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Slatermans Westernkurier 07/2018

Auf ein Wort, Stranger, erinnerst du dich noch an das Camp Grant Massaker?

Nein?

Das ist aber nicht gut, denn eines der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Pioniergeschichte, bei dem beinahe einhundertundfünfzig Frauen und Kinder regelrecht abgeschlachtet wurden, sollte man nicht so einfach aus seinem Gedächtnis streichen, wenn man sich tatsächlich für das Thema Wilder Westen interessiert. Deshalb will der Westernkurier an dieser Stelle wieder an das unrühmliche Geschehen erinnern.

Die Hauptpersonen dieser Tragödie waren drei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können.

Ein Apachenhäuptling, der nichts als Frieden wollte, ein Offizier der US-Armee, den man all seiner Träume beraubte, und ein weißer Indianerhasser, der mit seiner engstirnigen Denkweise dafür sorgte, dass der halbe Südwesten Amerikas danach noch jahrelang in Flammen stand.

Beginnen wir mit dem Apachen.

Sein indianischer Name lautete Ndee Biyati, was frei übersetzt so viel wie Men stand in Line for Him bedeutete. Über seine Herkunft ist nur bekannt, dass er irgendwann im Jahre 1828 in den Ausläufern der Pinal Mountains geboren wurde.

Eskiminzin, wie ihn die Weißen nannten, wurde als untersetzter, leicht krummbeiniger Apache beschrieben, der trotz seines Bulldoggengesichts als ruhig und umgänglich galt. Er war zwar, wie so viele Indianer seines Volkes, ziemlich heißblütig und aufbrausend, aber im Gegensatz zu den meisten anderen Kriegern der Apachen hatte er sein Temperament unter Kontrolle, was nicht nur dadurch belegt ist, dass er als Häuptling der Aravaipas nie an einem Kriegszug gegen die Weißen teilgenommen hat.

Im Februar 1871 ging Eskiminzin nach Camp Grant, einem kleinen Armeeposten am Zusammenfluss des Aravaipa und San Pedro Creeks, und bat den dortigen Befehlshaber, Leutnant Royal Emerson Whitman (1833-1913), den zweiten der maßgeblich am Geschehen beteiligten Männer, um eine Unterredung.

Er berichtete Whitman, dass seine Leute kein Zuhause mehr hätten, weil die Blauröcke sie lediglich deshalb, weil sie Apachen waren, ständig verfolgten und auf sie schossen. Er aber wollte endlich Frieden, damit sich sein Stamm am Aravaipa Creek niederlassen und Getreide anbauen konnte.

»Warum gehst du mit deinen Leuten dann nicht in die White Mountains, wo die Regierung ein Reservat für die Apachen eingerichtet hat?«, fragte Whitman.

»Weil es nicht unser Land ist«, erwiderte der Häuptling.

»Die Indianer, die dort leben (die Coyoteros1), sind nicht unsere Leute. Wir leben zwar in Frieden mit ihnen, aber wir haben uns nie mit ihnen vermischt, weil sie andere Traditionen und Ansichten haben.«

»Unsere Väter und zuvor deren Väter«, fuhr Eskiminzin fort, »haben am Aravaipa gelebt und in den Tälern Mais angebaut. Wir ernähren uns hauptsächlich von Mais und Mescal2 und haben hier im Sommer und im Winter genügend Vorräte davon. Aber in den White Mountains gibt es kein Mescal, und wenn wir es nicht haben, müssen wir hungern und werden krank. Alle meine Leute sagen: Lasst uns an den Aravaipa gehen und Frieden machen und ihn nie brechen.«

»Ich bin leider nicht befugt, mit deinem Stamm einen Frieden zu schließen«, sagte Whitman. »Aber …«, fügte er rasch hinzu, als er die Traurigkeit in den Augen des Indianers sah, »wenn ihr euch bereit erklärt, eure Feuerwaffen abzugeben, könnte ich euch nach den Gesetzen der Armee erlauben, als formelle Kriegsgefangene in der Nähe des Forts zu bleiben und euch dort niederzulassen, bis ich neue Instruktionen erhalte.«

Eskiminzin war damit einverstanden.

Nach und nach fanden sich die Aravaipas am gleichnamigen Creek ein und lieferten ihre Gewehre und zum Teil sogar ihre Bogen und Pfeile ab. Sie errichteten einige Meilen flussaufwärts von Camp Grant entfernt ein Dorf, pflanzten Mais und Getreide an und kochten Mescal. Whitman war von ihrem Fleiß beeindruckt und ließ sie für die Kavalleriepferde Heu mähen, damit sie sich Geld zum Kauf von Proviant und anderen nützlichen Dingen verdienen konnten. Es dauerte nicht lange, bis auch die umliegenden Rancher den Arbeitseifer und die ehrlichen Absichten der Indianer erkannten und viele von ihnen als Landarbeiter einstellten.

Whitmans Experiment, die Indianer sesshaft zu machen und zu befrieden, war so erfolgreich, dass sich binnen sechs Wochen über einhundert andere Apachen und auch Pinals Eskiminzins Leuten anschlossen.

Anfang April erhielt Whitman sämtliche Berichte, die er an seine Vorgesetzten im Militärhauptquartier geschrieben hatte, mit der Aufforderung zurück, diese auf vorgeschriebenen Regierungsformblättern noch einmal einzureichen. Damit war für ihn klar, dass er ab sofort die alleinige Verantwortung für Eskiminzins Apachen trug.

 

*

 

Whitmans Traum vom friedlichen Leben von Indianern und Weißen dauerte keine zwei Wochen. Am 10. April 1871 überfiel eine Horde von zehn marodierenden Apachen das südlich von Tucson gelegene San Xavier und stahl dort Rinder und Pferde.

Bei ihrem zweiten Überfall am 13. April töteten sie in der Nähe von San Pedro, das wiederum östlich von Tucson lag, insgesamt vier Amerikaner.

Tucson war in diesen Tagen eine Art Insel im brodelnden Meer des Apachenlandes.

Fast dreitausend Spieler, Kneipenbesitzer, Kaufleute, Fuhrunternehmer, Goldgräber und geldgierige Städter, die während des Bürgerkrieges viel Geld verdient hatten, hofften, sich nach dem Verschwinden der Indianer noch mehr bereichern zu können.

Zum Schutz vor den Apachen hatten sie ein Komitee für öffentliche Sicherheit gegründet.

Nach den beiden Überfällen behaupteten nicht wenige Mitglieder dieses Komitees, dass die Täter aus dem Aravaipadorf bei Camp Grant stammen mussten.

Obwohl jedem vernünftig denkenden Menschen klar sein musste, dass die unbewaffneten Aravaipabauern wohl kaum von ihrem Dorf aus fast einhundert Kilometer weit reiten würden, nur um ein paar Kühe und Pferde zu stehlen, riefen immer mehr Stimmen nach einem Vergeltungsschlag.

Ende April machte sich ein Mann namens William S. Oury, der dritte Mann der Hauptdarsteller der Tragödie, zum Sprecher dieser Unbelehrbaren und forderte die Bevölkerung auf, endlich etwas gegen die angeblich so blutrünstigen Apachen zu unternehmen. Oury, der als erfahrener Indianerkämpfer galt, hatte keine Schwierigkeiten, als gewähltes Mitglied des Gemeinderates eine Miliz auf die Beine zu stellen, die den Aravaipas das Fürchten lehren sollte. Zusammen mit einigen Gleichgesinnten wie dem Town Mayor Sidney Long und den Brüdern Juan und Jesus Elias (die beiden mexikanischen Brüder verdienten ihr Geld als von der Stadt bestellte Hundefänger, was damals durchaus eine angesehene Arbeit war) rekrutierte er binnen kürzester Zeit weitere vier Amerikaner, vierzig Mexikaner und zweiundneunzig Papagoindianer, die vor Jahrzehnten von spanischen Soldaten und Priestern zum Christentum bekehrt wurden und jeden Indianer, der statt an Gott an den großen Geist glaubte, wie die Pest hassten.

Als die 140 Männer am 28. April losritten, gab es niemanden, der diese wilde, skalplüsterne und halb betrunkene Horde noch aufhalten konnte.

Lieutenant Whitman erfuhr erst zwei Tage danach davon, als ihn am 30. April ein berittener Kurier aus der kleinen Militärgarnison in Tucson morgens um 7 Uhr 30 davon in Kenntnis setzte, dass dieser Mob inzwischen wohl das Dorf der Aravaipas erreicht hatte.

Der Offizier schickte sofort zwei Dolmetscher in Eskimimzins Lager.

Die Männer kehrten etwa nach einer Stunde zurück und meldeten ihm, dass sie keinen lebenden Indianer mehr gefunden hätten.

Als Whitman drei Stunden später mit seiner Gruppe im Dorf eintraf, brannte es noch und der Boden war mit getöteten und verstümmelten Frauen und Kindern übersät. Die Leichen waren alle entkleidet. Man hatte ihnen den Schädel eingeschlagen und ihre Leiber mit so vielen Pfeilen gespickt, dass sie von Weitem aussahen wie Stachelschweine.

C.B. Briesly, ein Arzt, der Whitmans Abteilung begleitete, berichtete, dass man bei einigen Frauen aus der Lage und dem Zustand ihrer Genitalien und Verletzungen heraus zweifellos daraus schließen konnte, dass man sie zuerst vergewaltigt, dann ihre Geschlechtsorgane mit diversen Holz- und Metallgegenständen misshandelt und danach erschossen hatte.

Neben den Frauen lagen mehrere Kinder, eines davon kaum zehn Monate alt, mit Schussverletzungen und abgehackten Beinen.

Ourys Männer hatten sich aufgeführt wie wilde Tiere.

Von den 144 Indianern, die sie getötet hatten, war einer ein älterer Mann und einer ein Junge, der kurz vor der Pubertät stand, alle anderen waren Frauen und Kinder.

Die Krieger waren zu der Zeit alle auf den Feldern oder auf der Jagd.

Die Tat ging in die amerikanische Geschichte als das Camp Grant Massaker ein.

Was danach folgte, war ein Trauerspiel, das einen noch heute sprachlos macht.

Whitman versprach den Apachen, dass er die Täter finden und vor Gericht bringen würde, und brachte sie damit davon ab, den Kriegspfad zu beschreiten. Durch sein Versprechen rettete er Hunderten von unschuldigen Siedlern im Apachenland das Leben. Seine hartnäckigen Bemühungen brachten Oury und seine Mörderbande schließlich vor Gericht.

Ihre Verteidiger jedoch behaupteten, dass Oury und seine Begleiter die Spur der marodierenden Apachen direkt bis zum Dorf der Aravaipas verfolgten, um sie als gesetzestreue Bürger zu stellen und zu verhaften. Dabei hätten sich alle Indianer zur Wehr gesetzt. Oscar Hutton, der Postenführer von Fort Grant, sagte als Zeuge der Anklage hingegen aus, dass die Aravaipas niemals einen Überfall auf das Camp unternommen hätten. F. Austin, der Kaufmann des Postens, Miles Wood, ein örtlicher Viehhändler und William Kness, der die Post zwischen Camp Grant und Tucson beförderte, sagten dasselbe.

Der Prozess dauerte fünf Tage, die Beratung der Geschworenen neunzehn Minuten.

Dann wurden die Mörder freigesprochen.

William S. Oury blieb bis an sein Lebensende ein integerer Geschäftsmann, Eskiminzin wurde verfolgt, gejagt und schließlich nach Florida deportiert und Whitman dreimal wegen lächerlichen Anklagen vor das Kriegsgericht gestellt. Er reichte, nachdem er nicht mehr befördert wurde, einige Jahre später frustriert seinen Abschied ein.

Quellenangabe:

  • Dee Brown, Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses, ISBN 3426-613034 erschienen im Knaur Verlag
  • Archiv des Autors
  • southernarizonaguide

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  1. Gewiss gehören die Coyoteros ebenso wie die Aravaipas zu den Stammesgruppen der südlichen Athapasken, die man allgemein als Apachen bezeichnet. Beide sind sowohl sprachlich als auch kulturell miteinander verwandt, dennoch gibt es zwischen ihnen gewisse gravierende Unterschiede. Das lässt sich gut am Beispiel Deutschlands darstellen. Auch hier sind die Bewohner sämtlicher Bundesländer sowohl kulturell als auch sprachlich miteinander verwandt, aber es ist wohl kaum vorstellbar, dass sich eine alt eingesessene Familie in Ostfriesland wohlfühlen würde, wenn man sie von heute auf morgen dazu zwingt, sich im tiefsten Schwabenland niederzulassen.
  2. Eskiminzin meinte damit nicht das gleichnamige alkoholische Getränk, sondern die gerösteten Blätter der Agave, die, in Steintöpfen gekocht, eine süße und nahrhafte Speise war.