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Aus dem Wigwam – Menabuscho

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880

Menabuscho

enabuscho konnte zu allen Tieren sprechen, zu allen Vögeln, Fischen, Winden und Bäumen. Er wusste alles, was auf der Erde vorging, aber vom Himmel wusste er gar nichts, denn dieser war ihm zu hoch, und die Geister, die er deshalb befragte, wussten ebenfalls nichts davon zu berichten. Da sah er einst einen von den Adlern, die nur von toten Menschen leben und die ehemals sehr groß waren. Er rief ihn, doch der Adler wollte nicht herabkommen, musste aber doch zuletzt. Dann musste er Menabuscho auf seine Flügel nehmen und ihn in die Höhe tragen. Doch bald wurden seine Flügel lahm. Als ihn Menabuscho mit aller Gewalt zum Weiterfliegen antrieb, drehte er sich plötzlich um und ließ ihn fallen. Unterwegs flehte Menabuscho den Großen Geist um Hilfe an. Dieser ließ ihn in einen hohlen, mit weichem Moos gepolsterten Baumstamm fallen, in dem er jedoch so wenig Raum hatte, dass er weder Füße noch Hände bewegen konnte. Nach geraumer Zeit kam ein junges Mädchen und fing an, den Baum umzuhauen, sah aber dabei Menabuschos Haar heraushängen, das sie für das Fell eines Bären hielt, und lief nun mit dem Geschrei »Ein Bär! Ein Bär!« wieder in ihr Dorf zurück.

Danach kamen die Leute und halfen ihm heraus.

Kurz darauf sah Menabuscho eine Herde Damhirsche und gab dem Führer derselben den Wunsch zu erkennen, dass er auch gern ein solches Tier sein möchte. Er musste siech ausziehen und hinlegen. Er schlief ein und hatte einen grässlichen Traum. Als er erwachte, war er ein Damhirsch. Aber es dauerte nicht lange, da hatten ihn die Indianer gefangen und geschlachtet.

Aus einem in das Gras gefallenen Blutstropfen, der seine Seele enthielt, bildete sich jedoch bald wieder ein neuer Körper. Und Menabuscho lief als Damhirsch wieder fort. Aber er kam während des ganzen Winters nicht zur Ruhe. Als das Frühjahr herannahte, da war er todmüde und legte sich nieder, um zu sterben. Doch er starb nicht, obwohl sein Fleisch tot war. Er stellte sich überhaupt nur tot, um jenen großen Vogel zu fangen, der ihn einst in der Nähe des Himmels hatte fallen lassen.

Zuerst kam die Krähe, die zu jener Zeit ein solch gefährlicher Vogel war, dass sich kein anderer Vogel in ihrer Nähe blicken ließ. Aber der tote Körper musste ihr doch verdächtig vorgekommen sein, denn sie fraß nicht davon. Bald danach verkündete ein donnerähnliches Flügelrauschen die Ankunft des erwünschten Adlers. Dieser fing denn auch gleich an, Menabuscho das Fleisch von den Knochen zu reißen und sein Fett gierig zu verschlingen. Nun steckte Menabuscho langsam seine rechte Hand durch die Brust und hielt den Adler am Schnabel fest und fragte ihn, warum er ihn einst habe verderben wollen. Doch der Vogel antwortete nicht und schlug mit seinen Flügeln so wild um sich, dass er bald keine Federn mehr daran hatte, seit welcher Zeit denn auch seine Nachkommen bedeutend kleiner geworden sind, kahle Köpfe und kurze Flügel haben.

Menabuscho hielt ihn so zwei Tage lang fest und ließ ihn erst, nachdem er erklärt hatte, dass es ihm unmöglich gewesen sei, höher zu fliegen, wieder frei.

Danach sah Menabuscho eine Herde Wölfe, die der Spur eines Rehes folgten. Er ging mit ihnen. Als die Wölfe das Reh gefangen hatten und fressen wollten, musste er die Augen zumachen. Da er jedoch, von der Neugierde geplagt, einmal eines heimlich öffnete, flog ihm ein Knochen hinein. Dafür rächte er sich nun am anderen Tag, indem er einem alten Wolf den größten Knochen, den er finden konnte, an den Kopf warf, wodurch er ihn beinahe tötete.

Darauf verließen ihn die Wölfe, mit Ausnahme des jüngsten, der bei ihm blieb und das Fleisch für ihn herbeischaffte. Menabuscho fing dann an, Ahornzucker zu kauen. Nun geschah es eines Tages, dass sein Gefährte beim Baden von einer großen Wasserschlange in die Tiefe gezogen wurde. Menabuscho färbte sich schwarz, aß und trank nichts vor Betrübnis.

Da er nun gern herausfinden wollte, wo sich jene große Wasserschlange sonnte, so schickte er den Tauchervogel in die Tiefe, der ihm dann die Mitteilung machte, dass sie jeden Tag auf der Manitu-Insel ihr regelmäßiges Mittagsschläfchen halte.

Gleich fuhr er mit seinem Zauberkanu hin und verwandelte sich in einen Baumstamm. Es dauerte nicht lange, so erschienen mehrere Schlangen. Da sie aber nie vorher einen Baumstamm auf ihrer Insel gesehen hatten, so fürchteten sie sich, ans Ufer zu gehen. Einige davon meinten sogar, das sei Menabuscho. Endlich wurde denn eine Schlange an Land geschickt. Die hatte einen Bärenkopf und fing an, den Baumstamm mit aller Macht zu benagen. Als eben Menabuscho vor Schmerz laut aufschreien wollte, sagte sie: »Das kann Menabuscho nicht sein. Der könnte das nicht aushalten!«

Danach kam eine andere Schlange, die wand sich so fest um ihn, wie sie nur konnte. Gerade, als er wieder laut aufschreien wollte, ließ sie nach und sagte: »Das kann Menabuscho nicht sein!«

Darauf kamen denn alle Schlangen mit ihrem König an Land und sonnten sich.

Nun betete Menabuscho leise zur Sonne. Die schien sie mit ihren Zauberstrahlen in tiefen Schlaf. Darauf griff er zu seinem Bogen, schoss dem Schlangenkönig zwei Pfeile in den Kopf und lief fort.

Nun war da eine alte böse Frau, welche auch zu den Schlangengeistern gehörte. Die suchte nach Menabuscho und fand ihn auch. Aber er gab sich nicht zu erkennen und musste ihr ein großes Seil aus Bastholz machen helfen, welches um die ganze Erde gezogen werden sollte, um herauszufinden, wann jener Bösewicht hindurchlaufe. Überall sollten die Geister Wache halten. Aber Menabuscho tötete die Frau bei der Arbeit, zog ihr die Haut ab, steckte sich hinein und machte das Seil allein fertig. Als er seine Arbeit beendet hatte, ging er zurück zum todkranken Schlangenkönig und heulte seine medizinischen Gesänge.

Doch jener fühlte sich dadurch nur noch schlechter und sagte: »Nokomis, Eure Gesänge helfen nicht. Ich glaube, Ihr singt falsch!«

Menabuscho gab vor, einen Knochen im Hals zu haben und tat, als weine er deshalb.

Als nun die Kunde in das Dorf gedrungen war, dass das große Seil fertig sei, stellte die Medizinfrau jeden an seinen Posten und behielt nur zwei Jungen zur Bedienung des Schlangenkönigs zurück.

Danach warf Menabuscho seine Maske ab, tötete erst den König, steckte dann jedem der beiden Knaben ein großes Stück Fett in den Mund, stellte sie vor die Tür und sagte, dass, wenn die Leute kämen, um sich nach dem Befinden des Patienten zu erkundigen, sie sagen sollten, dass Menabuscho dagewesen sei und ihn erschlagen habe, und dass sie nun sein Fett äßen.

Dann zog er an dem Seil und floh über die Berge. Doch die Verfolger fanden ihn bald in seiner Höhle. Da sie ihn nicht herausholen konnten, so ließen sie eine große Wasserflut kommen, welche die ganze Erde überschwemmte. Menabuscho floh von Berg zu Berg, von Baum zu Baum, aber das Wasser kam ihm immer nach.

»Wachse!«, rief er dem letzten Baum zu, und er tat es. Er wuchs sogar zum zweiten und dritten Mal, aber ebenso schnell folgte ihm das Wasser. Nun ließ Menabuscho den Biber untertauchen, um Erde heraufzuholen, aber er kam tot zurück. Dann schickte er die Moschusratte in die Tiefe, aber auch sie büßte ihr Leben ein. Doch Menabuscho fand in ihren Füßen einige Körner. Die nahm er in seine Hand, schloss seine Augen und flehte den Großen Geist an, seinen Geschöpfen doch wieder einen Platz zu geben, wo sie sich ausruhen könnten. Dabei blies er jene Körner beständig an. Als er seine Augen öffnete, stand wieder eine neue Erde vor ihm und die Tiere waren wieder lebendig. Die Biber gruben dann einen großen Kanal, damit das Wasser abfließen konnte, wodurch die Erde wieder so bewohnbar wurde wie früher.