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Jacob von Molay, der letzte Templer 28

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Dritter Teil
König Philipp
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Drittes Kapitel

König Philipp war allein. Böse Gedanken, so schien es, fuhren ihm durch den Kopf, denn vor sich hinbrütend saß er mit gefalteten Händen und gesenkten Hauptes, die Beine weit von sich gestreckt und beide Arme auf die Lehne des Sessels gestützt. Ungemeldet war die Königin hereingetreten, und heute, das erste Mal, war Philipp darüber entrüstet. Mit wenigen Worten aber wusste Johanna ihn zu besänftigen, sie bat nicht, flehte nicht. Ihr gerades, offenes Geständnis, dass sie den Bedienten untersagt hatte, sie anzumelden, entwaffnete des Königs Zorn. Aber auch Johannas Blick tat das seinige; den Blick hatte König Philipp noch nicht gekannt. Mit kluger Umsicht betrat die Königin nun ein Feld, welches ihr so fremd war und doch so viel bedeutend. Der König wich ihr aus. Es war nicht schwer, das zu bemerken; doch sie verfolgte ihn durch alle Schlangenwindungen seiner Redeflucht. Das Gewöhnliche war hier der Erfolg von der ungewöhnlichen Unterredung, nämlich, es verdross den König, sich von seiner Frau auf jeder Wendung ertappt zu sehen. Das freilich hatte Philipp nicht geglaubt, er, der seine Klugheit seiner Schönheit gleichstellte. Überdießs fand er in den Worten der Königin so manches, welches sein getroffenes Gewissen aufregte. Der Schuldige gerade erkennt am leichtesten den Vorwurf seiner Schuld. Doch sonderbar genug, die Navarrerin ließ jene Vorwürfe ganz beiseite und ging plötzlich zu einem Gegenstand über, der dem König in dem Mund seiner Frau ebenso unerwartet wie unangenehm war.

»Mein Herr und König«, fragte Johanna, »man sagt mir, Ihr wäret Ankläger des besten Ordens. Ich dächte nicht, dass der Orden Euch jemals Ursache gegeben hätte, ihn zu hassen und ihn zu verklagen, zu verklagen ob Verbrechen, deren Bestrafung ihn vernichten müsste!«

»Verklagen?« Der König fuhr hochgeröteten Gesichtes vom Sessel auf. »Verklagen nur, Königin? Beileibe nicht verklagen! Richten will ich ihn! Ein Urteil sprechen, wie es dem besten Sohn der Kirche ziemt, um die durch den Orden geschändete Kirche zu rächen!«

»Bei Gott und allen Heiligen, Ihr erschreckt mich. So habe ich Euch niemals gesehen.«

»Lasst Euch das nicht anfechten, Königin, und bedenkt, das so etwas noch nicht erlebt worden ist.«

»Was denn? Was ist es denn, dessen man den Orden bezichtigt?«

»Königin, Ihr wisst schon zu viel, und mehr mag ich Euch nicht anvertrauen. Hat jemals einer an meiner Gerechtigkeit gezweifelt? Oder Ihr, Königin, habt Ihr vielleicht einmal daran gezweifelt? Weiß ich doch in der Tat nicht, was diese Tempelherren für sich haben, dass selbst Philipp von Frankreich um sie verdächtigt wird! Es ist ein ganz eigenes Ding, wie unbeweibte Männer bei den Frauen gut angeschrieben stehen! Nun ja, warum sollten sie auch nicht? Der ritterliche Anstand, wenn auch durch Rohheit des Kriegers gedämpft, die Fülle der Kraft, und die Freiheit, welche sie keinem König untertänig macht. Das alles stellt sie hoch in der Weiber Gunst.«

Das Erröten war nun an Johanna. Nicht aber der Zorn gebar es, welcher König Philipp vom Sessel jagte, es war der edle Zorn einer tugendhaften Frau. Es war der Glanz, den die Perle, die schönste Perle in Philipps Diadem auf Johannas Wangen warf. Mochte sich nun auch wohl ein bitteres Gefühl in der Königin Herzen erheben, dass gerade der Mann, welcher Heloise von Malhac liebte und nach Margot seine Blicke warf, dass gerade dieser Mann, ihr Eheherr, dem Geschlecht einen solchen Vorwurf machte. Gleich viel; sie trat dem König mit einer Ruhe entgegen, mit einer Würde, einer Höhe, die ihn am Ende verwirrte.

»Schweigen wir davon«, unterbrach endlich Philipp den Strom ihrer Rede, »das sind Staatsangelegenheiten. Ich habe es nicht gern, dass Frauen sich in dieselben einmischen.«

»Zürnt nicht«, entgegnete sie ihm sanft, »zürnt nicht, dass ich manches Wort eindringlicher gesprochen habe, als Ihr jemals an mir gewohnt gewesen seid. Doch lasst mich Euch die Veranlassung dazu offenbaren. Seht, Ihr seid der Stern meines Lebens. Euer Ruhm ist mein Stolz. Von Liebe, König, dürfen wir nicht mehr sprechen, doch meinte ich stets, die wahre Gattenliebe wandele sich in Freundschaft um, wenn über Mannes- und Weibeshaupt die Jahre des Lebensherbstes wehen.

Ich bin wahrhaft Eure Freundin, Herr, und Euren Ruhm zu bewahren, deshalb bin ich zu Euch gekommen. Könnte ich getrosten Mutes in der weiten Ferne blicken, wenn ich fürchten müsste, König Philipps Weib, die Navarrerin, Jeanne d′Evreux nannte man die Gemahlin des Ungerechten? O, dieses Wort, mein König, es möge Euer Ohr nicht beleidigen, Euren Zorn nicht entflammen. Es lasse ein leidenschaftsloses Herz in Eurer Brust nicht durch seine Geradheit aufbrausen. Was, mein Herr und Gemahl«, verfolgte sich Johanna, da Philipp ruhig blieb, »was kann Euch zur Anklage des Berühmtesten der Orden führen? Ist es der übermütige Stolz einiger von diesen Rittern, so dächte ich doch, dass König Philipp zu stolz wäre, um irgendeinen anderen für stolz zu erkennen. Ist es die Unabhängigkeit jenes kriegerischen Bundes, der nur den Papst über sich anerkennt. So möchte ich Euch raten, froh zu sein, dass unter dem Flügel Eures Regiments ein solcher Bund zur höchsten Blüte gedeihen konnte. Aber«, setzte sie, den König scharf beobachtend, hinzu, »reizt Euch der Reichtum der Tempelherren, so …«

»Nicht weiter, Königin, nicht weiter! Sieh doch«, murmelte er vor sich hin, »sieh doch, wie scharfsinnig ein Weib zu Werke geht. Und«, hob Philipp das Haupt hoch und stolz empor, »ich möchte doch wissen, was Euch zu einer so warmen Vertreterin jener Ketzer gestempelt hat.«

»Was? Was es sei, mein König? Habe ich Euch das nicht gesagt? Es will mir nicht zu Sinn, dass so viele edle Herren, die stets bereit sind, für das Kreuz in den Tod zu gehen, das Kreuz entheiligen könnten.«

»Ganz gut«, trat ihr König Philipp näher, indem er schmeichelnd ihre Hand ergriff. »Ganz gut, Johanna, doch wir wollen einmal von uns und unseren Söhnen sprechen. Soll ich nicht für das Glück, für den Ruhm derselben Sorge tragen? Ein Sohn lebt uns, der schon jetzt eine Königskrone trägt. Du brachtest sie mir zur Morgengabe.

Wie herrlich nun, wenn ein zweiter Sohn ebenfalls durch eine Krone so hoch gestellt würde, dass keiner über ihm wäre? König Philipp, Vater zweier Könige und Johanna ihre Mutter!«

»Ich verstehe Euch nicht …«

»So vernimm denn: Hugo der Vierte, König auf Zypern, ist unvermählt. Unserem zweiten Sohn, dem Philipp, habe ich nicht allein die Krone von Zypern zugedacht, sondern auch die von Jerusalem. Der Tempelherren gar zu mächtiger Orden ist das einzige Hindernis, welches mir bei der Ausführung meines Planes im Wege steht. Darum habe ich mich entschlossen, ihre Verbrechen mit der Aufhebung des Ordens zu bestrafen. Die Verbrechen sind erwiesen. Wenn ich das errungen habe, dann vereinige ich alle kriegerische Orden in der Christenheit zu einem königlichen Orden. Hugo von Zypern wird Großmeister desselben, bleibt unvermählt, nimmt unseren Philipp an Sohnes statt an und so trägt dieser, nach Hugos Tod, die Krone von Zypern – gefällt es Gott, auch die von Jerusalem.«

Dieser weit aussehende Plan verfehlte die Wirkung auf eine Königinmutter keineswegs. Auch war er so kühn, dass Johanna von ihm in Ungewissheit, ob es wahrer Ernst des Königs wäre, gebracht wurde. Sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.

Der König glaubte, sie beruhigt zu haben, er sprach daher zutraulich, beinahe schwatzhaft weiter: »Nicht wahr, Johanna, dann werden alle anderen Könige neidisch auf mich werden? Es ist mein heißester Wunsch, mich von ihnen beneidet zu wissen und – dich! Denke nur, wenn meine Söhne dann herangezogen kommen, umgeben von den Größten ihrer Reiche – wenn mein Philipp auch Jerusalem das seine nennt. Wie wird mein Volk groß dastehen, wenn sein Herrscher vier Kronen wägt, wovon er drei erworben ha! Navarra! Ha, dieser köstliche Stein in meinem königlichen Stirnband! Navarra und – Johanna, du, du hast mir es zugebracht! Du teilst den Glanz, den mein Volk um mich verbreitet. Willst du mich stören in den Reizen nach jener Höhe?«

»Nicht doch, mein Herr und König, wie möchte ich Euch darin stören wollen? Doch auch in Navarra gibt es Tempelherren, der Stolz des Königreichs …«

»Gleichviel! Gleichviel«, unterbrach sie der König, »sie sind Tempelherren und das ist genug. Mögen sie als weltliche Ritter dauern; den weißen Mantel mit dem roten Kreuz dürfen sie nicht ferner tragen.«

»Warum aber fordert Ihr den Papst nicht auf, den bestellten Richter über Tempelherren, dass er im Stillen es vermittle? Wenn von ihm das Gebot ausgeht, die weißen Mäntel und das rote Kreuz abzulegen, welcher Tempelherr wird ungehorsam sein?«

»Das versteht Ihr nicht, Königin«, versetzte Philipp mit allem Stolz, dessen dieser stolze Fürst fähig war. »Der Papst – die Päpste wollte ich sagen, haben schon zu lange sich einer Übermacht bedient, welche jeden Fürst kränken musste; zumal mich, den besten Sohn der Kirche, der vielleicht mehr der Kirche nützt als ihr erster Priester. Das will ich nicht mehr dulden, nein ich will nicht, und zum guten Glück ist dieser Papst mein Machwerk! Er wird die Augen aufreißen, der Ehrgeizige, Ruhmsüchtige, wenn seine Ehre, sein Ruhm von einem König abhängt! Nicht aus Frankreich soll er mir weichen können, bis meine Entwürfe in Erfüllung gegangen sind. Dann mag er nach Rom ziehen und Racheblitze schleudern aus seinem Vatikan, die König Philipp verlachen wird! König Philipp, der Vater zweier Könige!«

»Was ist Euch, Herr?«, blickte die Königin dem heftig Dahinschreitenden staunend nach. »Woher diese Wallung und die Wendung, welche mir unbegreiflich ist? Wer mag meines Königs Weisheit so umflort haben, dass er, der beste, christlichste Herr, auch mit Clemens den Fünften …«

»Wer mich dazu verleitet, wollt Ihr sagen. Keines Menschen ist die Schuld; nur die meine und ich, ich will es schon verantworten. Das ist aber noch weit im Felde …«

»Doch der ehrwürdige, tapfere Molay? Der Freund unseres Hauses? Der unseren Robert aus der Taufe gehoben hat? Und der Dauphin! Bedenkt, teurer Herr, der Dauphin von Auvergne! Soll ein Fürst …?«

»Wo Fürsten auferstehen sollen, da müssen auch Fürsten fallen.«

»Und alles Besitztum des Ordens, alle Reichtümer können nicht diese ihn retten?«

»Nicht alle Schätze der Erde, denn dem gehört alles Eigentum des Verbrechers, der ihn straft. Mir fallen jene Schätze zu und der Kirche, in deren Hand ich das Racheschwert bin.«

»Ha, bei der Jungfrau!«, rief plötzlich die Königin, »ich sehe weiter, als Euch lieb sein mag. Doch, mein königlicher Herr, hier biete ich Euch all meine Perlen, meine Edelsteine, alles, was mein Reichtum heißt. Wenn Ihr Geld braucht, verkauft, verpfändet, was ich habe, nur ladet nicht den Schein auf Euch, als hättet Ihr um des Geldes willen …«

»Still! Bei meinem Zorn! Kein Wort mehr von dem, dass ich mich gängeln ließe! Bei allen Heiligen nicht! Warum Tränen in Euren Augen? Und was für Tränen! Dicke Tropfen, die Wimper ist nicht stark genug, sie zu tragen! Wem rollen diese Tränen? Johanna – Wem? Ich will Antwort!«

»Mir!«, hauchte das edle Weib.

»Euch? Eurem Schicksal etwa? Das ist doch sonderbar. Kann ein König mehr tun für den Ruhm seines Volkes? Kann ein Vater mehr tun für seine Kinder? Und Ihr, Königin, seid ja Teilnehmerin an allem, was mich angeht. Wie möget Ihr Eurem Herrn und Ehegespons da im Wege stehen wollen, da, wo es den höchsten Zweck feines Lebens gilt?«

Die Königin aber antwortete nicht. Das Herz war ihr so schwer geworden, dass der Mund den Gehorsam aufkündigte. Sie reichte, abgewandt von dem König, ihm die Hand und Philipp, sei es, dass er sie zu beruhigen vermeinte oder dass Gefühle in ihm erwacht waren, indem er an Gatten- und Vaterpflichten dachte. Philipp zog Johanna an die Brust, Philipp hatte Heloise vergessen und Margot. Jetzt aber, da sie des Königs Herz an dem ihren fühlte, jetzt erwachte die Leidenschaft, welche sie so klug verborgen hatte, die Eifersucht stieg auf in dem Herzen der Navarrerin; um so höher loderten ihre Flammen, je länger sie unterdrückt worden waren. Mit einer raschen Bewegung und unwillkürlich floh sie von der Brust des Mannes, dessen glückliche, beneidete Frau sie noch vor nicht gar lange gewesen war, von der Brust des Mannes, dessen hoffnungsvolle Söhne sie geboren hatte, Er aber ergriff ihre Hand wieder, er hielt die Fliehende zurück und fragte: »Wie, Johanna, du flüchtest von mir? Lass mir die Sorge, teile du mit mir die Frucht und die Freude. Ei, wie groß du mich anschaust. Ist es doch, als wolltest du die Worte in meiner Brust lesen. Komm, Johanna, küsse mich. Schon lange habe ich deine Lippe nicht empfunden. Du bist spröde geworden – das passt nicht für deine Jahre und – gegen Philipp!«

Da blickte die Gekränkte zu ihm hinauf. So innig blickte sie ihn an, dass sein getroffenes Gewissen erblasste. Alle längst vergangenen Freuden, die Erinnerung an sie, und auch der gerechte, aber gelinde Vorwurf, lagen in dem Blick der Königin. Nicht lange sollte die Pein des Königs währen, denn, als wollte sie irgendetwas aus ihrem Gedächtnis verwischen, so fuhr sie mit dem tränenfeuchten Tuch über die Stirn und sagte mit zitternder Stimme: »Ich beurlaube mich, mein König und Herr.«

»Nicht in dieser Stimmung, Johanna, jetzt nicht. Du kennst nicht der Diener neue Mär heischende Blicke. Sie knüpfen böswillig das Unglaubliche, Abenteuerlichste, an eine Miene. Drum ist auch so vieles unwahr, was sie uns geschäftig hinterbringen. Ich schenke diesen verleumderischen Seelen gar wenig Glauben.«

»Auch ich, mein König, glaube ihnen nicht gern, doch wird man zuweilen gezwungen, dass man glaube.«

»Freilich, freilich … wenn man … überzeugt wird -… dann …«

»Und seid Ihr von den Verbrechen der Tempelherren überzeugt?«

Diese Wendung hatte Philipp nicht vermutet. Er hatte die Königin auf ganz anderem Weg gemeint, nun aber wurde ihm klar, dass Johanna auch die Kränkung der Gattenehre der Kränkung, welche der Ehre des Königs erwachsen konnte, nachsetzte. Was Philipp bei dieser Entdeckung empfand, das ist schwer zu ergründen. Es mochte ihn nun freuen, dass seine Liebesangelegenheiten auf diese Weise umgangen wurden, oder auch nicht.

Der ehrgeizigste Fürst seiner Zeit spiegelte sich in den Worten:

»Königin, ich bin nicht aufgelegt, mich vonEuch nun ferner zur Rede stellen zu lassen. Ich habe Euch meine Absichten offenbart und dabei auf Eure Verschwiegenheit gerechnet. Wacht darüber, dass ich mich nicht verrechnet finde. Versteht mich recht, Königin,tretet mir nicht in den Weg! Das Geheimnis ruhe in Eurer Brust gleichwie im Grab. Nicht die Worte allein bewacht, sondern auch Blicke und Mienen. Das gebiete ich Euch, Königin. Ihr habt mich wohl verstanden …«

Der König war so streng geworden, dass Johanna verstummte. Sie wünschte sich weit hinweg von der Stelle, welche unter ihren Füßen brannte, und dennoch konnte sie nicht weichen. Ein Geräusch an der Tür zog des Königs Aufmerksamkeit dort hin. Es war auch ihm nicht zu verdenken, dass er gern diese peinliche Stille unterbrochen sah.

»Königin«, sprach er, indem er eilige Schritte der Tür zu tat, – »der geheime Rat versammelt sich. Staatsgeschäfte nehmen mich in Anspruch. Begebt Euch in Eure Gemächer und erwartet mich bei Euch zur Tafel.«

Die Königin hatte die Tür noch nicht erreicht, als Wilhelm von Paris und der Kanzler Nogaret hereintraten. Der Letztere trug mehrere Schriften unter dem Arm. Beide aber waren überrascht von der Gegenwart der Königin, zumal in dieser Stunde. Sie verneigten sich gemessen und förmlich, indem sie der Königin Raum ließen, zu der Tür zu gelangen. Sie aber schien nicht gesonnen, von dieser Freiheit Gebrauch zu machen, sondern blickte von dem einen auf den anderen, und sprach langsam die bedeutungsvollen Worte: »Ein glückliches Zusammentreffen, Ihr Herren! Ihr, Herr Kanzler, teilt die Sorge für das irdische Glück meines Herrn und Gemahls; Ihr, hochwürdiger Herr, für sein himmlisches Teil. Ich hoffe zu Gott, dem Allmächtigen, dass die besten Früchte Eure Sorgen krönen.«

Die Königin schritt hinaus. Bediente eilten herein, ordneten den Tisch und die Sessel. Zu gleicher Zeit versammelten sich auch die anderen Herren zum geheimen Rat.

Der König schien verstimmt, als er sich zuerst an dem Tisch niederließ, und als der Kanzler die Sitzung durch seinen Vortrag eröffnen wollte, gebot ihm Philipp Schweigen.

»Ihr Herren«, sprach er, »es ist wohl nicht mehr nötig, dass Ihr Euch bei mir zum geheimen Rat versammelt. Was soll ich davon denken, wenn Staatsgeheimnisse unter Weibern verhandelt werden? Wer von Euch hat geplaudert? Soeben verlässt mich die Königin. Sie weiß alles. Es tut wahrlich not, dass ich zu den strengsten Maßregeln greife. Ihr schweigt, seht Euch einander betroffen an. Niemand von Euch hat davon geplaudert? Freilich wohl, dann muss ich es selbst getan haben! So geht es aber: Was die Diener verschulden, muss endlich der Herr verantworten. Zum Glück ist die Königin meine Frau, für deren Verschwiegenheit ich hafte. Doch das rate ich einem jeden von Euch. Er sorge um seines eigenen Heiles willen, dass die Beschlüsse meines Geheimrates ohne Aufschub in Erfüllung gehen – bei Leib und Leben rate ich das jedem von Euch an! … Herr Kanzler, die Sitzung mag beginnen.«

Der legte seine Schriften auseinander, wandte sich gegen den König und trug Folgendes vor: »Nach meiner besten Überzeugung habe ich den Orden der Tempelherren derjenigen Verbrechen schuldig befunden, deren man ihn bezichtigt. Nur eine Frage habe ich dem Conseil vorzulegen, und zwar: Wie soll man gegen diesen mächtigen, übermächtigen Orden verfahren? Etwa auf gewöhnlichem Weg des peinlichen Rechtes? Das ist unzulässig, ja staatsgefährlich. Mit Blitzesschnelle würde sich die Mär von der Verhaftung eines Tempelherren durch ganz Frankreich, ja durch die Christenheit verbreiten, und wer steht uns dafür, dass sie sich nicht eng miteinander verbinden und mit offener Gewalt ein regelrechtes Verfahren verhindern? Sollen wir etwa die Tempelherren, welche sich in diesem Reich aufhalten, vor den Richterstuhl des Papstes berufen? Das wäre ein noch schlimmerer Weg, denn die Tempelherren waren stets der Päpste beste Stütze. Es muss daher ein neuer Ausweg gefunden werden. Ihr Herren wollt Eure Meinung darüber abgeben. Seine Majestät, unser allergnädigster König und Herr, wird den besten Vorschlag mit seiner hohen Weisheit bestätigen.«

Der Kanzler legte hier dem geheimen Rat eine Frage vor, deren Rätsel längst gelöst worden war. Es war um der Form halber geschehen, um nichts anderes, denn dicht nach ihm erhob sich Wilhelm von Paris,

»Ich bin Glaubensinquisitor in Frankreich. Alle Ketzer, welche mein Arm erreichen kann, sind meinem Ausspruch verfallen. Und Gott gedankt! Meinem Eifer steht die Macht zur Seite, denn der beste Sohn der Kirche, Philipp von Frankreich, erfüllt freudig seine Pflicht. Ketzer haben nicht mehr teil an den Wohltaten der allein selig machenden Kirche. Warum nun den Tempelherren Rechtswohltaten angedeihen lassen, da sie der Kirche abtrünnig geworden sind, welche ihnen diese Rechte gegeben hat? Sie haben dieselben mit Füßen getreten. Und Anmaßungen, widerrechtliche Anmaßungen dürfen wir nicht dulden! Erzbischöfe und Bischöfe von Frankreich werden sich daher, durch mich aufgefordert, zu einem Konsilium versammeln. Dessen Ausspruch ist vollgültig, in Betreff dieser ketzerischen Verbindung, dieser sündhaften Ritterschaft, deren abscheuliche Verbrechen mein Mund nicht aussprechen mag. Der Papst …«

»Den Papst nehme ich auf mich!«, fiel der König hastig ein.

»Desto besser, Majestät«, rief Wilhelm von Paris freudig aus. »Die Welt hat eingesehen, dass Ihr mit Päpsten umzugehen wisst. Doch ist noch eine Frage übrig: Wie bemächtigt man sich auch nur eines der Ritter, ohne dass ein anderer etwas davon erführe? Sie wohnen unter einem Dach, fressen und saufen miteinander, leben in ihrer verbrecherischen Gemeinschaft nie einer ohne den anderen. Bei wohlverwahrten Türen um Mitternacht treiben sie dem Götzendienst und beschimpfen das Kreuz. Eure Majestät sieht wohl ein, dass es schwer sei, diese Ritter vor das Konsilium zu bringen …«

»Das sehe ich nicht ein, Herr Pater, habe ich doch unter meinen weltlichen Rittern Männer, denen schwerlich ein Tempelherr steht. Auch habe ich Kriegsvolk in meinem Sold, und wohlverwahrte Orte, um die Gefangenen festzuhalten. Da zum Beispiel ist Melun – ich möchte den sehen, der aus ihm entkäme.«

Nach einer kurzen Weile, in welcher der König zu überlegen schien, erhob er plötzlich die Stimme und befahl dem geheimen Rat: »Geheime Haftbefehle sollen in alle Provinzen abgeschickt werden, an alle Amtsleute, Landvögte und Magistratspersonen. Diese Haftbefehle sollen früh genug dorthin gelangen, dass sie alle schon in den Händen derjenigen sind, welche sie angehen. Bei Todesstrafe werde den Verwaltern der Provinzen, den Amtsleuten, Landvögten und Magistratspersonen anbefohlen, die Tempelritter, welche sich in ihrem Gerichtszwang befinden, in Haft zu nehmen und zu diesem Ende all ihnen zu Gebot stehende Gewalt zu gebrauchen. Sodann sollen sie die Ritter in gute und sichere Verwahrung bringen, der beweglichen und unbeweglichen Güter derselben sich bemächtigen und Uns getreue Rechenschaft davon ablegen. Sämtliche Befehle werden versiegelt abgesandt, dürfen nicht eher geöffnet werden als in der Nacht vom zwölften auf den dreizehnten Oktober, denn das ist Unser königlicher Wille.«

Die Mitglieder des geheimen Rats verneigten sich stumm, nur Wilhelm von Paris erwähnte noch der hundertvierzig Ritter, welche den Tempel bewohnten.

Der König aber sprach stolz, indem er sich erhob: »Hundertvierzig Ritter und ein König von Frankreich!«