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Der Spion – Kapitel 9

Balduin Möllhausen
Der Spion
Roman aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, Suttgart 1893

Kapitel 9

Die beiden Briefe

Zwei Jahre waren seit Margarethas Übersiedlung in das Schneckenhaus verstrichen, der furchtbare Bürgerkrieg neigte sich seinem Ende zu, und bis jetzt hatte sie nie die kleinste Ursache gefunden, ihren Entschluss zu bereuen. Ohne große Anstrengungen, allein ihren ebenso treuherzigen wie mutwilligen Regungen nachgebend, war es ihr tatsächlich gelungen, sich eine gewisse Herrschaft über die beiden alten Junggesellen anzueignen. Es bekundete sich dies schon allein darin, dass beide alles Mögliche aufboten, ihre Umgebung immer freundlicher zu gestalten. Wie aber ihre in den farbenreichsten möglichen und unmöglichen Bildern prangende und mit einer vollständigen Möbeleinrichtung versehene Wohnung hatte auch der hinter dem Haus sich ausdehnende Garten im Umfang eines Morgens von Grund auf eine Wandlung erfahren. Die Pfirsich- und Apfelbäume behaupteten zwar nach wie vor ihr Ansehen, dagegen war das in ihrem Bereich befindliche Land so dicht mit jungen Bäumen und Ziersträuchern bepflanzt worden, dass schon jetzt, im zweiten Sommer, die Kieswege hier und da beschattet wurden und die kleinen Rasenflächen an Frische mit Blumenbeeten und sich verdichtenden Lauben gleichsam wetteiferten. Außerdem war das vierblättrige Kleeblatt, zu welchem die heiteren Gestalten der beiden alten Junggesellen, der schwarzen Kleopatra und Hobels sich einten, noch um ein Fünftes vermehrt worden, die an Seltsamkeiten nichts zu wünschen übrigließ. Der fünfzehnjährige verwaiste Neffe Kleopatras war es, ein im Wachstum zurückgebliebener, wunderbar beweglicher, jederzeit zu den mutwilligsten Streichen aufgelegter schwarzer Kobold, wie man auf Grund seines Scharfsinns und großer Zuverlässigkeit keinen geeigneteren Laufburschen hätte auftreiben können. Durch die beiden alten Knaben, die nach verschiedenen Grundsätzen und daher stets hadernd seine höhere Ausbildung überwachten, vollständig verzogen, hatte er sich vor allem eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. Abwechselnd wohnte er im Schneckenhaus, dann bei seiner ihn nicht minder verzärtelnden Tante in der Stadt, und endlich bei einem auf der anderen Seite des Mississippi lebenden Onkel. Ursprünglich hieß er Washington, was Krehle, dessen Ansichten in dieser Richtung hin stets als maßgebend galten, für Profanierung erklärte und ihn daher zu aller Befriedigung mit Rücksicht auf sein unstetes umherschweifen, Fegefeuer taufte.

So lebte Margaretha gemäß ihrer eigenen Behauptung wie im Paradies, zumal ihre Ansprüche nie über die bescheidensten Grenzen hinausreichten. Nur die Erinnerung an die Brüder trübte zuweilen ihren Frohsinn. Von Maurus wusste sie zurzeit nicht mehr, als dass er, längst Captain, mit einem geheimen Auftrag in das Innere des Staates Missouri entsendet worden sei, wogegen der abenteuerlustige Markolf, von dem sie überhaupt sehr selten Nachricht erhielt, vor Monaten geschrieben hatte, dass es ihm vortrefflich ergehe, und er die vollste Befriedigung in seinem Beruf als Jäger, Pelztauscher und Fallensteller finde. Doch wie lange konnten derartige zweifelhafte Beruhigungen nur vorhalten?

 

Die Feierabendstunde eines sonnigen Septembertages hatte noch nicht geschlagen. Still lag der große wüste Platz vor dem Schneckenhaus, still das Haus selbst. Das Siegesbanner, welches bei den sich häufenden Erfolgen der unionistischen Armeen trotz aller Anfeindungen und ernsten Drohungen beinahe täglich von dem begeisterten Martin Findegern gehisst wurde, wehte feierlich in der erwachenden Abendbrise. Von der Werkstatt her tönte das Schnarren einer Säge über den Vorplatz. Kurz zuvor hatten sich mit demselben in unregelmäßigen Zwischenräumen die dünnen Akkorde eines Klaviers vereinigt, welche unter den noch ungeübten Händen einer von Margaretha überwachten Schülerin hervorgehend, durch die offenen Fenster ins Freie drangen. Ein mit großer Fertigkeit vorgetragenes Musikstück folgte, dann waren Lehrerin und Schülerin durch die Hintertür in den neu entstandenen Garten hinaus gewandelt. Wohl zehn Minuten waren seitdem verstrichen, als die Straßenpforte behutsam geöffnet wurde und ein schwarzer Wollkopf sich durch die entstehende Spalte hereinschob. Nachdem derselbe mit den lustigen Glotzaugen in alle Richtungen über den verödeten Platz gespäht hatte, folgte eine barfüßige, nur mit blauem Hemd und ähnlichen kurzen Beinkleidern ausgerüstete kleine, jedoch kräftig gebaute Gestalt nach. Vorsichtig schlich sie ins Haus. Den Flur betretend, überzeugte sich Fegefeuer, dass er nicht überrascht werde, und gleich darauf befand er sich auf der Veranda. Bis an den Ellenbogen schob er den Arm in die unergründliche Tasche seiner Beinkleider und brachte nach kurzem Umhertasten zwei in Briefform zusammengelegte Papiere zum Vorschein. Zweifelnd hielt er sie nebeneinander, zuerst die längeren, dann die schmaleren Seiten. Nachdem er sich solcher Art überzeugt hatte, welches der kleinere Brief war, aber auch, dass dieser keine Aufschrift trug, ließ er den größeren wieder in der Tasche verschwinden. Abermals lauschte und spähte er flüchtig. Mit den Bewegungen einer Katze schlich er zum äußersten Ende der Veranda hinüber. Dort schob er den Brief dicht oberhalb des in die Wand eingelassenen Geländerteils in eine durch allmähliches Verwittern des Holzes entstandene Fuge, und zwar so tief, dass das Papier sich nur noch als feiner weißer Streifen abzeichnete. Damit war seine vorläufige Aufgabe erfüllt. Um sich für sein schlaues Verfahren zu lohnen, begann er unverweilt im schnellsten Takt eine lebhafte Melodie zu pfeifen, zugleich aber nach Afrikanerart auf derselben Stelle einen Yankee Doodle zu tanzen, und zwar beides mit einer solchen Gewandtheit, dass schwer zu entscheiden gewesen wäre, ob die unerhört beweglichen dicken Lippen oder die flinken Plattfüße mit den stattlich ausgebildeten Fersen größere Bewunderung verdienten. Der lustige schwarze Kobold hatte sich schließlich so sehr in sein tolles Gebahren vertieft, dass er nicht hörte, wie die Hintertür des Hauses geöffnet wurde, auf dem Flurgang leichte Schritte sich näherten und endlich Margaretha in Begleitung einer jungen Amerikanerin auf die Schwelle trat. Beim Anblick des in voller Arbeit begriffenen Kobold lachte Margaretha herzlich, wogegen ihre Begleiterin mit unverhohlenem Widerwillen auf die ergötzliche Szene niedersah. Es bildeten die beiden Mädchengestalten überhaupt einen Kontrast zueinander, wie er nicht augenfälliger zu einem Vergleich hätte herausfordern können. Denn war Margaretha im Laufe der letzten beiden Jahre schöner, kräftiger und größer geworden, in ihrer sittig ruhigen Haltung und mit dem Glück und heiteren Frieden atmenden lieblichen Antlitz holdselig erschlossene Jungfräulichkeit veranschaulichend, so bot Miss Harriet Palmer das vollendete Bild einer frühreifen sechzehnjährigen Amerikanerin, deren Schönheit man als eine krankhafte hätte bezeichnen mögen. Im Gegensatz zu dem dunklen Haar und den braunen Augen erschien die beinahe durchsichtige Gesichtsfarbe mit den rosig angehauchten Wangen um so zarter. Dagegen hätte ein aufmerksamer Beobachter in den regelmäßigen Zügen sicher jenes frohe innige Seelenleben vermisst, welches der älteren Gefährtin Antlitz mit erhöhten Reizen schmückte. Andererseits konnte denselben das Gepräge ernster, von scharfem Verstand getragener Willenskraft nicht abgesprochen werden, gleichviel durch welche Gemütsregungen dieselbe zur Geltung gebracht wurde.

 

Das Lachen Margarethas veranlasste Fegefeuer, einen Blick auf die Tür zu werfen. Gleichzeitig stellte er Tanzen und Pfeifen ein. Wie ein ertappter Bösewicht verlegen grinsend, zog er den Hut. Mit einem zutraulichen »Guten Abend, Miss Margareth« trat er vor diese hin. Die Amerikanerin beachtete er nicht. Er hatte sie entweder schon früher von einer ihm nicht zusagenden Seite kennengelernt oder eine Art Instinkt bewog ihn, ihr gegenüber vorsichtig zu sein.

Margaretha beantwortete den Gruß, indem sie mit der Hand über den Wollkopf des Kobolds hinstrich und ihn den anmutigsten Tänzer nannte, der je die Augen eines Sterblichen entzückte.

Über Harriets Antlitz glitt böser Hohn. Sie stand so, dass es von Margaretha nicht bemerkt werden konnte. Fegefeuers argwöhnischem Blick entging dagegen nichts an ihr. Sein Verständnis verriet sich in einem eigentümlich gehässigen Mienenspiel. Gleich darauf fesselte das Gespräch zwischen den beiden Mädchen seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Wie mögen Sie nur das schwarze Ungetüm berühren«, bemerkte Harriet geringschätzig. »Sie kennen die Farbigen noch nicht. Verräterisch sind sie, hinterlistig und undankbar. Schenken Sie ihnen einen einzigen nachsichtigen Blick, und sie werden unverschämt.«

Margaretha legte die Lippen ein wenig fester aufeinander. Wie Bedauern sprach es aus ihren ehrlichen Augen, indem sie Harriets anmutige Erscheinung mit deren harten Worten verglich. Geschah es doch nicht zum ersten Mal, dass sie derartige unbarmherzige Urteile von ihr hörte.

»So müsste er es längst geworden sein«, sprach sie ruhig, »denn neben nachsichtigen Blicken hat er sich noch vieler anderer Bevorzugungen zu erfreuen gehabt, ohne dass er jemals, seine lustigen Streiche abgerechnet, die ihm gesteckten Grenzen überschritten hätte.« Und zu Fegefeuer gewendet: »Ich sehe es dir an, du hast eine Bestellung an mich auszurichten?«

Fegefeuers Gesicht erglänzte in hellem Triumph. Die Hand versank wieder in der Tiefe seiner Tasche. Gleich darauf überreichte er Margaretha den zurückbehaltenen Brief.

Diese betrachtete die Aufschrift flüchtig. Sie fühlte offenbar die durchdringenden Blicke Harriets, denn während des Lesens vertiefte die jugendfrische Farbe ihrer Wangen sich merklich.

»Absender: Captain Houston«, las sie die der Aufschrift beigefügte Bemerkung völlig absichtslos vernehmlich. Und wieder zu Fegefeuer gewendet: »Trug er dir sonst noch etwas auf?«

»Nichts, meine süße Miss Margaretha. Er meinte, es stände alles in dem Brief drinnen. Morgen wollte er Antwort holen«, erwiderte Fegefeuer, ohne Margaretha anzusehen. An ihr vorbei aber starrte er auf Harriet, die einen Schritt zurückstand. Er erstaunte, als er entdeckte, dass sie bei Nennung des Namens leicht auffuhr. Dann erfüllte ihn unbezwingliche Scheu. Ihm entging nicht, dass sie, sich unbeachtet wähnend, höhnischen, sogar feindseligen Blickes ihre Lehrerin überwachte.

»Wie kamst du zu dem Brief?«, fragte Margaretha arglos, denselben zweifelnd zwischen den Händen drehend.

»Der Captain hielt mich auf der Straße an und gab ihn mir«, stotterte Fegefeuer, noch immer unter dem Eindruck der ihn beängstigenden Beobachtung, »es ist erstaunlich, wie der an der Krücke einherschleicht.«

Margaretha schob den Brief zwischen die Falten ihres Kleides. Sich Harriet zukehrend, deren fein geschnittenes Gesicht jetzt, außer einem Anflug von Langeweile, nicht die leiseste andere Regung verriet, erklärte sie mit ungeheuchelter heiterer Ruhe: »Was der Brief enthält, erfahre ich immer noch früh genug. Wahrscheinlich eine Bestellung für meinen Onkel. Und nun, Miss Harriet, stehe ich wieder ganz zu Ihren Diensten.«

Harriet hatte sich abgewendet. Diesen Moment benutzte Fegefeuer, hinter Margaretha zu treten und sie leise am Kleid zu zupfen. Als sie sich nach ihm umdrehte, sah sie in ein Gesicht, in welchem jede einzelne Linie, wunderlich angespannt, gewissermaßen eine sprechende war. Die großen Augäpfel rollten lebhaft hin und her, indem sie in der Richtung des Blickes zwischen ihrem Antlitz und der Stelle wechselten, an welcher er den Brief versteckt hatte. Eben dahin wies auch der unterhalb seiner breiten Nase ausgestreckte Finger, wogegen der Daumen, unverkennbar Schweigen anratend, quer über den breiten Lippen lag. Und so deutlich war er in seinem Gebärdenspiel, dass Margaretha über dessen Zweck nicht im Unklaren bleiben konnte. Ihre letzten Zweifel schwanden, als sie oberhalb des Geländers den schmalen Papierstreifen entdeckte. Irgendeinen neuen tollen Streich des schwarzen Kobolds vermutend, neigte sie zum Zeichen des Verständnisses das Haupt kaum merklich.

In diesem Augenblick wendete Harriet sich ihr zu. Von dem eben stattgefundenen heimlichen Verkehr, der wenige Sekunden dauerte, bemerkte sie Margarethas letzte Bewegung. Von Fegefeuer sah sie nur, dass er plötzlich in einem Sprung die Veranda verließ, spornstreichs davonlief und hinter der zufallenden Pforte verschwand.

Fortgesetzt zueinander sprechend, wandelten die beiden anmutigen Gestalten nunmehr ebenfalls dem Torweg zu, wo Harriet nach höflichem Scheidegruß auf die Straße hinaustrat.

 

Vor sich in beiden Händen den geöffneten Brief und die Blicke auf denselben gesenkt, begab Margaretha sich langsam zu der Veranda zurück. Wichtige Nachrichten enthielt das Schreiben offenbar nicht, doch eilte hin und wieder ein herziges Lächeln über ihr freundliches Antlitz. Auch waren es der Nachrichten nicht viele, denn kaum die Hälfte des Wegs lag hinter ihr, als sie den Brief nachlässig zusammenfaltete und ihre Bewegungen ein wenig beschleunigte.

Die Säge schabte und schnarrte unter Martins kräftigen Armen. Vor der Veranda schwankte Margaretha, ob sie dem Alten den Feierabendgruß entbieten sollte, als sie des weißen Streifchens oberhalb des Geländers ansichtig wurde. Dadurch an das geheimnisvolle Wesen Fegefeuers erinnert, erstieg sie die Stufen. Mittels einer ihrem Haar entnommenen Nadel gelang es ihr leicht, den rätselhaften Brief aus seinem Versteck hervorzuziehen. Zweifelnd drehte sie ihn zwischen den Händen. Obwohl sorgfältig verklebt, trug er nicht das kleinste Merkmal, welches als Aufschrift hätte entziffert werden können. Und dennoch ging aus Fegefeuers unzweideutigen Zeichen hervor, dass der Inhalt nur für ihre Augen allein bestimmt war. Zögernd öffnete sie den Umschlag. Indem sie aber den ersten Blick auf die Schrift warf, durchbrach helles Frohlocken den Ernst ihrer Züge. Sie hatte die Handschrift ihres Bruders Maurus erkannt. Befremdete sie schon, dass sowohl Angabe des Ortes als auch des Tages fehlte, so erstaunte sie noch mehr, statt der gewohnten Unterschrift nur den eigentümlichen Schnörkel vorzufinden, welchen Maurus seinem Namen beizufügen pflegte. Einige Sekunden sah sie, wie über die mögliche Ursache des überraschenden Umstandes grübelnd, ins Leere, dann las sie:

Zwingende Gründe liegen vor, die größte Vorsicht walten zu lassen. An wen diese Zeilen gerichtet sind, von wem sie herrühren, muss ein Geheimnis bleiben. Sogar dem zuverlässigsten Boten kann ein Brief entwendet werden. Wie in New Orleans und anderen großen Städten des Südens ist auch die Bevölkerung von St. Louis von gefährlichen Elementen durchsetzt. Unter solchen Verhältnissen weiß man nicht immer, wem man trauen darf. Für den Einzelnen, der sich auf die eine oder die andere Art das Missfallen jener im Finsteren waltenden Mächte zuzog, bilden Dolch und Strick eine größere Gefahr, als die Geschosse in einer Feldschlacht. Es wächst die Erbitterung der unsichtbaren Feinde mit jedem neuen Schlag, welcher den gänzlichen Zusammenbruch der Sezession beschleunigt. Also Vorsicht in Worten und Taten. Sollte in nächster Zeit jemand vorsprechen und auf die Empfehlung eines gewissen Kampbell hin um irgendwelche Gefälligkeiten bitten, so müssen ihm dieselben um der guten Sache willen blindlings gewährt werden. Das Geschick spielt oft wunderbar. Ein unscheinbarer Schritt mag Tausende vor dem Verderben bewahren.

Nachdem Margaretha den Brief zu Ende gelesen hatte, ließ sie die Hände wie entkräftet sinken. Ihr Antlitz hatte sich leicht entfärbt. Diese Besorgnis sprach aus ihren Augen. Sie sagte sich, dass ohne ernste Beweggründe Maurus nimmermehr ihre Ruhe gestört haben würde. Ihr nächster Gedanke betraf die Gefahren, auf welche er sich bezog, und die ihn selbst unfehlbar in erster Reihe bedrohten. Wohl hatten sich von New Orleans aus dumpfe Gerüchte verbreitet, laut deren eine Verbrüderung fanatischer Rebellen, untermischt mit raubgierigen Abenteurern, das Wort Rache auf ihr nur in undurchdringlichem Dunkel entfaltetes Banner schrieb. Zu sagenhaft klangen derartige Schilderungen, als dass sie ihnen unbedingten Glauben hätte beimessen mögen. Und jetzt sollten sogar sie selbst und Martin Findegern, der allerdings seinen Patriotismus geräuschvoll zur Schau trug, nebenbei mit seinen Mitteln nicht geizte, wenn es galt, der Union zu dienen, von jenen unheimlichen Mächten bedroht sein. Sie konnte es nicht fassen. Immer wieder las sie die Unheil verkündenden Worte, welche für sie durch die Handschrift eine doppelte Beglaubigung erhielten. Zugleich erwog sie ernst, ob es ratsam sei, den Onkel ins Vertrauen zu ziehen. Sie stand davon ab, in der Voraussetzung, dass von seiner Leidenschaftlichkeit mehr zu fürchten als zu hoffen sei, selbst Krehle in solchen Fällen den letzten vermittelnden Einfluss auf ihn verlor.

 

Da verstummte das Schnarren der Säge in der Werkstatt. Margaretha erschrak. Als habe Martin Findegern bereits vor ihr gestanden, verbarg sie hastig den verhängnisvollen Brief. Ebenso schnell zog sie den anderen hervor. Flüchtig betrachtete sie die Aufschrift. Kurze Zeit sann sie nach, dann eilte es wie plötzlich erwachte Befriedigung über ihre erregten Züge. Es war ihr klar geworden, an wen sie sich in ihrer Not um guten Rat zu wenden habe. Die Veranda verlassend und im Begriff, sich zur Werkstatt zu begeben, stand Fegefeuer plötzlich vor ihr.

»Meine gute Miss Margaretha, da bin ich wieder«, redete er sie triumphierend an, »aus dem Tor ging ich und um den Zaun lief ich herum. Ich kenne nämlich eine Stelle, da klettere ich schneller hinüber, als jemand mit den Augen zwinkert.«

»Den Namen Fegefeuer verdienst du mit Recht«, antwortete Margaretha lächelnd, »wissen möchte ich wohl, weshalb du einen unbequemen Weg dem bequemen vorziehst.«

»Ich wollte Miss Harriet nicht begegnen«, erklärte Fegefeuer. Sein sorgloses Lachen verwandelte sich in boshaftes Grinsen. »Die ist nämlich eine schlechte Lady. Ich sah es mit meinen eigenen Augen, wie sie heimlich auf meine gute Miss Margaretha blickte, und darinnen war erstaunliches Gift. Ich vermute, sie möchte Miss Margaretha umbringen. Sie ist nämlich eine gefährliche Rebellentochter. Ich weiß das von jemand, der ihren Vater genau kennt.«

»Unsinn, Fegefeuer«, wendete Margaretha ruhig ein. Allein ihrer Stimme fehlte der frühere heitere Klang, denn indem sie sich die kurz zuvor empfangene geheimnisvolle Botschaft vergegenwärtigte, mochte sie die junge Amerikanerin dennoch, gleichsam unwillkürlich, in Beziehung zu jener gefürchteten Verbrüderung bringen. »Und nochmals: Unsinn. Miss Harriet ist ein vornehmes freundliches Geschöpf, welchem Verrat zuzutrauen sündhaft wäre.«

»Ich das besser wissen«, antwortete Fegefeuer zuversichtlich. »Meine gute Miss Margaretha wird es erleben und dann Fegefeuer glauben. Bin auf dem Umweg gekommen, um zu fragen, ob Sie den Brief fanden.«

»Sicher fand ich ihn. Jetzt sage mir aber auch, wer dir denselben anvertraute.«

»Ich kenne ihn nicht. Ein Mann war es, der sagte, käme der Brief in unrechte Hände, wäre es ein erstaunliches Unglück.«

»Du kennst ihn dennoch. Ich höre es aus deiner Stimme.«

»Wenn ich jemand verspreche, zu schweigen, kann ich nicht anders.«

»So will ich nicht weiter in dich dringen. Wo bleibt Tante Kleopatra?«

»Sie muss bald hier sein.«

»Dann geh in den Garten und helfe dem Doktor beim Obstabnehmen. Magst deine Tasche mit Äpfel füllen, aber nur eine. Das mit dem Brief bleibt unter uns beiden allein; du verstehst mich? Ich halte dich nämlich für einen gewissenhaften Mann.«

»Erstaunlich gewissenhaft«, bestätigte Fegefeuer. In langen Sprüngen stürmte er durch das Haus in den Garten.

 

Sinnend blickte Margaretha ihm nach, solange er ihr sichtbar war. Zweifel bestürmten sie. Unbegreiflich erschien ihr, dass ein fünfzehnjähriger Knabe in einer gefährlichen Angelegenheit sich in so hohem Grad des in ihn gesetzten Vertrauens würdig zeigen sollte. Es fehlte ihr die Berechnung dafür, dass die früheren Sklaven in den meisten Fällen den tiefen Hass gegen ihre Gewalthaber schon mit der Muttermilch eingesogen hatten, ein Hass, welcher, nachdem die Ketten zerbrochen worden waren, um so zügelloser emporloderte. Sie wollte sich in die Werkstatt begeben, als Martin Findegern ihr schon entgegenkam. Martin in Hemdsärmeln und blauer Schürze, auf dem Kopf nach alter Weise den hohen schwarzen Hut. Die letzten beiden Jahre schienen vollständig spurlos über sein Haupt dahingegangen zu sein. Nicht ein Fältchen um die arglistig blinzelnden Augen hatte sich geändert, kein Haar des spitzen Kinnbärtchens war verloren gegangen.

»Hier ist ein Brief«, redete Margaretha den wunderlichen Onkel kindlich vertraulich an, »Fegefeuer brachte ihn. Obwohl an mich gerichtet, ist der Inhalt doch für Sie bestimmt.«

»Von wem?«, fragte Martin neugierig. Der Bewegung der Stirnhaut nachgebend, glitt der Hut etwas weiter zum Hinterkopf hinauf.

»Von Captain Houston. Er entschuldigt sich höflich für seine Zumutung und ersucht mich, bei Ihnen die Anfertigung einer neuen Krücke zu vermitteln …«

»Abermals eine?«, versetzte Martin unwirsch. Die Sehkraft des linken Auges durch Schließen des rechten verschärfend, spähte er argwöhnisch in Margarethas unbefangenes Antlitz. »Das wäre bereits die fünfte. Länger als eine Woche scheint er mit keiner auszukommen. Bless you! Es sollte mich nicht wundern, heizte er trotz der warmen Sommertage seinen Ofen mit Krücken.«

»Wie er schreibt, sah er voraus, Sie würden ungehalten über die wiederholten Belästigungen sein, deshalb wählte er mich zu seiner Fürsprecherin. Morgen kommt er, um sich Maß nehmen zu lassen. Der arme Mensch mit seinem verwundeten Knie ist doch recht zu beklagen.«

»Ein richtiger Mann wäre unangemeldet gekommen. Aber was hat er denn wieder an der kaum angefertigten Krücke zu mäkeln?«

»Zu kurz ist sie geworden. In demselben Maß, in welchem die Heilung fortschreitet und das wunde Knie sich streckt, geht er aufrechter. Da muss jede Krücke schließlich zu kurz werden.«

Martin sann nach. Bis zur äußersten Grenze schraubte er die struppigen Brauen empor und schärfer sah er in Margarethas Augen. Endlich erklärte er mürrisch: »Hinter diesen wiederholten Bestellungen sind ganz andere Dinge verborgen. Wer hörte je von einem, der innerhalb sechs Wochen vier Krücken verbrauchte?«

»Was sollte dahinter verborgen sein?«, fragte Margaretha, dem Blick des alten Sonderlings arglos begegnend. »Unmöglich kann ein Vorwurf ihn dafür treffen, wenn er sich das Gehen auf jede Weise zu erleichtern trachtet. Ich bedauere ihn, so oft ich ihn durch die Pforte treten sehe. Als er vor fünf Wochen zum ersten Mal hier vorsprach, war es ein Jammer, ihn zu beobachten. Er muss schrecklich gelitten haben.«

 

Martin wiegte das Haupt bedächtig. Warnungen vor leichtfertigen Offizieren durch schwirrten seinen Kopf. Den auf ihn gerichteten unschuldvollen Blicken gegenüber wagte er nicht, dieselben laut werden zu lassen. Am folgenden Nachmittag stellte Captain Houston sich tatsächlich ein. Auf der rechten Seite sich einer Krücke bedienend, stützte er sich mit der Linken auf einen ebenfalls mit breitem Griff versehenen Stock. So hinkte er langsam auf das Schneckenhaus zu, mit den dunklen lebhaften Augen jedes einzelne Fenster prüfend, als hätte er daselbst ängstlich nach etwas gesucht. In der kleidsamen Uniform diente die Schwerfälligkeit seiner Bewegungen dazu, in erhöhtem Grad Teilnahme für seine ursprünglich hoch gewachsene Gestalt wachzurufen. Auch auf seinem wohlgebildeten Antlitz mit dem starken braunen Vollbart waren die unzweideutigen Merkmale eines langen Schmerzenslagers ausgeprägt.

Kurz bevor er zur Werkstatt abbog, trat Margaretha, welche sein Kommen bemerkt hatte, aus der Haustür. Ihm entgegen gehend, reichte sie ihm die Hand zum Gruß, ein Vorzug, dessen er sich bisher nicht zu erfreuen gehabt hatte. Dann sah sie scheu zur Werkstatt hinüber. Als sie sich ihm wieder zukehrte und gewahrte, dass freudiges Erstaunen seine Züge beherrschte, wich sie unwillkürlich seinen Blicken aus.

»Mein Verfahren muss Sie befremden«, sprach sie, wie sich entschuldigend, mit einem matten Lächeln der Befangenheit. »Allein ich wusste keinen anderen Ausweg. Ich bedarf des Rates eines erfahrenen und mit den politischen Verhältnissen vertrauten Mannes, wie ihn mein guter Onkel nicht zu bieten vermag. In dieser peinlichen Lage wende ich mich vertrauensvoll an Ihre Güte. Ich kann jetzt nicht ausführlicher sein. Wollen Sie mir einen Freundschaftsdienst erweisen, so gehen Sie nicht fort, ohne mich zuvor noch einmal aufgesucht zu haben. Eine beängstigende Nachricht ist mir durch meinen Bruder zugegangen. Ich kann sie nur dahin deuten, dass irgendein böses Verhängnis über unseren Häuptern schwebt …«

»Ein Verhängnis?«, fragte Houston erstaunt. Wie Unglaube klang es aus seiner Stimme hervor. »Woher sollte Ihnen eine Gefahr drohen, woher eine Störung des Friedens, der diese Stätte umschwebt?«

»Und dennoch eine große, wenn auch unbestimmte Gefahr«, beteuerte Margaretha in steigender Hast. »Augenblicklich kann ich mich nur auf wenige Worte beschränken. Von einem gewissen Kampbell ist die Rede …«

»Kampbell?«, fiel Houston überrascht ein, »von diesem verwegenen Spion, der alle Welt von sich sprechen macht? Dessen Dienste man wohl kennt, welchen gesehen zu haben sich bis jetzt, wie es heißt, keiner rühmen kann?«

Er wollte noch etwas hinzufügen, als aus der Tür der Werkstatt Martin Findegerns kräftige Stimme herüberschallte.

»Captain Houston!«, rief er unverkennbar missmutig aus, »bemühen Sie sich hierher, wenn es gefällig ist. Bless you, Mann! Seit einer Stunde erwarte ich Sie!«

 

Margaretha errötete. Die Art, in welcher Houston den Spion erwähnte, hatte sie erschreckt. Wie das raue Wesen ihres Verwandten entschuldigend, lächelte sie erzwungen. Dankend neigte sie das Haupt zu seiner Beteuerung ihrer Bitte eingedenk zu sein. Schwerfällig hinkte er in die Werkstatt hinüber. Sie selbst trat in ihrer Besorgnis dicht neben die Veranda hin. Ängstlich lauschend unterschied sie, dass Martin Findegern, ohne sich zuvor nach dem Befinden des Captains zu erkundigen, seiner ihr unerklärlichen üblen Laune mit den Worten Ausdruck verlieh: »Das wäre also die fünfte, die Sie brauchen. Ich möchte Ihnen doch raten, sich an einen Tischler zu wenden, der sein Metier besser versteht. Da wäre uns beiden mit einem Schlag geholfen.«

»Sie irren, Herr Findegern«, versetzte Houston versöhnlich, sogar herzlich, »nicht Unzufriedenheit mit Ihrer Arbeit führt mich immer wieder hierher, sondern nur dringende Not. Dann aber wüsste ich tatsächlich nicht, zu wem ich gehen sollte, um für mein Leiden so viel Verständnis zu finden wie bei Ihnen.«

»Sie besitzen einen schlauen, aber auch harten Kopf, Mann«, erwiderte Martin noch gereizter, denn die Geduld des Captains bestärkte ihn in seinem unbestimmten Argwohn gegen ihn. Die Fäuste herausfordernd hinter die Schürze schiebend, schraubte er die Stirnfalten so heftig empor, dass der eben aufs Haupt gestülpte Hut in bedenkliches Schwanken geriet. »Ja, einen sehr harten Kopf, aber der meine ist ebenfalls nicht mit Hobelspänen gepolstert. Bless you! Zunächst muss ich Sie daran erinnern, dass mein Metier sich ausschließlich auf Sargfabrikation beschränkt. Sollten Sie eines guten, bequemen Sarges bedürftig sein, so bin ich gern erbötig, sofort Maß zu nehmen und Ihnen einen solchen zu jeder beliebigen Stunde zu liefern; mit Rücksicht auf Ihre dem Vaterland geleisteten Dienste sogar vom besten Holz und zu einem mäßigen Preis obenein.« Er entdeckte, dass um des Captains Lippen ein gutmütiges Lächeln spielte. Dadurch an den gefürchteten Mundwinkel Krehles gewöhnt, fuhr er förmlich erbittert fort: »Ich würde also nur mit Widerwillen an eine Krücke gehen, und das könnte unmöglich etwas Gescheidtes werden.« Er seufzte. Heller Triumph eilte über seine harten Züge. Er entsann sich des Mittels, durch welches er einst, wenn auch unabsichtlich, seine beiden Neffen vertrieb, und sprach mit bissiger Zuvorkommenheit weiter: »Einen guten Rat will ich Ihnen mit auf den Weg geben, einen Rat, bless you, der, wenn Sie ihn befolgen, allen Ihren Verlegenheiten ein Ende macht. Treten Sie bei mir als Lehrling ein, und ich bürge dafür, Sie binnen kurzer Frist so weit zu bringen, dass Sie jeden Tag nicht nur eine neue Krücke zum eigenen Gebrauch herzustellen vermögen, sondern außerdem noch ein halbes Dutzend auf Lager zum Verkauf.«

Da lachte Houston harmlos, eine neue Herausforderung für Martin, und fügte bereitwillig hinzu: »Hoffentlich gebrauche ich nicht viele Krücken mehr, aber ich müsste kein echter Amerikaner sein, wiese ich Ihren wohlgemeinten Vorschlag unter jeder Bedingung zurück. Im Gegenteil, sollte ich durch die Verletzung zum Soldaten untauglich geworden sein, was ich freilich nicht glaube, so nehme ich Sie beim Wort. Doch auch dann, wenn ich so glücklich bin, den Krieg gesund zu überstehen, bin ich durchaus nicht abgeneigt, als angehender Möbelfabrikant meine Lehrzeit bei Ihnen durchzumachen.«

Wie im Wahn, falsch gehört zu haben, starrte Martin auf den Captain.

»Sie – Sie, ein Offizier, wären nicht zu vornehm für ein gutes Handwerk?«, brachte er endlich in seinem maßlosen Erstaunen hervor.

»Keineswegs, Herr Findegern. Ich bin sogar bereit, schon morgen hier anzutreten und zu prüfen, wie mein Zustand sich mit Säge und Hobel verträgt.«

Mehr hörte Margaretha nicht. Eine Empfindung, als hätte sie bereits zu viel erlauscht gehabt, beschlich sie. Unter solchem Eindruck begab sie sich in ihr Zimmer, um zur Hand zu sein, wenn Houston sich von ihrem Onkel verabschiedete. Doch auch dorthin verfolgten sie durch das offene Fenster die Stimmen, indem sie, obwohl unverständlich für sie, in freundschaftlichsten Ton zueinander sprachen und dieses und jenes ernsthaft erörterten. Begrüßte sie aber in dem einen Augenblick mit inniger Befriedigung die Behandlung, welche der Captain nunmehr vonseiten Martins erfuhr, so tauchte im nächsten wie ein hässliches Gespenst der Argwohn in ihrer Seele auf, dass er den wunderlichen Alten zum Opfer einer unedlen Laune gewählt habe.

So jagten ihre Gedanken sich fort und fort. Sie wusste nicht, was sie fürchten, glauben oder hoffen sollte. Nur wenig beruhigend wirkte die Überzeugung, dass Houston voraussichtlich innerhalb weniger Wochen wieder fähig sei, ein Pferd zu besteigen, dann aber der Rückkehr zur Armee nichts mehr im Weg stehe. Und lieber wollte sie ihn fern im wilden Schlachtgetümmel wissen, als auf Grund einer begangenen Täuschung ihre freundliche Teilnahme für ihn verlieren.«

 

Eine halbe Stunde war verronnen, als sie endlich des Captains wieder ansichtig wurde, wie er sich anschickte, mithilfe der Krücke die zur Veranda hinaufführenden Stufen zu ersteigen. Gleich darauf befand sie sich an seiner Seite.

»Ich stehe im Begriff, heimzukehren«, begann er ungesäumt mit einer gewissen Hast, »da es sich aber, wenn ich nicht missverstand, um ein Geheimnis handelt, müssen wir vor allen Dingen vermeiden, die Aufmerksamkeit des Herrn Findegern auf uns zu ziehen. Ich erlaube mir daher, unziemlich wie mein Ansinnen erscheinen mag, Ihnen vorzuschlagen, vor seinen Augen mich bis ans Tor zu begleiten. Haben Sie Ihre Absicht noch nicht geändert, so finden Sie auf dem Weg vielleicht hinreichend Zeit zu den erwähnten vertrauensvollen Mitteilungen.«

»So lesen Sie dies«, antwortete Margaretha. Ihren schwankend gewordenen Mut zusammenraffend, überreichte sie ihm den Brief ihres Bruders. »In dem, was Sie erfahren werden, liegt gewiss eine Entschuldigung dafür, dass ich den Onkel mit meinem Vertrauen gewissermaßen überging.«

Houston hatte den Brief geöffnet. Ehe sie den Schutz des Hauses verließen und in den Gesichtskreis Martins traten, las er ihn zweimal durch, bevor er mit unzweideutiger Entschiedenheit antwortete: »Das klingt allerdings rätselhaft, sogar bedenklich, wenn ich in Betracht ziehe, dass Sie in das Gewebe des zwar gesinnungstreuen, jedoch von unseren Feinden gefürchteten und daher tödlich gehassten und verfolgten Spions verwickelt werden sollen. Und einem solchen Argwohn kann ich mich angesichts dieser Zeilen nicht verschließen. Bewahrheitet sich derselbe aber wirklich, so würde dieser Hass sich bei der ersten Gelegenheit unfehlbar auch auf Ihren Onkel und sein ganzes Haus übertragen. Eine unmittelbare Gefahr vermag ich freilich nicht zu entdecken. Trotzdem halte ich, was sich auch ereignen mag, die größte Vorsicht für geboten. Legen Sie nur den geringsten Wert auf meinen Rat, so begeben wir uns von hier aus sogleich zur Werkstatt. Ihr Onkel, in dessen Haus wahrscheinlich jemand Zuflucht sucht, der in näherer Beziehung zu jenem Kampbell steht – und wer durch Ihren Bruder empfohlen wird, verdient sicher Ihre Teilnahme und Gastfreundschaft – ist sicher der Erste, der über alles unterrichtet werden muss, soll er selbst nicht in die Lage geraten, ahnungslos einen Verrat zu begehen. An ihm ist es dann, zu entscheiden, ob Doktor Krehle mit ins Vertrauen zu ziehen ist. Ich selbst rate dazu. Wenn es irgendwie möglich ist, darf kein Hausbewohner dem Geheimnis fern leiben, sollen nicht wirkliche Gefahren, und wären es nur peinliche Lagen, heraufbeschworen werden«

Margaretha seufzte erleichtert auf. Es zerrannen die Zweifel, welche sie kurz zuvor noch bestürmten. Freimütig reichte sie dem Captain die Hand. Ihm offen in die Augen schauend, bemerkte sie freundlich: »Sie nahmen eine Last von meiner Seele. Dankbar würde ich es begrüßen, gelänge es Ihnen, auch meinen zuweilen etwas seltsamen gütigen Beschützer Ihren Anschauungen zugänglich zu machen und seinen nur zu oft auflodernden Patriotismus ein wenig zu zügeln.«

Sie hatten den Schutz des Hauses verlassen. Erstaunt blickte Martin auf, als er Houston, der sich bereits von ihm verabschiedet an Margarethas Seite wieder bei sich eintreten sah. Prägte sich anfänglich Missmut auf seinem verkniffenen Antlitz aus, so schwand derselbe wie durch Zauber, nachdem Houston ihm den Brief vorgelesen und dessen Inhalt mit einigen Erläuterungen begleitet hatte.

Es gelangte sogar helle Begeisterung auf seinen Zügen zum Durchbruch, als er sich zu allem bereit erklärte, was nur irgend der Union oder deren Bürgern zugutekomme. Dann rückten die drei so verschiedenartigen Gestalten, welchen Krehle sich zugesellte, zwischen Särgen, Brettern und Hobelspänen zusammen, worauf Houston das, was von Maurus in flüchtigen Umrissen angedeutet worden war, auf Grund seiner Erfahrungen durch ausführliche Schilderungen vervollständigte.

Spät erst begab sich der Captain auf den Heimweg. Freundliche Dankesworte nahm er mit. Es war, als hätte das zwischen den vier Verbündeten schwebende Geheimnis die Herzen erwärmt, die Wege zu einem rückhaltlosen Vertrauen auch nach anderen Richtungen hin angebahnt.