Timetraveller – Episode 20
Prolog
I
Burg Rauenfels/Parallelwelt
Ken starrte aus dem Fenster seines Zimmers. Tränen rannen über seine Wangen, sein Herz schien sich zu verkrampfen.
Er war alleine mit sich, seinem inneren Schmerz und der bitteren Erkenntnis, für alle Zeiten ein Krüppel zu bleiben.
Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, während er nichts anderes tat, als seine Hände in den Stoff der Decke zu krallen, als wolle er diese zerfetzen.
Nicht einmal Claire war an seiner Seite. Obwohl sie auf Rauenfels weilte, ebenso wie Dan. Er selbst hatte seine Freundin aus dem Zimmer geschickt.
Er wollte alleine sein.
Wochen waren vergangen, seit ihm jemand eine Kugel in die Wirbelsäule gejagt hatte. Wochen, in denen er an das Bett und an einen Rollstuhl gefesselt seinen Freunden nur aus der Ferne hatte helfen können. Wochen aber auch, in denen er darauf hoffte, dass sich die Verletzung seines Rückenmarks bessern würde, sodass er eines Tages wieder stehen und laufen konnte.
Die Mediziner auf Rauenfels hatten eine Heilung nie ausgeschlossen; bis heute.
Nun jedoch stand die Diagnose und sie war unumstößlich. Er würde niemals wieder gehen können. Der Rollstuhl würde von nun an sein stetiger Begleiter sein.
Ein Krüppel, wichtiger Körperfunktionen beraubt. Das war er.
Ich muss mich von Claire trennen, dachte er. Sie hat ihr Leben noch vor sich, während meines faktisch vorbei ist. Was soll sie mit einem wie mir? Einer, der nicht einmal in der Lage ist …
Ein Schrei der Enttäuschung und des haltlosen Zorns entrang sich seiner Kehle. Der Hass, den er auf den Schützen empfand, wuchs ins Unermessliche. Am liebsten hätte er den Mann eigenhändig erwürgt. Oder besser noch – ihm die Wirbelsäule gebrochen, damit er genauso zu leiden hatte, wie er in diesem Moment litt.
Sein Schrei ging in Schluchzen über, das schließlich zu einem Wimmern wurde, ehe es verstummte. Müdigkeit übermannte den jungen Mann. Das Adrenalin, welches zuvor durch seine Adern gerauscht war, verebbte.
Leere breitete sich aus, die von der Dunkelheit des Schlafs ausgefüllt wurde. Ein unguter Schlaf, gepaart mit Albträumen, die ihm seine Ausweglosigkeit vor Augen führten.
II
»Du liebst ihn wirklich, nicht wahr?«, fragte Xarina leise.
Die Amazone saß neben Claire und hielt deren Hand. Die beiden Frauen hatten Kens Ausbruch gehört. Sie ahnten, wie sehr der junge Mann unter der Diagnose litt.
»Ich liebe ihn, ja«, erwiderte Claire. »Auch wenn wir uns in den letzten Wochen mehr und mehr entfremdet haben. Es ist, als würde eine Barriere zwischen uns entstehen. Eine Barriere, die wir nicht durchstoßen können.«
»Du lebst dein Leben, bestehst Abenteuer in fremden Zeiten und triffst außergewöhnliche Menschen. Er hingegen ist an einen Rollstuhl gefesselt. Hinzu kommt, dass du mit Dan unterwegs bist, seinem einstigen Widersacher. Kein Wunder, dass sich da eine Barriere auftut.« Xarina pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Amazone konnte den Schmerz in Claires Augen sehen.
»Ich wollte studieren, einen guten Job finden und irgendwann eine Familie gründen«, flüsterte die Zeitreisende. »Ich hatte nie geplant, in fremde Epochen zu reisen, um dort einen verrückten Professor zu jagen. Und ich hatte nie geplant, mein Leben in fremden Welten zu riskieren oder von einem Ryk missbraucht zu werden.«
»Ich wurde in eine Welt des Krieges geboren. Träume, wie du sie hattest, waren mir stets fremd. Ich wollte eine Amazone werden, seit ich von ihnen hörte. Ein Wunsch, der in Erfüllung ging und mein Leben blutrot färbte.« Sie zögerte einen Moment, ehe sie in die Tasche ihrer Uniform griff und eine kleine Phiole hervorholte, gefüllt mit einer smaragdgrünen Flüssigkeit.
»Was ist das?«, fragte Claire neugierig, während sie die Phiole betrachtete.
»Medizin«, wisperte Xarina. »Sie ist imstande, jede noch so kleine oder große Verletzung zu heilen. Bei Ares, sie lässt sogar die Zähne eines Patienten nachwachsen.«
»Du meinst …« Aufgeregt wollte Claire nach dem Fläschchen greifen, doch Xarina war schneller und hielt ihre Hand fest.
»Diese Medizin stammt von den Feindwesen. Sie ist nicht menschlich, sondern wurde geschaffen, um verwundete Ryk zu heilen. Sie kann Ken heilen, aber der Preis könnte hoch sein.«
»Wie meinst du das?«, wollte die Zeitreisende wissen.
»Er wird stärker, schneller und gesünder als ein Mensch sein. Sein Verstand jedoch wird der alte bleiben, sodass er plötzlich mit völlig neuen Gegebenheiten konfrontiert wird. Das könnte ihn verändern!«
»Alles ist besser, als ihn auch nur eine Stunde länger in diesem Zustand zu lassen. Du musst ihm die Medizin geben.«
»Nein«, erklärte die Amazone bestimmt, während sie die Hand der jungen Frau losließ. »Das werde ich nicht. Wenn du möchtest, dass Ken das Zeug schluckt, dann gib du es ihm. Es ist deine Wahl und deine Verantwortung.«
»Ich nehme an, ihr Amazonen habt Erfahrung gesammelt mit dieser Medizin?«
Abermals schüttelte Xarina den Kopf. »Wenn uns Ares zu sich ruft, dann folgen wir ihm. Wir nehmen keine Medizin der Feindwesen, um unser Leben zu verlängern oder um unsere Körper aufzuwerten. Das würden unsere Anführerinnen niemals zulassen. Allein schon, dass ich dir diese Phiole gebe, würde Nadine auf die Palme bringen.«
Sie stand auf. »Markui wird bald die Z-Strahlen perfektioniert haben. Der Krieg geht auch für mich weiter, obwohl ich mich gerne auf Rauenfels aufhalte.«
»Ich kenne Markui schon eine Weile. Dass sich jemand wie du für ihn interessiert, ist mir ein Rätsel«, murmelte Claire. Sie wurde rot, als sie sich ihrer Worte bewusst wurde.
»Du kennst ihn offenbar nicht gut genug. Er ist schüchtern und zurückhaltend. Aber hast du jemals mit ihm geschlafen?«
»Nein!«, rief die Zeitreisende. »Ich … Nein, habe ich nicht. Ehrlich gesagt verspüre ich auch nicht das Verlangen danach.« Auch sie stand auf. »Ich gebe Ken die Medizin. Er muss eine Perspektive haben. Wir müssen eine Perspektive haben …«
»Viel Glück.« Xarina lachte leise, während sie den Raum verließ. Sie hatte versucht, aus Claire eine Amazone zu machen. Eine Kämpferin.
Es war ihr nur ungenügend gelungen.
Claire war eine nette Frau, die das Leben achtete und Milde schätzte. Auch dort, wo Härte angesagt war. Dies konnte die Amazone den Berichten entnehmen, die Markui nach jedem Abenteuer der Zeitreisenden verfasste.
Einen Moment ließ Claire noch verstreichen. Dann sprang sie auf, verließ ihr Zimmer und eilte über den Flur.
»Ken!«, rief sie, kaum dass sie das Zimmer ihres Freundes betreten hatte, »wach auf! Du kannst später schlafen, jetzt ist nicht die Zeit dazu!«
»Hm?«, murmelte der junge Japaner schlaftrunken, »was ist los? Wisst ihr, was aus Sanfold wurde? Wo er sich aufhält?«
»Nein, keine Ahnung. Aber das ist jetzt auch nicht wichtig!« Claire setzte sich auf das Bett. »Ich habe etwas, das dir helfen wird.« Sie hielt die Phiole in die Höhe.
»Was ist das?«, fragte Ken misstrauisch. »Gift, um mich von meinem Elend zu erlösen?«
Sie gab ihm einen empörten Klaps auf den Arm. »Ich würde dich niemals vergiften.«
»Also?«
»Es ist Medizin!«, erklärte Claire aufgeregt. »Medizin, die man diesen widerlichen Ryk gibt, wenn sie sich verletzt haben. Xarina sagte, dass es jede verdammte Wunde heilt. Jede, verstehst du?«
Die Augen des jungen Mannes wurden groß. »Das heißt, ich könnte wieder … Gib her!«
Claire zog ihre Hand zurück. »Die Amazone warnte mich aber auch, dass es dich verändern könnte. Dass du mit neuen Herausforderungen konfrontiert wirst, weil es dich stärker und schneller macht. Du musst lernen, mit den Veränderungen umzugehen.«
Ken hätte alles versprochen, um an die Medizin heranzukommen. Er hätte auch dem Teufel sein erstes Kind gegeben, nur um nicht länger ein Krüppel zu sein.
Darum nickte er, nicht ahnend, was das bedeutete.
Claire reichte ihrem Freund das Fläschchen. »Trink. Und dann sag mir, wie du dich fühlst.«
Ken entkorkte die Phiole und kippte die grüne Flüssigkeit hinunter, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie die Medizin wirken würde.
»Schmeckt nicht einmal schlecht«, konstatierte er nach ein paar Sekunden. »Obwohl sie ein leichtes Brennen in der Kehle und im Magen verursacht. Aber das tut ein guter Scotch …«
Er schaffte es nicht, den Satz zu beenden. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, kam der Schmerz. Etwas schien seine Eingeweide zusammenzustechen. Er rang um Atem, sein Blut jagte durch die Arterien. Sein Körper schien plötzlich in Flammen zu stehen, jeder Muskel verkrampfte sich.
Ein Schrei kam über seine Lippen, während sich sein Körper unnatürlich verkrümmte.
Claire wich erschrocken zurück. Fahrig wischte sie sich über das Gesicht. Hatte sie ihn doch vergiftet?
Ken warf seinen Kopf hin und her, Schaum trat vor seine Lippen. Er würgte, konnte sich aber nicht übergeben.
Die Tür des Zimmers wurde aufgestoßen. Ein Arzt eilte herbei, ebenso Dan.
»Was ist passiert?«, fragte der Mediziner. Dann sah er die Phiole, schnupperte daran – und warf sie wütend zu Boden. »Es gibt einen guten Grund, warum die HDG den Einsatz dieser Mittel untersagt«, schrie er. »Sie ist nicht für Menschen gemacht.«
Xarina trat ebenfalls ein. Sie griff nach Claire, die schockiert zurückgewichen war. »Es ist bald vorbei. Keine Angst …«
Die junge Frau drehte den Kopf, um die Amazone zu mustern. Hinter ihr brüllte Ken seine unsagbaren Schmerzen hinaus. Sie wollte Xarina anschreien, sie fragen, warum sie nichts von den Nebenwirkungen gesagt hatte.
Doch kein Wort kam über ihre Lippen, denn plötzlich wurde sie von einer eisigen Kälte erfasst. Etwas zerrte an ihr, die Welt um sie herum verschwamm.
Eine Zeitreise, dachte sie. Verdammt, wie kann das sein? Ich dachte, wir hätten Sanfolds Maschine. Und jetzt …
Undeutlich nahm sie wahr, dass Dan ebenfalls von dem Phänomen erfasst wurde. Auch sah sie die erschrockenen Blicke von Markui und Roger, die beide herbeigeeilt waren, als Ken zu schreien begonnen hatte.
Dann trat sie ein in den Zeitstrudel, jagte in der Dunkelheit dahin, einem ungewissen Ziel entgegen.
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