Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Jacob von Molay, der letzte Templer 18

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Zweiter Teil
Herr und Knecht
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Fünftes Kapitel

War es doch, als zögen die Tempelherren gerade gegen den Feind, denn kriegerisch hallte es durch das ganze mächtige Gebäude. Nicht die Ordensoberen und die sechzig Ritter waren es allein, welche sich zum Aufbruch fertigmachten, sondern die vielen Knappen, deren mancher zwei bis vier halten durfte, je nachdem seine Würde ihn auszeichnete. Dazu kamen noch die Turkopolen, welche dem Großprior beigegeben waren. Von dem weißen Gestein bes Gebäudes wurden die Strahlen der Sonne zurückgeworfen, von ihnen erglänzten die blank geharnischten Rosse der Ritter, deren Stampfen und Wiehern in den reinen Äther hinein erdröhnten, vom Widerhall an dem trockenen Gemäuer verzehnfacht. In der besten Ordnung, still und mit bestem kriegerischem Anstand verließ jeder Ritter das Haus, blieb bei seinem Ross stehen, denn keiner durfte es besteigen, ehe der Befehl ausgerufen worden war. Die Ritter, sämtlich schöne Mannsgestalten, angetan mit den blanken Rüstungen, den funkelnden Helmen, leuchtenden weißen Mänteln mit den roten Kreuzen, mit allem bewährt, was die Kriegskunst erfunden hatte, bildeten mit den Knappen und dienenden Brüdern, welche nur braune Mäntel oder schwarze mit roten Kreuzen tragen durften, ein buntes, aber schönes Gemälde. Das Gefolge des Großmeisters war königlich zu nennen. Prächtiger aber wurde es noch, als von den Stufen des Portals herab der Befehl gegeben wurde, die Rosse zu besteigen. Als die kampfgewohnten Tiere ihre Reiter auf sich fühlten, da waren die Mutbrünstigen kaum noch zu zügeln. Nur der kräftigen Faust eines Ritters war dies möglich, und bald erwartete das ganze Gefolge in schönster Ordnung das Ordenspanier. Voran, klingenden Schrittes und schwer bewaffnet, schritt der Marschall die Stufen herab, hinter ihm der Pannerer mit dem hochherrlichen Zeichen. Er trug das berühmte Beauseant in seinen Händen. Dicht an ihn schlossen sich zehn Ritter zur Seite und nach hinten, dazu bestimmt, das Heiligtum zu bewahren. Es war ein viereckiges Panier, im weißen Feld ein rotes Kreuz, mit der Umschrift Non nobis, domine, sed nomini tuo da gloriam (Nicht uns, Herr, sondern deinem Namen der Ruhm). In derselben Ordnung, wie der Marschall aus dem Haus getreten war, wurden auch die Rosse bestiegen, und nun fehlte nur noch der Meister mit Boulogne und dem Dauphin. Nicht lange durfte das Ordenspanier auf sie harren. Mit königlichem Anstand nahte Jakob von Molay. Seine Rüstung war blanker Stahl, das Auge konnte nicht darauf haften. Als er das Ross bestiegen hatte, da öffnete sich plötzlich das gewaltige Tor. Er, Boulogne und der Dauphin waren die Ersten, welche das Haus verließen. Dicht hinter ihnen aber folgte der Marschall mit dem Panier, dann die Ritter und die Knappen, welche die Zwischenräume mit ihren Rotten ausfüllten.

Unter den Säulen stand der Wildgraf Hugo mit unterschlagenen Armen und schaute dem Zug nach, bis das Tor sich hinter ihm geschlossen hatte. Düster war des Ritters Blick, ja feindlich gar, denn er konnte sich nicht erklären, warum man ihn vom Auszug des Konvents ausgeschlossen hatte. Die Ursache hatte man ihm vorenthalten, der Meister nur blinden Gehorsam von ihm verlangt. Ohne es selbst zu ahnen, stiegen in des Grafen Herzen böse Empfindungen auf. Ihn wollte es bedünken, als ob man den Deutschen in ihm zurücksetzte, weil der mächtige Orden in Frankreich am mächtigsten war. Dass man ihm das Haus anvertraut hatte, schien ihm die Bitterkeit der Zurücksetzung versüßen zu sollen, aber, welches Empfinden auch bei ihm aufsteigen mochte, der Gehorsam band ihn, das unzerbrechliche Gelübde.

Der Deutsche musste sich wohl fügen. Die Zeit wurde ihm lang im stillen Haus, und wie er umherschlenderte in den weiten Höfen, da lockte ihn der Schall zur Werkstatt des Waffenschmiedes hin. Er fand dort Balthasar, erkundigte sich bei dem Meister, wie er mit diesem Gesellen zufrieden wäre. Der rühmte ihn. Um nur einigermaßen sich der Langeweile zu entschlagen oder auch vielleicht in der Absicht, von Balthasar noch mehr zu erfahren, was irgend auf den im Kapitel verhandelten Gegenstand Bezug hätte, bat sich der Wildgraf diesen Gesellen von dem Meister aus. Balthasar folgte dem hohen Herrn sonder Scheu und antwortete dreist auf jede Frage. Jedoch erfuhr der Wildgraf nicht viel mehr, als er schon wusste, und ohne seine Absicht hatte sich das Gespräch auf ganz andere Gegenstände erstreckt, als diejenigen waren, welche ein so hoher Herr mit einem Waffenschmiedegesellen hätte verhandeln können.

Auf die Frage des Wildgrafen, freilich nur gleichgültig hingeworfen, wie es Balthasar im Orden gefiele, versetzte der: »Edler Herr, ist es mir vergönnt, meine wahre Meinung zu offenbaren?«

Auf die Bejahung des Wildgrafen erklärte jener schlicht und gerade: »Ich habe es mir anders gedacht, edler Herr. So wie es jetzt ist, will es mir nicht behagen. Wenn ich mein Leben mit Gebeten und am Amboss hätte vollbringen wollen, so konnte ich das auch in jeder anderen Werkstatt. Ich meinte mindestens dienender Bruder zu werden, dass ich ein Schwert an der Seite trüge, durch Mut und Tapferkeit mir einen Namen erringen in der Welt, und die Seligkeit des Himmels. So aber, edler Herr, ist daran wohl nicht zu denken.«

»Balthasar«, redete ihm der Wildgraf zu, »die himmlischen Reichtümer des Ordens werden dir dennoch zuteil. Erfüllst du dein Gelübde, tust du deine Pflicht, so wird der Himmel dir nichts vorenthalten.«

»Das kann wohl sein, edler Herr. Aber ich meinte für das Kreuz zu sterben …«

»Warum den just sterben? Wäre es dir auch vergönnt worden, das Schwert zu führen für Gott und unsere liebe Frau, so durftest du dennoch nur hoffen, Ungläubige zu erschlagen, nicht unter ihren Streichen zu erliegen.«

»Ach, edler Herr«, entgegnete Balthasar gedämpften Tones und mit einem Anstrich der rührendsten Wehmut, »das hat eine andere Bewandtnis. Ich darf es Euch nur nicht sagen. Ein Verstoß wäre es gegen das Gelübde, welches ich getan habe.«

Der Wildgraf, wohl ahnend, was den jungen Mann bewegte, drang in ihn, damit er ihm gestände, warum er hoffte, unter der Ungläubigen Schwertern sein Leben auszuhauchen.

»Ich finde Gefallen an dir, Balthasar«, fügte er hinzu, »wer weiß, ob der Meister nicht zugäbe, dass ich dich mit nach Deutschland nehme. Wenn ich dich bewährt gefunden als tüchtigen Reitersmann, als gehorsamen Knecht des Ordens, so könnte ich dir auch wohl ein Schwert an die Seite hängen. Du würdest mit mir ziehen, wenn von Neuem der Ruf durch die Christenheit erschallt, dass ein jeder Arm sich erheben solle zur Eroberung des Gelobten Landes, zum Wiederbesitz der Heiligen Stadt Jerusalem!«

Und höher leuchtete es auf in den Augen des Gesellen. Sein innerstes Herz erschloss er dem Grafen.

»Wohlan denn, Herr. Möget Ihr mich verdummen oder nicht, es muss herunter von der Brust, was gleich dem Alp mich drückt. In Lyon erinnert Ihr Euch meiner, auf Roucy hattet Ihr mich gesehen mit meines Meisters Tochter, mit Margot. Damals freilich sah ich nur Jammer und Not über uns kommen, wenn ich Margot zum Weibe nähme. Ich wollte ihr entsagen. Herr, ich liebte sie, wie einer nur lieben kann! Aber gerade darum sollte sie mir nicht gehören. Ihre Schönheit, dachte ich, ihre Tugend wird ihr einen anderen Mann erwerben, einen reicheren Mann, als du bist. Da meldete ich mich denn zur Aufnahme in den Orden. Man wies mich ab unter dem Vorwand, ich sei mit des Waffenschmiedes Tochter versprochen; und ich ging von dannen. Das Herz zog mich nach Paris. Wusste ich doch im Voraus, dass mich ein Wiedersehen wie jenes nicht beglücken würde, und doch, weiß Gott, wie es kam! Ich musste in ihre Nähe. Tage lang umschlich ich die königliche Burg und fragte jeden, der mir irgend nur begegnete, ob er den Waffenschmied von Beziers und seine Tochter kenne. Umsonst! Niemand kannte ihn und sie. Da erzählte man sich in Paris, dass in einer der glänzendsten Versammlungen des Hofes eine niedrige Magd, die Tochter eines Waffenschmiedes des Herrscherpaares Huld und Gnade für sich gewonnen hatte. So wie der erste Sonnenstrahl über die höchsten Gipfel der Berge zuckt und die Nacht verscheucht, so drang diese Mär in meine Brust. Ha, dachte ich bei mir selbst, bei dem Vater findest du sein Kind! Gehst zu ihm nach Handwerksbrauch. Er darf dir den Zutritt nicht versagen. Herr, ich fand ihn, fand ihn auf weichem Polster, ihn, der kaum dem Tod durch Henkershand entronnen war, fand ich im prächtigen Ge­mach. Mit seidenen Lappen war er behängt. Bei ihm zwei Bedienstete des Königs, nicht aber sein Kind, sein einziges Kind – es war nicht bei dem Vater!«

Balthasars Gesicht war hoch erglüht, seine Augen funkelten. Der Graf beobachtete ihn mit steigender Aufmerksamkeit, denn ein so tiefes Gemüt hatte er nicht erwartet.

Balthasar meinte in dem forschenden Blick des Grafen die Mahnung im Verlauf zu lesen. Nachdem er die volle Faust vor die Stirn gedrückt hatte, dieselbe wieder rasch und zornig heruntergerissen, sprach er traurig kopfschüttelnd: »Margot fand ich nicht. Wie konnte ich sie auch hier finden – war sie doch im königlichen Palast. In meiner Brust aber glomm es auf, als wenn Satan sich zu einem Zug über die Erde rüste und die schwefelgelbe Lohe der Hölle über die Erde gloste. Herr, ich hätte das Mädchen gern einem anderen Mann zum Weibe gegönnt, aber einem Könige zur – wie soll ich es denn gleich nennen? Nimmermehr.«

»Beruhige dich, Balthasar, du siehst zu weit. Die Liebe entstellt dir alles in deinen Augen.«

»Ihr mögt recht haben, edler Herr. Und dem peinlichen Bild zu entgehen, tat ich das Gelübde, niemals eines Weibes in Liebe zu gedenken. Aber des Mädchens Bild steht immer vor mir. Ich kann mich seiner nicht entschlagen, und wenn ewige Verdammnis auf dieser Sünde lastete, ich müsste mich der ewigen Verdammnis anheimgeben.«

»Balthasar, du deutest das Gelübde der Keuschheit anders, als es der Orden heischt. Du darfst Margots Bild in deinem Herzen bewahren, du darfst sie lieben, wie man Gott liebt, nicht aber der Sinnenlust gedenken.«

»Ich verstehe Euch nicht, edler Herr.«

»Tut nichts, Balthasar, tut nichts. Und da ich deine Margot gesehen habe, auch dich wohl leiden mag, gerade um deines offenen Geständnisses willen leiden mag, so will ich dich von dem Meister begehren. Du sollst mein Knappe werden, meine Lanzen tragen, mein Schild, und an deiner Seite selbst ein Schwert.«

»Herr, Ihr zieht aber zurück nach Deutschland. Hier könnte jeder Tag mich an die Ungläubigen bringen …«

»Tröste dich darob. So es Gott gefällt und unserer lieben Frau, wird bald ein neues Kreuzheer sich erheben und das Heilige Grab der Würfel sein, auf welchem es sich um Tod und Leben handelt.«

»So wird der Frankenkönig auch sich erheben müssen?«

»Freilich wird er das, Balthasar. Dürfte er zurückstehen gegen andere Könige der Christenheit, da er doch der beste Sohn der Kirche heißt?«

»Und er, er selbst müsste zum Schwert greifen …?«

»Wenn er das ewige Gut erringen will, gewiss.«

»Doch das kann lange dauern, Herr, nicht wahr?«

»Wenn es geschehen soll, so muss es bald.«

»Wohl denn. Mein Kopf ist gar zu sehr erfüllt, als dass ich noch am Amboss hämmern könnte, gewährt mir die Bitte, und fordert mich alsbald vom Meister ab. Euer Wort hat ja Gewicht. Ich kann nicht länger an dem Amboss hämmern, kann nicht schmieden! Es reißt mich weiter – weiß ich auch nicht, wohin!«

Der Wildgraf war bereit, des Gesellen Wunsch zu erfüllen. Balthasar lieferte hier den Beweis, dass dann nur erst die Liebe sich in ihrer ganzen Kraft erhebt, wenn Eifersucht sich regt. Da gibt es keinen Unterschied der Stände. Mann ist Mann, und einem König selbst, dem Mächtigsten in der Christenheit, gönnte nicht einmal ein armseliger Geselle den Besitz des Weibes, welches er verschmähte.

Der Meister war erstaunt ob des Grafen Begehr. Wohl hatte er in Balthasar den tüchtigen Waffenschmied erkannt, der, von anderer Gesellen Weise weit verschieden, ihm eine Mär erzählt hatte, die lehrreich war für den erfahrenen Meister. Eines so tüchtigen Gesellen konnte sich der Meister nicht so leicht entschlagen. Darum warf er dem Wildgrafen ein, dass er nicht unbedingt über den Gesellen verfügen könnte, dass der Komtur des Hauses wieder zugegen sein müsste.

»Ei«, entgegnete der Wildgraf lachend, »wer außer mir ist denn jetzt Komtur des Hauses? Mir ist es anvertraut. Ihr werdet Folge leisten in allem, was ich heische.«

»Mir ist nichts davon angezeigt worden, edler Herr«, warf der Meister ein. »Ich muss für meine Gesellen einstehen. Darum lasst es ruhen, bis unser Herr und Meister zurückkehrt von Ninove.«

»Mitnichten!«, fuhr der Wildgraf auf. »Unbedingt sollst du mir Folge leisten! Tue es um Gotteswillen!«

»Und wenn Inr auch die ganze Regel anführt, der Geselle bleibt hier in der Werkstatt, bis unser Herr und Meister wiederkehrt von Ninove.«

»Noch einmal mahne ich dich, und leistest du mir nicht schuldigen Gehorsam, so lasse ich dich in Ketten und Bande werfen!«

»O ho! Nur nicht gar so streng«, ließ der Meister sich nicht schrecken. »Ruft Ihr Brüder zu Hilfe, so trotze ich auf meine Gesellen. Ihr werdet sehen, Herr, dass sie Schwerter, welche sie schmieden, auch zu führen verstehen.«

Mit einer Mäßigung, welche man dem feurigen Deutschen kaum zumuten konnte, sprach dieser endlich, mit langem Blick auf dem Meister weilend: »Bei Gott und unserer lieben Frau! Es ist weit gekommen. Der Knecht empört sich gegen seinen Herrn und Gebieter. Das führt zu keinem guten Ende.«

»Grämt Euch nicht darüber, edler Herr«, war des Meisters Meinung. »Wer wird auch sogleich das Ende absehen wollen? Wenn dem Orden, welchem wir uns beide einverleibt haben, – ob Ihr hoch steht, und ich niedrig, das bleibt sich gleich, – ein schlimmes Ende droht, so haben es die Brüderhandwerker wahrlich nicht verschuldet. Freilich, die müssen wohl gehorchen, werden zwischen vier Mauern gesetzt, wenn sie die Regel verletzen. Doch ein Ritter, der ist ein ganz anderes Geschöpf, der darf auch wohl zwei Nächte aus dem Hause bleiben. Er darf sogar einen Bruderhandwerker verunglimpfen. Es kommt auch nicht einmal darauf an, ob er Hand an ihn legt, und es fehlt nichts weiter, als dass er ihn an einen Pfahl binden ließe und stächeln.«

Dem Wildgrafen wurde unheimlich in der Nähe des Mannes, der mit jedem Worte heftiger geworden war. Der bedeutungsvolle Ton, welchen der Waffenschmied auf manches Wort gelegt, hatte seinen Gegner aufmerksam gemacht. Er fragte darum zuvörderst: »Was willst du damit sagen? Zwei Nächte aus dem Hause – ein Ritter – weißt du auch, welche Strafe dieses Verbrechen nach sich zieht?«

»Ich weiß, ich weiß, wie die Regel lautet. Aber die Regel gilt ja nicht unter Rittern. Ritter bestraft man nicht wie andere Leute. «

»Und wie bist du zu der Überzeugung gekommen?«

»Pah! Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Wo kein Richter ist, folgt keine Strafe.«

»Das lass ich dir nicht gelten, Meister. Du weißt um ein Geheimnis, ich sehe es dir an. Wir treten zur Seite und du vertraust es mir.«

»Warum denn just Euch? Wenn der Meister zurückkehrt, dann ist es Zeit genug, es ihm zu offenbaren.«

Dem Wildgrafen wurde klar, dass sein Befehl, wäre er auch noch so herrisch, hier nichts nützen würde. Darum schien es ihm zweckmäßiger, den Waffenschmied durch Güte zu gewinnen; jedoch er hatte sich betrogen.

Der Waffenschmied ließ sich ebenso wenig durch seine Güte kirren, als er sich durch seine Drohung hatte schrecken lassen, und des Meisters Befehl führte Balthasar wieder an die Arbeit. Graf Hugo verzichtete darauf, von dem eigensinnigen Meister etwas zu erfahren, verließ die Werkstatt und schlug den Weg zum Haus ein.

Der Meister aber hielt ihn zurück – er war ihm nachgeeilt – und sprach vertraulich: »Edler Herr, es ist nicht gut, dass die Gesellen hören, was ich Euch zu sagen habe. Seid mir nicht unhold, ob meiner Weigerung, sie war nur die Frucht des Fürchtens um die Würde des Ordens. Nicht gut ist es, wenn die jungen Leute Dinge hören, welche sie nicht ahnen dürfen. Das Fleisch bedarf nur der Anregung, und die Sünde ist fertig.«

»So hast du mir von Fleischessünden was zu sagen?«

»Freilich, Herr, und das nichts Kleines. Ob das Haus Euch anvertraut ist oder nicht, das kümmert mich nicht in diesem Augenblick. Ihr aber könnt, was ich Euch sage, im Kapitel vortragen. Das werdet Ihr, denn so will es die Regel.«

Wohl erwägend, dass der Meister erfahren in des Ordens Regeln war, gab der Wildgraf ihm um so williger Gehör, da es etwas Großes sein musste, was diesen Mann zu seinem jetzigen Benehmen veranlassen konnte. Bald befanden sich die beiden Männer im Haus selbst, zu welchem der Zutritt sonst den Brüdern Handwerker versagt war. Den Wildgrafen reizte das Benehmen des Waffenschmiedemeisters, denn den kräftigen Mann reizt jedes kräftige, wenn auch feindliche Begegnen. Darum bewies er auch dem Waffenschmied eine Aufmerksamkeit, deren vielleicht nur wenige von ihm teilhaftig geworden wären. Er ließ nämlich Wein bringen und Wasser, lud den Waffenschmied ein, davon zu trinken, und ihm dabei zu erzählen. Der machte auch Gebrauch von dem Anerbieten, und um der Regel zu huldigen, tat er jedes Mal zu einem Becher feurigen Zypernweines drei Tropfen Wasser. Der Großkomtur ließ ihn gewähren, schwieg aber, in der weisen Absicht, durch das Schweigen seinen Gast zum Sprechen zu reizen, zumal der Wein die Zunge löst und das Herz öffnet. Er fand sich nicht getäuscht, denn bald eiferte der Meister über die Verderbtheit einzelner Mitglieder des Ordens und bedauerte, dass dergleichen Vergehen dem ganzen Orden zur Last fielen. Kämen dieselben auch nicht gerade zur Sprache im Orden selbst, so hätte doch das Volk, die Laien, eigene Gedanken darüber, und der Ruhm des Ordens würde im Volk dadurch geschmälert.

»Richtig«, half er sich selbst in die Rede, »was ich Euch sagen wollte! Horchen und Verleumden ist zwar meine Sache nicht, auch nicht verraten, doch die Regel sagt: Wenn ich um das Vergehen irgendeines Bruders weiß und es verschweige, so habe ich selbst mich des Vergehens schuldig gemacht. Und davor mag mich Gott bewahren!«

Ob der letzten Formel erschrak der Wildgraf. Sie wurde nur bei Vergehen angewandt, welche den Verlust des Kleides oder gar den Ausstoß aus dem Orden nach sich zogen. Dem Meister entging die Bewegung des Großkomturs keineswegs. Er nahm aber wenig Rücksicht darauf und erzählte: »Es mögen wohl vierzehn Tage darüber vergangen sein, als ich um Erlaubnis bat, in der Stadt einen alten Bekannten besuchen zu dürfen. Ich wusste vorher, dass ich mich sobald nicht wieder von ihm trennen würde, und hielt sogleich darum an, die Nacht außerhalb des Hauses zubringen zu dürfen. Die Erlaubnis wurde mir, und, das wisst Ihr wohl, edler Herr, wenn zwei alte Freunde einander wieder begegnen, da wird des Weines nicht geschont. So ging es bei uns. Wir tranken, erinnerten uns der vergangenen Zeiten, und als wir selig darin schwärmten, äußerte mein Freund, wie er sich niemals habe träumen lassen, dass ich in den Tempelherrenorden treten würde. Er täte es nicht, fügte er hinzu, und wenn ihm alle Schätze der Erde zuteilwerden sollten; denn er könnte einen Orden nicht lieben, dessen Vorsteher selbst ihre Gelübde auf eine so öffentliche Weise brächen. Das wurmte mich, edler Herr, es fehlte wenig, und ich hätte meinem Freund den Krug an den Kopf geschlagen. Doch die Regel verbietet, dass wir uns an keinem Christen vergreifen dürfen. Es war ein schweres Stück, auf solche Beschuldigung des Ordens an sich zu halten, doch gelang es mir, wenn auch mit Überwindung, und ich fragte nur, ob er Beweise hätte.

›Nun freilich‹, versetzte er, ›werde ich Beweise haben, wenn ich etwas sage, und zwar hier auf meiner Nachbarschaft habe ich sie. Sieh, da drüben das Haus, an welchen der Mond das blanke Schloss an der Tür beleuchtet. Dem Strahl des Tages ist der Zutritt verwehrt. Dichte Läden verschließen die Fenster, und niemals sah ich irgendeinen durch die Tür des Hauses schreiten. In einer Nacht aber, mondhell wie diese, da ich hier saß und ein Freund mir gegenüber wie du, schlüpfte ein weißer Mantel durch die geöffnete Tür. Wir wurden aufmerksam auf die sonderbare Erscheinung und traten hinaus auf die Straße, um den weißen Mantel näher kennen zu lernen. Der Schatten meines Hauses verbarg uns jedem Blick. Wohl über eine Stunde harrten wir. Da traten zwei Gestalten aus dem Haus drüben: Der weiße Mantel war es und ein Weib in Sarazenentracht. Ein Abschied zweier Liebenden stellte sich uns dar, Kuss um Kuss und dann gute Nacht. Ein Tempelherr und ein Sarazenenmädchen! Am Schritt hätte ich ihn erkannt, wenn auch nicht der Mond ihn mir gezeigt hatte. Es war ein hoher Herr, einer von den Großprioren des Ordens …‹«

»Sein Name …?«, fiel der Wildgraf ein.

»Der Dauphin von Auvergne.«

»Unmöglich!«

»Bei Gott und unserer lieben Frau! Es ist, wie ich gesagt habe.«

»Ich glaube dir, Meister, denn du bist ein gerader, schlichter Mann. Doch muss ich näher prüfen, ehe ich die Klage erhebe. Geh denn, Meister, halte das geheim für jedermann, damit nicht böse Gerüchte dem Orden schaden, weil einer sein Gelübde brach. Ich komme zu dir, wenn die Umstände es erheischen, und bald wird es sich erklären, wie weit ein Dauphin von Auvergne sich vergehen darf und den Adel seiner Geburt auf Kosten des Ordens geltend machen kann.«

Der Waffenschmied war schon unter der Tür, als ihn der Wildgraf noch einmal um Balthasar mahnte.

»Ich werde ihn schicken, Herr«, willigte der Meister ein, jedoch sage ich Euch, der Geselle ist nicht zu niederem Dienst geboren. Wenn Ihr ihn zu Eurem Knappen macht, so wird er manchen Edelknecht beschämen.«