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Das Märleinbuch 2

Peter Kling
Das Märleinbuch für meine lieben Nachbarsleute
Leipzig, Weygandsche Buchhandlung, 1799

Erstes Märlein

Im Wald am Fichtelgebirge lebte einmal ein Köhler, ein Mann, der viel erfahren, viel gelitten und schon ein schneeweißes Härlein hatte vor Alter.

War der Hospes aller Unholde, die um ihn herum schwärmten, und wurde ihm kein Leid getan, denn ihn schützte ein Geist, der mächtiger war als alle.

War ein altes runzliges Männlein mit einem grünen Käpplein, einem langen Knebelbart und einem weißen neu geschälten Stab.

Und wenn der Saft in die Rinde stieg, wenn die Weide sich schälte, war er alle Jahre an des Köhlers Hütte und schnitt sich seinen Stab, kehrte ein beim Alten und machte den Kindern Pfeiflein, die nirgends schöner klangen als von dem Mann und das ganze Jahr hindurch frisch blieben, und brachte Vater und Mutter schöne Geschenke mit.

Schon beim Vater kehrte er ein, war freundlich und sprach gerne, aber beantwortete keine Frage.

Er aß aus einer Schüssel mit den Leuten, und war die Schüssel auch nicht voll für den großen Tisch, so ermunterte er die häusliche Mutter, die nur zum Schein in die Schüssel langte, tapfer einzugreifen, und legte den Kindern selber hinaus, und das Schüsslein wurde nicht leer, aus dem er gegessen hatte, und das ganze Jahr Vorrat dadrin.

»Doch sag ich euch«, sprach er, »nehmt die Schüssel nicht eher, bis ihr nichts habt, einzubrocken, und was ihr übrig gelassen habt, legt redlich wieder hinein, sogar die Beine werft nicht weg.«

Und weit der Köhler ein armer Mann war, so hatte er doch nie hungrige Kinder, welches ihm über alles ging, denn ehrlich zu leben, war sein Vorsatz, und doch wusste er nur zu wohl, wie weh der Hunger tue.

Zwar wollte die Frau nicht recht an diese Speise, ängstigte sich ab während des Essen und trug das Schüsslein erst zuletzt auf, denn sie meinte nicht anders, als das Männlein sei der Teufel, und bekreuzigte sich wohl hundert Mal am Tag.

Allein das alte Männlein ging nicht wie Herr Urian hinter den Ofen, wenn der Abendsegen gebetet wurde, zog sein Käpplein beim Namen Gottes mit vieler Andacht und sagte den Kindern beim Abschied: »Kinder, seid fleißig und fromm, ehrt Gott und hofft immer das Beste, sah zum Himmel, wenn er ging, und eine Träne glänzte im Auge.

»Mein Vater«, sprach der Köhler, »und meine Mutter, Gott hab sie selig, waren fromme Leute.«

Das Männlein ging aus und ein, und beide erzählten oft, dass das Männlein ihnen öfters im Traum erschienen und sie gewarnt habe, wenn etwas Böses im Anzug gewesen war.

Und dort das alte Kruzifix am Ofen, das ich heilig verehre, war ein Geschenk von ihm. Beim Religionskrieg, da mein Vater verwundet und zerschlagen aus seiner im Feuer stehenden Hütte floh, da fünf hungrige Kinder, eine weinende Frau, seid ganzer Reichtum an seinen Armen hingen, da schon der Abend sich nahte, und sie da außen an dem moosigen Stein, wo ich öfters sitze, den Tod erwarteten, denn was kann man anders hoffen in dieser Wildnis. Da erschien das Männlein zum ersten Mal, stieg wie ein leichter Dampf vor ihnen aus der Erde heraus, brachte Speise und Trank, sagte nichts, vermied den Dank und ging.

Und dies war das Schüsslein, aus dem sie aßen, wieder satt und froh wurden, und wieder dankend zum Himmel blicken konnten und auf bessere Zeiten hofften.

Er baute hierher seine Hütte, trieb sein Gewerbe wie zuvor und blieb ein armer, aber doch ein sorgenfreier Mann, und ehrlich, grundehrlich.

Das Männlein saß alle Jahre auf dem Stein und weinte auf demselben. Fragte man, warum es weine, so sagte es nichts, und mein Vater und ihr alle standet da öfters mit herum, und man konnte ihn nicht weinen sehen, ohne mit zu weinen.

Es war einem so wehums Herz, als ob man eben das Teuerste verloren hätte, und ich stand am Grab manches guten Kindes, stand an der Grube meines Lieblings und konnte nicht so weinen, wie ich weinen muss, wenn das Männlein weint.

Und schaut da unten, wo er alljährlich sich einen Stab schneidet von der Weide, ist ein dürrer Boden, auf dem die Weide sonst nicht gedeiht.

Ach Kinder, da müssen Tränen geflossen sein, Tränen, die noch nicht abgebüßt sind, und das Männlein ist fromm und bieder, sei es, wer es wolle, ich frage nicht danach.

Der eine Sohn des Köhlers wuchs heran, lernte des Vaters Handwerk und ging weiter hinaus in die Fremde.

Allein er hatte wenig Glück, kam nach einigen Jahren wieder, brachte ein armes Mägdlein mit roten Backen und schwarzen Augen mit und bat den Vater um seinen Segen. Er wolle sie heiraten.

Er war des Mütterleins Leibsohm und hatte ihre Einwilligung, aber vom Vater konnte er sie nicht erhalten, der weiter dachte und nicht wusste, wie er eine Frau ernähren wolle.

»Ich konnte«, sprach er, »nicht in Schatz sammeln, das weißt’. Dein Liebchen hat nichts, und meine Kohlhütte bekommt nach meinem Tod der Jüngste. Was willst du mit der Frau. Geh«, sprach er, »geh wieder in die Fremde. Spare erst, und dann komme wieder und nimm aus meinen Händen dein Mägdlein wieder und erhalte meinen Segen.«

Das Männlein war gerade da und billigte des Alten Rat.

»Geh«, sprach er, »nach Böheim tiefer ins Land, und geht es da nicht, geh ins Ungerland, und du wirst ein Örtlein finden, wohin du dein Bräutchen holst.«

Er ging hart wieder vom Vater und trat die neue Wanderschaft an. Indessen war das Mägdlein bald von ihm ausgeforscht, war das unschuldige Mägdlein nimmer und schlug verschämt ihrer Äuglein nieder, als er ihr alles sagte, was sie getan hatte.

»Geh mit mir«, sprach er, »hause in meinem Hüttlein und werde Mutter. Ist dein Bräutigam glücklich und kommt der wieder, so führe ich dich zu ihm. Hab Wolle und Flachs genug daheim, und was du erspinnst, ist dein Hausschenk und wird dir gut tun in der Folge.

Sie ging, und so begierig der Köhler war, den Ort zu wissen, wo seine künftige Tochter hinkommen sollte, so fragte er doch nicht oder stellte sich unwillig oder ungeduldig, denn auf des Männleins Mienen schwebte ein düsterer Ernst, und einige dachten, er sehe heute recht fürchterlich aus.

Lange stand eher mit dem Mägdlein am Christusbild, weinte bitterlich daran. »Komm«, sagte er endlich ganz verdrießlich, »komm, Mägdlein, lass uns gehen!«

Sie gingen dem Wald zu, und die alte Köhlerin schlich nach Weibersitte ihnen nach, sah nichts und ging immer tiefer in den Wald hinein, fürchtete sich endlich und suchte den Heimweg, dem sie nimmer finden konnte.

Schon wollte es Abend werden, sie hungerte und dürstete. Endlich kam ein Wanderer einhergeschritten, den sprach sie an, und er ging einen Weg und führte sie heim.

Es war schon Mitternacht, und der Köhler sorgte sich, es möchte ihr ein Unfall begegnet sein.

Als sie aber so bissig hereintrat und immer schrie »der Unhold, der Bösewicht, wie er’s so fromm gibt und so tückisch sich zeigt!«, lachte er heimlich. »Schöne Gesellschaft hast du«, fuhr sie fort, indem sie vor seinem Bett tagt. »Und das Mägdlein sieht keine Seele wieder, ist ein Menschenfresser, ein …«

»Schweig, Weiblein«, sprach der Köhler ernst, »es war bloß eine kleine Strafe für deinen Vorwitz. Hätte dich die Neugier nicht geplagt, so wirst du nicht irre gelaufen. Das Männlein tat uns nie einen Possen an, geschweige denn etwas Böses. Was wäre natürlicher gewesen, als dass auch wir kein Misstrauen hätten in seine Ehrlichkeit setzen sollen? Misstrauen verbürgt aller Freundschaft, ist der Tod der Liebe.«

Die Alte konnte die ganze Nacht nicht schlafen, lief dem Köhler aus der Hütte, ging zu ihren Bekannten und erzählte alles ihren Freunden. Diese brachten es wieder weiter. Und so wurde denn ein förmlicher Prozess dem alten Köhler gemacht, er ins Gefängnis gesetzt und hätte dem teufelsüchtigen Zeitalter zufolge sicher mit dem Leben büßen müssen, hätte das Männlein ihn nicht beschützt.

Es unterhielt ihn im Kerker, erzählte ihm angenehme Geschichten aus der Vorwelt, lobte seinen Mut in der Gefahr. Als er den Köhler fragte »Wie aber, wenn du sterben musst?«, fasste der Köhler seine Hand und sagte zutraulich: »Soweit lässt du es nicht kommen, und soll ich sterben, so sei es. Ich bin grau und schäme mich meines Lebens nicht um bleibe dir gut und denke deiner Liebe noch in der letzten Stunde. Verlasse nur meine Kinder nicht!«

Als er so gesagt hatte, verschwand das Männlein, und ein schöner schlanker Jüngling mit einer himmlischen Miene stand vor ihm, mit einer Fackel, die Wohlgerüche ausstreute.

Dreimal schwang wer die Fackel, da fielen die Fesseln von den Händen und Füßen des Köhlers, die Wände des Gefängnisses stürzten vor ihm nieder, das ganze Gebäude stand in Flammen, und ein wildes Geschrei ertönte von außen herum.

Da umarmte der Jüngling den Alten, trug ihn heraus und setzte ihn an seiner Höhle nieder. Als er erwachte, war der Jüngling verschwunden.

Er ging in seine Hütte, da machte man eben Anstalten, eine Leiche zu Grabe zu tragen. Sein Weib war gestorben.

Sie war wieder in die Hütte zurückgekommen, sie wünschte, geschwiegen zu haben, litt Hunger und Elend mit den Kindern. Alle Tage ließ sich ein schöner Jüngling am Eingang des Hüttlein sehen, besah unweigerlich aus und sagte nichts, wenn die Kinder vorübergingen.

Aber als die Alte vorüberging, schlug er sie mit seiner Palme und sagte: »Weib, du hast an deinem Mann übel behandelt!«

Sie fiel nieder, sie wollte um Vergebung, um Mitleid flehen. Aber er war verschwunden und erschien ihr nun öfters, stand immer vor ihren Augen.

Und es war nun, als verfolge sie der Tod. Sie wurde krank und starb wenige Tage darauf.

»Wunderbar!«, sprach der Köhler, als man ihm alles umständlich erzählte, weinte ihrem Andenken, denn er hatte sich gern, bei all ihren Schwächen, und wollte mit der Leiche gehen, als eben das Männlein kam.

Er sah den Köhler weinen. »Lass«, sprach er, »die Toten ihre Toten begraben, und bleibe bei mir. Ich kann nicht lange verweilen!«

Ich muss mein Weib zum Grab begleiten, sprach der Köhler mürrisch. Am Sarg seines Weibes fiel ihm seine Pflegetochter, fiel ihm sein Sohn ein, und er selber konnte dem Männlein nicht gut sein.

Das Männlein drang nicht weiter in ihn, ging dem Wald zu und kam nimmer wieder. Öfters reute es dem Köhler, dass er nicht klüger gewesen war und männlicher sich bewiesen habe.

Der Köhler konnte kaum den Frühling des neuen Jahres erwarten, dachte alle tage an den alten Gastfreund und wollte ihn wegen seiner sonderbaren Laune recht um Vergebung bitten sowie die Freundschaft mit ihm um so fester schließen.

Allein er kam nicht, obwohl ihn gleich der Knabe unten bei den Weiden wollte gesehen haben.

Noch immer hoffte er, da kam eines Abends ein Männlein wie das alte, nur dass er einen großen Hut hereingedrückt hatte und ein wenig wilder aussah. Übrigens aber war Sprache und alles das Vorige.

An seiner Hand kam des Köhlers Sohn und seine neue Tochter, als Braut und Bräutigam. Der Vater herzte sie alle.

»Ich«, sprach das Männlein, »habe deinen Kindern die Meierei nicht weit von deiner Hütte geschenkt. Sie sind schon Mann und Weib, und wir halten heute dort das Hochzeitsmahl. Komm und würze unser Fest.«

Der Köhler ging im Festgewand mit. Außen empfing sie eine schöne Musik, und so kamen sie, ohne auf den Weg zu achten, in des neuen Paares Behausung.

War der Tag dem alten Köhler so angenehm, er tanzte wie ein Junggeselle, und es vergingen einige Tage in Saus und Braus. Der Alte dachte nicht an seine Heimat. Und doch befiel ihn manchmal eine Bangigkeit, die er sich nicht zu erklären wusste. Es war ihm so weh ums Herz mitten im Reigentanz, und er verbarg seinen Kummer, um die Freuden der anderen nicht zu stören.

In der dritten Nacht engten bange Ahnungen seine Brust, der Mond lachte schön, die Sterne flimmerten hell. Er schlich sich ab und ging hinaus ins Freie und schaute den Himmel an und dachte an sein Weib und an das Ende, sah den Boden an und schwieg.

Als er so in Gedanken versunken war, schlug die Uhr zwölf. Kaum war die Stunde verhallt, so erhob sich ein Sturm. Es brüllten Donner, es fuhren Blitze herab, es schwieg die Musik und alle Lichter waren erloschen. Als der Köhler in das Hochzeitshaus hinein wollte, stieß er sich an den Bäumen, und eine finstere Nacht ließ ihn nicht erraten, wo er sei.

So wenig er furchtsam war, so schauerte ihr manchmal bange zusammen.

Große weiße Gestalten gingen an ihm vorbei und winkten ihm, zu gehen. Er folgte und geriet immer tiefer in die Wildnis.

Als der seinen ersten Führer verließ, rauschte etwas um ihn herum und flüsterte »Fliehe! Fliehe!«, zog ihn herum und war nimmer zu sehen.

Jetzt erst wurde ihm bange.

Er lief gerade aus, fiel oftmals nieder und meinte, jetzt erwürge ihn der Geist, jammerte wieder laut über sein Unglück und folgte zitternd seinen Weg fort.

Da kam ein Männlein mit einer Laterne und lief vor ihm vorbei. Wie der Wanderer in der finsteren Nacht eine Leuchte so gern hat, so ging es dem Köhler.

Freudig sprang er dem Lichtlein nach und stand auf einmal wie vom Donner gerührt an einem Abgrund, über den der falsche Leuchter hinwegging.

Er sah sich um und floh davon. Eine unsichtbare Hand riss den Köhler wieder herum. Er ging unwillig seinem Kopf nach und verachtete den Wink.

Da stand er denn endlich an einer Köhlerhütte. Eine Menge rusiger Leute saßen im Kreis herum und sprachen: »Wir haben ihn im ganzen Wald gesucht und nicht gefunden.«

»Sein Sohn ist tot«, sprachen andere, indem sie die Leiche in die Mitte hereinwarfen. Alle fielen wild darüber her und verzehrten ihre Beute.

»Und die junge Braut entschlüpfte unseren Händen«, sprach ein Dritter. Auf einmal kaum das Männlein mit dem großen Hut daher und sagte kreischend: »Fort, fort! Ich wittere den Alten, er ist uns auf der Spur, wir sind verloren.«

Und wie weggestäubt war die ganze Versammlung, und keine Köhlerhütte mehr zu sehen.

Der Köhler war vor Schrecken des Todes, und es war gut, dass ihn die Furcht die Sprache genommen hatte. Er stand lange, ohne sich zu besinnen, meinte, ihm träume, kehrte sich auf allen Seiten herum. Schon dämmerte der Morgen. Sein jüngster Sohn schüttelte an ihn herum und schrie: »Vater, Vater!« Und er hatte Mühe, bis er ihn kannte.

Er war nicht weit von seiner Hütte entfernt und sank aufs Bett, des lebensmüde, und wünschte sich den Tod. Wenig und böse, dachte er, ist die Zahl meiner Tage gewesen, und was hat die Zukunft Reizendes für mich. Meine Freude ist dahin, mein Sohn gemordet, und ich …

Er war den ganzen Winter traurig und niedergeschlagen, sehnte sich nimmer das Männlein zu sehen, wohl aber das Grab.

So nahte sich die Frühlingszeit. Der alte Köhler lebte beim Schein der Sonne nicht auf, seine Seele hatte noch Winter, starr und öde war es in seinem Herzen.

»Es ist kein Frühlingstag«, sagte er, »wie der Tag des ewigen Frühlings, der Tag des schönen Erwachens im besseren Leben.«

So war seine Seele gestimmt, als er einst an einem schönen Tag draußen vor seiner Hütte saß. Es war ein lieblicher Frühlingstag. Seine trüben Blicke starrten die erwachende Natur an, und Tränen fielen aus seinen Augen.

Ich erlebe keinen Frühling mehr, dachte er. »O« sprach er, indem er auf die Knie sank, »zwar tadle ich deine Wege nicht, ewiger Vater! Aber es ist genug, siebzig Jahre gelebt zu haben!«

Als er aufstand, stand das alte Männlein mit dem grünen Käppchen neben ihm.

Der Köhler erschrak. »O«, sprach er, »Freund, lasse mich beten, lasse die wenigen Tage mich alleine verleben. Oder soll ich nicht auf meinem Bett sterben, so morde, so morde mich!«

»Wie habe ich das verdient?«, sprach das Männlein. »Was habe ich begangen, dass du so menschenfeindlich mich anblickst? Ich habe nie gemordet – doch ja«, fiel er weinend ein, indem er zum Hüttlein hinein ans Kruzifix blickte. »Einmal habe ich gemordet, aber es schon tausendmal beweint.«

»Ja, meinen Sohn hast du gemordet!« fiel der Köhler ein, »ach mein Sohn, mein Sohn!«

»Deinen Sohn«, sprach das Männlein, »nein, das habe ich nicht.« Zog einen Spiegel heraus und schaute – und schaute. »Dein Sohn, ja, er ist tot, dein Sohn, ach, dass endliche Geister nicht allmächtig sind, einen Bösewicht auf der Tat zu strafen, aber ich habe ihn nicht gemordet.«

»Mich hast du gemordet«, fiel der Köhler ernsthaft wiederum ein. »So viele Tage irrte ich in der Wüste, vom Freudengelage, von der Hochzeit meines Sohnes ging ich hinweg zu seiner Leiche. Und so barbarisch wie wilde Tiere fielen deine Diener über ihn her, und – er ging unwillig in die Hütte, und – mordeten ihn«, sprach er wehmütig.

Das Männlein ging ihm nach und trat vor sein Bett, auf das er sich müde hingeworfen hatte.

Kaum saß er dort, so erschienen drei Büblein mit roten Käppchen, traten in die Stube und verneigten sich. Der eine brachte dem Männlein einen Zauberstab, der andere einen Spiegel und der Dritte eine Kugel.

»Die Stunde«, sprach das Männlein sich emporrichtend, »die Stunde meiner Erlösung ist nahe. O, dass ich nun ruhen kann von meinen langen Reisen, des Alters Mühen nimmer empfinde und das Bündel Sorgen nimmer tragen darf, das mich drückt!«

Das eine Büblein trat wieder hin und sprach: »Eile, eile Vater!«

Das Männlein ging hinaus, der alte Köhler wurde begierig und blickte aus dem Fenster.

Da standen hundert Büblein mit roten Käppchen um seine Hütte herum, und jeder hatte eine Fackel.

Der Alte trat in ihre Mitte, schwang seinen Stab, machte einen Kreis um sich herum und sprach unvernehmliche Worte in sich selber hinein.

Da klirrten Ketten in der Ferne, und ein ganzer Zug Gefangener, alle mit großen Hüten, einer von Ansehen wie der andere, traten herein. Sobald sie in den Kreis kamen, öffnete sich die Erde, und sie versanken.

Dies dauerte eine geraume Zeit, sie kamen einzeln hervor und zitternd und bebend, aber alle versanken.

Als keiner mehr erschien, zerstörte der Alte seinen Kreis und sagte jedem seiner Büblein einige Worte ins Ohr. Einer flog dahin, der andere dorthin, und das Männlein ging in die Hütte.

»Hast du diese betrachtet«, sprach er ernst, »und mich, so hast du wohl gefunden, dass ich es nicht gewesen bin, der dir alle diese Leiden zugefügt hat. Ich warnte dich, mehr konnte ich nicht, du sahst mich oft genug, du kanntest mich und folgtest einem anderen. Bin ich dir je mit einem Hut erschienen? War diese fürchterliche grausame Miene, die jener nicht verstellen konnte, je an mir zu sehen? Hast du die Hand nicht gefühlt, die dich zurückzog vom Abgrund, den Arm, der dich mit Gewalt auf den rechten Weg leiten wollte?«

Der Köhler staunte.

»Freund, das bin ich gewesen, aber ich konnte dir nicht erscheinen, denn meine Freiheit war aufs Spiel gesetzt. Aber jetzt«, er nahm das Kruzifix herunter und schob es in die Tasche, »jetzt nichts weiter, bis ich dir ruhig erzählen kann.

Hier hast du einen Spiegel. Noch sind meiner Feinde viele außen, noch ist der Hauptmann, der dich so verführte, nicht da, aber er kommt vielleicht heute noch. Kommt er und treibt dich wieder aus der Hütte, so zögere und schaue, dass du an ihn kommst, und zeige ihm das Spieglein. Blickt er hinein, so sind wir frei. Merkt er den Zauber, so sind wir beide verloren!«

So ging er, und der Köhler wusste nicht, was er denken sollte, und wurde trübsinnig und kleinmütig.

Endlich ermannte er sich wieder und fasste Mut, und neue Hoffnung stieg in seiner Seele auf.

Und es war Zeit, denn eben trat das Männlein mit dem Hut herein, stellte sich freundlich, indes der Köhler seinen Unwillen nicht verbergen konnte.

Er warf ihm alles vor, er leugnete standhaft und sprach: »Komm nur, Freund, du sollst besser sehen und noch recht glücklich werden.«

Der Köhler näherte sich ihm, indem er immerfort sprach. Schnell stand der Spiegel vor seinen Augen. Er sank tot nieder. Das andere Männlein trat herein, schnitt ihm den Kopf ab und warf ihn in die Kammer. Nun sprach er: »Ist gewonnen. Jetzt sind alle beisammen, bis auf einen Kleinen, dem das Spieglein viel zu schwach ist. Hier hast du eine Kugel, bald wird er sich nach seinem Freund bei dir erkundigen. Stelle dich hinan zu ihm und wirf ihm die Kugel an den Kopf. Wirst du ihn treffen, so ist es gut, wenn nicht, so sind wir alle verloren!«

Mit diesen Worten ging er wieder. Der Köhler erstaunte noch mehr, besah sich die Kugel. Es war kalter, kalter Marmor. Als er eben seine Betrachtungen noch anstellte, trat ein kleiner Zwerg mit einem roten Rock und einer fürchterlichen Nase herein und sprach nichts als: »Hans Gerhard, Hans Gerhard, wo bist du?«

Unterdessen näherte sich der Köhler und warf die Kugel ihm an die Stirn, dass sie in Trümmer zersprang.

Er sank erstarrt nieder, und das alte Männlein stand im Nu da, und die hundert Knaben mit den roten Häublein. Er fiel hin auf ihn, schnitt ihm den Kopf ab und steckte ihn in den Sack.

Alle gingen hinaus, die Knaben schleppten die beiden Leichname heraus. Ein großes Feuer loderte. Sie warfen diese hinein, zerstreuten die Asche in alle Richtungen hin und kehrten den Platz wiederum rein.

Darauf zog das Männlein ein Fläschchen aus seiner Tasche, besprengte den Kreis, nahm seinen Zauberstab, warf die beiden Köpfe hin, berührte beide und murmelte einige Worte. Kaum dass diese ausgesprochen waren, stand die ganze Gegend wie im Feuer, alles krachte und zitterte, die Erde bebte, der Köhler lag besinnungslos am Boden und erwachte später in einem schönen Palast.

Als er die Augen aufschlug, saß ein Greis an seinem Bett, weinte und fiel über ihn hin, und herzte und küsste ihn und nannte ihn Enkel. Zwei Jünglinge stützten herein und sanken ihm in die Arme und sprachen: »Vater!«

Der Mann war außer sich. Da kam auch sein Weib wieder und grüßte ihn, und er sank von einem Traum in den anderen.

Als er wieder ein wenig gefasst war, näherte sich der Greis.

»Carl«, sprach er, »mein Carl, Dank dir für die Ruhe, die du mir wieder schenkest! Unbekannt ist dir dein Stand, rätselhaft dein ganzes Leben. Drum höre. Ich, dein Großvater, Hans der Thüringer genannt, denn über mich gab es keinen, ritt einer Sünde wegen, weisl ich mein Weib ermordete, mein erstes Weib, als sie mir Liebe schwor und einem anderen ihr Herz gab, als Ritter des Kreuzes ins Heilige Land. Nach langen Mühseligkeiten, nach vieljähriger Gefangenschaft, floh ich mit einem edlen Mägdlein meiner Heimat entgegen.

Das Mägdlein war wie eine Sonne so schön und mir so treu, so keusch wie der Mond, war eines Fürsten Tochter und gezwungen, die Braut eines anderen zu sein. Als er betrogen war von seinem Bräutchen, betrogen von einem Ungläubigen, jagte er mir nach, und das Glück war mir gewogen, er erreichte mich nimmer.

Da kam ein Zauberer zu ihm, mächtig in seiner Kunst, und fragte: ›Willst du Rache, die will ich dir geben, aber wieder bekommen kannst du dein Mägdlein nicht. Sie sind schon im heiligen Kirchlein gewesen.‹

›Rache, Rache‹, schrie der Barbar, ›und sollt es mein Leben kosten.‹

Der Mann ging fort und zog mir nach, und ach! Ich hatte weder Amulett noch Kruzifix, er überraschte mich, berührte mich mit seinem Stab, und ich wurde das alte Männlein, das dir alle Jahre erschien.

Mein Weib zitterte, bebte und schrie zum Himmel. Er berührte nun auch sie, doch sie verwandelte sich nicht.

Kein Zauber kann die Werke der Natur zerstören, die erst im Werden sind.

Mein Weib trug die Frucht unserer Liebe unter dem Herzen, und kein Zauber verlebt das Weib während dieser Zeit.

Er schäumte wild! ›In dieser Gegend‹, sprach er, ›sei gebannt, wo du das Mägdlein raubtest, sei ein Spott der Kinder. Hungere und dürste erst, bis du eine guttätige Seele findest, die dich sättigt, und hoffe keine Erlösung, bis dein Enkel so alt geworden ist, wie du unter Mühen und Sorgen. Ein gemeines Weib müsse sein Weib werden, seine Kinder erst als Jünglinge sollen dich erlösen, und schwer soll ihnen die Erlösung werden. Und du‹, so sprach er zu meiner Braut, ›du sollst zum letzten Mal der Liebe Freuden gefühlt haben. Sieh hin in die Schlösser deines Buhlen, irre in der Welt erst recht herum. Und wenn du des Thüringers Burg erblickest, so zerfalle sie in Schutt, soll wüste und öde auf einmal sein, mit ihren hundert Knappen versinken in den Abgrund und eine dichte Wildnis sich herumziehen, in die sich niemand wagt. Da finde deinen Unterhalt in einer Hütte, bringe den Knaben zur Welt, und bleibe seine Mutter, bis er ein Jüngling geworden ist, und dann sei Staub und Asche! Und Elend verfolge den Jüngling, er sterbe im Unglück, erst der Sohn im Alter erlebe bessere Zeiten!‹

Ich wurde getrennt von meinem Weib in einem Augenblick, war ein Mittelding zwischen Mensch und Geist und führte ein jammervolles Leben in einer Wüste. Einst, als ich so das Land durchzog, kam ich an die Klause eines Eremiten, der hier unbekannt lebte. Er sah mich an und weinte wie ein Kind.

›Ha‹, sprach er, ›welch ein Zauber hält dich gefangen!‹

Ich seufzte.

›Teuflische Seele, sprach er, ›ist noch nicht Elend genug auf der Erde? Komme herein in meine Hütte.‹ Und er berührte mir die Zunge. ›Nun erzähle mir getreu des Zauberers Spruch.‹

Er schüttelte den Kopf, blätterte in einem Buch.

›Dein Weib‹, sprach er, ›ist Mutter geworden, und der Knabe ist nun ein Mann bei Jahren. Sie ist lange Staub, und dein Enkel hat ein gemeines Weib, wohnt im Wald und wird streng von zwei Geistern bewacht. Was hilft Entzauberung jetzt, da du der Natur den allgemeinen Tribut sogleich darauf wirst bezahlen müssen? Doch komme wieder in neun Tagen, komme wieder, und hier, hier hast du einen Weidenstab. Schneide jeden Tag eine Kerbe hinein, dass du keinen vergisst. Ist gleich der schöne Abend kurz, so sind auch Augenblicke zu genießen.‹

Ich ging meinen Weg wiederum weiter, war gleichgültig geworden bei meinem langen Elend und suchte am neunten Tag des Klausners Zelle wieder auf.

Froh umarmte er mich.

›Du bist in keine Gegend mehr gebannt, sprach er, ›hast freien Pass, aber verweile noch fünf Jahre bei mir, studiere die Natur, und lerne den heiligen Zauber. Dann ist meine Lebenszeit aus, bann begrabe mich, und mache deine Kinder glücklich.‹

Ich blieb bei ihm, wir brachten Nächte hin im heiligen Gebet, ich studierte alle Geheimnisse der Kunst und übertraf meinen Meister.

In der letzten Woche seines Lebens gab er mir einen Weidenstab.

›Eile, sprach er, ›in einigen Augenblicken in den Wald, wo dein Sohn lebt, und stecke diesen Pfahl an die Hütte, und er wird grünen und Äste treiben vor deinen Augen. Und sobald das erste Zweiglein durch die Rinde bricht, wirst du das Grab deines Bräutleins sehen. Stecke dann dies geschälte Stäblein tief hinein, fülle von dem Sand deine Taschen und komm schnell wieder zurück.‹

So tat ich, und er freute sich hoch, denn er fürchtete, ein mächtigerer Zauber möchte mich binden.

›Gesiegt‹, schrie er, ›gesiegt, nun leg ich mich gerne ins Grab, denn ich habe etwas Gutes gestiftet.‹

Er nahm den Sand und brachte ihn in den geheimen Spiritus, der das Ende aller Zauberkunde ist, und sprach seine Formeln darüber viele Tage lang.

Stark war der Kampf, es donnerte und blitzte, der Mann mit dem Hütlein und der Zwerg mit der Nase, seine mächtigsten Diener erschienen, bebten und flohen zurück.

›Die Geister‹, sprach er, ›fliehen von dir, das Übrige ist leichte Arbeit, und deine Kenntnis ist hinreichend dazu.‹

Als er das gesagt hatte, zerfiel er zu Staub. Ich sammelte seine Asche und legte sie in eine Urne, die die Natur selbst gemacht hatte, nahm seine Bücher und begab mich hierher. Ich bin das Männlein gewesen, das dich oftmals besucht, und, o Himmel, auch erlöst hat.

Er fiel zusammen und war Staub.

Der verwandelte Ritter weinte wie ein Kind und bewahrte seine Asche heilig auf.

Seine beiden Söhne waren ehrenfeste, brave Herren, und der Ältere brachte sein Bräutlein, ein adliges Fräulein, zum alten Vater. Dieser segnete sie und das holde Kind, das sie an der Brust trug.

Es war bloß Täuschung, seine Hochzeit sowie seine Ermordung, die jener böse Zauberer mit gutem Vorbedacht gemacht hatte.

Als der Alte kurz darauf starb, waren beide Erben eines großen Vermögens, wurden Väter, bekamen brave Junker und schöne Fräulein und waren berühmt wegen guter Taten und ihrer Tapferkeit im Dienste des Kaisers.

Noch blüht das Haus bis diesen Tag und führt manches Bild meines Märleins im Wappen.