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Das Gespensterhaus – 2. Kapitel Teil 1

August Heinrich Brass
Das Gespensterhaus
Eine Geistergeschichte aus Berlins Gegenwart
Verlag Louis Quien, Berlin, 1847

2. Kapitel Teil 1

Handelt von einigen Bewohnern des Gespensterhauses.

Es hatte ans Fenster gepocht – allerdings. Aber es war nur der Wind gewesen, der an die morschen Fensterrahmen gerüttelt hatte, denn es gibt nicht gerade Leute, die mit ausgestreckter Hand bis an das Fenster eines dritten Stockwerks reichen können, wenn sie sich nicht einer Leiter bedienen, um aus irgendeiner sonderbaren Liebhaberei auf diesem ungewöhnlichen Weg die Bewohner einer Dachstube zu fragen, wo die nächste Apotheke ist, wann der nächste Zug nach Spandau geht oder Ähnliches.

Sie wusste das auch recht gut, dass es nur der Wind gewesen sein konnte, aber sie war durch das Geräusch doch nun einmal aufgeschreckt worden aus ihrem stummen Hinbrüten, stand auf, öffnete das Fenster und blickte stumm in die dunkle Nacht hinaus. Die Nacht war nicht dunkel allein, sondern eine so wilde, stürmische Dezembernacht, wie ihr sie nur immer denken könnt. Aber sie achtete nicht darauf, dass ihr der Wind den Regen und Schnee gerade ins Gesicht trieb, obwohl sie nur ganz dünn angezogen war und nicht einmal ein kleines Tuch um den Hals trug, um sich vor der Kälte zu schützen.

»Er kommt noch immer nicht«, murmelte sie endlich und schloss das Fenster. »Er war in so verzweiflungsvoller Stimmung, als er fort ging.« Dann setzte sie lauter und freudiger hinzu: »Nein, nein, dazu hat er mich viel zu lieb, und das Kind auch; ja, ja, ich weiß es, er hat mich viel zu lieb, und wenn es auch noch so schlimm wäre, er täte es doch nicht.«

Sie trocknete sich mit der Schütze das Gesicht ab, welches der Regen benetzt hatte, ein hübsches Gesicht, obwohl blass und kummervoll aussehend. Aber doch zog ein freudiges Lächeln darüber hin, als sie sagte: »Er hat mich viel zu lieb.« Und sie musste sich sehr darüber freuen, denn es gehört Mut dazu und war nicht so leicht, da zu lächeln in einer solchen Umgebung; noch dazu, wenn sie es nicht anders gewöhnt gewesen wäre! Aber sie hatte andere Tage erlebt, und wer sich früher gesehen hatte, würde ihr das nicht prophezeit haben, dass sie ihr Leben im Dachstübchen eines elenden Hauses hinbringen werde. Dabei war ihre Geschichte so einfach, wie man sie alle Tage finden kann, nicht Romanhaftes darin, höchstens, dass sie sich verheiratet hatte, weil sie einander sehr lieb gehabt hatte. Er war Kaufmann gewesen und hatte ein hübsches Geschäft gehabt, nicht hier in Berlin, sondern am Rhein in einer Provinzialstadt. Da lebte sie auch mit ihrer Mutter, die ein kleines Jahresgehalt vom Staat bezog, denn ihr Vater war dort Steuerberater gewesen, mutterseelenallein, ohne Geschwister und Verwandte, und hatte sie geheiratet, ohne viel Vermögen zu fragen. Sie hatten ein paar Jahre sehr glücklich miteinander gelebt, bis das Unglück über sie hereinbrach. Erstens starb ihrer Mutter und bald danach machte ihr Mann Bankrott. Das wird man zwar nicht für ein so großes Unglück halten, denn es gibt viele Leute, die durch ihren Bankrott reich werden; aber für ihn war es ein Unglück, denn er dachte brav genug, alles hinzugeben, was er hatte, um seine Gläubiger zu befriedigen und sich seinen ehrlichen Namen zu erhalten. Den erhielt er sich auch wirklich, aber sonst nichts weiter. Es blieben ihm kaum noch ein paar 100 Taler übrig, als alles verkauft war. Mit dieser geringen Summe waren sie nach Berlin gekommen, denn da wohnte ein Onkel von ihm, und außerdem hatte er mehrere Freunde und Bekannte da, durch deren Unterstützung er eine Anstellung in einem Kontor oder bei einer Eisenbahn oder sonst irgendwo zu finden hoffte, denn er war ein fleißiger Arbeiter und scheute sich vor nichts, schon um seiner Frau und des Kindes willen. Er hatte sie beide ja so lieb, wie wir wissen.

Aber seine Hoffnungen hatten ihn getäuscht. Die Freunde, auf deren Hilfe er gerechnet hatte, waren tot oder kannten sie nicht mehr und kümmerten sich wenig um so einen armen Teufel. Die Besten unter ihnen speisten ihn mit leeren Versprechungen ab. Der Onkel aber, ein alter geiziger Hagestolz, wollte gar nichts mit ihm zu schaffen haben, erstens, weil er fürchtete, sein Neffe werde früher oder später Geld von ihm verlangen, und zweitens, weil er mit der Mutter desselben, seiner Schwester, in keinem freundschaftlichen Verkehr gestanden hatte und diese Feindschaft auch auf den Sohn übertrug. Er schlug diesen daher die Tür vor der Nase zu und untersagte ihm streng, sich wieder bei ihm blicken zu lassen. Er wolle keinen liederlichen Landstreicher sein sauer erworbenes Gut verbringen lassen. Das war ein hartes, ungerechtes Wort, besonders für einen Mann, der alles für seinen ehrlichen Namen hergegeben hatte und darauf stolz war. Er machte daher auch keinen zweiten Versuch, den Alten zu erweichen, was ihm auch wohl nicht zu verdenken war, und meinte, es wird auch wohl so gehen; aber es ging doch nicht. Vergeblich versuchte er, sich irgendeine Beschäftigung zu verschaffen. Fremd und weniger zudringlich als andere, wollte es ihm nirgends gelingen. Bei diesen unnützen Versuchen war der letzte Rest ihres Geldes draufgegangen und sie hatten den größten Teil ihrer Sachen verkauft; Wäsche und Kleidungsstücke, um das Leben zu fristen. Sie konnten mit schrecklicher Genauigkeit die Zeit berechnen, wo sie nichts mehr zu verkaufen haben würden, wenn das so fortginge.

Das war also ihre Geschichte, ebenso einfach, wie unglücklich.

Sie mochte auch wohl daran denken, als sie das Fenster wieder zugemacht hatte und sich auf den kleinen Fußfußschemel setzte, neben das Bett ihres Kindes, ein allerliebstes kleines Mädchen von etwa fünf Jahren, dass so ruhig und sanft unter der groben Decke schlief, als wären es die weichsten Eiderdaunen gewesen. Sie mochte auch nur daran denken, sagen wir, denn in ihren hübschen blauen Augen drängten sich zwei große Tränen hervor, als sie das Kind ansah. Man sagt zwar, Kinder bringen Segen, aber ich weiß nicht, ob das so unbedingt wahr ist. Es ist schlimm, wenn einer nichts zu essen hat, aber wenn dann auch die Kinder hungern sollen, das ist noch schlimmer, und ich sehe keinen großen Segen dabei. Solche Gedanken gingen ihr auch durch den Kopf und noch andere, wie sie das Kind ansah, bis sie endlich aufstand, die feuchten Augen rieb und sich an den kleinen Tisch setzte, auf welchen die Lampe stand und eine Stickereien nahm, um weiter daran zu arbeiten; eine schwierige, mühsame Arbeit, die gleichwohl nur einen geringen Verdienst einbrachte.

Endlich hörte sie, dass die Tür unten im Haus geöffnet wurde. Rasche Schritte kamen die Treppe herauf. Sie sprang hastig auf und nahm die Lampe, ihm entgegen zu leuchten, denn sie hätte seinen Tritt unter tausend anderen erkannt. Aber er war fast noch schneller gewesen als sie, und die beiden Treppen hinauf mit einigen Sprüngen, stand schon oben, noch ehe sie an das Geländer gekommen war.

»Guten Abend, Gustav«, sagte sie. »Da bist du schon wieder oben. Es ist eine recht hässliche Angewohnheit, dass du immer die Treppen so heraufrennst im Dunkeln. Du kannst noch einmal Unglück haben und stolpern, wenn du nicht wartest, bis ich dich leuchte.«

Sie waren während dieser Worte in das Zimmer getreten oder vielmehr er hatte sie hineingeführt, indem er den Arm um ihre Taille geschlungen hatte. Dann küsste er sie auf den Mund und antwortete mit freundlichem Scherz: »Hast du schon wieder mit mir zu schelten und zu zanken? Ich trete kaum in die Tür herein und da geht es los. Es ist nicht hübsch von dir, Fanny; wahrhaftig nicht.«

Sie ging aber nicht auf diesen Scherz ein, denn das arme kleine Herz war voll von ganz anderer Gedanken. So blickte sie ihm Sorgen an, um in seinen Augen zu lesen, welche Nachrichten er ihr brächte.

Er fasste in die Tasche, nahm ein paar Taler heraus und legte sie auf den Tisch, indem er sagte: »Das ist das Geld, Fanny. Aber wir werden haushälterisch damit umgehen müssen. Es ist das letzte.«

Er hatte seinen besten Rock ins Leihhaus getragen, den er bis dahin mit großer Sorgfalt geschont und verwahrt hatte, weil er wusste, die Leute sehen nun einmal auf die Kleider. Und wenn einer mit einem zerrissenen Rock kommt und ein braves Herz darunter hat, kann man das Letztere nicht sehen, den Rock aber nur zu deutlich. Mit diesem Geld hatte er einen Gläubiger eine Abschlagszahlung leisten wollen, um ihn dadurch zur Nachsicht zu bewegen, denn sie schuldeten ihm eine größere Summe, die er ihnen mit wucherischem Gewinn geliehen hatte. Da sie nicht bezahlen konnten, hatte er gegen sie geklagt. Der ärmliche Rest ihrer gesamten Habseligkeiten war in dieser Angelegenheit mit Beschlag belegt worden und sollte verkauft werden.

Als er das Geld auf den Tisch legte, wurde Fanny blass und zitterte heftig. »Er hat es also nicht angenommen?«, fragte sie.

»Wer?«, erwiderte er, indem er sich verstellte, als wisse er nicht, was sie meine.

»Der alte Grabbs. Er wollte die ganze Summe haben, nicht wahr? Hat das Geld nicht genommen.«

»Nein, er hat es nicht genommen.«

Wie grausam war es von ihm, sie in dieser Ungewissheit zu lassen, denn dass der alte Grabbs das Geld nicht genommen hatte, das war klar, denn es lag auf dem Tisch. Aber es musste noch irgendetwas dabei sein, das sah sie an seinem Gesicht, welches einen ganz besonderen, geheimnisvollen Ausdruck angenommen hatte; wie grausam!

Aber er sah auch gleich selbst sein Unrecht ein und küsste sie wieder. Dann sagte er: »Nein, er hat es nicht genommen. Ich war bei ihm. Er ist tot, Gott sei Dank.«

»Gott sei Dank«, wiederholte sie auch unwillkürlich.

Es war ihr ein schwerer Stein vom Herzen gefallen. Sie hatte ja selbst die Erfahrung gemacht, dass es unmöglich sei, das steinerne Herz des alten Wucherers zu rühren, den sie war erst vor wenigen Tagen bei ihm gewesen, um ihn um Nachsicht zu bitten. Aber er hatte es ihr mit hartem dürren Worten abgeschlagen. Nun war er plötzlich gestorben, und die Erben konnten unmöglich härter und habsüchtiger sein, als er es gewesen war. Jedenfalls aber hatten sie Aufschub, er war tot, Gott sei Dank.

Ich weiß nicht, ob es überhaupt recht ist, wenn man von jemandem sagt, Gott sei Dank, dass er tot ist. Soviel steht indessen wohl fest, dass es eine herzlich schlechte Empfehlung ist, wenn einer mit solchem Gott sei Dank an die Himmelstür klopft und Einlass begehrt. Eine sehr schlechte Empfehlung, das kann ich euch versichern. Aber doch glaube ich wieder, dass es keinen Menschen gibt, der so ganz schlecht und verdorben wäre, dass er sich nicht noch bessern und ein brauchbares Mitglied der Gesellschaft aus ihm werden könnte, wenn er sonst nur im richtigen Augenblick einmal inwendig tüchtig angepackt und durchgeschüttelt wird. Daher muss man auch nie von jemandem sagen, Gott sei Dank, dass er tot ist, und wenn er auch noch so böse gewesen wäre.

Gustav und seine kleine Frau dachten indessen nicht daran. Sie waren auch wohl zu entschuldigen, denn das Messer hatte ihnen hart an der Kehle gesessen, um sozusagen. Nur dieser unerwartete Zufall konnte sie wenigstens für den Augenblick einer Lage entreißen, welche nur zu verzweiflungsvoll war. Sie hatten zwar keine freudigere Aussicht für die Zukunft, aber wenn man so im Unglück lebt und der Augenblick selbst mit gebieterischer Notwendigkeit auf uns hereindrängt, dann denken wir auch nur an diesen und nicht weiter hinaus, und sind zufrieden, wenn wir nur darüber weggekommen sind.

So setzten sie sich denn auch beide an einen kleinen Tisch, um das dürftige Abendbrot zu verzehren, welches sie während seiner Abwesenheit bereits zubereitet hatte. Es war lange her, dass es Ihnen so gut geschmeckt hatte. Als sie damit fertig waren, zog er sie zu sich herüber auf seinen Schoß, strich ihr das blonde Haar aus der Stirn und küsste sie, indem er sagte, es werde nun wohl alles gut werden. Der Tod des alten Grabbs sei ein großes Glück für sie gewesen. Das würde nun weiter über sie hereinbrechen, dass sie sich gar nicht mehr davor zu lassen wüssten.

Der Leichenzug sei weggefahren, als er in das Haus getreten war, erzählte er ihr, wenn man überhaupt zwei Kutschen, welche dem Leichenwagen gefolgt waren, einen Zug nennen könne. In der einen habe die alte Haushälterin des Verstorbenen gesessen und in der anderen zwei Herren, von denen der eine, wenn er sich nicht geirrt habe, sein Onkel Kobleth gewesen wäre. Er fand es eigentlich höchst komisch, dass der wirklich ein Freund des Verstorbenen gewesen sein könnte, so komisch, dass er darüber lachen musste und meinte, wenn der alte Grabbs den Onkel Kobleth vielleicht zum Universalerben eingesetzt hätte, dann würden sie allerdings nur aus den Regen in die Traufe geraten sein. Aber Fanny verwies ihm das und sagte, sie wundere sich, wie er nur darüber lachen könne. Die Sache sei doch viel zu ernst und über so etwas müsse man nicht spotten, worüber er indessen nur noch mehr lachte. Dann erzählte er ihr weiter, wie er von den Leuten da im Haus gehört hatte, Grabbs sei an einem Schlagfluss gestorben, den er aus Ärger über einen erlittenen Geldverlust bekommen habe, und setzte hinzu, da wären sie doch weit glücklicher daran, denn so etwas könne ihnen so leicht nicht passieren.

Sie war aber in einer so ungewöhnlich ernsten Stimmung an dem Abend, diese kleine Frau, dass sie auch über diesen Scherz nicht lachen konnte, so sehr sie sich auch sonst freute, wenn sie ihn heiter und aufgeräumt sah. Sie hätte ihm wahrscheinlich ebenso geantwortet, wie vorher, wenn es nicht in demselben Augenblick die Treppe heraufgekommen wäre, tapp tapp, tapp.

Sie stand auf und nahm die Lampe, indem sie sagte: »Da kommt der Alte. Ich muss ihm nur leuchten, sonst kann er leicht ein Unglück haben.«

Bei diesen Worten war sich schon zur Tür hinaus, den flink und behände war sie noch immer, wie in ihren besten Tagen. Er ging auch hinaus, um dem Ankommenden zu helfen. Freilich, so schnell wie mit ihm selbst ging es bei dem nicht, sondern ganz langsam, eine Stufe nach der anderen. Das kam daher, dass er ein hölzernes Bein hatte, wie man sehen konnte. Als er endlich oben war, und dass er dabei noch einen großen Leierkasten, der nur schwierig die enge Treppe heraufzubringen war. Auch wurde er noch dadurch länger aufgehalten, dass er fast auf jeder Stufe stehen blieb, um zu sagen, dass Fanny wirklich zu gütig sei. Sie solle doch nur hinaufgehen, damit sie sich nicht erkälte. Er werde ja schon hinauffinden, denn er kenne die Treppe und sei vorsichtig. Aber sie blieb doch, und Gustav ging die Stufen hinunter ihm entgegen, um ihm den Kasten abzunehmen. So kamen sie glücklich herauf.

Der alte fadenscheinige Uniformrock, welche der Ankommende trug, triefte vor Nässe. Da es in der Kammer, welche er dicht neben ihnen bewohnte, sehr kalt war –es war nicht einmal ein Ofen darin – so sagten sie zu ihm, er möchte ein bisschen zu ihnen hereinkommen, um sich zu wärmen, wenn er trockene Kleider angezogen haben würde.

Sie wohnten noch nicht lange in dem Haus, aber seitdem sie da wohnten, waren wenige Abende vergangen, wo sie nicht den Alten so freundlich empfangen und zu sich herein genötigt hätten, obwohl sie es ihm immer wiederholen mussten, denn um alles in der Welt wäre er nicht so unbescheiden gewesen, sie ohne eine direkte Einladung zu stören und ihre Freundlichkeit zu missbrauchen. Auch war es wirklich recht freundlich von ihnen, dass sie trotz des eigenen Elends nicht das Mitgefühl für das fremde verloren hatten, denn der alte Mann hatte auch sein Päckchen zu tragen, fast noch schwerer als sie. Doch er war daran gewöhnt, denn der Mensch gewöhnt sich an alles, sogar an Elend und Hunger. Aber er war noch schlimmer dran, denn er besaß auf der weiten Gotteswelt niemanden, der ihn lieb hatte, der ihm das Elend ertragen half. In den Feldzügen gegen Frankreich war ihm das Bein abgeschossen worden. Obwohl das für niemanden ein besonderes Glück ist, so war es doch noch schlimmer für einen Mann, der eben nichts weiter hat als seinen gesunden Körper, mit dem er sein Brot verdienen soll. Wäre er gesund gewesen, so hätte er vielleicht ein braves Mädchen zur Frau bekommen, aber einen Krüppel wollte keine. So war ihm nichts auf der Welt geblieben als seine kupferne Gedenkmünze, das kleine Gnadengehalt und sein Leierkasten, mit dem er täglich in den Höfen der Häuser spielte, um sich sein Brot zu erwerben. Es gibt viele Geschäfte, welche einträglicher und angenehmer sind als gerade dieses. Aber wie gesagt, er hatte sich an all das gewöhnt und auch noch an mehr.

So hatten sie ihn da gefunden, Gustav und seine Frau, als sie in das elende Dachstübchen einzogen – ihre letzte zur Zufluchtsstätte. Er ging jeden Morgen fort und kam als spät abends wieder. Aber eines Tages ging nicht aus, denn er hatte sich erkältet und war sehr krank. Da hatte ihm Fanny Tee gekocht und zu Mittag eine warme Suppe. Als er sich anderen Tages wieder besser fühlte, wollte er sie für ihre Mühe bezahlen, aber sie mochte von dem armen Teufel nichts nehmen und hat ihm gesagt, es wäre schon gut. Sie hätte es getan, weil er doch so ganz und gar niemanden habe, der sich um ihn kümmere.

Das war allerdings wahr; aber der alte Stopper, das war der Name des Invaliden, hatte auch nie daran gedacht, dass es überhaupt möglich sei, dass sich noch jemand um ihn kümmere. Wie ein warmer Sonnenstrahl war dieses Wort Fannys in seine ihm Elend zusammengefrorene Seele gefahren. Es war gar nicht zu glauben, welche Veränderung durch diesen geringfügigen Umstand in ihm vorgegangen war. Er war ein ganz anderer geworden, er, der bisher niemand gekannt hatte, der ein freundliches Wort für ihn gehabt hatte, wenn er müde, krank oder hungrig war. Das allerfreundschaftlichste Verhältnis herrschte seitdem zwischen ihm und seinen Nachbarn. Wenn es nur irgend ging, so zeigte er sich von den wenigen Groschen, welche er den Tag über erbettelte, etwas ab, um dem Kind irgendeine Kleinigkeit mitzubringen, einen Lebkuchen oder anderes Naschwerk. Als Gustav es ihm freundlich untersagte und meinte, er könne sein Geld besser anwenden, ließ er es doch nicht, sondern steckte es dem Kind heimlich zu. Wenn die Kleine es nachher erzählte, wurde er rot und leugnete, als ob er eine schlimme Tat begangen hätte.

Das leise Pochen, mit welchem er sich gewöhnlich anmeldete, wurde denn auch an jenem Abend bald an der Tür vernommen. Dann kam er hereingehumpelt, in einem sehr alten Schlafrock, dessen schadhafte Stellen er selbst geflickt hatte nach der Art und Weise eines alten Militärs, der in solche Stücken mehr auf Dauerhaftigkeit als auf Eleganz zu sehen gewöhnt ist. Auch eine lange Pfeife hatte er mitgebracht, denn man erteilte ihm ein für alle Mal die Erlaubnis, zu rauchen, wenn er abends zu ihnen hereinkam. Auch einen Stuhl hatten sie ihm schon an den Ofen gerückt, worauf er Platz nahm und sich dann mit einem so behaglichen Lächeln umsah, bald der jungen Frau in das hübsche blasse Gesicht, bald auf das schlafende Kind, bald wieder auf Gustav selbst, als wolle er sie alle zu Zeugen aufrufen, dass es doch in der ganzen Welt nichts Angenehmeres und Behaglicheres geben können als dieses ärmliche Dachstübchen mit seiner dürftigen Einrichtung.

Fanny fragte ihn, warum er so spät gekommen sei. Er erzählte ihnen, dass er sehr weit in der Stadt herumgekommen wäre, an der ganz entgegengesetzten Seite derselben, denn in diesem Viertel sei gar nichts im Winter zu machen. Die Leute hätten dort selbst ihre liebe Not, wie sie nur durchkommen sollten. Es sei überhaupt in diesem Winter alles sehr teuer und die Armut so groß, wie er es sich nicht besinnen könne, seitdem er in dem Gespensterhaus wohne.

»Gespensterhaus?«, fragte Fanny verwundert, denn sie wussten es noch gar nicht, in welchem Ruf das Haus stand, welches sie nun bewohnten.

»Sie wissen es nicht?«, erwiderte indessen Stopper ebenso verwundert. »Sie wissen nicht, dass dieses Haus das Gespensterhaus ist? Ah, gehen Sie, das weiß ja jedes Kind.«

Aber sie wussten es wirklich nicht. Fanny beteuerte es ihm und fragte mit neugieriger Furcht, ob dieser Name etwa mit irgendeiner geheimnisvollen Begebenheit verknüpft sei, die mit diesem Haus im Zusammenhang stände.

»Allerdings, allerdings«, sagte Stopper sehr eifrig. »Und das ist nicht allein eine solche Begebenheit, sondern sehr viele, die man mit dem Haus im Zusammenhang stehen. Zuerst ist da der dreibeinige Hase, denen sehr viele Leute gesehen haben, wenn er durch die Stuben gelaufen war, worüber sich eine Frau aus der Ohmgasse, die bei ihrer Landsmännin zu Besuch war, so sehr erschrocken hat, dass sie die Krämpfe davon bekam. Dann ist auch der große Stiefel, den manche allein, manche mit dem Hasen zusammen gesehen haben, aber nicht in den Stuben, sondern meistens draußen auf dem Flur, wenn sie in der Nacht mit Licht herauskamen und noch vieles andere.«

»Und haben Sie denn jemals etwas davon gesehen?«, fragte Fanny, denn neugierig war sie, wie alle anderen.

»Ich habe den Hasen zweimal gesehen«, entgegnete Stopper feierlich, »einmal in der Silvesternacht, wo er in einem Winkel saß und wie ein kleines Kind schrie, und das andere Mal ist er mir über das Bett gelaufen, dass ich am anderen Morgen noch die Tritte seiner drei Läufe auf der Decke sehen konnte.«

»Aber was hat denn solch ein dreibeinige Hase zu bedeuten?«, fuhr Fanny mit ihren Fragen fort, während ein ungläubiges Lächeln über ihre Lippen zog.

»Es ist ein verwünschtes Haus«, sagte der Invalide sehr ernst, denn dieses Lächeln hatte gewissermaßen sein Missvergnügen erregt. »Wenn einer gestorben ist mit einem Fluch auf den Lippen gegen den Ort, wo er im Leben Unglück gehabt hatte, so ist das die Folge davon.«

»Und so eine Geschichte hat sich auch hier zugetragen!«, meinte Fanny.

»Gewiss. Es sind wenige Leute, die es wissen mögen, aber mir hat sie es selbst erzählt.«

»Wer hat es ihnen erzählt?«

»Man spricht nicht gern davon«, entgegnete Stopper, sich nicht ohne Ängstlichkeit im Zimmer umblickend, als fürchte er, irgendetwas von dem zu sehen, wovon er vorher gesprochen hatte, den dreibeinigen Hasen oder den gespenstischen Stiefel. Er hätte auch gewiss einen anderen nichts davon erzählt, denn er war ein Mann, der seine Geheimnisse für sich zu behalten wusste, aber er konnte ihr nun einmal nichts abschlagen. Sie bat ihn so schön und eindringlich, dass er endlich wohl einwilligen musste, mochte er wollen oder nicht. Er meinte zwar noch, dass es eigentlich schon zu spät dazu wäre, denn es sei eine lange Geschichte. Aber da auch dieser Einwand nichts half, klopfte er seine Pfeife aus. Nachdem er sie aufs Neue gestopft und angezündet hatte, erzählte er ihnen Die Geschichte von dem Gespenst im gelben Atlaspelz