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Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 12

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Zwölftes Kapitel

Wie Jacob eine Verstorbene aus ihrem Grab auferstehen lässt

An der Freude, ihn im Triumph einziehen zu sehen, hatte nur eine Person nicht teilnehmen können, und zwar gerade diejenige, die sonst vor allen Anteil an ihm nahm, die liebliche Marianne! Sie war am Tag, als dies alles vorfiel, ernstlich krank geworden. Die Nachricht davon wurde für ihn ein bitterer Niederschlag des Hochgefühls, mit dem er eingezogen war. Für ihn hatten nun alle Lobeserhebungen und Liebkosungen, die er erhielt, nur wenig Reiz!

Er war fast einzig mit ihrem Zustand beschäftigt und versuchte ihr diesen, soviel wie ihm nur immer möglich war, zu erleichtern. Aber trotz angewendeter Sorgfalt der ihren, aller Kunst der Ärzte ungeachtet, nahm die Krankheit bald eine schlimme Wendung. Ehe drei Tage vergangen waren, lag die früh gebrochene Blüte im Sarg!

In weißem Atlaskleidchen, mit einem Diadem von zarten Rosenknospen um die Stirn und mit gefalteten Händchen lag sie wie ein entschlafener Engel da. Wer sie sah, dem brach das Herz vor Leid und Rührung.

Als nun die schwarzen Männer kamen, sie aufzuheben, da wusste ihr kleiner verwaister Freund sich nicht mehr zu fassen. Ganz aufgelöst für Schmerz lag er über den zarten kalten Händen ausgestreckt und bedeckte sie mit Tränen und Küssen. Und wie sie hinausgetragen wurde in feierlichem Zug, da war auch er verschwunden. Unbemerkt folgte er der Leiche von Ferne, jede Gefahr verachtend. Als sie sie hinuntergesenkt hatten in die stattliche Gruft, als nach den letzten Tränen und Gebeten alles wieder zu den gewöhnlichen Angelegenheiten und Geschäften zurückgekehrt war, da eilte er herbei, beugte sich über das Gitter des Grabsteines und schaute lange unverrückt, wie in einer Erstarrung hinunter in die Gruft und auf den mit Blumen geschmückten Sarg. Es zog ihn mächtig zu ihr hinab. Er blickte um sich, nach einem Weg in diese dunkle Totenhöhle, die sein Liebstes verschlungen hatte. Da wurde er an einem nahen Gesträuch die Ranke einer Heckenwicke gewahr. Schnell zog er sie durch die Gitteröffnung, kletterte an ihr hinab und lag nun auf dem Sarg, schweigend, gespannt, als ob er den Atemzug der Schlummernden belauschen wollte. Aber wie fuhr es ihm durch alle Nerven, als er nun wirklich einen leisen Seufzer zu vernehmen glaubte. Seine ganze Seele wurde Ohr. Noch einer!

Sein Herz pochte mit ungestümen Schlägen! Er sprang auf, nahm einen im Winkel liegenden Knochen und klopfte damit kräftig an die Wände des Sarges an. Ein schwacher Laut drang aus demselben hervor. Das war gewiss keine Täuschung mehr! Hinauf an seiner Ranke klettern und mit wilden Sprüngen dem Küster des Kirchhofes zueilen, der glücklicherweise in der Nähe vorbeiging, war eins! Dem rief er das Vorgefallene zu und beschwor ihn, zu eilen. Bald war auch der Mann mit

einem Gefährten und Brechwerkzeugen bei der Hand, stieg hinunter und öffnete den leicht verschlossenen Sarg. Und eben hatte die lebendig Begrabene die Augen aufgeschlagen und mit Entsetzen den Ort, wo sie war, erkannt.

Jacob sprang schluchzend vor Freude auf sie zu, verkündigte ihr das neue Dasein und hieß sie, sich aufrichten.

Schnell war die Kunde zur nahen Stadt und zu ihren Eltern gekommen. Alles eilte herbei. Die Krankheit hatte sich im langen totenähnlichen Schlaf gebrochen. Neu belebt sank sie in die Arme der zitternden Mutter, und nach wenigen Tagen erklärte sie der Arzt für genesen!

Ihr Retter aber, wie wurde der nun geliebt und gepriesen! Wie selig war er im Anschauen des wiedergekehrten Glückes der edlen Familie! Wie hoch schlug sein Herz im Gedanken an den, der durch ihn, den Allergeringsten dem Leibe nach, so Großes bewirkt, so merkbar sich verherrlicht hatte!