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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 50

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

50. Wie Rübezahl menschenfreundlichen Gesellen wieder aus der Not hilft.

Vor länger als 100 Jahren gingen drei Wandergesellen dem Landshuter Pass zu. Der eine dachte gerade an den alten Tilly von Magdeburg, der andere an die große Bratwurst bei der Kaiserkrönung in Frankfurt und der Dritte an den weisen Salomo – war aber nicht der Kürschner in Greiffenberg, sondern ein anderer – und das ganze Alte Testament.

Da fiel dem mit der Bratwurst dabei ein, wie schön es wäre, wenn man eine hätte, und müsste es just nicht in Frankfurt sein, sondern lieber hier, und sagte zu den anderen: »Kinder, wollen wir uns nicht ein wenig setzen und unser Frühstück essen?«

Die sagten gern Ja, zogen aus ihren Taschen jeder ein Stück trockenes Brot heraus und hielten ihren Imbiss. Das war alles, was sie hatten.

Der eine hatte nun eben den Kopf voll Bratwurst und sagte, da sie weiter nichts hätten, als das liebe trockne Brot, so wollten sie sich jeder etwas dazu recht lebhaft vorstellen, er zum Beispiel eine Bratwurst, und dann schmeckte das trockene Brot ordentlich danach, wenn man sich nur recht hineindenke.

Der andere, welcher indessen schon ganz herzhaft in sein Brot hinein gebissen hatte, meinte, er schmecke nichts von Gurkensalat, ob er gleich sich so recht danach sehne und recht tüchtig in ihn hineindachte.

Der Dritte sagte aber, er wolle lieber dabei an gar nichts andres denken, als an den lieben Gott, und wünsche er nur, dass der ihm immer zeitlebens ein Stücklein Brot und ein ruhiges Gewissen gebe.

»Ja, Bruder, du hast recht«, fiel der Zweite ein, »und Gott verlässt auch keinen ehrlichen Deutschen, wenn er es nur danach macht und ihn und seine Lehren nicht vergisst. Habe ich doch das oft genug an mir selbst erfahren.«

Da nickte der Dritte bedeutungsvoll mit dem Kopf, indem er auf die Erde schaute und sprach: »Ja, wohl hast du ein wahres Wort gesprochen und ich bin selbst ein lebendiger Zeuge davon, dass Gott keinen ehrlichen Deutschen verlässt, wenn er nur Gott und sich selbst nicht untreu wird. Aber ein noch deutlicheres Beispiel haben wir selbst in unsrer Freundschaft an unseren Großeltern erfahren, und darum bauen wir auch in aller Not fest auf Gott und seine Hilfe. Wir können uns alle drei daran spiegeln und unser Vertrauen zum lieben Gott stärken. Wenn es auch recht ist, so erzähle ich euch die Geschichte.«

Indessen kam Rübezahl als Bauersmann ihnen entgegen, grüßte und setzte sich auf den Rand den Handwerksgesellen gegenüber, die ihn aber weiter nicht beachteten, und der Dritte fing mit seiner Erzählung an.

»Vor ungefähr 80 Jahren lebte bei mir zu Lande in der Stadt Schneeberg ein Kaufherr Namens Schnorr und war ein gar wohlhabender Mann geworden durch das Bergwerk, so damals auf dem Schneeberg gar seltsam blühte. Er hatte viel Geld außen stehen unter den Leuten, denn er hatte vielen die Waren geliehen auf Treu und Glauben, und waren doch darunter Undankbare gewesen, so ihn um seine Waren und seinen Verdienst gebracht hatten. So war es ihm denn auch sehr unangenehm, dass er von einem Kaufherrn aus Hamburg, mit dem er schon lange in Geschäften gestanden hatte, und den er als einen sehr redlichen Mann kannte, keine Nachricht erhielt, und noch viel weniger das Geld, so er von ihm zu fordern hatte. Er dachte also, du willst hin zu ihm und selbst sehen, wie es mit dem Mann steht. ›Gack‹, sagte er eines Tages zu seinem Knecht – er hieß Jakob – ›Gack, schmiere heute das Wäglein und füttere die Rosse gut, denn wir haben morgen eine weite Reise vor. Und bitte Gott inbrünstig, dass er unser Vorhaben segne und uns gesund zu den unsrigen zurückführe.‹ Nun freilich, damals war eine solche Reise nach Hamburg ein großes Werk, was jetzt nur eine Kleinigkeit ist. Damals beteten die Leute noch, was nun als eine überflüssige Sache von den neuen Deutschen verlacht wird. Frühmorgens noch vor Tag, kam der Gack mit dem Wäglein vor die Tür. Die liebe Frau Schnorr mit ihrem Herdlein Kinder begleitete mit Tränen in den Augen ihren Herrn und wünschte ihm Gottes Segen auf die Reise und glückliche Heimkehr. Das Wäglein rasselte ganz lustig durch die stillen Straßen dem Tor zu. Die Reise ging glücklich über Zwickau, Altenburg, Leipzig, Magdeburg auf Hamburg zu. Nach manchem Tag und mancher Nacht kamen sie endlich in Hamburg an. Herr Schnorr sagte fröhlich: »Nun Gott sei es gedankt!« Und Gack rief: »Fickerment«, und schaute mit weit geöffnetem Mund voll Verwunderung auf Straßen, Kanäle und auf die vielen Schiffe. Am anderen Morgen ging der Kaufherr aus und fragt nach dem Kaufmann Hennig. Jemand sagte, dort in dem großen Haus mit den vergoldeten Gittern und wo der große vergoldete Türklopfer sei, hatte er gewohnt, wendete sich ab und ging davon.

Hatte er gewohnt, sagte Herr Schnorr verwundert zu sich. Nun. Du wirst ja hören. Er ging auf das kleine, schlechte Häuslein zu, das neben dem großen steht, um da lieber noch einmal zu fragen.

Ein Mägdlein, welches Wasser holte, sagte ihm unter der Tür auf seine Frage nach Herrn Hennig: ›Dort in dem Hinterstüblein ist seine Frau.‹ Und ging ihres Weges. Der Kaufherr war ganz bestürzt und konnte sich den großen Geschäftsmann und sein kleines Häuslein gar nicht zusammenreimen.

Als er endlich in das reinliche, aber ärmliche Zimmer trat und eine bleiche Frau drinnen im Bett, und acht in Schwarz gekleidete Kinder wie die Orgelpfeifen, eins immer kleiner als das andere darum sah, erschrak er. Er fragte nach Herrn Hennig. Ein allgemeines Schluchzen antwortete ihm auf seine Frage. Nach und nach erfuhr er endlich den ganzen Umstand, wie Hennig sein ganzes Vermögen auf Ausrüstung eines Schiffes nach Ostindien verwandt, das auch mit Schätzen beladen zurückgekehrt sei bis in die Nordsee, hier aber, vom Sturm ergriffen, im Angesicht von Cuxhaven mit aller Ladung untergegangen sei. Als nun der unglückliche Hennig dies alles erfahren hatte und nur zu bald habe seine Handelsfreunde sich Haus und Hof abnehmen sahen, da habe es ihm das Herz gebrochen, und er sei vor Kurzem verstorben. Seine Witwe sei in das Häuslein daneben gezogen, aber der Kummer habe auch sie aufs Siechbett geworfen. Sie leide nun an der Auszehrung und sehe einem baldigen Ende entgegen.

Der brave Handelsherr war tief erschüttert, drückte der armen Dulderin bewegt die abgezehrten Hände und umarmte mit feuchten Augen eins der Kleinen nach dem anderen, denn er dachte an die eignen Kinder, die sich schluchzend an den lieben, teilnehmenden Mann hingen, als ob sie in ihm einen Retter geahnt hätten. Wie hätte nun der brave Mann von seiner Schuld anfangen können! Denn als er das Elend hier sah, war Forderung und Reisegeld und alles vergessen.

Er hatte hier genug zu trösten. Sechs Wochen lang blieb er in Hamburg, und sein Trost für die Jammernden war täglich neu. Als nun der Arzt verkündete, die Kranke werde die Sonne nicht mehr auf gehen sehen, trat Herr Schnorr an das Sterbebett, ergriff ihre Hand und gelobte ihr im Angesicht Gottes feierlich, dass er den Kindern ein Vater sein, sie alle mit sich nehmen und für sie sorgen wolle, wie für seine eignen Kinder. Ein leiser Händedruck, ein seliger Blick der Sterbenden gen Himmel sagten dem braven Mann, dass sie dort für ihn Vergeltung erflehen werde.

Am Tag nach dem Begräbnis hielt der alte, treue Gack mit seinem Wäglein wieder vor einer Tür, aus der acht schwarz gekleidete Waislein mit rot geweinten Augen stiegen und sich in das Wäglein setzten.

Hinterdrein schritt fröhlichen Antlitzes der Kaufherr und sagte feierlich, als er einstieg: ›Unseren Eingang segne Gott, unseren Ausgang gleichermaßen, und nun fahre mit Gott, Gack!‹

Der Gack sagte nur noch ›Glück auf, Hamburg!‹, knallte lustig mit der großen Geißel, dass man es hätte drüben bei England hören können und bei hellem Wetter wohl noch weiter. Nun ging es der Heimat wieder zu.

Die Reise war ganz glücklich. Immer schönes Wetter, überall schlechte Wege, im Wagen lauter Gesundheit und nichts als Fröhlichkeit unter den Kleinen, denn bei solchen ist der Schmerz kurz. So kamen sie eines Abends glücklich wieder auf dem Schneeberg an. Herr Schnorr gab jedem alten und jungen Bergmann, der ihm sein Glück auf begegnend zurief, ein gar herzliches fröhliches Glück auf wieder zurück.

Als sich nun das Haustor öffnete, Mutter und Kinder dem lieben Vater jubelnd entgegenflogen und einen ganzen Wagen voll freundlicher Kinderköpflein erblickten, rief ihnen der brave Hausvater entgegen: ›Mutter, hier bringe ich dir einen Wagen voll lauter Vaterunser!‹

Nur eine so wackere Hausfrau wie die liebe Frau Schnorr war mit einem solchen Segen auch zufrieden und hatte dem guten Mann geantwortet: ›Ja, die werden sie auch zum lieben Gott für uns und unsere Kinder beten. Wenn Unmündige und Waisen schreien, erhört er es gewiss, denn aus dem Mund der Unmündigen hat der Herr ihm ein Lob zubereitet.‹

»So, ihr Brüder, hat der liebe Gott für die armen Waisen gesorgt; die Waisen aber haben lebenslänglich für die frommen Pflegeltern zu Gott gebetet, und darum ist immer größerer Segen ins Haus gekommen. Ein Schnorr, der alte brave Hans Weit Schnorr, hat das Dorf und Hammerwerk Karlsfeld, hoch oben im Gebirge in einer Wüstenei angelegt, und seine Nachkommen blühen noch in Sachsen. Und ich«, setzte der Erzähler hinzu, »ich bin ein Nachkomme dieser verwaisten Kinder und habe das Vertrauen zum lieben Gott von meinen Eltern und Großeltern geerbt. Es soll, will es Gott, auch einst auf meine Kinder und Kindeskinder forterben.«

»So wollen wir es auch halten, Bruder«, meinten die andern, und wenn wir heute gleich nicht wissen, ob uns Gott morgen ein Stücklein Brot bescheren wird, so wollen wir ihm doch vertrauen.«

»Und werden es später doch wohl auch noch bis zu Bratwurst und Gurkensalat bringen«, setzte hoffnungsvoll der Bratwürstler hinzu.

Das Brot war nun aufgezehrt und einer sagte: »Ihr Gesellen, jetzt wollen wir gehen.« Unterdessen war auch der Bauersmann aufgestanden und fortgegangen.

Sie warfen hierauf ihre Bündel auf den Rücken, ergriffen ihre Wanderstäbe und wanderten fort. Wie sie nicht weit von der Höllenkrücke waren, sahen sie wieder den Bauer vor sich und schritten ihm tapfer nach. Plötzlich hörten sie einen durchdringenden Angstschrei. Als sie aufblicken, sahen sie, wie der Bauer vor ihren Augen von jäher Felswand in einen tiefen Abgrund hinunterstürzt.

Da war schnelle Hilfe not, und die Gesellen flogen mit möglichster Eile dem Unglücksort zu, um dem Armen zu helfen. Der lag jammernd und winselnd in der Tiefe. Es war ein Glück, dass der Berggeselle im Klettern geübt war, und somit auch leichter die anderen, überall helfend und unterstützend, hinunterbrachte.

Ohne lange zu fragen, hoben sie ihn mitleidig auf, trugen und zogen ihn, obwohl mit vieler Gefahr, aus der Tiefe herauf und wuschen, nachdem sie ihn zu einer Quelle, die nicht weit des Weges am Berghang hervorbrach, hingetragen hatten, seine Wunden sorgfältig aus und verbanden sie mit ihren Wischtüchlein. Die armen Leute hätten es gern gemacht wie der barmherzige Samariter und auch zwei Groschen herausgezogen, sie hingegeben und gesagt: Pflegt sein; aber sie hatten alle zusammen keine zwei Groschen. Darum erboten sie sich nur, in Ermangelung anderer Hilfe, ihn schnell zum Dore zu tragen, damit er dort sichere und bessere Pflege finde. Der Mann erholte sich aber unter ihren Händen sichtlich. Da sie, wie er meinte, ihn so gut und menschenfreundlich behandelt hätten, so sei es, sagte er, nicht mehr nötig, ihn ins Dorf zu tragen, denn er fühle sich nun gar sehr gestärkt und könne sich schon in Kurzem selbst forthelfen. Danken könne er für ihre Wohltat ihnen nimmer genug, fuhr er fort, aber es tue ihm besonders leid, dass er seine Dankbarkeit ihnen nicht tätig bezeigen und ihnen nichts verehren könne, als die unbedeutende Kleinigkeit, welche er eben bei sich führe. Damit langte er aus seinen Taschen drei Streusandbüchsen heraus, verehrte einem jeden Gesellen eine derselben und schied, nochmals dankend, an einem Feldweg von ihnen, auf welchem er, plötzlich ganz munter, zu der Gesellen höchster Verwunderung fortschritt.

Die Wandergesellen hielten ihre Streusandbüchsen in den Händen und sahen bald diese, bald sich verwundert an, als der Mann verschwunden war, und wussten gar nicht, was sie aus so einem Geschenk machen sollten. Der eine war, wie es nun Leute machen, die den Wert eines Geschenkes nicht gleich einsehen, wenn es nicht nach etwas aussieht, sogar darüber unwillig und warf seine Streusandbüchse auf die Straße.

Die zwei anderen taten das aber nicht und meinten, sie wollten sie als ein Andenken behalten, dass ihnen der liebe Gott Gelegenheit gegeben hatte, ein gutes Werk zu tun. Als nun der eine von ungefähr seine Büchse umstürzte, so vielen zu seiner Verwunderung lauter Goldkörnlein heraus, und aus der Büchse des anderen ebenfalls.

Da wurde der Dritte sehr traurig, verwünschte seinen Leichtsinn und sagte doch: »Mir ist ganz recht geschehen, denn ich habe mich solchen Glücks nicht Wert gezeigt. Gott segne Euch aber Euer Geschenk, das Ihr mit Recht verdient. Wahrhaft gute Menschen bleiben in Glück und Unglück wacker.«

Als nun die zwei Gesellen sahen, wie leid dem Kameraden seine Übereilung tue, so wurden sie auch betrübt und sagten: »Haben wir denn auch wirklich verdient, was Gott uns so wunderbar beschert? Darum sollst du als unser Bruder und Gefährte nicht leer ausgehen und eben auch deinen Teil an unserem Glück haben. Gott hat uns aus unsrer Not geholfen, einem wie dem anderen, und folglich auch dir. Sie schüttelten also fleißig an ihren Büchsen und schoben ein Häuflein Gold nach dem anderen dem Mitgesellen zu, bis der selbst sagte: »Es ist genug, und Gott lohn Euch Euer Guttat.

Der Kräuterklauber weiß nicht, wie lange die Streusandbüchsen gelaufen sein mögen, aber das weiß er von Bumban, dass die Gesellen reiche Leute wurden, die ihren Reichtum zum Besten armer und unglücklicher Mitmenschen verwendeten und dass sie ihren Kindern fleißig sagten:

Merkt: Wo die Not am größten ist, da ist Gottes Hilfe am nächsten, aber ihr müsst ihn auch nicht verlassen.