Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 3

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Drittes Kapitel

Die französische Wirtstafel

Die bestimmte Frist des Monats lief ab und Madame Bonaventures Tag der Rechenschaft kam.

Es war in der Zwischenzeit keine Übereinkunft versucht worden, wenn sich gleich zahlreiche Gelegenheiten dazu fanden, da Sir Francis Mitchell die Drei Kraniche fast täglich besuchte. Sie schien die Sache sehr leicht zu nehmen und beseitigte sie immer sogleich, wenn sie erwähnt wurde. Selbst bis zuletzt schien sie ganz unbekümmert, als hege sie keine Besorgnis wegen des Erfolges. Anscheinend ging alles wie gewöhnlich zu und niemand würde an Madame Bonaventures Benehmen erkannt haben, dass sie um die Möglichkeit wisse, dass eine Mine unter ihren Füßen könne gesprengt werden. Vielleicht glaubte sie, eine Gegenmine gemacht zu haben, und fühlte sich deshalb sicher. Ihre Gleichgültigkeit setzte Sir Francis in Verlegenheit, da er nicht wusste, ob er sie der Gefühllosigkeit oder der übergroßen Zuversicht zuschreiben sollte. Er war neugierig zu sehen, wie sie sich benehmen werde, wenn die Krisis komme. Zu diesem Zweck begab er sich an dem bestimmten Tag zur Mittagsstunde in das Gasthaus.

Die Wirtin empfing ihn sehr anmutig, scherzte mit ihm, wie es ihre Gewohnheit war, und zeigte nur Lächeln und Schmeicheleien für ihn und alle Übrigen, als ob nichts geschehen könnte, um ihre Heiterkeit zu stören. Sir Francis war verlegener als je. Mit dem Leichtsinn und der Achtlosigkeit einer Französin musste sie den Anspruch gänzlich vergessen haben. Wie, wenn er wagte, sie daran zu erinnern? Lieber nicht. Die Anwendung musste bald genug kommen. Er war froh, dass es seinem Gefährten und nicht ihm zufiel, gegen eine so reizende Person äußerste Maßregeln anzuwenden. Er konnte es in der Tat nicht tun. Und doch lachte er innerlich, als er an die schreckliche Klemme dachte, in die sie sogleich geraten und wodurch sie völlig in seiner Macht sein werde. Dann musste sie beträchtlich herabgestimmt sein. Und Sir Francis rieb bei dem Gedanken freudig seine verschrumpften Hände. Madame Bonaventure erriet ihrerseits, was in seiner Brust vorging und erfreute sich insgeheim an dem Gedanken, ihn schachmatt zu machen. Mit bezauberndem Lächeln verließ sie ihn, um für ihre zahlreichen Gäste zu sorgen.

Sehr zahlreich waren sie an dem Tag – zahlreicher als gewöhnlich. Sir Francis, der in einem Boot von Westminster kam, wo er wohnte, hatte einige Schwierigkeit, an der Treppe zu landen, da dieselbe ganz von Barken und Jollen belagert war, die alle Gäste Zu den drei Kranichen gebracht hatten. Außer diesen lagen zwei oder drei vergoldete Gondeln am Kai, mit Ruderern in reichen Livreen, die offenbar Personen von hohem Range gehörten.

Die Bänke und kleinen Tische vor dem Gasthaus waren von fremden Kaufleuten und Händlern besetzt, die ihre Geschäfte bei einer Flasche Bordeauxwein besprachen. Andere, die auf ähnliche Weise beschäftigt waren, saßen in den oberen Zimmern an den offenen Fenstern. Jedes Stockwerk ragte so weit über das andere hinaus, dass das alte Gebäude, welches fantastische Giebel und schwerfällige Schornsteine hatte, im Begriff schien, in die Themse hinunterzurollen. Andere Gäste saßen bei ihrem Wein in dem angenehmen kleinen Zimmer über dem Portal, welches beträchtlich über die Tür hinausragte und aus seinen laternenartigen Fenstern eine angenehme Aussicht auf den Fluss gewährte, der an dem heiteren Maitag im Sonnenschein schimmerte, mit Fahrzeugen bedeckt war und sich auf der einen Seite bis Baynard’s Castle erstreckte und auf der anderen zu dem am meisten malerischen Gegenstand, der damals und nun in London zu finden war – zu der alten Brücke mit ihren Türmen, Toren, Gebäuden und engen Bögen, durch welche sich der Strom rasch dahindrängte, und von wo man natürlich einen vollständigen Überblick über das entgegengesetzte Ufer hatte, welches mit der schönen St. Saviour-Kirche, Winchester House, den Spaziergängen, Gärten und Schauspielhäusern begann und mit den schönen Wäldchen endete, welche die Wiesen von Lambeth umgaben. Andere begaben sich zu der gut gehaltenen Kegelbahn auf dem engen Hof hinter dem Haus wo ein Maulbeerbaum stand, der zwei Jahrhunderte älter war als das Gasthaus selber, um sich durch den gesunden Zeitvertreib, der ihnen dort geboten wurde, zu stärken und zugleich eine Pfeife Tabak zu rauchen, der sich, ungeachtet der König so heftig dagegen donnerte, bereits beträchtlich unter dem Volk verbreitet hatte.

Die Mittagstafel fand in dem vorzüglichsten Saal des Hauses statt, der gut genug zu dem Zweck geeignet, hoch und geräumig war und von einem Bogenfenster am oberen Ende erhellt wurde. Über dem hohen zierlich gearbeiteten Kamin befand sich das Wappen der Weinhändlercompagnie mit einem Bacchus darüber. Die Decke war von Gips gemodelt, das Tafelwerk von Eichenholz und an dem Letzteren hingen mehrere Gemälde. Eins von diesen stellte das Blutbad der Bartholomäusnacht und ein anderes den triumphierenden Einzug Heinrich des Vierten in das rebellische Paris dar. Außerdem sah man dort die Porträts des regierenden Monarchen Jakob des Ersten, seines Günstlings des Marquis von Buckingham und des jugendlichen Ludwig des Dreizehnten, Königs von Frankreich. Ein langer Tisch stand gewöhnlich in der Mitte des Saales; aber bei dieser Gelegenheit stand ein erhöhter Queertisch am oberen Ende, der von einem Vorhang teilweise verdeckt wurde und die Gegenwart vornehmer Gäste verkündete. Hier war das Gedeck feiner und die Trinkgeschirre schöner als die auf dem unteren Tisch. Es schien ein großartiges Bankett bevorzustehen. Langhalsige Flaschen waren in Gefäße mit Wasser zum Abkühlen gestellt und die Nebentische mit Flaschen und Gläsern bedeckt. Der Tisch bog sich unter der Menge und Verschiedenheit der Ge richte, die man aufstellte. Außer den gewohnten Kellnern befand sich dort ein Heer von Dienern in reichen und verschiedenartigen Livreen, aber diese warteten ausschließlich ihren Herren an dem erhöhten Tisch hinter dem Vorhang auf.

Als Sir Francis in den Speisesaal geführt wurde, stutzte er bei der ungewöhnlichen Pracht und fühlte sich sehr überrascht, dass die Wirtin ihm bei seiner Ankunft keinen Wink von dem Bankett gegeben hatte, welches stattfinden sollte. Das Mahl hatte bereits begonnen und alle Kellner waren zu beschäftigt, um auf ihn zu achten.

Cyprien, der die Schüsseln auf dem unteren Tisch ordnete, wollte nicht auf ihn achten und war taub, als er einen Platz forderte. Es schien wahrscheinlich, dass er gar keinen erhalten werde. Er war im Begriff, sich sehr verstimmt zu entfernen, als ein junger Mann, der ziemlich einfach gekleidet war und der allen Gegenwärtigen fremd schien, ihm auf sehr gutmütige Weise Platz machte. So gelang es ihm, sich mit in die Reihe zu drängen.

Dann sah sich Sir Francis um und wollte sich versichern, wer zugegen sei, aber seine Stellung war so ungünstig und die Menge der Diener an dem oberen Tisch so groß, dass er nur unvollkommen unterscheiden konnte, wer dort saß. Überdies waren die meisten Gäste hinter dem Vorhang verborgen. Die aber, welche er sehen konnte, waren reich gekleidet, in Wämser von Seide und Atlas, während ihre reichen Samtmäntel, ihre mit Federn und Juwelen verzierten Hüte und langen Degen von ihren Dienern getragen wurden.

Zwei oder drei wendeten sich um und sahen ihn an, als er sich niedersetzte. Unter diesen bemerkte er Sir Edward Villiers, dessen Gegenwart ihm durchaus nicht angenehm war; denn wenn auch Sir Edward insgeheim mit ihm und Sir Giles verbunden war und seinen Zehnten von ihrem Raub nahm, so verleugnete er sie doch öffentlich und würde gewiss keine offene Kundgebung ihres räuberischen Verfahrens unterstützt haben.

Eine andere Person, die er an ihrer Wohlbeleibtheit, an der langen flatternden Perücke und dem schwarzsamtenen Pariser Wams erkannte, welches einen starken Gegensatz zu den schimmernden Kleidern seiner Nachbarn bildete, war Doktor Théodore Turquet de Mayerne, der berühmte französische Professor der Medizin, der damals in so hoher Gunst bei Jakob stand, dass er ihn, nachdem er ihn mit Ehren und Würden überladen, zu seinem ersten Leibarzt ernannt hatte. Doktor Turquet de Mayerne Fähigkeiten waren so ausgezeichnet, dass sein protestantischer Glaube allein ihn verhinderte, dieselbe hohe Stellung am französischen Hof einzunehmen, die er in England bekleidete. Auch des Doktors Gegenwart bei dem Bankett war ungünstig; es war natürlich, dass er eine Landsmännin und Hugenottin, wie er selber, begünstigen würde. Da er des Königs Ohr besaß, konnte er ihm das, was sich ereignen würde, darstellen, wie es ihm beliebte. Sir Francis hoffte, er würde sich entfernen, ehe Sir Giles erscheine.

Aber da war noch eine dritte Person, die den habsüchtigen Ritter noch mehr Unruhe verursachte als die anderen beiden. Dies war ein schöner junger Mann mit blondem Haar und zarten Gesichtszügen, dessen schlanke und elegante Figur in ein azorubinrotes Atlaswams mit weißen Puffen und Beinkleider von denselben Farben und Stoff gekleidet war. Dieser junge Edelmann, dessen schöne Züge und frühzeitig dahingeschwundene Gestalt den Ausdruck des Zynismus und der Ausschweifung an sich trugen, war Lord Roos, damals erst kürzlich zur Heirat mit der Tochter des Staatssekretärs Sir Thomas Lake verlockt – welche Verbindung die gewöhnlichen Folgen solcher unverständigen Anordnungen hatte, nämlich Vernachlässigung von der einen und Unglück auf der anderen Seite. Lord Roos war der geschworene Feind des Sir Francis. Gleich vielen anderen ähnlichen lebenslustigen Motten hatte er sich, als er Geld bedurfte, an dem blendenden Licht, welches die beiden Wucherer ihm vorhielten, die Flügel versengt. er hatte ihnen oft für die Art, wie sie ihn ausgeplündert, Rache gelobt. Sir Francis achtete gewöhnlich nicht viel auf seine Drohungen, denn er war zu sehr an Vorwürfe und Verwünschungen von seinen Schlachtopfern gewöhnt, um Unruhe oder Reue zu empfinden. Aber gerade jetzt war die Sache anders und er konnte nicht umhin zu fürchten, dass der rachsüchtige junge Lord die Gelegenheit benutzen werde, ihm einen schlimmen Streich zu spielen – wenn er nicht gar ausdrücklich in der Absicht dorthin gekommen sei, was nach den zornigen und verächtlichen Blicken, die er ihm zuwarf, wahrscheinlich schien.

Ein zorniges Gemurmel verbreitete sich an dem oberen Tisch, als Sir Francis erschien. Es wurde etwas gesagt, was seinen Ohren nicht angenehm klang, obwohl er es nicht deutlich verstehen konnte. Er fühlte, dass er seinen Kopf, ohne es zu wissen, in die Nähe eines Hornissennestes gebracht habe und sich glücklich schätzen könne, wenn er, ohne gestochen zu werden, davonkomme. Indessen war nun kein Rückzug mehr möglich, denn wenn ihm auch die Furcht zur Flucht riet, so hielt ihn doch die Scham zurück.

Die Gerichte waren reichlich und sehr verschiedenartig. Sie bestanden in allen möglichen Arten von Frikassee, in Fleischschnitten und Speckschnitten, in gesottenem Lachs aus der Themse, Forellen und Hecht aus demselben Fluss, in jungen Pfauen und Welschhühnern, in Florentiner Torten, Pasteten von Kalbsfüßen und Eierkäse. Zwischen zwei Gästen stand immer ein gesottener Salat, was nicht mehr oder weniger war, als was wir nun eine Schüssel Gemüse nennen würden.

Zimt, Ingwer und Zucker wurden nämlich zu den geschnittenen Mohrrüben außer einer Handvoll Korinthen, Weinessig und Butter hinzugefügt. Ein ähnlicher Plan wurde mit den Salaten von Borretsch, Zichorienblättern, Ringelblumenblättern, Spargel, Ochsenzunge, Raute und vielen anderen Pflanzen angewendet, die nicht mehr in der heutigen Kochkunst vorkommen, aber damals sehr geschätzt wurden. Zu einigen wurde Öl und Weinessig und zu allen Gewürze verwendet, während jedes Gericht mit Schnitten hartgesottener Eier belegt war.

Ein Störkopf wurde zu dem oberen Tisch hinaufgetragen, wo sich schon ein gebackener Schwan und eine gebratene Trappgans nebst zwei stattlichen Wildbretpasteten befanden. Dies war erst der erste Gang und dann folgten noch zwei, die in einem Rehkalb, mit Puddingteig gefüllt, in einem großartigen Salat, heißen Olivenpasteten, gebackenen Ochsenzungen, gedämpften Kalbszungen, gebackenen italienischen Puddings, einer geschmorten Lammkeule nach französischer Sitte, Orangenpasteten, in Butter gekochten Krebsen, Sardellen und in einer großen Menge kleiner, über die Tafel ausgesäten Schüsseln bestanden. Bei einer solchen Fülle von guten Sachen würde es vielleicht überraschend erscheinen, dass Sir Francis sehr wenig zu essen fand; aber die Aufwärter schienen alle gegen ihn im Bunde zu sein, und wenn er seinen Blick auf eine Schüssel richtete, konnte er gewiss sein, dass sie schnell aus seinem Bereich entfernt wurde. Sir Francis war ein großer Feinschmecker und der Lachs aus der Themse sah köstlich aus; aber er würde kein Stück davon bekommen haben, hätte ihm nicht sein Nachbar, der junge Mann, der für ihn Platz gemacht hatte, den für ihn selber bestimmten gut gefüllten Teller gegeben. Auf dieselbe Weise erhielt er den Flügel eines gesottenen Kapaunen mit eingemachten Zitronen, deren Saft köstlich war, wie er aus Erfahrung wohl wusste. Cyprien trug aber Sorge, dass er nichts von dem Welschhuhn und der Pastete erhielt, denn er nahm ihm beide Schüsseln unter der Nase weg. Ein ähnliches Schicksal würde die Schüssel mit Krebsen gehabt haben, wäre ihm nicht sein gutmütiger Nachbar wieder zu Hilfe gekommen und hätte sie aus den Klauen des frechen Gaskogners errettet, als er sie eben forttragen wollte.