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Das Märleinbuch 3

Peter Kling
Das Märleinbuch für meine lieben Nachbarsleute
Leipzig, Weygandsche Buchhandlung, 1799

Zweites Märlein

Es war einmal ein großes Schloss. Große Herren hausten da und schöne Damen. Wäre ein Märleinschreiber hingekommen, er hätte es das Schloss der Feen genannt.

So aber war es nur das Schloss eines vornehmen Grafen, der der Freude alles opferte, denn er war der Letzte seines Stammes. War Frau Hedwig gleich noch jung von Jahren, so war sie doch schon zehn Jahre in der Ehe, ohne ein Kindlein zu wiegen, und hoffte die Freuden der Mutter nimmer zu genießen.

Sie kümmerte sich darüber ab, denn sie meinte und vielleicht nicht mit Unrecht, es habe der Graf sie nimmer so lieb wie in den ersten Jahren ihrer Ehe. Sie war der Ansicht, wenn ein Büblein auf ihrem Schoß läge, die alte Liebe würde wiederkommen.

Zwar war sie die Königin des Festes in der ganzen Gegend, aber es tat ihr in der Seele weh, wenn diese oder jene ihrer Freundinnen eine Einladung ausschlug, ihrer Kindlein wegen. Das Blasen vom Türmlein von Jahr zu Jahr, wenn Ritter Ulrich taufen ließ, presste ihr Tränen aus.

Wenn der Graf in lustiger Gesellschaft war und die Ritter ihn verhöhnten, so sagte er lachend, seine Hedwig sei bezaubert oder ihr sei es um die Muttersorgen. Sie könne nicht leiden der Kindlein Schreien, dass alle die edle Frau mit Bedauern oder mit Verachtung anblickten.

Dies tat ihr dann herzlich weh. Sie ließ es sich nicht gern anmerken, und doch welkten die Rosen ihre Wangen. Ihre holden Äuglein schienen zu verlöschen. Und niemand wusste, was der Frau Hedwig fehle.

Einst, als sie so in Gedanken einen kleinen Spaziergang machte, geriet sie nicht weit vom Schloss in eine Gegend, die sie nie gesehen hatte.

Ging immer weiter und wunderte sich immer mehr, sah endlich in der Ferne eine Grotte, bei deren Anblick ihre ganze Seele aufgeregt zu sein schien, ohne dass sie selbst wusste, warum. Es war ihr so wohl und wieder so wehe. Sie wurde müde auf dem Weg dahin, setzte sich unter einer Linde und schlummerte sanft ein. Da erschien ihr ein altes Mütterlein.

»Edle Frau«, sprach es, »warum trauert Ihr so und was belastet Euer Herz.«

»Ach!«, sprach Frau Hedwig, »ich bin eine Frau und keine Frau, habe schon so viele Jahre in der Ehe gelebt und noch kein Kindlein an meiner Brust getragen. Verdenk es meinem Ehegemahl nicht, wenn er mich verstößt. Er ist der Letzte seines Hauses und sehnt sich, einen Erben zu haben, wünscht auch in der Zukunft seinen edlen Stamm blühen zu sehen.«

»Edle Frau«, sprach die Mutter, »seid froh, dass ihr kein Kindlein habt. So viel Freude sie machen, so viel Leid verursachen sie oft.«

»Ach! Ist nicht zärtliche Bangigkeit beständig im Busen der Mutter? Sie ruht und rastet nicht Tag und Nacht.«

»Wie sicher könnt Ihr schlafen, wie heiter den Morgen erblicken, nach Eurem Gefallen spazieren gehen, tanzen und jagen, solange es Euch beliebt, dass Ihr als Mutter nimmer könnt. Da lebt Ihr wie ein nahe Klausnerin.«

»Immerhin«, sprach Hedwig, »immerhin, hätte ich ein Fräulein in dem einen, ein Herrlein in dem anderen Arm, ich würde ein Kind vor Freude, wollte sie selber wiegen und tragen, Nächte bei ihnen durchwachen und für sie sorgen, an meinem Herzen herumtragen. Hätte ich doch Hoffnung: Einst, wenn ein schönes Fräulein an meiner Seite steht, ein adliger männlicher Jüngling vom Turnieren kommt, da kann ich stolz sagen: Das sind meine Kinder!«

Frau Hedwig sah die Alte für die Zauberin an, die ihre Mutter einst erschienen war, als sie ebenfalls solange unfruchtbar geblieben war.

Als sie ihr erschien, sei sie schwanger geworden, sagte die Frau, und verlor darüber ihr Leben.

Eine unbeschreibliche Freude füllte ihre Seele. »Gute Frau!«, sprach sie, »könnt Ihr, so erfüllt meinen Wunsch. Soll ich sterben in der bangen Stunde, gebt nur ein Herrlein meinem Gemahl und gebt ihm eine Mutter, so sterbe ich doch als edle Frau, als Mutter!«

»Es war ein törichter Wunsch«, sprach das Weib, »den Eure Mutter eins getan, mit solcher Heftigkeit getan, dass sie ebenfalls gestorben wäre, wenn auch ihr Verlangen nicht erfüllt worden wäre.«

»Darum wurde es erfüllt, eine gute Absicht dabei zu erreichen, ein gutes Weib an Euch der Erde wiederzugeben.«

»Lebt wohl«, sprach die Alte, »und besinnt Euch eines Besseren. Ihr lebt ruhiger und sorgenfrei ohne Kinder.«

Da raffte sie sich auf und griff bittend nach der Alten, hielt sie fest und erwachte darüber. Sie hielt ein Bäumchen in den Händen, das danebenstand.

Wunderbarer Traum, dachte sie bei sich und sah sich in der Gegend um. Sie war in die dickste Wildnis geraten, ging und ging immer und konnte ihr Schloss nicht sehen, und doch war der Herweg ihr so leicht.

Da begegnete ihr erstens eine Frau mit sieben Kindern, zwei trug sie in einem Korb, zwei in beiden Armen und drei liefen um sie herum, weinten und schrien.

Sie blieb stehen, betrachtete die Kinder mit Wohlgefallen und redete die Frau an.

»Mutter«, sprach sie, »Ihr könnt Euch freuen, habt ein schönes Häuflein Kinder«!«

»Ach! Edle Frau«, sprach das Weib, »freuen wahrlich nicht, weinen möchtet Ihr sagen. Ich habe einen harten Mann, der wenig mit mir teilt, die Kinder zu ernähren, und habe, wie die Weiber alle, meine schwache Stunde, dass sich bei alldem alle Jahre mein Kind habe. Und alle sind so frisch und gesund, will keines mehr fort, wenn es unsere raue Bergluft gibt wohnt ist. Es ist ein Hartes um eine Mutter, und der Himmel behüte Euch für den Ehesegen.«

Frau Hedwig spendete reichlich den Kindern und ging.

Da ritt ein edler Herr vor ihr vorbei. Sie schrie ihn an, wo er so hitzig hineile.

»Edle Frau«, sprach er, »Ihr kanntet meine Blandiene, wusstet, ohne dass ich mich rühme, dass sie ein schönes Mägdlein und verschrien war in der Gegenwart. Ich bestimmte ihr meinen Nachbar, einen jungen schönen Ritter zum Mann. Sie koste freundlich mit ihm, der Hochzeitstag war festgesetzt. Am Morgen kamen ihre Kammerfrauen, weinten, schluchzten und sagten, sie haben das Nestlein leer gefunden und das Fräulein sei geraubt oder gebannt worden. Die hatten diesen oder jenen mächtigen Zauberer im Sinn und meinten, ich solle nicht nachsetzen, weil ich so schwach dagegen wäre. Allein ich kenne einen der Zauberspiegel bei dem Mägdlein: Es ist nichts als ein fremder Buhle, der sich in dem Herzlein festgesetzt hatte, ein feiger Söldner, der keinen Widerstand zu leisten fähig ist oder sich mit meinem Adel messen darf. Habt ihr Muße, edle Frau, so tröstet meine Hausfrau, die untröstlich ist.«

Frau Hedwig ging weiter und kam ins Sinnen.

Da kam ein Mann daher mit zerrissenem Kleid.

Frau Hedwig kannte ihn, es war ein edler Herr. Sie schrie ihn an, warum er trauere.«

»Ach!«, sprach er, »mein Sohn! Mein Sohn! Er zog mit des Kaisers Heer und blieb im Treffen, zeigte sich so tapfer und war mein Einziger.«

Frau Hedwig wusste nicht, wie ihr geschah. »Du hast recht«, sprach sie, »alte Mütter, Kinder machen Sorgen und Mühen, danken es einem wenig und bringen uns selbst dem Grab näher. Und ist es der Wille des Himmels einmal, so will ich Gott danken, dass er mir eine Last weniger gemacht hat. Last?«, wiederholte sie wieder. »Hedwig«, sagte sie zu sich selbst, »wenn du einen Knaben jetzt die Hände falten und beten lehrtest, meinst du nicht, dass es schön wäre.«

Und sie konnte nicht zum Himmel hinaufblicken und kam ziemlich ermüdet wieder in ihrem Schloss an.

Sie erzählte dem Grafen alles, was sich zugetragen hatte, und beschrieb die Gegend. Er meinte, es dies habe die Nixe getan habe, die vor langen Jahren dort ihre Spiele trieb, aber seit undenklichen Zeiten schon nicht mehr von sich hören lassen hatte.

Sie sprachen über den Punkt, und der Graf tadelte Frau Hedwig wegen ihres Betragens.

»Wäre ich nicht«, sprach er, »ein harter Mann, wenn ich dir darüber Vorwürfe machen wollte, was nicht deine Schuld ist, sondern der Wille des Himmels? Ruhe, Hedwig, wer weiß, welchen Jammer wir an Kindern erleben sollten, wofür uns Gott behütet. Allein, was vermag Vernunft über das Lüstern des Weibes. Wäre der Apfel nicht verboten, er lachte nimmer mehr so schön herunter auf Mutter Eva!«

Frau Hedwig fing von Neuem an zu launen, wurde ein Kindlein, da sie keine Kinder hatte, und machte allen das Leben recht bitter.

Voll bitterer Unmut ging sie einst hinaus, dass sie vielleicht die Alte wiederfände und von ihr erhielt, was sie wollte. Sie verfehlte den Weg nicht, war kam wieder unter die Linde und schlummerte sanft.

Das erschien die Alte und sprach viel und nachdrücklich mit Frau Hedwig.

»Du willst Kinder, Hedwig, du sollst sie haben und derer so viele, dass du genug sollst zu wiegen haben. Aber sie selber unter deinem Herzen zu tragen, ist dir versagt von der Natur und nichts kann ihren Zauber lösen. Da sie denn, in dieser stillen Grotte ist eine Quelle, weile drei Tage hier und drei Nächte, und denke recht feierlich an die Bestimmung des Weibes. Denke deine Mutterfreuden in ihrem ganzen Umfang. Und ist dein Feuer nicht das Glühen der Wollust, nicht angefacht durch unedle Triebe, so siehst du aus der Quelle um die Morgendämmerung eine Jungfrau steigen mit einem Mägdlein. Das wird sie die reichen, das wirst du in den Armen halten und wiegen bis an den anderen Tag um diese Stunde. Und bist du immer noch so gestimmt, so kommt sie um die Stunde wieder, lächelt dich freundlich an, nimmt das Kind von deinen Armen und sinkt wieder hinunter. Und kommt wieder und bringt dir ein Büblein. Und durchströmen wahre Mutterfreuen dein Herz, so wird sie dich umarmen und eine Locke entnehmen von deinem Haar, ein Ringlein mit einem grünen Stein an deinen Finger stecken und verschwinden mit dem Kind. Nimm dann den Ring, zeige ihn deinem Gatten und sage ihm seine Kraft. Sobald er ihn mit dir vollseliger Ahnungen hinabwirft in die Quelle, wirst du die Wehen der Mutter empfinden und ein Kindlein wird aus der Quelle emporsteigen. Das nehme der Vater und lege es an deine Brust.«

Die Alte verschwand und Frau Hedwig erwachte, besann sich über den Traum, stand auf, sah sich um und sah die Grotte vor sich. Ein heiliger Schauer und weibliche Begierde durchbebte sie. Sie trat hinein, und Frau Hedwig bestand die Probe. Sie dachte alle Seligkeiten guter Kinder, alle Freuden der Ehe mit voller, übervoller Seele. Sie geriet in eine selige Entzückung, als sich das Ende der bestimmten Zeit näherte.

Da kam ein schönes Fräulein herauf, eine Schönheit, wie die Natur nicht hat, und hatte ein Mägdlein, ein Kind wie ein Engel, im Arm. Das gab sie Frau Hedwig und verschwand. Es suchte gleich die Brust der Mutter und schmiegte sich an sie mit Zärtlichkeit. Die Gräfin war wie im Himmel, sie stand den ganzen Tag bis zum Morgen, achteten nicht ihrer müden Füße, sah das holde Kind an und weinte vor Freude zum Himmel.

Der erschien die schöne Jungfrau wieder und nahm das Mägdlein aus ihren Arm, setzte es in die Quelle, so sehr die arme Mutter jammerte, stieg wieder hinunter, brachte ein Büblein und gab es Frau Hedwig.

Sie umarmte sie mit Wärme und küsste sie, schnitt die schönste Locke aus Hedwigs braunen Haar, zog ein Ringlein vom Finger, steckte es an den Finger der Gräfin, nahm ihr Kind und verschwand.

Frau Hedwig eilte heim und erzählte es dem jammernden Gatten, der schon gemeint hatte, der Gräfin sei ein Leid zugestoßen. Er freute sich mit ihr und musste an diesem Tag noch zur Quelle. Es geschah, wie gesagt.

Die Gräfin fühlte die Wehen der Mutter und ein holdes Büblein stieg aus der Quelle, dass die Amme, die sie mitgenommen hatte, herausnahm und ihr an die Brust legte. Freude und Jubel waren im Haus des Grafen und bei keinem so oft zur Tafel geblasen worden, wie bei ihm. Er bekam ein Häuflein Fräulein und Herrlein, dass es Lust war, die Kinder anzusehen.

Die Junker wuchsen heran zur Freude des Vaters, mussten in fremde Dienste hin, sich Ruhm erwerben, und machten ihrem Haus Ehre. Der Stamm des Grafen wurde berühmt im Land. Die Fräulein waren so schön wie Feen und Fürsten und Herren warben bald um sie.

Am Hochzeitstag der jüngsten Tochter kam das schöne Fräulein von der Quelle und grüßte freundlich Frau Hedwig. Die alte Mutter kam auch. Die Gräfin dankte beiden für die süßen Freuden der Mutter und erfreute sich ihres Alters an ihren Kindern. Als beide fortwollten, sprach das schöne Fräulein: »Edle Frau, vergönnt mir eine Bitte!«

»Redet«, sprach die Gräfin, »befehlt, ohne erst zu bitten.«

»Gebt mir das Ringlein zurück, das Euch nichts mehr nützt. Es ist mein Ehering. Ich war gebannt in diese Quelle von einem großen Zauberer, der mich liebte. Aber mein Bräutigam brachte es dahin, dass ich durch Euch Erlösung fand. Der Hochzeitstag Eurer jüngsten Tochter ist mein Hochzeitstag zugleich. Lasst das Bräutlein den Ring an meinen Finger stecken und mich küssen, so bin ich erlöst.«

Frau Hedwig eilte voll Vergnügen, es zu tun, gab das Ringlein der Braut. »Mägdlein«, sprach sie, »stecke dem schönen Fräulein dort den Ring an den Finger und küsse sie.«

Und es geschah. Auf einmal kamen Personen herein, die man vorher nicht gesehen hatte. Es war ein Herzen und ein Umarmen, das alle andere entzückte. Wo die Quelle ehemals floss, da erhob sich eine mächtige Burg. Es war ein doppelter Hochzeitstag, und alle freuten sich der schönen Nachbarschaft und lebten in süßer Eintracht, verbanden ihre Kinder wieder. Späte Nachkommen erzählten mit Wonne diese Sage nach.

Und noch ist bis heute unter Müttern und Ammen der Brauch, dass sie neugierigen Kindern, die sie fragen, woher sie kommen oder woher das andere Brüderlein, zur Antwort geben: Wir haben es aus dem Brunnen geholt!