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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 15

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Das Osterfest. Annes Anteil an der Verbreitung der Reformation in England. Das Komplott.

Man feierte das schöne Osterfest, die Auferstehung unseres Herrn. Die Hallen des königlichen Schlosses waren nach altherkömmlicher Sitte mit grünem Laub geschmückt. Über den Türen der Zimmer steckten kleine Zweiglein von geweihten Palmen, welche den Bewohnern derselben in künftigen Jahren als heiliges Schutzmittel gegen Krankheit und Pestilenz dienen sollten. Das königliche Ehepaar hatte gemeinschaftlich dem Hochamt beigewohnt. Nach dessen Beendigung führte Heinrich mit ritterlicher Galanterie seine Gemahlin an der Hand in ihre Zimmer zurück. Hier küsste er sie herzlich auf die Stirn und überreichte ihr einen kostbaren Ring zum Osterangebinde. Anne dankte lächelnd. Mit ihrer gewohnten Grazie erwiderte sie den Glückwunsch des Königs, worauf der Gemahl sie verließ.

Es gehörte zu Heinrichs Eigentümlichkeit, dass er meistens gegen diejenigen Personen am freundlichsten sich bezeigte, deren Untergang er im Stillen beschlossen hatte. Es war seinem argwöhnischen Auge zwar nicht entgangen, dass schon ein geweihter Zweig auf Annes Putztisch lag. Er wusste auch bereits von seinen aufgestellten Spionen, dass der schwärmerische Verehrer Annes, Smeaton, ihn am frühen Morgen aus der Kathedrale gebracht und seiner Gebieterin übersendet hatte. Er verbarg den aufwallenden Zorn, denn er musste noch mehr sehen und hören, ehe er mit seiner Anklage auftrat.

Unter dem Vorsitz Lord Norfolks, dem Oheim Annes, war jedoch sofort seinem Befehl zufolge eine geheime Kommission gebildet, welche den bisher unerhörten Zweck hatte, im Stillen die moralische Conduite der Königin genau zu überwachen!1

Das Opfer dieser schändlichen Intrige, dieses höllischen Planes wusste zwar nichts hiervon, ebenso wenig ahnte es die volle Tiefe von Heinrichs Tücke. Aber gleich wie die Taube schon von Weitem, noch ehe der Raubvogel sichtbar wird, seinen Flügelschlag vernimmt, gleich wie die Möwen verschüchtert und bange vor dem Orkan sich zu den Schiffen flüchten, noch lange ehe der Sturm ausbricht, so lastete seit ihrer Krankheit auf Annes Seele das dunkle Vorgefühl eines kommenden Ungewitters, eines herben Leidens. Wie hätte sie sich auch der Selbsttäuschung hingeben können, da sie Heinrichs Natur allzu wohl kannte? Seine gleisnerische Freundlichkeit vermochte andere zu täuschen, sie blieb keinen Augenblick über Heinrichs wahre Gesinnung im Zweifel, dass er nämlich alles aufbieten werde, um ihre Ehe zu lösen und Jane zum Altar zu führen.

Die Wege der Vorsehung erscheinen uns Menschen oft dunkel und rätselhaft, wunderbar sind die oft eng verschlungenen Pfade, auf denen sie eine verirrte Seele zu ihm zurückführt. Was Annes Glück nicht bei ihr erreicht, vollendete das herbe Leiden, welches über siebhereingebrochen war und ihrer noch harrte. Sie hatte sich von ihrem langen Siechbett als ein völlig verändertes Wesen erhoben, floh jedes Hoffest, wich jeder Zerstreuung aus und widmete sich ausschließlich ernsten Studien und der Ausübung frommer, wohltätiger Werke. Wie die edle Katharina sah man die sonst muntere, leichtsinnige Anne im einfachen Gewand, ohne Schmuck, stundenlang im Kreise ihrer Hofdamen sich mit den feinen Stickereien beschäftigen, von denen noch in Hamptoncourt Proben übrig geblieben sind. Von Frankreich bezog sie die schönsten Muster und das Material zu Altardecken und Gobelin-Tapisserien. Dass diese äußere Umwandlung eine Frucht ihres verwundeten Herzens war, bezeugte allen die Sanftmut ihres Benehmens, die geduldige, stille Heiterkeit, mit welcher sie des Königs Ungnade ertrug. Und nun erst fand sie, was sie nie im übermütigen Glück genossen hatte, wonach sie vergebens gesucht hätte, die reinste, herzlichste Liebe ihrer näheren Umgebung, eine Liebe, welche ihr bis zum Tod getreu blieb und später ihr Andenken beim Volk verklärte.

Es ist eine bekannte Erscheinung, dass die Stimme des Volkes in den meisten Fällen unparteiisch richtet und daher oft in Wahrheit Gottes Stimme genannt wird. Wie sehr auch die damalige strenge Etikette der Tudor die Bürger vom Hof und Adel trennte, sie konnte nicht gänzlich die Vorgänge und die an Ersterem herrschende Stimmung vor den Stadtbewohnern verbergen. Es war kein Geheimnis mehr, dass Anne nun ihrerseits einer neuen Geliebten weichen müsse. Annes frühere Schuld ging in dem Mitleid unter, das man ihr nun zollte, und in der herzlichen Dankbarkeit, welche ihre Wohltätigkeit für sie erweckte. Die Anzahl der geflüchteten Protestanten hatte sich unter ihrem Schutz in England bedeutend vermehrt, zumal sie keinen Anstand nahmen, den despotischen König als obersten Kirchenrichter anzuerkennen. Diese verbreiteten rasch die neue Lehre unter dem einheimischen Volk, und Anne erlangte für sie die Begründung zweier kleiner Betkapellen, in denen die Messe in englischer Sprache sowie eine Predigt in freier Auslegung der Heiligen Schrift gehalten wurde. Es war diese Konfession nicht ohne Mühe erlangt; allein die Protestanten boten dem geldgierigen Monarchen auf Annes heimliches Anstiften eine nicht unbedeutende Abgabe, welche jährlich in die königliche Kasse fließen sollte.

Die Entdeckung, dass man Anne ebenfalls die Übersetzung der Evangelien verdankte, trug aber wohl am meisten dazu bei, die Stimmung des Volkes gegen sie zu mildern. Es war ja das Buch der Ketzerin. Die konnte nicht schlecht sein, welche ein solches Buch liebte.

Das ausgestreute Samenkorn des Guten liegt manchmal lange schlummernd. Noch seltener erntet derjenige, welcher es ausstreut, hier im Leben noch die goldene Frucht. So sollte es Anne ergehen. Erst ihrer Tochter war die volle Anerkennung der hohen Wohltat aufbewahrt, welche die Mutter dem englischen Volk durch das Geschenk der Bibel erwiesen hatte.

Bisher hatte sie, aus Furcht vor dem König oder vielleicht aus Liebe zu demselben, sich, wie wir wissen, geflissentlich von einem persönlichen Verkehr mit den Häuptern der Reformation ferngehalten. Nach ihrer Krankheit trat sie offen mit ihrer religiösen Gesinnung hervor, besuchte zwar die Messe und behielt ihren katholischen Beichtvater Parker bei, allein auf ihre Bitten führte ihr der Erzbischof Cranmer mehrere ausgezeichnete protestantische Theologen zu, mit denen sie eine enge Freundschaft schloss. Unter diesen bezeichnet die Geschichte vorzugsweise Latimer und Ridley. Beide Männer übten einen großen Einfluss auf Anne aus und starben später, unter Marys Regierung, mit Cranmer den Feuertod.

Doch wir müssen nun wieder zu dem Tag zurückkehren, an dem wir die Ehegatten verlassen hatten.

Mary Gaynsford näherte sich der Herrin, als die Frauen allein waren, und nahm dieser den reichen Samtmantel und den kostbaren Schleier ab.

»Ist mein Wunsch erfüllt worden?«, fragte Anne sanft, »werde ich mein Töchterchen begrüßen?«

»Ja, Majestät«, lautete die Antwort, »wir erwarten seine Ankunft im Laufe des Tages.

»Es ist gut«, sagte Anne. Eine Träne trat in ihr großes, schönes Auge. »Mich hat es verlangt, Ostern mit dem Kind zu feiern. Wer weiß, ob es nicht das letzte Fest ist, wo mir diese Freude vergönnt sein wird.«

»Teure Gebieterin, warum immer diesen schwarzen Gedanken Raum geben?«, rief Mary aus. »Es wird besser werden. Wisst Ihr noch nicht, dass Mistress Jane Seymour nach Hause gereist ist?«

»Jane fort?«, rief Anne überrascht aus. Einen Augenblick erhellte die Freude ihr Antlitz.

»Ja, und wie man sich zuflüstert, auf Befehl Seiner Majestät. Auch Lady Mary soll fort, auf eins der königlichen Schlösser, und ihre eigene Haushaltung wieder besitzen. Ihr seht, teure Herrin, es werden sonnigere Zeiten für Euch kommen. Lasst nur die Hoffnung nicht sinken!«

Aber Anne schüttelte verneinend das Haupt. »Ich kann nichts Besseres für diese Welt hoffen, Mary. Es ist mit meinem irdischen Glück vorbei. Doch ich trauere nicht darum. Ich erkenne Gottes strafende Hand in meinen Leiden und werde ruhig mein Schicksal abwarten.«

»Schicksal, Majestät?«

»Ja, mein liebes Mädchen, ich werde nicht als Königin von England sterben, sondern wie Katharina, allein und verstoßen. Gedenkt meiner Worte und verlasst mich nicht.«

»Ich, nie, Herrin. Glaubt meinem Wort! Doch hört, es kommt jemand – ein Kind weint!«

»Es ist meine Tochter!« rief Anne fröhlich aus, »mir sagt es das hochklopfende Herz. Eile Mädchen, es hereinzubringen.«

Mary ging hastig der Tür zu, aber ehe sie diese erreichte, traten mehrere Frauen mit der kleinen Prinzessin ins Gemach und legten sie der Mutter in die Arme.

Sie küsste und liebkoste es, aber die Kleinesträubte sich und streckte ihre Arme nach der Gouvernante aus.

»Sie kennt mich nicht als ihre Mutter«, sagte Anne schmerzlich bewegt. »Kein Wunder, ich habe ihre liebe Gegenwart so viel entbehren müssen. Aber es war nicht mein Wunsch, sondern der Wille meines hohen Gemahls.«

Anne sprach hier die Wahrheit. Heinrich hatte ihr verboten, das Kind selbst zu stillen oder sich sonst mit demselben anzustrengen, aus Furcht, der Schönheit der Mutter zu schaden.

Die Gouvernante reichte der Kleinen Schmuck und andere glänzende Gegenstände zum Spielen dar, und Anne gab ihr süße Kuchen. Nach und nach ließ sie sich zufriedenstellen und lächelte holdselig die Mutter an.

Es war ein schönes, rührendes Bild, an dem sich die Augen aller weideten. Da meldete man den Kaplan der Königin, Mathew Parker. Anne gebot, denselben sogleich einzuführen.

Parker war ein redlicher Christ, ein echter Priester Gottes, fromm und schlicht sein Wesen und sein Leben. Anne verehrte ihn in hohem Grade und schenkte ihm ein unbedingtes Vertrauen.

»Seid uns herzlich willkommen, ehrwürdiger Vater!«, rief sie Parker freundlich zu. »Ihr kommt uns erwünscht, um dieser Kleinen zum hohen Fest Euren Segen zu erteilen.«

Sie hielt ihm bei diesen Worten das Kind entgegen, das ihn scheu, aber mit einem ruhigen, forschenden Blick anschaute. Parker nahm es auf den Arm, machte dreimal das Zeichen des Kreuzes auf Stirn, Mund und Brust, küsste es dann zärtlich und legte es wieder auf den Schoß der Mutter.

»Gottes Segen ruhe auf dir!«, sprach er zärtlich und feierlich. »Der Himmel beschirme dein liebes Haupt und stärke dich in den dunklen Stunden, die in keines Menschen Leben fehlen dürfen.«

Die kleine Elisabeth lächelte. Es war gleichsam, als habe sie den Segen begriffen und die Trostverheißung, welche dieser enthielt.

Eine der Damen rief laut aus: »Wie verständig Ihre Hoheit schon ist! Wie sinnig und beredt ihr schönes Auge!«

»Ja, es spiegelt sich darin bereits die künftige Seele«, erwiderte Parker gedankenvoll.

»Wenn diese kindlichen Augen und diese Züge wahr sprechen, so wird sie einst viel von sich reden machen.«<2

»Gebe Gott, dass sie Eure Worte erfülle«, sagte Anne zärtlich und zugleich wehmütig, »obwohl ich schwerlich selbst die Freude erleben werde, sie zur Jungfrau heranwachsen zu sehen. Elisabeth wird Eure Schülerin werden, ehrwürdiger Herr«, fügte sie bittend hinzu. »Erzieht sie weise und in der Furcht des Herrn, wie in der Liebe zu seinem heiligen Wort. Gelobt mir bei dem Andenken des heiligen Meisters und Heilandes, dessen glorreiche Auferstehung wir heute feiern, ihr ein zweiter Vater zu sein, wenn sie der mütterlichen Liebe entbehren muss.«

Parker blickte die Sprechende teilnehmend an. Er verstand sie, denn er durfte ja stets offen in ihrer bedrängten Seele lesen.

»Ich gelobe es!« erwiderte er feierlich und reichte ihr die Hand. »So lange ich lebe, werde ich Eurer Tochter meinen Rat und meinen väterlichen Zuspruch nicht entziehen. Aber nun, Majestät, wollt mir die Gnade gewähren, Euch kurze Zeit allein zu sprechen.«

Anne erhob sich sofort und übergab das Kind der Erzieherin.

»Ich stehe Euch zu Gebote, ehrwürdiger Vater, wollt mir in mein Betzimmer folgen.«

Die Frauen wechselten nach der Entfernung des Paares bedeutsame Blicke untereinander. Die Wangen Mary Gaynsfords wurden bleich wie der Tod.

»Was mag zu bedeuten haben?«, fragte sie mit leiser Stimme. »Der Pater sah so angegriffen aus, ungeachtet seiner Bemühungen, äußerlich ruhig zu erscheinen.«

»Und wie er zitterte, als er versprach, der Prinzessin ein zweiter Vater zu werden!«, warf eine andere Dame ein. »Mir will es nicht gefallen, dass Lady Rochefort seit einigen Tagen so selten in dem Zimmer der Königin erscheint, und auch Lord Rochefort.«

»Gott gebe, dass die böse Schlange nicht wieder etwas Schlimmes im Schilde führe«, sagte Lady Guilford, eine ergebene Anhängerin Annes.

»Sie hat bereits das Schlimmste getan«, erwiderte Mary Gaynsford. »sie hat den König von seiner Gemahlin entfernt und ihrem edlen Herzen einen tiefen Schmerz bereitet.«

»Komm ein wenig beiseite, Mary«, flüsterte Elisabeth Guilford dieser zu, »ich muss dir sagen, was ich schon vernommen habe, aber dir nicht mitteilen wollte.«

Bei diesen Worten legte sie ihren Arm in den Marys und zog sie zu einer Fensternische.

»Was hast du mir zu beichten?«, fragte Mary.

»Ach, etwas sehr Schweres und Betrübendes, Kind!«, lautete die Antwort.

»Du weißt, mein Bruder ist der vertraute Freund von Lord Norris, und dieser …«

»Dein warmer Verehrer«, unterbrach sie Mary lächelnd.

»Nun ja, die Liebe ist gegenseitig, obwohl es noch ein Geheimnis bleiben muss, so lange der Vater lebt oder nicht bewogen werden kann, uns seine Einwilligung zu erteilen. Stell dir nun mein Entsetzen vor, als mein Bruder mir unter dem Siegel des Vertrauens mitteilte, dass Norris sehr um unsere Herrin besorgt sei.«

»Wieso?«, fragte Mary rasch.

»Schon einige Male, wo Norris die Nachtwache im Nebenzimmer hatte, sei Lady Rochefort in aller Heimlichkeit beim König eingetreten und eine Stunde bei ihm geblieben.«

»Doch nicht etwa eine Liebschaft mit dieser Schlange?«

»Nein, das wäre am Ende noch das Bessere«, versetzte Elisabeth Guilford, »aber sie kommt nicht allein. Norris unterschied mehrere Männerstimmen dabei, namentlich die Lord Norfolks und Gardiners.«

»Beide die Feinde der armen Königin!«, sagte Mary.

»Sogar ihre Todfeinde! Glaube mir, es spinnt sich im Finstern der Nacht ein furchtbares Komplott gegen unsere Herrin, ohne dass sie es gewahr wird.«

»Aber sie ahnt, sie fühlt es«, sagte Mary. »Hat Norris nicht vernommen, wovon es sich handle? Sage mir gleich alles, Liebe.«

»Nun, du musst es doch am Ende erfahren, also nützt es nichts, jetzt zu schweigen. Nur dein Ehrenwort fordere ich, dass du niemandem davon sagst, aber unsere arglose Königin zu warnen suchest.«

»Hier hast du meine Hand. Sprich nur rasch!«

»Genau konnte Norris den Zusammenhang der Suche nicht erlauschen, weil die Tür verschlossen und die Draperien davor niedergelassen wurden. Aber es gibt eine kleine Öffnung in der Wand, beim Kamin, wo man deutlich verstehen kann, was im Nebenzimmer laut gesprochen wird. Da hörte er, wie Lady Anne, die gute, engelreine Seele, angeklagt wurde, verbotenen Umgang mit Smeaton zu haben.«

»Gerechter Himmel!«, rief Mary, bestürzt ihre Hände zusammenschlagend.

»Still doch, du erregst die Aufmerksamkeit der anderen Damen dort!«

»Ich bin ganz ruhig, Liebe. Weiter, nur weiter!«

»O, es kommt noch schlimmer«, versetzte Elisabeth Guilford und näherte sich Mary so dicht, dass sie dieser ins Ohr flüstern konnte: »Sie sagten, sie liebe auch ihren Bruder so, wie sie es nicht solle, und empfange ihn bei Nacht, wenn die Damen sie verließen.«

»Teufel! Eingefleischte Dämonen!«, hauchte Mary Gaynsford aus, indem sie zurücktaumelte und niederzusinken drohte.

Die Guilford aber umfing sie hastig, indem sie einen misstrauischen Blick in den Saal warf. Nachdem sie sich aber überzeugt hatte, dass man mit dem Kind und gruppenweise miteinander sich unterhielt, fuhr sie fort: »Ja, Teufel, das ist für sie noch ein zu gutes Wort, und dieses Ungeheuer, dieses Scheusal von einem sittenlosen, entarteten Weibe, diese Rochefort, klagte ihren eigenen Mann der Schande an, und wie sie mit Augen gesehen habe, dass Rochefort sich auf der Schwester Bett gesetzt und sie geliebkost habe.«3

»Ich will sogleich zu ihr, will ihr das schändliche Komplott mitteilen«, sagte Mary Gaynsford mit tonloser Stimme.

»Halt, bleibe!«, bat ihre Freundin mit entschiedener Ruhe, »es ist nicht an uns, die Gattin gegen den Gemahl zu reizen, sie aufzustacheln. Was möglich war, ist geschehen, Liebe. Ich selbst begab mich auf Lord Norris’ Bitten gestern zum Vater Parker und bat ihn, die Königin zu warnen, der Verleumdung jeden Vorwand zu nehmen.«

»Sie ist unschuldig, wie die Madonna selbst«, antwortete Mary, »Du weißt es auch, denn wir verlassen sie nie, und ich schlafe nachts in ihrem Gemach.«

»Still, Liebe, du brauchst sie mir gegenüber nicht zu rechtfertigen«, lautete die Antwort. »Meinst du, ich glaubte nur eine Silbe von der Lüge? Nein, es ist ein fein ausgesponnener Plan, entweder von Rom oder von der Sippschaft der Seymour, der Lady Anne Platz machen soll.«

»Ach, wäre die arme Herrin nur im Wochenbett gestorben!«, sagte Mary. »Wenn ich dieses damals gewusst hätte, würde ich nicht so heiß um ihre Genesung gebetet haben.«

»Gott weiß, Mary, was hiervon das Ende sein wird, aber komme, was da wolle, nie huldige ich dieser unwissenden Seymour als meiner Gebieterin.«

»Und ich sterbe mit der Königin«, sagte Mary Gaynsford, »das fühle ich. Aber horch! Dort ist die Königin wieder mit dem Pater. Ob er ihr alles gesagt haben mag?«

»Wohl schwerlich alles«, meinte die Guilford, »aber genug, um sie zu warnen, dass sie der Eifersucht des Königs keine Nahrung gebe. Sieh nur, wie sie so bleich aussieht, wie sie sich anstrengt, ihre ruhige Fassung zu bewahren!«

»Komm, lass uns zu ihr eilen«, sagte Mary, nachdem Parker das Gemach verlassen hatte. »Vielleicht teilt sie mir ihre Unterredung nachher mit, Liebe, und ich werde behutsam, ohne dich zu nennen, sie bitten, Smeaton zu entlassen und Rochefort auf sein Gut zu senden.«

»Tue das, und Gott segne dein Bemühen, mein liebes Herz«, lautete die ernste Antwort, als sie zusammen sich der Königin näherten.

Anne hatte sich wieder gesetzt und tändelte mit der Prinzessin. Was sie mit ihrem Beichtvater verhandelt oder dieser ihr mitgeteilt hatte, ist nie bekannt geworden, denn Anne entließ ihren begünstigten Lehrer nicht, ebenso wenig verließ Lord Rochefort den Hof, auch erwähnte sie gegen Mary Gaynsford nichts von dem Komplott. Hatte doch Parker sie über die Gefahr, welche sie bedrohte, gewarnt! Anne musste in dem Bewusstsein ihrer Unschuld es verschmäht haben, derselben vorzubeugen oder sich zu verteidigen. Aber Mary bemerkte an ihr von jenem Tage an eine fieberhafte Unruhe und eine Zerstreutheit, welche ihr an der Herrin fremd war, in ihrem öffentlichen Zusammensein mit dem König jedoch ein auffallendes Bemühen, durch Witz und erzwungene Heiterkeit diesen zu fesseln. Auch verwandte sie sichtlich viel Zeit auf ihre Toilette und nahm ihre Zuflucht zu den künstlichen Mitteln, welche sie seither verschmäht hatte, um den bleichen Wangen die frühere frische Blüte wieder zu verleihen.

Ihre Stimme war weich, fast zärtlich im Gespräch mit ihm, ihr Benehmen und Auftreten das einer ergebenen und liebenden Gattin.

Ach! Die Reue kam zu spät und keine Schönheit, kein Witz vermochte das erkaltete, selbstsüchtige Herz Heinrichs zu rühren. Ihm schwebte nur ein Ziel vor Augen, das er rastlos im Stillen verfolgte: gültige Beweise und Zeugen aufzutreiben, um sie für immer zu entfernen und Jane Seymour an ihre Stelle zu setzen. Es war nicht aus Erbarmen geschehen, dass er Jane freiwillig aus seiner Nähe verbannt und auf ihr väterliches Gut gesandt hatte. Nur die Klugheit hatte den Schritt verlangt, um desto besser seinen schändlichen Plan mit dem Schein eines gekränkten Ehemannes vollenden zu können.

Wie früher zwischen Anne Boleyn und ihm wurde nun mit Jane ein zärtlicher Briefwechsel geführt und wanderten die kostbarsten Geschenke an Schmuck und Kleidungsstücken zu dem ländlichen Aufenthalte der Gemahlin in spe. Es ist zu Ehren Janes nicht anzunehmen, dass diese den vollen Umfang der schändlichen Pläne kannte, wodurch ihre Rivalin aus dem Weg geräumt werden sollte, aber gewiss trifft sie mit Recht der Tadel der Nachwelt, da sie bereits in einem Alter stand, wo sie das Missliche und Unmoralische ihrer Stellung erkennen musste. Wir werden später sehen, welche bittere Reue sie vor ihrem Tod über ihre unheilige Ehe empfand.

Zwei Personen gab es nur in Heinrichs Umgebung, deren Einfluss möglicherweise ihn noch von dem finsteren Pfad abgelenkt hätten, aber diese fehlten nun, wo man ihrer so sehr bedurfte. Die eine war Cranmer, der auf seine inständigen Bitten und unter dem Vorwand wissenschaftlicher Studien von Heinrich die Erlaubnis zu einer längeren Reise auf dem Kontinent erhalten hatte. Er befand sich, dieser zufolge, seit mehreren Monaten in den Armen seiner glücklichen Gattin in deren friedlicher Wohnung am Rhein.

Die zweite Person war Lady Mary von England, Heinrichs Schwester, das Wesen, welches er nach Katharina am meisten im Leben liebte. Ein zehrendes Fieber hatte die edle, hoch herzige Frau langsam hingerafft und den englischen Hof in tiefe Trauer versetzt. Wenige Tage vor ihrem Ende diktierte sie einen rührenden Brief an ihren ehemaligen Schützling Anne und forderte sie auf, für das Heil ihrer Seele zu beten und ihren geliebten Bruder glücklich zu machen.

Anne vergoss bittere Tränen der herzlichsten Liebe, als sie den Brief las. Dann küsste sie ihn und flüsterte leise die Worte: »Möge ich einst dort sein, wo du reiner Engel jetzt bist.«

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  1. Geschichtlich
  2. Geschichtliche Worte Parkers
  3. Bekanntlich basierte Annes Tod auf dieser schändlichen Verleumdung Lady Rocheforts.