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Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 23

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Was sich weiter in dem Haifischbauch zugetragen hat

Jacob betrachtete sie mit teilnehmender Rührung und ließ ihren Schmerz sein volles Recht widerfahren. Er hatte selbst ja Ursache, den schrecklichen Zustand zu beklagen, in dem er sich nun befand. Es war ihnen gar schwer und düster zumute! Aber der Gedanke, dass er hier nicht allein stehe, dass mitten in der eigenen Not, ein schwächeres, noch unglücklicheres Wesen ihm zum Schutz und Beistand an Vertrauen anvertraut sei, ergriff ihn mächtig und hob ihn über alles Zagen und Trauern empor. Sein irdisches Dasein hatte zwar jetzt keine Zukunft mehr. Was gibt es für Aussichten und Hoffnungen in einem Haifischbauch? Aber wohl eine Gegenwart!

Dieser beschloss er nun ganz anzugehören und das Übrige dem göttlichen Walten zu überlassen! Für eine solche Stimmung versuchte er nun allmählich auch seine Unglücksgefährtin zu gewinnen, an welcher zu seiner innigen Freude im näheren Umgang bald eine schöne Eigenschaft um die andere zum Vorschein kam.

Vorerst versuchten sich beide nun gemeinschaftlich so gut wie möglich einzurichten. Aus den Vorratsschränken seines kleinen Hauses wurde Leinwand und Stoff zu Kleidern für die arme Prinzessin herbeigeschafft. Jacob, der von Gottlieb, dem Schneidergesellen, gar manches von dem ehrenwerten Handwerk profitiert hatte, nähte mit seiner Freundin um die Wette, bis einige recht saubere Anzüge fertig waren. Dann wurde ein hinlänglicher Vorrat Öl zum Unterhalt der Lampen bereitet, wozu der Hausherr selbst, der Fisch nämlich, dem es bei seiner Korpulenz auf einige Kannen Speck nicht ankam, das Material lieferte. Aus einem Teil des vorhandenen Weins destillierte Jacob mithilfe seines Apparates den Weingeist, der aus Mangel an anderen Feuerungsmitteln in der Küche diente. Auch das Trinkwasser stellte er sich auf ähnliche Weise aus dem immer zu- und abschließenden Meerwasser so rein und wohlschmeckend her, dass man zufrieden sein konnte. Die Speisekammer war glücklicherweise wohl versehen. Die Prinzessin erwies sich als geschickte Köchin und fand es auch nicht unter ihrer Würde, Hand anzulegen, Wäsche, Wohnung und Geräte in beständig sauberem Zustand zu erhalten.

Waren solche notwendigen Geschäfte abgetan, so vereinigten sich beide zur gemeinschaftlichen Unterhaltung. Bald sangen sie zu den lieblichen Tönen der Orgel, bald vertieften sie sich im Lesen eines schönen Buches. Und was hatte er ihr nicht alles mitzuteilen, von dem, was er in früheren Tagen gesehen und gehört hatte; bis auf die deutsche Sprache, die ihm nie so lieblich erklungen war wie aus ihren kleinen Mund. Er machte ihr auch durch Zeichnungen manches anschaulich von dem, was ihr in seinen Darstellungen vom Leben der großen Menschen in den entfernten Zonen unverständlich geblieben war. Sie erfreute ihn dagegen durch anmutige Schilderungen aus dem Leben und Treiben ihrer kleinen Heimatwelt. Es wäre gewiss eine Lust für jeden meiner jungen Leser gewesen, das niedliche Paar so in ihrem geschäftigen und unschuldigen Zusammenleben belauschen zu können.

Freilich gab es mitunter bange Augenblicke, wo der Gedanke der Abgeschiedenheit von allem, was sie sonst geliebt und genossen hatten, der Blick auf den schrecklichen Kerker, der sie gefangen hielt, die Sehnsucht nach frischer Luft und hellem Sonnenschein, den guten Kindern schwer aufs Herz fiel. Jacob konnte seine treue Schwalbe auch nicht ohne Wehmut sehen, wie sie in ihrem finsteren Bauer so traurig dasaß, wenn er an die Zeiten dachte, wo er einst mit ihr so fröhlich umherschweifte. Aber ein frommes Vertrauen und die der Jugend so eigentümlicher Heiterkeit gewannen doch immer wieder die Oberhand. So lebten sie Tage und Wochen dahin und würden noch lange vielleicht mit gutem Mut in ihrer Gefangenschaft ausgehalten haben, wenn nicht ein jählings eingetretenes Ereignis ihre Ruhe aufs Neue gewaltsam erschüttert hätte.

Das Ungeheuer, das bisher im gleichförmigen Zug mit ihnen dahingeschwommen war, begann nämlich mit einem Mal in heftigen Bewegungen zu geraten und sich so ungestüm hin und her zu werfen, dass ihr kleines Haus bis auf den Grund erschüttert und aller Hausrat untereinander geworfen wurde. Diese Stöße wiederholten sich immer heftiger, das Schiffchen drohte mit jedem Augenblick herabgeworfen zu werden aus seiner Bucht und in den finsteren, tobenden Abgrund zu versinken. Die Lichter erloschen, überall Nacht und Grausen; die Stunde eines kläglichen Untergangs für beide schien zu kommen!

Sie fielen auf die Knie, zitternd schmiegte sich die zarte Prinzessin an ihren Freund und erhob mit ihm die Hände zu einem Gebet um Hilfe, da warf sie ein neues krampfhaftes Zucken des Riesentiers zu Boden. Ein entsetzliches Stöhnen fuhr durch die weite Wüste, die Prinzessin verlor das Bewusstsein.

Bald darauf aber wurde alles wieder still und Jacob versuchte nun mit vieler Mühe die Ohnmächtige wieder ins Leben zurückzubringen. Aber Gott! Unter welchen Umständen! Es war kein Zweifel, dass der Fisch ums Leben gekommen war! Was sollte nun aus ihnen mitten im toten Körper werden? Welch grässliches Schicksal, mit ihm lebendig der Verwesung anheimzufallen! Es wollten auch ihm die Sinne schwinden.

Da hörte er von oben herab ein dumpfes Poltern und Geräusche. Nicht lange, so wurde es stärker. Es war ihm, als ob er verwirrte raue Stimmen vernähme. Unter gewichtigen Schlägen schien das Rückgrat des Ungeheuers zu bersten. Was konnte das sein?

Jacob Schrift schöpfte neue Hoffnung. Er hatte sich auch in seiner Vermutung nicht getäuscht. Der Fisch war von irgendeinem Schiffer aufgejagt worden, der ihn jetzt zerlegte. Schon ließen sich die beiden Hiebe deutlicher vernehmen, und die einzelnen Stimmen der arbeitenden Leute. Jacob schauderte vor gespannter Erwartung. Aber wie? Wenn sie nun von der Arbeit abstünden? Wenn irgendein Zufall sie veranlasste, die Leute die Beute aufzugeben und auf ihr Schiff zurückzukehren?

Ein kalter Angstschweiß netzte das Antlitz unseres Freundes. Er blickte zu den einzelnen Ritzen auf, durch die schon hier und da das Licht des Himmels drang. Er rief!

Wer aber sollte die schwache Stimme vernehmen? Eine peinliche Minute verging um die andere. Es wurde wirklich oben stiller. Ruhten sie sich aus? Zogen sie ab? Wer konnte es ihm sagen? Da raffte er sich auf in seiner Angst, lud seine kleinen Kanonen, brannte sie los, lief dann zu seiner Orgel, zog alle Register aus und ließ die Töne brausend und klagend hinaufsteigen zur Höhe, dass das ganze finstere Gewölbe erklang. Und horch! Es rührten sich wieder die Beile, die Öffnung wurde zusehends größer, die Tageshelle fiel herein in seinen Kerker. Frische Luft säuselte um seine erhitzten Wangen, er eilte zu seiner Freundin, brachte sie hinaus auf das Verdeck des Schiffchens und läutete dann an der dort befindlichen Glocke mit aller Macht. Und siehe, da zeigte sich oben am Rand der Öffnung ein menschliches Antlitz, so scharf bestimmt und wohlbekannt, dass unserem Jacob kein Zweifel übrig blieb. Es konnte niemand anderen gehören als seinem Freund Gottlieb! War es ein Traum?

Nein! Es war seine Stimme! Er rief herab: »Ei, was leutet und musiziert denn da unten in dem garstigen Fischbauch?«

»Gottlieb«, rief der Kleine, »Gottlieb, ich bin es, dein Freund Jacob! Hilf mir um Gotteswillen herauf ans Tageslicht!«

Und schnell krachte es um oben wieder, und heller Tag wurde überall um ihn. Ein Arm streckte sich herab bis zum Schiff. Jacob und seine Begleiterin bestiegen die ihnen dargebotene Hand des Seemanns und wurden schnell hinaufgehoben ins alte selige Reich der Sonne und der Lüfte.