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Die Riffpiraten – Kapitel 14

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 14

Die Händlerin

In das Haus des Herrn Morlet trat eine bürgerlich gekleidete Frau. Sie trug ein Kleid aus schwarzem Merino und ein rotkariertes Tuch.

Ihren Kopf schmückte ein zierliches weißes Häubchen mit himmelblauem Band. An ihrem linken Arm hing ein rundes Körbchen und in der rechten Hand trug sie einen baumwollenen Regenschirm. Ihre Bewegung war jugendlich und etwas affektiert, ihr Wesen überhaupt kokett, obwohl sie eigentlich nicht mehr jung genannt zu werden verdiente. Sie war jedenfalls in ihrer Jugend schön gewesen, denn sie trug noch einige Spuren davon; insbesondere hatten ihr Kopf im Allgemeinen und ihre Stirn eine schöne Form, welche Letztere eine feine Narbe aufwies, die von der Nase in gerader Linie aufwärts lief und die Folge einer Operation zu sein schien. Ihr starkes blondes Haar war durch einen Scheitel geteilt und zeigte eine sorgfältige Ordnung. Die schöne Form ihres Mundes war jedenfalls die der ersten Jugend. Ihre Augen dagegen waren trüb und die Augenlider etwas gerötet und ohne Wimpern.

Nachdem diese Frau auf einer Matte aus Bambusrohr ihre Fußbekleidung sorglich gereinigt hatte, trat sie an das Portierfenster des Herrn Morlet und fragte:  »Ist der Herr Doktor Simon anwesend?«

Die unbekannte Frau ging nach diesen Worten in den Delikatessenladen.

Die lahme Wirtschafterin Morlets hinkte herbei und antwortete: »Sie meinen den Mieter im ersten Stock? Ja, der Herr Doktor ist zu Hause. Ah, nun erkenne ich Sie erst. Ich habe Sie lange nicht gesehen.«

»Ich komme nicht oft in dieses Viertel«, entgegnete die Fremde, »weil ich meine meiste Kundschaft in dem entgegengesetzten Stadtteil habe. Bedürfen Sie nicht schöner Teintseife? Hier ist auch ein ausgezeichnetes Haaröl, welches Ihr Haar sehr konservieren wird, meine Gute.«

Die kleine Lahme strich unwillkürlich durch ihre alte ausgebleichte Perücke und sagte zu der unbekannten Frau, die ihren Korb öffnete, wodurch sofort die Luft mit Wohlgerüchen geschwängert wurde: »Ich möchte es wohl wagen, wenn die Preise nicht zu hoch sind.«

»Ein Fläschchen dieses Öls«, entgegnete die Frau, »verkaufe ich Ihnen mit Rücksicht auf unsere lange Bekanntschaft für einen Peseta. Ein ausgezeichnetes Öl; ich gebrauche selbst davon.«

»Befördert es auch den Haarwuchs?«, fragte die Lahme.

»Gewiss!«, rief die Frau. »Es färbt die grauen Haare schwarz, blond oder braun, wie sie ursprünglich gewesen sind, verleiht ihnen das kräftige gesunde Ansehen wieder und, was die Hauptsache ist, treibt auf bewundernswürdige Weise Haare aus dem Schädel hervor, wenn dieser auch so glatt ist wie meine Hand.«

»Das ist wahrhaftig ein treffliches Mittel, ein wahres Juwel für meinen armen Herrn«, sagte die Lahme und deutete mit der Hand auf den Delikatessenhändler.

Derselbe saß auf einem Stuhl, hatte die Hände über seine wattierte Leibbinde gefaltet und sah die fremde Frau mit einem wehmütigen Blick an. Seine Miene verzog sich zu dem bereits bekannten Bocksgesicht. Er sagte:  »Ach, liebe Frau, hätten Sie ein Mittel gegen meine Verspottung in Ihrem Korb, ich wüsste nicht, was ich dafür zahlen könnte. Sie wissen nicht, was ich wegen meines kahlen Kopfes zu leiden habe.«

»Auf meine Ehre!«, sagte die Händlerin. »Aber Sie müssen wenigstens zehn Flaschen mit einem Mal nehmen und streng nach Vorschrift gebrauchen.«

»Meinetwegen so viel Flaschen, wie Sie wollen«, meinte der Delikatessenhändler, »wenn mir nur geholfen wird. Nehmen Sie, Litta, nehmen Sie!«

Die Frau mit dem Korb packte ihren ganzen Vorrat aus. Litta reduzierte in Gedanken mit aller Umsicht einer guten Haushälterin die angegebene Zahl der Ölflaschen um die Hälfte und sagte: »Vorläufig wird mein Herr fünf Fläschchen kaufen und für die Folge wissen wir Sie immer zu finden, meine Liebe.«

»Meine liebe, gute Frau«, sagte hierauf Herr Morlet, »wie wird dieser Wunderbalsam angewendet?«

»Ganz einfach«, antwortete die Händlerin.

Sie öffnete bei diesen Worten eine der Ölflaschen, schob dem Delikatessenhändler mit einem Erlauben Sie die Mütze vom Kopf und goss nun den ganzen Wunderinhalt der Flasche auf die Glatze des Herrn Morlet. Dann streifte sie die Ärmel ihres Kleides auf, zog die Handschuhe von den Händen und begann die Glatze durch ein anhaltendes Reiben zu erhitzen.

Natürlich ging diese Anwendung des gepriesenen Öls nicht vor sich, ohne dass der arme Morlet zuweilen heftig stöhnte. Doch endlich hatte er es überwunden und Litta bezahlte die fünf Flaschen mit einem Coronilla, wonach die Händlerin sich ungesäumt entfernte.

Dieselbe nannte sich Frau Mercurian und lag vielfachen Beschäftigungen ob. Einmal betrieb sie das Geschäft einer Händlerin, die von Haus zu Haus geht und ihre Waren feilbietet, wobei sie natürlich mit allen Klassen der Bevölkerung in Berührung kam. Zweitens war sie eine Kupplerin. Sie besorgte Liebesbriefe der vornehmen Welt, die sie denjenigen Personen zusteckte und heimlich in die Hände spielte, die solche nicht öffentlich empfangen durften. Für Aufträge dieser Art ließ sie sich gut bezahlen, und da sie nicht plauderte, so hatte sie allmählich einen ihrem Geschäft vorteilhaften Ruf erlangt. Sodann war sie weiblichen Personen auf eine besondere Art gefällig. Da sie die Strafe kannte, welche auf Verbrechen stand, die sich nicht näher bezeichnen lassen, so spielte sie meistens nur die Rolle der Abgeordneten einer dritten Person, von der die unglücklichen Opfer sichere Hilfe zu erwarten hätten, bestellte sie zur Abendzeit an einen entlegenen Ort. dort erschien nun Frau Mercurian selbst in der Eigenschaft der angeblich Hilfeleistenden, indem sie sich durch einen anderen Anzug vollständig entstellte und durch einen fremdländischen Dialekt, den sie sehr geschickt nachzuahmen verstand, ihre Sprache veränderte. Hier gab sie dann ihre Anweisung und ihre Mittel an die unglücklichen Verblendeten, je nach dem Stand, für ungeheuren Preis weg.

Dieser Betrieb war für sie der ergiebigste. Endlich befasste sie sich mit jeder illegalen Handlung, aus einem angeborenen Hang, sich gegen die gute Ordnung aufzulehnen. Somit war sie der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber ein höchst gefährliches und durch ihre große Schlauheit ein vom Arm des Gesetzes fast unerreichbares Ungeheuer.