rieb sich die Hände und erzählte endlich unter Beteuerungen seiner Unschuld, was sich gestern Abend zugetragen habe.

Der Baron stand eine Weile wie geistesabwesend vor sich hinstarrend, dann ergriff er seinen Hut, murmelte einige Worte wie zum Abschied und verließ eilig das Hotel.

Der Wirt schaute ihm eine Zeit lang aus dem Fenster nach, schüttelte den Kopf und liebäugelte einige Augenblicke mit dem Geldkoffer, worauf er das Zimmer vorsichtig verschloss und den Schlüssel in die eigene Tasche steckte, als vertraue er denselben niemand anders an.

In eilfertiger Hast rannte der Baron der Toledostraße zu, wo, wie er von Georg wusste, sich der Palast Cantonelli befand.

Der Palast schien wie ausgestorben. Endlich öffnete Marco ein Fenster und fragte mürrisch nach dem Begehr des Fremden.

»Führe mich zu deiner Herrschaft!«, fuhr Waldau ihn barsch an.

»Hat sich was zu führen, Signor!«, antwortete Marco grob, »so früh am Morgen ist keine vornehme Herrschaft zu sprechen, und hier erst recht nicht, weil alles ausgeflogen ist.«

»Verreist?«, fragte der Baron. Das Blut stockte ihm am Herzen.

»Versteht sich, verreist in dieser letzten Nacht. Alle, bis auf einige Diener.«

Marco wollte dem alten Mann das Fenster vor der Nase zuschlagen, als ihm dieser die Hand festhielt und sie herzlich drückte. Verstohlen öffnete Marco dieselbe und erblickte ein Goldstück darin. Das machte unseren guten Marco im Handumdrehen freundlich und gefällig.

»Ei, mein teurer Signor!«, sagte er, »könnte ich Ihnen sonst noch dienen?«

»Ja, mein Freund, das könnt Ihr! Habt Ihr gestern Abend nicht einen jungen Deutschen hier im Palast gesehen?«

»O, gewiss, den Bruder des Signor Leonardi. Ich habe ihn selber aus dem Hotel holen müssen, habe ihn genug gewarnt, sich in Acht zu nehmen, aber es hat nichts geholfen. Der alte Marchese«, fuhr er flüsternd fort, »ist urplötzlich toll geworden und schrie immer nach dem Signor Leonardi, den er seinen Sohn nannte. Da sandte mich Signorina Marchesa zum Hotel, um den Signor zu holen. Er war unter die Briganten geraten, Madonna mag ihm beistehen. Anstatt seiner traf ich den Bruder, und der ging auf meine Bitte mit. Hätte er es mir nur abgeschlagen. Nachher, besonders als ich sah, wie sie ihn, halb mit Gewalt, halb mit Überredung fortschleppten, hat es mich gereut. Ach, Signor, die sind alle verloren; ich weiß, was ich weiß!«

Den alten Herrn machte diese konfuse Erzählung wirr. Er schüttelte den Kopf und sagte: »Es sind meine Kinder, ich habe sie nun beide verloren. Alles, alles hat dieser Verfluchte mir geraubt!«

»Heilige Mutter Gottes! Sie sind der Vater des Signor Leonardi?«

Der Baron nickte.

»Sie waren hin, um den Räubern die Lösesumme zu zahlen«, fuhr Marco eifrig fort, »und haben den Sohn nicht bekommen?«

»Nein, er liegt krank darnieder, sie nahmen meinen treuen Georg auch mit.«

»Den guten Corso? Ja, ja, ihm war auch nicht zu raten, war immer klüger als andere, die es doch besser kennen. Hören Sie, mein teurer Signor! Ich könnte Ihnen wohl mit gutem Rat an die Hand gehen, wenn Sie ihn nur annehmen wollen. Die Tedescos sind darin so hartnäckig.«

»Ach, mein Freund! Ich bin so trostlos, dass ich jeden Rat dankbar annehmen werde, weiß ich nur, wo ich meine Kinder wiederfinde.«

»Dann gehen Sie nun ruhig nach Hause, Signor!«, flüsterte Marco, »hier darf ich nichts sagen. Ich komme in einer Stunde zu Ihnen. Bei der Heiligen Jungfrau sei es geschworen, ich meine es ehrlich mit Ihnen, Signor, und will Ihnen guten Rat geben. Es gibt Menschen, die ich hasse, und denen ich ihr fürchterliches Handwerk gern legen möchte, wenn ich nur erst sicheren Grund unter den Füßen fühlte. Madonna sei mit Ihnen, Signor, und gebe Ihnen Hoffnung und Freude.«

Er machte leise das Fenster zu, und traurig schritt der Baron von dannen.