Timetraveller – Episode 24
Prolog
I
Nahe San Francisco, 2006
»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Claire leise, während sie sich zu Francine Carpet setzte und nach deren Händen griff.
»Sicher«, erwiderte die CIA-Agentin. »Ich … Es ist …«
Die junge Frau nickte. »Ich weiß, was dich bedrückt. Eine Liebe zurückzulassen, in einer fremden Welt, muss schwer sein. Zumal ihr Schicksal ungewiss ist.«
»Victoria hat eine Seite in mir geweckt, die nicht hätte geweckt werden sollen. Eine Seite, die ich seit Jahren zu negieren versuche. Ich möchte nicht fühlen, was ich fühle, und nicht von den Dingen träumen, die mir meine innersten Wünsche zeigen. Es ist falsch, so zu empfinden!«
Claire zuckte mit den Schultern. »Wir sind in dieser Welt, und hier musst du dich deswegen weder schämen noch verstecken. Du meine Güte, wir schreiben das Jahr 2006. Wen interessiert es hier, ob du eine Frau oder einen Mann liebst?«
Francine spielte mit einem Glas.
Die Kantine des Centers war fast leer; abgesehen von den beiden Frauen saßen zwei Techniker ein paar Tische entfernt und unterhielten sich leise über Verbesserungen am Antrieb, die ihnen Roger Müller hatte zukommen lassen.
»Ich …«, hob Francine an, ehe sie sich räusperte. »Nun ja, ich dachte schon einmal, ich könnte mich in eine Frau … Damals schaffte ich es kaum, den Wunsch, das Gefühl beiseite zu schieben. Es ist auch schon eine Weile her.«
Claire grinste. »War sie wie Victoria?«
»Sie war anders. Sehr viel härter zu sich und anderen. Damals arbeitete ich noch für eine operative Abteilung der Agency. Sie war eine freie Mitarbeiterin. Gott weiß, dass wir alle hofften, sie würde einen Dienstvertrag unterschreiben. Bis zum Schluss war ihre Akte makellos.« Francine lächelte freudlos. »Du kennst sie übrigens.«
Claire pfiff leise. »Doktor Jaqueline Berger.«
Die Agentin nickte. »Genau die. Du meine Güte, was für eine Frau.« Sie seufzte. »Vielleicht sollte ich mutiger sein. Mich meinen Gefühlen ergeben, sie nicht unterdrücken. Aber ich kann nicht. Eine innere Sperre … Meine Erziehung, die allgemeinen Ansichten der Kollegen, der Druck seitens unseres obersten Dienstherren …«
Die beiden Frauen unterbrachen das Gespräch, denn Dan und Ken betraten die Kantine, nahmen sich jeder einen Eistee und kamen an ihren Tisch.
»Na, Mädels, wie geht es euch?«, scherzte Ken, während er sich neben seine Freundin setzte und seine Hand ganz unbefangen auf deren Oberschenkel legte.
»Gut«, erwiderte Francine. Sie lächelte und schob ihre Gedanken beiseite. »Ein neuer Flug steht an. Ein Blindflug, denn wir wissen nicht, was uns in 0-1-1 Alpha erwartet. Vielleicht Mittelalter, vielleicht Hochtechnologie oder ein wenig Wild-West.«
»Japanisches Mittelalter wäre nicht schlecht«, erklärte Ken. »Ich befasse mich seit einiger Zeit intensiv mit der Geschichte und Vergangenheit meiner eigentlichen Heimat.«
»Sei mein Samurai«, witzelte Claire, während sie ihrem Freund einen zärtlichen Blick schenkte.
»Nun, mich zieht es eher zu den Ninja«, gab Ken zu, ehe er einen Schluck nahm. »Ich trainiere Kendo, habe mir ein Schwert zugelegt und versuche künftig, dem Bushido zu folgen, dem Weg des Kriegers.«
»Großartig«, ließ sich Dan spöttisch vernehmen. »Künftig nur noch Sushi für unseren Ninja hier.« Er blinzelte seinen Freunden zu. »Welches Teil suchen wir?«
»Flugschreiber«, erklärte die Agentin. »Es könnte sein, dass er uns wertvolle Hinweise zur Unglücksursache liefert.«
Dan verdrehte die Augen. »Warum haben wir den nicht zuerst geborgen?«, wollte er wissen.
»Wir setzten drei Drohnen ein, um mehr über diese Welt zu erfahren. Keine lieferte Daten. Wir wollten, dass wir uns als Team finden. Dass wir eine schlagkräftige Einheit werden. Darum …« Sie leerte ihr Glas. »Also dann – bereit für einen kleinen Ausflug?«
II
Nicht an den Hund denken, schoss es Claire durch den Kopf, während sie auf die Wand der Abflughalle starrte.
Sie hatten bereits die Gurte angelegt, der Antrieb lief. Sie warteten lediglich auf das Go der Flugkontrolle.
»Hört ihr das?«, fragte Ken, der nahezu liebevoll die Steuerung tätschelte. »Der Donnervogel schnurrt wie ein Kätzchen. Er kann es gar nicht erwarten, in den garstigen Zeitstrom einzutauchen.«
»Wie poetisch«, frotzelte Dan, der einen Blick auf die Anzeigen warf. Diese zeigten lediglich die Werte der Abflughalle, und diese waren – wie hätte es auch anders sein sollen – im Normbereich.
»Bereit?«, schallte eine Stimme aus den Lautsprechern des Gliders.
»So bereit wie nie mehr«, gab Ken gut gelaunt zurück. Seine Hand schwebte über dem Startknopf.
»Sie haben Go. Start in T minus zehn – neun – acht – sieben – sechs …«
Claire schloss kurz die Augen. Nicht an den Hund denken. Nicht an den Hund …
»Wuff«, bellte Dan von hinten, der exakt wusste, was Claire in diesem Moment durch den Kopf ging. Noch immer hatte er es nicht völlig verwunden, dass sich dieses hübsche Mädchen für Ken entschieden hatte, und nicht für den smarten Sonnyboy, Footballspieler und Strahlemann, der er einst gewesen war.
»Arschloch«, schoss Claire knapp zurück, schwieg aber dann, da der Countdown zu Ende war. Der Thunderbird wurde beschleunigt, jagte auf die Wand zu und löste sich auf, bevor er mit dieser kollidieren konnte.
»Eintritt in den Zeitstrom«, meldete Ken geschäftsmäßig.
Dunkelheit umfing den Thunderbird, die ersten Flundern setzten sich auf der Außenhaut fest.
Dan und Francine begannen mit ihren Messungen. Noch immer wussten die Wissenschaftler viel zu wenig über das, was sich im Zeitstrom tat. Darum waren die bei Hin- und Rückreise gesammelten Daten wichtig. Die Wissenschaftler justierten vor jedem Flug die Sonden, baten um neue Messungen in ganz verschiedenen physikalischen Bereichen.
Daher wurde es Dan und Francine nicht langweilig, während sie zu einer der unzähligen Welten flogen. Ken und Claire hingegen hatten nichts anderes zu tun, als die Flugdaten zu überwachen.
Inzwischen war der Bordcomputer ausgereift, Fehler traten keine mehr auf. Auch nicht beim Austritt aus dem Zeitstrom.
»Noch zwei Minuten bis Welt 0-1-1 Alpha«, meldete Claire. Sie spürte, dass ihr Herz schneller schlug.
Was erwartete sie, auf was und wen würden sie stoßen?
Es war diese Ungewissheit, diese Spannung, die sie erst losließ, wenn sie in eine fremde Welt eingetreten waren, die Landschaft sahen und eine ungefähre Vorstellung davon bekamen, was sie erwartete.
»Austritt in einer Minute!«, meldete sie. Ihr Atem beschleunigte sich, ihre Hände umfassten die Griffe der deaktivierten Steuerung.
»Noch vierzig Sekunden!«
»Sie sollte bei der Zeitansage arbeiten«, witzelte Dan. »Beim nächsten Gong ist es Welt 0-1-1 Alpha.«
»Austritt … Jetzt!«
Die schwarzen, flachen Wesen verließen den Glider, während dieser aus dem Zeitstrom glitt, eine Wolkendecke durchstieß und bei Dunkelheit über einer großen, hell erleuchteten Stadt dahinjagte.
Unter ihnen brannten unzählige Lichter. Erst sah es so aus, als sei dies eine moderne Großstadt, die auch bei Dunkelheit nicht zur Ruhe kam. The City never sleeps.
Dann aber, je tiefer sie hinabflogen, sahen sie, dass es sich nicht nur um Lampen handelte, sondern auch um Feuer.
Dann jagte etwas dicht an ihnen vorbei und zerplatzte.
»Wir werden beschossen!«, rief Ken. Er aktivierte die Handsteuerung und zog den Glider in einem langen Bogen nach links. Gleichzeitig stieg er auf 2500 Fuß. »Dan, wir brauchen Kampfmodus.«
»Verstanden«, erklärte der Timetraveller mit zittriger Stimme. Bislang war es noch nie vorgekommen, dass sie diesen Modus aktivieren mussten.
Die vollständige Story steht als PDF-Download zur Verfügung.
Bisherige Downloads: 2236