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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Neuntes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Neuntes Kapitel

Ahnungen

Es war in der nächsten Mitternacht, genau wie Michel Rapo es seiner Schwester mitgeteilt hatte, als der Räuber Carlo Schiavone mit seinem Gefangenen allein das Haus des Pfarrers Rapo und die Stadt verließ.

Leonhardt saß auf einem niedrigen Wagen, vor welchen ein Esel gespannt war. Seine Augen waren mit einer schwarzen Binde verdeckt und ein leinenes Laken schloss ihn von der Außenwelt ab.

Der junge Mann fühlte sich matt und erschöpft zum Sterben. Er sah und hörte nichts, was um ihn her vorging. Das Haupt wie ein Sterbender zurückgelehnt, stöhnte er leise mit zusammengebissenen Zähnen bei den harten Stößen des Wagens. Seine Wunde, welche nur notdürftig verbunden worden war, schmerzte ihn so grässlich, dass er sich in jeder Minute den Tod herbei wünschte.

Schiavone ging neben dem Wagen her, gekleidet wie ein Karrenführer. Er sang, pfiff, knallte lustig mit der Peitsche und schimpfte dann auf den langsamen Esel, der zuweilen störrisch stehen blieb.

Wohin es nun ging, wusste der arme Gefangene nicht, er mochte auch nicht darüber nachdenken, war ihm doch alles gleichgültig auf Erden seit jener furchtbaren Stunde, als der Marchese ihm das Schicksal seiner Mutter erzählt und er den eigenen Vater im Herzen hatte verfluchen müssen.

»Ein Bastard, dessen Mutter auf dem Schafott endete!« So tönte es unaufhörlich in seiner Seele wider. »Ein Unseliger, der den eigenen Vater verfluchen muss!«

Dazwischen grinste das Bild des Studenten von Bisaccia, wie die schönen Züge der Signorina Cantonelli, hohnlachend in die furchtbaren Gedanken hinein.

Wo befand er sich eigentlich?

Er wusste es nicht, konnte es nicht wissen, da er fortwährend von halber Ohnmacht umfangen gewesen war. Den folgenden Tag hatten die Räuber mit ihm in einer Schenke zugebracht, und dann war er zur nächtlichen Stunde mit verbundenen Augen nach Bisaccia gebracht worden.

Die liebevolle Pflege und freundliche Zusprache des einen Räubers, es war Filomena, hatten ihn aufrecht erhalten. Dann war er in einen finsteren Keller gesperrt worden. Man schien ihn vergessen zu haben, bis jener junge Räuber wieder erschien und ihm ein besseres Los verkündete.

Besseres Los! Leonhardt lächelte matt. Er wollte nur sterben. Warum hatte man ihn nicht verbluten lassen, warum ihn zu einem qualvollen Leben erwecken?

Er mochte nicht mehr leben. Mit dem schrecklichsten Fluch des Daseins, welcher dem Säugling schon sein Brandmal aufgedrückt hatte, war ihm die Lust verhasst, welche so viel Unglück atmete.

Und Arabella? Er dachte nur mit Grauen an sie, und die Prophezeiung der Zigeunerin. »Von Italien kommt all dein Verderben!«, grub sich mit gierigen Krallen zerfleischend in sein Herz.

In diesem Augenblick hatte er nur eine Hoffnung: den Tod! Er hoffte, dies sei sein letzter Weg.

Da scholl plötzlich Pferdegetrappel an sein Ohr, ein eigentümliches, ganz merkwürdiges Gefühl schien ihn zu beleben. War es die neu erwachende Lebenslust?

»Halt!«, donnerte eine kräftige Stimme. Und gleich darauf hielt der Karren mit einem kurzen Ruck still.

»Wohin des Weges, Kärrner, was birgt dein Karren? Steh Rede, ich bin Offizier der Nationalgarde und berechtigt, dein Fuhrwerk zu untersuchen.«

Den Gefangenen durchzuckte es wie ein elektrischer Schlag. Er streifte mit den Händen die Binde von den Augen und stöhnte dann mit matter Stimme: »Hilfe, rettet mich!«

»Es ist mein kranker Bruder, Signor!«, versetzte Schiavone ängstlich, »ich bringe ihn nach Hause.«

»Ist das wahr, Kranker?«, fragte der Reiter.

»Nein, nein«, stöhnte Leonhardt, »ich bin in Räuberhänden, rettet mich, man hat mich auf den Tod verwundet!«

»Ah, Hund von einem Briganten! Haben wir endlich einen erwischt«, schrie Michel Rapo, sein Pferd auf ihn spornend.

Schiavone riss sein Terzerol aus dem Gürtel und feuerte einen blinden Schuss in die Luft, worauf er mit einem mächtigen Satz zur Seite sprang und in einem Wäldchen verschwunden war.

Michel Rapo zeigte anfangs Lust, ihm nachzusetzen. Da jedoch keiner der beiden ihn begleitenden Diener Miene machte, seinem Beispiel zu folgen, so machte er rasch am Rand des Wäldchens kehrt und ließ den Karren von einem der Diener zu der in der Nähe gelegenen Villa treiben.

Hier wurde der Gefangene vorsichtig herausgehoben und in einem Pavillon gebracht, der oft schon zum Aufenthalt von Fremden gedient hatte und alles enthielt, was zur Bequemlichkeit irgend nötig war.

Leonhardt sank auf dem weichen Lager gar bald in einen sanften Schlaf, und diesmal schienen holde Engel seinen Schlummer zu bewachen und seine Träume mit lieblichen Gestalten der deutschen Heimat anzufüllen. Er sah sie alle, den guten Baron und seinen ehrlichen Georg, den Inspektor mit der ernsten Miene und die alte Doris mit ihren Karten. Auch die kleine Agnes lächelte ihn im Traum an und er versuchte es, alle Grüße von Georg, welche er bisher ganz vergessen hatte, an sie zu bestellen.

Er erwachte und schaute, von den lieblichen Traumbildern umfangen, verwundert umher. Wo befand er sich denn? Das war nicht daheim in der deutschen Heimat, auf dem schönen, stillen Waldau!

Eine Lampe in milchweißer Ampel brannte matt in der Mitte des kleinen Zimmers und erhellte dasselbe mit magischer Beleuchtung.

Er erinnerte sich nun seiner Erlebnisse und zum ersten Mal seit der Stunde bei den Ruinen von Pompeji genoss er das Gefühl der Freiheit und einer Art von Wohlbehagen, das selbst der brennende Schmerz seiner Wunde ihm nicht zu rauben vermochte.

Alle furchtbaren Eindrücke der letzten Tage erschienen ihm in diesem Augenblick wie ein Traum, der immer weiter zurückwich, um der Erinnerung an seine geliebte deutsche Heimat Raum zu geben. Hatte der Baron nicht wie ein zärtlicher Vater an ihm gehandelt? War es nicht seine Pflicht, ihm diese Liebe durch aufopfernde Dankbarkeit und Gegenliebe zu vergelten?

Mit Scham und tiefer, inniger Reue gedachte er der Bitte des Barons, nicht nach Italien zu gehen. Er hatte es für Tyrannei, für eigensinnigen Aberglauben vonseiten des alten Herrn gehalten und war seiner Sehnsucht, das gelobte Land der ewigen Jugend und Schönheit zu sehen, trotzig gefolgt, um, wie er vorgeschützt hatte, die Prophezeiung zu Schanden zu machen.

Und dann hatte er, von blinder Leidenschaft erfüllt, welche ihn zum willenlosen Sklaven gemacht, zum zweiten Mal das Land betreten, um die Prophezeiung der alten Zigeunerin in ihrem vollen Umfang an sich in Erfüllung gegangen zu sehen.

Er schloss die Augen, um aufs Neue von der Heimat zu träumen. Da war es ihm, als rausche es rings umher. Die Ampel erlosch, ein Vorhang öffnete sich wie von geheimnisvoll unsichtbarer Hand und das rosige Licht des ersten Tages brach mild durch schützendes Grün, das ein geöffnetes Fenster umrankte, und ließ den Blick über eine entzückende Landschaft hinaus schweifen.

Leonhardts Augen starrten träumerisch, wie in einem magischen Zauber befangen hinaus. Er fühlte sich so leicht, so selig-froh, dass er hätte sich mit dem neckischen Sonnenstrahl, der dort mit dem zitternden Laub koste, sich hinausschwingen mögen zur ewigen Sonne.

Nun rauschte es wieder, wie von seidenen Gewändern. Eine Gestalt trat an sein Bett, vor welcher er, betäubt und verwirrt, ja geblendet wie von einer überirdischen Erscheinung, die Augen wieder schloss.

War es eine himmlische Fee, welche sich ihm nahte, um die brennende Wunde mit ihren zarten Fingerspitzen zu kühlen oder lag er in Fieberträumen, welche ihm diese Bilder hervorzauberten.

Er schlug langsam die Augen wieder auf und schaute noch immer auf die wunderbar schöne Fee, welche ihn so mitleidig mild, so freundlich tröstend anschaute.

»Sie haben sanft geschlafen, Signor!«, sprach sie dann mit einer Stimme, welche ihm wie Musik in die Ohren klang. »Schmerzt Ihre Wunde sehr? Wir haben bereits zu einem Arzt gesandt.«

»Ja, ich habe sanft, als hätte man mich in des Himmels Schoß gebettet, geschlafen«, versetzte Leonhardt mit Anstrengung. »Ich habe von der Heimat geträumt und schaue beim Erwachen ein noch schöneres, lieblicheres Bild, eine Fee, so märchenhaft und wunderbar, wie die Fantasie sie sich nicht herrlicher schaffen kann. Ach«, schloss er mit einem Seufzer, »Italien ist das Land der Wunder, aber auch der Täuschungen, und so fürchte ich, wird auch dieses Bild wie ein kurzer, lieblicher Traum zerrinnen.«

»O, nicht doch, Signor!«, versetzte die Fee Seraphine mit ihrem verführerischsten Lächeln, »Sie sollen recht bald in unserem lieblichen Tal das Fest der eigenen Auferstehung feiern, hat doch Madonna Sie so gnädig aus Räuberhänden errettet. So vertrauen Sie der Herrlichen, sie wird durch meine schwache Pflege auch Ihre Wunde bald heilen. Sie sind ein Deutscher?«

»Ja, Signorina, der Norden Deutschlands ist meine Heimat.«

»Und sehnen Sie sich dorthin zurück?«

»Ich tat es, schöne Fee, in Ihrer Nähe fühle ich nur die eine Sehnsucht, Sie immer anschauen zu dürfen.«

Aus Seraphines schwarzen Augen schoss ein versengender Strahl der Liebe und des Verlangens auf den schönen Kranken mit dem bleichen, von den schönsten blonden Locken umrahmten Antlitz, dass dieser erschrak, wie von einem elektrischen Strom getroffen.

»Wie darf ich Sie nennen, Signor?«, fragte sie nach einer kleinen Pause, in welcher sie ihn unverwandt angeschaut.

»Leonhardt, und wie nenne ich dich, holde Fee?«

»Seraphine!«

»Ein Name, der an den Sphärengesang der Engel erinnert«, rief der junge Mann erregt. »Seraphine, das tönt wie Musik.«

»Sie sind ein Schmeichler, Signor Leonhardt!«, sprach Seraphine lächelnd, »ich glaubte nicht, dass im Norden, wo die Eisregionen jede Blüte des Lebens im Keim schon ersticken, diese Schmarotzerpflanze gedeihen könnte. Sie wuchert am Ende unter Eis und Schnee, ja jenseits der Pole fort.«

»Dem echten Deutschen ist jede Schmeichelei verhasst, weil sie der Lüge entstammt«, versetzte Leonhardt ernst, »er huldigt nur der Wahrheit, dieser Mutter aller Tugenden auf Erden.«

Seraphine nickte lächelnd. Hätte sie überhaupt noch erröten können, ihr Antlitz wäre bei diesen Worten des Kranken in Glut der Scham getaucht worden, doch das Erröten ist ein Durchbruch der Wahrheit und in ihr war nichts als Lüge und Verrat.

»Sie dürfen jetzt nicht mehr reden«, sprach sie, seine Hand leicht mit ihren zarten Fingern berührend. Er hielt die schlanken Finger fest und drückte sie wiederholt an seine Lippen.

»O, bleibe, süße Fee«, bat er leise, »ich will ruhig sein wie ein krankes Kind, das ins Antlitz der Mutter schaut. Es tut mir so wohl, dich immer anzuschauen.«

Seraphine schüttelte lächelnd das Haupt und sprach: »Sie dürfen sich nicht so viel aufregen. Ihre Wunde wird dadurch nur noch verschlimmert, Signor. Wollen Sie jetzt ruhig und still sein, dann können Sie in acht Tagen schon das Bett verlassen und mir von Ihrer nordischen Heimat erzählen.«

»Nur ein Wort noch, Signorina«, bat Leonhardt, der nun die Schmerzen der Wunde peinlich empfand, »bitte, sagen Sie mir, wer war der Mann, der mich rettete?«

»Mein Bruder!«

»Und wie nenne ich meinen Retter?«

»Leutnant Michel Rapo.«

Leonhardt fuhr zusammen, als hätte ihn der Biss einer Schlange getroffen. Er war noch bleicher geworden und schloss die Augen, um den Eindruck dieses verhassten Namens zu überwinden.

»Ist Ihnen der Name bekannt, Signor Leonhardt?«, fragte Seraphine mit einem stechenden Blick.

»Ich kannte einen Studenten dieses Namens in Neapel«, versetzte Leonhardt langsam und mit matter Stimme.

»Ah, mein Bruder Pasquale!«

»Richtig, Signor Pasquale Rapo aus Bisaccia«, sagte Leonhardt leise, sie groß anschauend, »Ihr Bruder, Signorina, schlug mir diese Wunde.«

»Jesus Maria! Der Raufbold?«, rief Seraphine mit künstlichem Erschrecken, »ja, Signor, unsere Studenten sind ziemlich wüste Gesellen, welche selbst den Dolch des Banditen zu führen verstehen, Raufbolde von Profession. Wie segne ich Madonna, dass sie die Rettung durch meinen teuren Bruder Michel zugab und mir die Aufgabe erteilte, Sie zu pflegen. Wir werden die Wunde, welche Pasquale geschlagen hat, zu heilen wissen, mein teurer Signor!«

Mit einem flammenden Blick auf den bleichen Leonhardt verließ sie das Zimmer.

Dieser lag eine Zeitlang unbeweglich mit geschlossenen Augen, als sei alles Leben aus ihm gewichen.

Der Name Rapo hatte wie ein zündender Blitzstrahl ale seine lieblichen Träume vernichtet und die befreite Brust aufs Neue mit einem furchtbaren Alp belastet.

Der unheimliche Verdacht, dass jener Student aus Bisaccia mit den Räubern von Neapel im Einverständnis gehandelt, hatte bei den Ruinen von Pompeji eine düstere Bestätigung erhalten, da er in dem Räuber von Pompeji mit scharfem Blick auf der Stelle den von Neapel wiedererkannt hatte.

Und nun war er hier im Haus der Familie Rapo! Was hatte das alles zu bedeuten? Durfte er auf seinen Retter einen so unwürdigen Verdacht werfen?

Der arme Leonhardt seufzte und stöhnte vor körperlichem Schmerz und geistiger Unruhe. Was ihm vor wenigen Augenblicken noch wie ein reizender Märchentraum erschienen war, aus welchem er niemals hätte erwachen mögen, hatte nun nach der Nennung eines verhängnisvollen Namens eine unheimlich düstere Physiognomie angenommen.

Er zermarterte sich das Gehirn, um aus allem Erlebten einen logischen Schluss ziehen zu können.

Zuerst die rasche, wunderbare Rettung der Marchesa durch den Studenten aus Bisaccia. Die Geschichte war nicht richtig, die Räuber waren keine Memmen und dazu gut bewaffnet gewesen. Sodann Marcos Erzittern bei des Studenten Anblick; der geheimnisvolle Zettel mit dem Rendezvous bei Pompeji, das so blutig für ihn verlaufen sollte.

Dies alles zusammen genommen waren hinreichend motivierte Momente des Misstrauens, um seinen Verdacht hinsichtlich des fremden, vorlauten Gastes im Palast Cantonelli zu rechtfertigen.

Nun trat noch der beschwerende Umstand hinzu, dass sich zur selben Stunde die Räuber bei Pompeji eingefunden hatten, um ihre Beute in Empfang zu nehmen und ihm vielleicht den Gnadenstoß zu geben.

Wie Schwerter zuckten diese Gedanken durch sein fieberheißes Gehirn und drohten ihn zu töten. Wenn er die Augen schloss, um einzuschlummern, wurde es noch viel ärger. Von allen Seiten drangen Banditendolche auf ihn ein, und die holde Fee Seraphine verwandelte sich in eine zischende Natter.

Gewaltsam hielt er die Augen offen, um der Fieberfantasien Herr zu werden und ruhigere Gedanken zu fassen.

Plötzlich drang es wie ein blendendes Licht in sein Gehirn. Mit männlicher Kraft und fast übermenschlicher Anstrengung beherrschte er die widerspenstigen Gedanken, welche wie tanzende Irrlichter dem Gehirn entflattern wollten und die sich dann in unzählige Teufelsfratzen verwandelten.

Es gelang ihm, die unheimlich herannahenden Gesellen des Fiebers zu bannen; bezwingt doch die Willenskraft des Sterblichen oft momentan selbst den Tod.

Und wieder dachte er nach, um seine Lage zu prüfen. Das blendende Licht von vorhin, eine helle Erinnerung, gaben ihm einen entsetzlichen Anhaltspunkt.

Er erinnerte sich nämlich, bei seiner Ankunft in Bisaccia, als man ihn zuerst in einen feuchten Keller gebracht hatte, von Filomena mit den Worten getröstet zu sein: »Sei ruhig, schöner Tedesco, du wirst jetzt ein besseres Los erhalten.«

Hatte er geschlafen, als dumpfe Stimmen in jenem feuchten Keller an sein Ohr geschlagen und der Name Rapo vernehmlich zu ihm gedrungen war?

Gestern hatte er diese Stimmen für einen bösen Traum gehalten, für ein höhnendes Necken seiner Fantasie, das ihm überall den Namen Rapo zuzuflüstern schien, Cantonelli und Rapo, der Inbegriff all seines Unglücks, welches in dem einen Wort Italien zusammenfiel.

In dieser Stunde, wo aufs Neue der verhasste Name Rapo an sein Ohr schlug, war er sich voll Entsetzen bewusst, dass jene Stimmen keine Sinnestäuschung gewesen.

Warum fuhr Schiavone allein auf einem Karren mit ihm fort? Wohin wollte er ihn bringen? Und warum wählte er den Weg zum Haus der Rapos?

Diese Fragen wusste er sich nur mit der einen Erklärung zu beantworten, dass auch hier ein vollständiges Einverständnis geherrscht hatte wie am Golf von Neapel und bei Pompeji. Weshalb hätten ihn die Räuber sonst gerade nach Bisaccia gebracht?

Und wieder musste er seine ganze Willenskraft aufbieten, um nicht ob dieser gewaltigen Aufregung vom Fieber beherrscht zu werden und seine Gedanken zu verwirren. Sah er doch sehr wohl ein, dass er seine ganze Kaltblütigkeit und Energie werde nötig haben, um aus dieser Höhle zu entkommen und noch einmal die geliebte Heimat wiederzusehen.

»Ei, ein zweiter kluger Rapo!«, murmelte er, »der genau zu jener Stunde in die Nacht hinaufreitet, um mich aus Räuberhänden zu befreien und meinen Dank zu ernten.«

So weit war Leonhardt nun mit sich und seiner Umgebung durch die Folgerungen seiner Erlebnisse im Klaren. Nun handelte es sich noch um die eine Frage: Was bezwecken die Rapos mit deinem Hiersein? Warum haben sie dich als Pasquales Nebenbuhler durch die Räuber nicht töten lassen?«

Die Lust zum Leben war durch den Traum der Heimat aufs Neue entflammt worden. Er beschloss nun, ruhig zu sein, um die Heilung seiner Wunde zu fördern, und zugleich gegen Seraphine auf der Hut zu sein, um nicht zum zweiten Mal an eine schlimmere Zauberin seinen Frieden zu verschleudern und sich für wenige Stunden Genuss ein langes Leben voll Reue einzukaufen.

Er wollte schlafen, als die Tür leise geöffnet wurde und zwei Herren eintraten, welche geräuschlos auf sein Bett zuschritten.

»Ah, guten Morgen, mein werter Signor! Gut geschlafen?«, rief Michel Rapo, seine Hand ergreifend. »Hier bringe ich Ihnen den Arzt, unser Haus ist augenblicklich ein Lazarett Verwundeter geworden, ein schlimmes Zeichen öffentlicher Sicherheit. Das Raubgesindel wird tagtäglich frecher. Haben sie doch meinen wackeren Freund, den Major unserer Garnison, auf offener Landstraße ebenfalls gefährlich verwundet. Und auch hier war mir der Zufall hold, ihn zu finden und in meinem Haus zu pflegen. Meine teure Schwester Seraphine übt sich im Amt der barmherzigen Schwestern, nicht wahr, Signor Dottore?«

»So ist es, Signor Rapo, sie ist tatsächlich zur barmherzigen Schwester von Madonna selber geschaffen«, gab der Arzt lächelnd von sich. »Erlauben Sie, Signor, dass ich Ihre Wunde untersuche. Ja, Signorina Seraphine ist dazu geschaffen, schön wie ein Engel, sanft wie ein Täubchen, ah, ein schöner Degenstich, glatt in die Brust hinein, aber ziemlich tief, wenn er nur nicht die Lunge verletzt hat.«

»Nein«, sagte Leonhardt, »ich spreche ohne Schmerz und Anstrengung.«

»Sehr gut«, fuhr der Arzt, die Wunde vorsichtig untersuchend fort, »bitte, Signor, jenen Vorhang auf die Seite, damit ich volles Licht bekomme.«

Er untersuchte mit großer chirurgischer Kenntnis die Wunde und erklärte dann mit Bestimmtheit: »Die Wunde ist nicht gefährlich, hätte Ihnen aber bei der Vernachlässigung doch das Leben kosten können, Signor! Keine Aufregung, wenn ich bitten darf, ruhig sein, viel schlafen, und die Geschichte ist bald wieder gut. Es sind keine edleren Teile verletzt.«

Als Leonhardt verbunden war und beiden Herren gedankt hatte, erschien Seraphine mit Erfrischungen für den Kranken.

Dieser vermied es so viel wie möglich, die Zauberin anzuschauen. Er fühlte es, innerlich seufzend, dass er seine ganze sittliche Kraft nötig haben werde, diesem schönen, verführerischen Weib zu widerstehen. Schützte ihn doch nun kein anderes Bild einer treuen Liebe, nichts als das Andenken seiner unglücklichen Mutter und die Bitte des alten Barons, seines edlen Pflegevaters.

Seraphine verließ ihn bald, als sie seine Müdigkeit bemerkt und das strenge Gebot des Arztes, für Ruhe zu sorgen und ihn nicht unnötig reden zu lassen, vernommen hatte.

In dem dämonischen Herzen dieses Weibes hatte Leonhardt eine wahnsinnige Liebe entflammt, ihn besitzen oder töten, war das Losungswort für sie geworden.

Arabella della Cantonelli war bereits ein Gegenstand ihres Hasses, weil er sie geliebt und wahrscheinlich, wie sie wähnte, noch liebte. Hatte er sich doch ihretwegen mit ihrem Bruder Pasquale geschlagen, und sollte sie nun schon vergessen haben?

Jedoch traute sie ihrer Schönheit und Unwiderstehlichkeit so viel Macht zu, sein Herz zu fesseln, wovon ihr erstes Debüt schon ein glänzendes Resultat geliefert hatte.

Sie konnte sich indessen nicht verhehlen, dass nach der Nennung ihres Namens eine seltsame Veränderung mit dem schönen Kranken vorgegangen sei und ihre Verwandtschaft mit Pasquale Rapo seiner aufflammenden Begeisterung bedeutenden Abbruch getan hatte.

Sie zürnte auf sich selber, so voreilig gewesen zu sein, obwohl sie die wirkliche Ursache seines Erschreckens hinsichtlich der unbestimmten Ahnung des Einverständnisses sicherlich nicht erkannt hatte.