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Aus dem Wigwam – Gluskap

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880

Gluskap

luskap, der allgemein verehrte Schutzgeist der Mi’kmaq, wurde eines Abends von einem berühmten Magier namens Kitpuseagnuw besucht. Er nahm sich vor, sich mit ihm in der Zauberei zu messen.

Als Kitpuseagnuw zu seinem Wigwam, welcher in der Nähe stand, zurückging, sagte Gluskap: »Der Himmel sieht sehr rot aus. Die Nacht wird eine bitterkalte sein!«

Jener verstand sehr wohl, was Gluskap meinte, und sagte seinem Bruder, der die häuslichen Angelegenheiten besorgte, er solle etwas Meerschweinöl trocknen, während er Brennmaterial suchen wolle. Nachdem dies getan war, machten sie ein großes Feuer an, um der kommenden Kälte wirksam zu begegnen. Aber gegen Mitternacht wurde die Kälte so groß, dass das Feuer ausging und der Bruder zu einem Eisklumpen fror. Kitpuseagnuw nahm jedoch keinen Schaden und besaß sogar die magische Kraft, seinen Bruder am anderen Morgen wieder ins Leben rufen zu können.

Am nächsten Tag gingen Gluskap und Kitpuseagnuw zusammen auf die Jagd.

Als sie sich am Abend trennten, bemerkte Letzterer trocken: »Der Himmel ist wieder rot. Wir werden eine kalte Nacht bekommen!«

Dieses Mal war also an Gluskap die Reihe, der Kälte zu widerstehen. Er ging nach Hause, ließ durch den kleinen Marder Holz holen und ein großes Feuer machen. Aber die Kälte war so durchdringend, dass das Feuer gegen Mitternacht ausging und der kleine Marder sowie die alte Großmutter erfroren.

Am nächsten Morgen rief Gluskap: »Rugume, numchasen!« (Großmutter, steh auf!), »Abistanauch, numchasen!« (Marder, steh auf!)

Da sprangen beide auf und waren so gesund und guter Dinge, als ob gar nichts vorgefallen wäre.

Wenn der Mi’kmaq irgendetwas braucht, so schickt er ein kleines Stück davon an Gluskap und erhält dafür, wenn er es infolge seines Charakters verdient, so viel, wie er sich nur wünscht.

Obwohl Gluskap selten zu Hause anzutreffen ist und niemand weiß, wo er eigentlich wohnt, so kann er doch stets zu irgendeiner Zeit von demjenigen gefunden werden, der ernsthaft nach ihm sucht.

Als Gluskap eine Zeit lang unter den Indianern gelebt hatte, verließ er sie plötzlich, und zwar infolge ihrer Sünden oder auch, wie einige behaupten, weil der kleine Marder von den Europäern beleidigt worden war. Sie hatten ihn nämlich aufgefordert, in eine geladene Kanone zu sehen. Als er es tat, schossen sie dieselbe ab. Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, sahen sie ihn ruhig neben der Kanone sitzen und seine Pfeife rauchen. Danach luden sie die Kanone wieder und beredeten ihn, hineinzukriechen, was er ebenfalls tat. Nachdem man sie aber diesmal abgeschossen hatte, war von dem kleinen Marder nichts mehr zu sehen. Alle glaubten, er wäre tot. Zuletzt entdeckte man ihn ruhig rauchend im Rohr sitzen.

Gluskap aber hielt sich in seiner Würde beleidigt, ging ans Ufer und sang: »Nemadschichk, numidich!« (Lasst mich die kleinen Fische ansehen!)

Gleich darauf kam ein großer Walfisch herbeigeschwommen.

»Du bist zu klein«, sagte Gluskap, »ich muss einen haben, der hier bis an die Klippe heraufreicht!«

Der Walfisch schwamm also wieder fort und ein anderer von der gewünschten Größe erschien.

»Kleiner Enkel«, fragte er, »was wünschst du?«

»Trage mich weit über die See zu einem fernen Land!«

Der Walfisch gehorchte mit fabelhafter Schnelligkeit. Nachdem er eine lange Zeit geschwommen war, sah er den Boden und fragte Gluskap, ob sie nicht in der Nähe des Ufers seien.

»Nein«, erwiderte jener.

»Ich glaube aber doch«, sagte der Walfisch, »denn ich kann die Muscheln auf dem Boden sehen!«

Gluskap wollte jedoch so nahe wie möglich ans Land getragen sein und sagte, er irre sich. Pfeilschnell ging es mit solcher Kraft weiter, dass der Walfisch mit dem halben Körper aufs Land schoss. Gluskap stieg von ihm herab, stemmte seinen Bogen gegen ihn und stieß ihn wieder ins Wasser zurück.

»Kleiner Enkel«, fragte der Walfisch, »hast du keine Pfeife übrig?«

Gluskap füllte eine Pfeife mit Tabak, zündete sie an und steckte sie ihm ins Maul. Wolkengroße Rauchsäulen blasend, schwamm der Walfisch fort.

Gluskap ist zwar gegenwärtig unsichtbar, aber er wird wiederkehren. Wo er wohnt, weiß man nicht genau. Schon häufig ist er von solchen besucht worden, die sich ein großes Geschenk holen wollten. Der Weg aber soll schwer zu finden und mit Schwierigkeiten aller Art verbunden sein.

Gluskap ist nicht der alleinige Bewohner jenes schönen Landes im Westen, sondern er teilt dies mit zwei anderen Geistern untergeordneten Ranges, nämlich mit Keukw (Erdbeben) und Kulpnjot (mit einem Hebebaum umgedreht). Der letztgenannte Geist hat keine Knochen und kann sich daher nicht bewegen, aber infolge eines Befehles von Gluskap wird er zweimal jährlich auf die andere Seite gelegt. Im Frühjahr sieht er gegen Osten und im Herbst gegen Westen.

Gluskap gewährt nicht jede an ihn gerichtete Bitte. So führte er einst einen Mann, der sich ein sehr langes Leben gewünscht hatte, auf einen steilen Berg und verwandelte ihn dort in eine hohe Tanne, die vom Wipfel bis zur Erde so dicht mit Zweigen besetzt war, dass ihr unmöglich jemand nähern und sie fällen konnte. Einem anderen, der ein Mittel haben wollte, das alle Krankheiten heilt, gab er ein kleines Päckchen und befahl ihm, es nicht zu öffnen, ehe er nach Hause käme. Die Neugierde war bei diesem jedoch größer als die Achtung vor Gluskaps Gebot. Er öffnete es an einer Seite ein wenig und verlor das Heilmittel dadurch. Andere, die Medizin gegen hitziges Temperament oder einen wirksamen Liebestrank wünschten, gingen befriedigt nach Hause.