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Der Welt-Detektiv Band 6

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Timetraveller – Episode 20

Blutiger Zeitstrom

Pro­log

I

Burg Rau­en­fels/Pa­ral­lel­welt

Ken starr­te aus dem Fens­ter sei­nes Zim­mers. Trä­nen ran­nen über sei­ne Wan­gen, sein Herz schien sich zu ver­kramp­fen.

Er war al­lei­ne mit sich, sei­nem in­ne­ren Schmerz und der bit­te­ren Er­kennt­nis, für alle Zei­ten ein Krüp­pel zu blei­ben.

Die Se­kun­den dehn­ten sich zu Mi­nu­ten, wäh­rend er nichts an­de­res tat, als sei­ne Hän­de in den Stoff der De­cke zu kral­len, als wol­le er die­se zer­fet­zen.

Nicht ein­mal Clai­re war an sei­ner Sei­te. Ob­wohl sie auf Rau­en­fels weil­te, eben­so wie Dan. Er selbst hat­te sei­ne Freun­din aus dem Zim­mer ge­schickt.

Er woll­te al­lei­ne sein.

Wo­chen wa­ren ver­gan­gen, seit ihm je­mand eine Ku­gel in die Wir­bel­säu­le ge­jagt hat­te. Wo­chen, in de­nen er an das Bett und an ei­nen Roll­stuhl ge­fes­selt sei­nen Freun­den nur aus der Fer­ne hat­te hel­fen kön­nen. Wo­chen aber auch, in de­nen er da­rauf hoff­te, dass sich die Ver­let­zung sei­nes Rü­cken­marks bes­sern wür­de, so­dass er ei­nes Ta­ges wie­der ste­hen und lau­fen konn­te.

Die Me­di­zi­ner auf Rau­en­fels hat­ten eine Hei­lung nie aus­ge­schlos­sen; bis heu­te.

Nun je­doch stand die Di­ag­no­se und sie war un­um­stöß­lich. Er wür­de nie­mals wie­der ge­hen kön­nen. Der Roll­stuhl wür­de von nun an sein ste­ti­ger Be­glei­ter sein.

Ein Krüp­pel, wich­ti­ger Kör­per­funk­ti­o­nen be­raubt. Das war er.

Ich muss mich von Clai­re tren­nen, dach­te er. Sie hat ihr Le­ben noch vor sich, wäh­rend mei­nes fak­tisch vor­bei ist. Was soll sie mit ei­nem wie mir? Ei­ner, der nicht ein­mal in der Lage ist …

Ein Schrei der Ent­täu­schung und des halt­lo­sen Zorns ent­rang sich sei­ner Keh­le. Der Hass, den er auf den Schüt­zen emp­fand, wuchs ins Un­er­mess­li­che. Am liebs­ten hät­te er den Mann ei­gen­hän­dig er­würgt. Oder bes­ser noch – ihm die Wir­bel­säu­le ge­bro­chen, da­mit er ge­nau­so zu lei­den hat­te, wie er in die­sem Mo­ment litt.

Sein Schrei ging in Schluch­zen über, das schließ­lich zu ei­nem Wim­mern wur­de, ehe es verstumm­te. Mü­dig­keit über­mann­te den jun­gen Mann. Das Ad­ren­alin, wel­ches zu­vor durch sei­ne Adern ge­rauscht war, ver­ebb­te.

Lee­re brei­te­te sich aus, die von der Dun­kel­heit des Schlafs aus­ge­füllt wur­de. Ein un­gu­ter Schlaf, ge­paart mit Alb­träu­men, die ihm sei­ne Aus­weg­lo­sig­keit vor Au­gen führ­ten.

 

II

 

»Du liebst ihn wirk­lich, nicht wahr?«, frag­te Xa­ri­na lei­se.

Die Ama­zo­ne saß ne­ben Clai­re und hielt de­ren Hand. Die bei­den Frau­en hat­ten Kens Aus­bruch ge­hört. Sie ahn­ten, wie sehr der jun­ge Mann un­ter der Di­ag­no­se litt.

»Ich lie­be ihn, ja«, er­wi­der­te Clai­re. »Auch wenn wir uns in den letz­ten Wo­chen mehr und mehr ent­frem­det ha­ben. Es ist, als wür­de eine Bar­rie­re zwi­schen uns ent­ste­hen. Eine Bar­rie­re, die wir nicht durch­sto­ßen kön­nen.«

»Du lebst dein Le­ben, bes­tehst Aben­teu­er in frem­den Zei­ten und triffst au­ßer­ge­wöhn­li­che Men­schen. Er hin­ge­gen ist an ei­nen Roll­stuhl ge­fes­selt. Hin­zu kommt, dass du mit Dan un­ter­wegs bist, sei­nem eins­ti­gen Wi­der­sa­cher. Kein Wun­der, dass sich da eine Bar­rie­re auf­tut.« Xa­ri­na pus­te­te sich eine Haar­sträh­ne aus dem Ge­sicht. Die Ama­zo­ne konn­te den Schmerz in Clai­res Au­gen se­hen.

»Ich woll­te stu­die­ren, ei­nen gu­ten Job fin­den und ir­gend­wann eine Fa­mi­lie grün­den«, flüs­ter­te die Zeit­rei­sen­de. »Ich hat­te nie ge­plant, in frem­de Epo­chen zu rei­sen, um dort ei­nen ver­rück­ten Pro­fes­sor zu ja­gen. Und ich hat­te nie ge­plant, mein Le­ben in frem­den Wel­ten zu ris­kie­ren oder von ei­nem Ryk miss­braucht zu wer­den.«

»Ich wur­de in eine Welt des Krie­ges ge­bo­ren. Träu­me, wie du sie hat­test, wa­ren mir stets fremd. Ich woll­te eine Ama­zo­ne wer­den, seit ich von ih­nen hör­te. Ein Wunsch, der in Er­fül­lung ging und mein Le­ben blut­rot färb­te.« Sie zö­ger­te ei­nen Mo­ment, ehe sie in die Ta­sche ih­rer Uni­form griff und eine klei­ne Phi­o­le her­vor­hol­te, ge­füllt mit ei­ner sma­ragd­grü­nen Flüs­sig­keit.

»Was ist das?«, frag­te Clai­re neu­gie­rig, wäh­rend sie die Phi­o­le be­trach­te­te.

»Me­di­zin«, wis­per­te Xa­ri­na. »Sie ist imstan­de, jede noch so klei­ne oder gro­ße Ver­let­zung zu hei­len. Bei Ares, sie lässt so­gar die Zäh­ne ei­nes Pa­ti­en­ten nach­wach­sen.«

»Du meinst …« Auf­ge­regt woll­te Clai­re nach dem Fläsch­chen grei­fen, doch Xa­ri­na war schnel­ler und hielt ihre Hand fest.

»Die­se Me­di­zin stammt von den Feind­we­sen. Sie ist nicht mensch­lich, son­dern wur­de ge­schaf­fen, um ver­wun­de­te Ryk zu hei­len. Sie kann Ken hei­len, aber der Preis könn­te hoch sein.«

»Wie meinst du das?«, woll­te die Zeit­rei­sen­de wis­sen.

»Er wird stär­ker, schnel­ler und ge­sün­der als ein Mensch sein. Sein Vers­tand je­doch wird der alte blei­ben, so­dass er plötz­lich mit völ­lig neu­en Ge­ge­ben­hei­ten kon­fron­tiert wird. Das könn­te ihn ver­än­dern!«

»Al­les ist bes­ser, als ihn auch nur eine Stun­de län­ger in die­sem Zu­stand zu las­sen. Du musst ihm die Me­di­zin ge­ben.«

»Nein«, er­klär­te die Ama­zo­ne be­stimmt, wäh­rend sie die Hand der jun­gen Frau los­ließ. »Das wer­de ich nicht. Wenn du möch­test, dass Ken das Zeug schluckt, dann gib du es ihm. Es ist dei­ne Wahl und dei­ne Ver­ant­wor­tung.«

»Ich neh­me an, ihr Ama­zo­nen habt Er­fah­rung ge­sam­melt mit die­ser Me­di­zin?«

Aber­mals schüt­tel­te Xa­ri­na den Kopf. »Wenn uns Ares zu sich ruft, dann fol­gen wir ihm. Wir neh­men kei­ne Me­di­zin der Feind­we­sen, um un­ser Le­ben zu ver­län­gern oder um un­se­re Kör­per auf­zu­wer­ten. Das wür­den un­se­re An­füh­re­rin­nen nie­mals zu­las­sen. Al­lein schon, dass ich dir die­se Phi­o­le gebe, wür­de Na­di­ne auf die Pal­me brin­gen.«

Sie stand auf. »Mark­ui wird bald die Z-Strah­len per­fek­ti­o­niert ha­ben. Der Krieg geht auch für mich wei­ter, ob­wohl ich mich ger­ne auf Rau­en­fels auf­hal­te.«

»Ich ken­ne Mark­ui schon eine Wei­le. Dass sich je­mand wie du für ihn in­te­res­siert, ist mir ein Rät­sel«, mur­mel­te Clai­re. Sie wur­de rot, als sie sich ih­rer Wor­te be­wusst wur­de.

»Du kennst ihn of­fen­bar nicht gut ge­nug. Er ist schüch­tern und zu­rück­hal­tend. Aber hast du je­mals mit ihm ge­schla­fen?«

»Nein!«, rief die Zeit­rei­sen­de. »Ich … Nein, habe ich nicht. Ehr­lich ge­sagt ver­spü­re ich auch nicht das Ver­lan­gen da­nach.« Auch sie stand auf. »Ich gebe Ken die Me­di­zin. Er muss eine Per­spek­ti­ve ha­ben. Wir müs­sen eine Per­spek­ti­ve ha­ben …«

»Viel Glück.« Xa­ri­na lach­te lei­se, wäh­rend sie den Raum ver­ließ. Sie hat­te ver­sucht, aus Clai­re eine Ama­zo­ne zu ma­chen. Eine Kämp­fe­rin.

Es war ihr nur un­ge­nü­gend ge­lun­gen.

Clai­re war eine net­te Frau, die das Le­ben ach­te­te und Mil­de schätz­te. Auch dort, wo Här­te an­ge­sagt war. Dies konn­te die Ama­zo­ne den Be­rich­ten ent­neh­men, die Mark­ui nach je­dem Aben­teu­er der Zeit­rei­sen­den ver­fass­te.

Ei­nen Mo­ment ließ Clai­re noch ver­strei­chen. Dann sprang sie auf, ver­ließ ihr Zim­mer und eil­te über den Flur.

»Ken!«, rief sie, kaum dass sie das Zim­mer ih­res Freun­des be­tre­ten hat­te, »wach auf! Du kannst spä­ter schla­fen, jetzt ist nicht die Zeit dazu!«

»Hm?«, mur­mel­te der jun­ge Ja­pa­ner schlaf­trun­ken, »was ist los? Wisst ihr, was aus San­fold wur­de? Wo er sich auf­hält?«

»Nein, kei­ne Ah­nung. Aber das ist jetzt auch nicht wich­tig!« Clai­re setz­te sich auf das Bett. »Ich habe et­was, das dir hel­fen wird.« Sie hielt die Phi­o­le in die Höhe.

»Was ist das?«, frag­te Ken miss­trau­isch. »Gift, um mich von mei­nem Elend zu er­lö­sen?«

Sie gab ihm ei­nen em­pör­ten Klaps auf den Arm. »Ich wür­de dich nie­mals ver­gif­ten.«

»Also?«

»Es ist Me­di­zin!«, er­klär­te Clai­re auf­ge­regt. »Me­di­zin, die man die­sen wi­der­li­chen Ryk gibt, wenn sie sich ver­letzt ha­ben. Xa­ri­na sag­te, dass es jede ver­damm­te Wun­de heilt. Jede, ver­stehst du?«

Die Au­gen des jun­gen Man­nes wur­den groß. »Das heißt, ich könn­te wie­der … Gib her!«

Clai­re zog ihre Hand zu­rück. »Die Ama­zo­ne warn­te mich aber auch, dass es dich ver­än­dern könn­te. Dass du mit neu­en He­raus­for­de­run­gen kon­fron­tiert wirst, weil es dich stär­ker und schnel­ler macht. Du musst ler­nen, mit den Ver­än­de­run­gen um­zu­ge­hen.«

Ken hät­te al­les ver­spro­chen, um an die Me­di­zin he­ran­zu­kom­men. Er hät­te auch dem Teu­fel sein ers­tes Kind ge­ge­ben, nur um nicht län­ger ein Krüp­pel zu sein.

Da­rum nick­te er, nicht ah­nend, was das be­deu­te­te.

Clai­re reich­te ih­rem Freund das Fläsch­chen. »Trink. Und dann sag mir, wie du dich fühlst.«

Ken ent­kork­te die Phi­o­le und kippte die grü­ne Flüs­sig­keit hi­nun­ter, ohne auch nur ei­nen Ge­dan­ken da­ran zu ver­schwen­den, wie die Me­di­zin wir­ken wür­de.

»Schmeckt nicht ein­mal schlecht«, kon­sta­tier­te er nach ein paar Se­kun­den. »Ob­wohl sie ein leich­tes Bren­nen in der Keh­le und im Ma­gen ver­ur­sacht. Aber das tut ein gu­ter Scotch …«

Er schaff­te es nicht, den Satz zu be­en­den. Plötz­lich, von ei­ner Se­kun­de auf die an­de­re, kam der Schmerz. Et­was schien sei­ne Ein­ge­wei­de zu­sam­men­zuste­chen. Er rang um Atem, sein Blut jag­te durch die Ar­te­ri­en. Sein Kör­per schien plötz­lich in Flam­men zu ste­hen, je­der Mus­kel ver­krampf­te sich.

Ein Schrei kam über sei­ne Lip­pen, wäh­rend sich sein Kör­per un­na­tür­lich ver­krümm­te.

Clai­re wich er­schro­cken zu­rück. Fah­rig wisch­te sie sich über das Ge­sicht. Hat­te sie ihn doch ver­gif­tet?

Ken warf sei­nen Kopf hin und her, Schaum trat vor sei­ne Lip­pen. Er würg­te, konn­te sich aber nicht über­ge­ben.

Die Tür des Zim­mers wur­de auf­ges­to­ßen. Ein Arzt eil­te her­bei, eben­so Dan.

»Was ist pas­siert?«, frag­te der Me­di­zi­ner. Dann sah er die Phi­o­le, schnup­per­te da­ran – und warf sie wü­tend zu Bo­den. »Es gibt ei­nen gu­ten Grund, war­um die HDG den Ein­satz die­ser Mit­tel un­ter­sagt«, schrie er. »Sie ist nicht für Men­schen ge­macht.«

Xa­ri­na trat eben­falls ein. Sie griff nach Clai­re, die scho­ckiert zu­rück­ge­wi­chen war. »Es ist bald vor­bei. Kei­ne Angst …«

Die jun­ge Frau dreh­te den Kopf, um die Ama­zo­ne zu mus­tern. Hin­ter ihr brüll­te Ken sei­ne un­sag­ba­ren Schmer­zen hi­naus. Sie woll­te Xa­ri­na an­schrei­en, sie fra­gen, war­um sie nichts von den Ne­ben­wir­kun­gen ge­sagt hat­te.

Doch kein Wort kam über ihre Lip­pen, denn plötz­lich wur­de sie von ei­ner ei­si­gen Käl­te er­fasst. Et­was zerr­te an ihr, die Welt um sie he­rum ver­schwamm.

Eine Zeit­rei­se, dach­te sie. Ver­dammt, wie kann das sein? Ich dach­te, wir hät­ten San­folds Ma­schi­ne. Und jetzt …

Un­deut­lich nahm sie wahr, dass Dan eben­falls von dem Phä­no­men er­fasst wur­de. Auch sah sie die er­schro­cke­nen Bli­cke von Mark­ui und Ro­ger, die bei­de her­bei­ge­eilt wa­ren, als Ken zu schrei­en be­gon­nen hat­te.

Dann trat sie ein in den Zeit­stru­del, jag­te in der Dun­kel­heit da­hin, ei­nem un­ge­wis­sen Ziel ent­ge­gen.


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