Timetraveller – Episode 12
Prolog
Die Kälte war allumfassend.
Sanfolds Zähne klapperten laut aufeinander, doch irgendwie wurde das Geräusch von der Dunkelheit geschluckt. Kälte und Finsternis wollten und wollten kein Ende nehmen.
Hatte er in der Eile die Maschine nicht richtig programmiert?
Hatte er beim Aktivieren des Notsprungs etwas übersehen?
Verdammt! Warum dauerte das so lange?
Sanfolds Atmung wurde immer flacher. Er wagte aber nicht, irgendwelche Magie anzuwenden während des Zeitsprungs, das konnte sich unter Umständen verheerend auswirken.
Er musste zurück und er würde es schaffen.
Da! Endlich wurde ein Lichtschimmer mehr spür- als sichtbar. Es war nur ein Gefühl, welches seine Augen wahrnahmen, doch plötzlich erhellte sich die Umgebung schlagartig und Arthur Sanfold stürzte durch das Harper’s Inn, als seien alle Dämonen der Hölle hinter ihm her. Die Aktivierung des Notschalters der Zeitmaschine hatte ein wahres Eigenleben entwickelt und den Zeitreisenden erst viel zu langsam befördert, um am Ende die verlorene Zeit scheinbar wieder aufholen zu wollen.
Als der Professor gegen die Wand prallte, war die Zeitreise dann abrupt beendet. Benommen schaute er sich um. Das Chaos war noch so perfekt wie am Beginn seines kurzen, ungewollten Ausflugs. Die jungen Leute, die sich hier auf ein gemütliches Essen getroffen hatten, rannten wild durcheinander. Nein, nicht wild, wie Sanfold schnell erkannte. Sie wollten in ihrer Panik nur so schnell wie möglich den Ort verlassen, wo soeben Dinge geschehen waren, die rational nicht zu erfassen gewesen waren.
Vor ihren Augen hatte es eine Schießerei gegeben, ein Mann wurde mit einer Gabel (!) niedergestochen und dann lösten sich vier Menschen plötzlich in Nichts auf.
Einigen der Gäste, Männern wie Frauen, sah man ihre Verwirrung nicht nur an, sie schrien sie sich auch lauthals aus der Kehle.
Professor Arthur Sanfold rappelte sich auf und ließ seinen Blick über den Fußboden schweifen. Er suchte seinen Handlanger William Taylor.
Hatte er den Angriff des Japaners überlebt?
Doch wohin Sanfold auch schaute, er sah ihn nirgends. Auch von seinen anderen bewaffneten Söldnern war niemand zu sehen. Der Professor bahnte sich einen Weg in Richtung Ausgang, als er bemerkte, was ihn seit einigen Atemzügen an der Geräuschkulisse störte. Zwischen all dem Rufen und Schreien vernahm er nun auch die an- und abschwellenden Töne der Sirene eines Krankenwagens. Leise noch, doch rasch lauter werdend und damit näher kommend.
Irgendjemand musste den Notarzt verständigt haben. Der durchdringende Klang der Sirene war nun ganz laut zu hören und Sanfold sah auch schon das blaurote, zuckende Leuchten derLight Bar.
Er musste etwas tun. Er brauchte Taylor um jeden Preis. William Taylor war der Einzige seiner Killer, der von Anfang an in die Geheimnisse des Professors eingeweiht war. Er war der Einzige, der genau wusste, was hier gerade passiert war. Sanfold vertraute diesem pockennarbigen Kerl nicht, aber er hatte die absolute Kontrolle über ihn. Eine kleine Demonstration seiner magischen Fähigkeiten hatte Taylor gefügig gemacht. Die lange Narbe über seinem Herz erinnerte ihn täglich daran, wozu Sanfold fähig war und den Anblick seines schlagenden Herzens wollte Will Taylor um keinen Preis nochmals ertragen.
Für Arthur Sanfold war es ein Spiel gewesen, ein Spiel mit der Angst um das nackte Überleben eines so niederen Geschöpfes – eines Menschen. Wie diese Wesen an ihren erbarmungswürdigen Leben hingen, amüsierte Sanfold immer wieder aufs Neue. Er selbst war auch ein Mensch, doch seine magischen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die gewisse Selbstheilungskräfte einschlossen, machten in Arthurs Augen den entscheidenden Unterschied aus. Und genau deshalb brauchten diese primitiven Menschen Führung. Seine Führung! Sanfold würde mithilfe der Kraft des Steins der Weisen oder Azoths, wie er ihn selbst lieber nannte, die Weltherrschaft an sich reißen und sich diese zweibeinigen Kakerlaken unterwerfen. Jedenfalls die, die sich als würdig erwiesen, ihm Untertan zu sein. Sie würden ihm dienen und wer weiß, vielleicht gab es unter ihnen ja doch ein paar Exemplare, die er für seine Ziele ausbilden und hochzüchten konnte. Magische Spuren hatte er in all den Jahren auch in dieser Welt aufspüren können, denn den einfacheren Weg, eine Rückkehr in seine eigene Welt, wagte er nicht. Er kannte das Rechtssystem in seiner Welt und wusste, dass Verbrechen, die in irgendeiner Art mit Magie zu tun hatten, dort niemals verjähren würden.
Und hier hatte er sich den Weg innerhalb der letzten 16 Jahre geebnet. Matthew Evans war schon lange tot. Diese Gefahr hatte er in dieser Welt vor vielen Jahren ausgeschaltet, nun sollte es nicht all zu schwer sein, eine neue Organisation wie den Ordo Hereticus, die es in seiner Heimat gegeben hatte, ins Leben zu rufen.
Arthur Sanfold war am Eingang der kleinen Studentenkneipe angelangt und sah gerade, wie die Rettungssanitäter Taylor an einer Trage festbanden und ihm eine Infusionsnadel legten. Die Gabel hielt der Verletzte fest umklammert in der Hand. Sanfold hätte eingreifen und Wills Wunde mithilfe seiner Magie schließen können. Doch er fühlte sich nach den zwei Zeitreisen zu erschöpft. Er brauchte selbst etwas Ruhe und vor allen Dingen Zeit zum Nachdenken, wo er nun mit seiner Suche beginnen sollte. Sein Buch sollte ihn dabei inspirieren.
Taylor wäre im Medical Center zunächst gut aufgehoben, der Professor spürte einfach, dass sein Handlanger nicht in Lebensgefahr schwebte. Und damit überließ er ihn den hiesigen Medizinern.
Die beiden anderen Söldner hatten sich in den Hintergrund gearbeitet, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und sahen sich den Abtransport ihres Kameraden aus einiger Entfernung an. Sanfold ging auf die Beiden zu.
»Wer von euch hat geschossen?«, fragte er, ohne sich mit irgendwelchen Erklärungen aufzuhalten.
Beide nickten. Der große Bullige zeigte ein leicht schiefes Grinsen, als er sagte: »Ich hab dem Japs das Rückgrat weggepustet.« Sanfold sah ihn genauer an. Der Mann war ungefähr 1,90 Meter groß, ein Kerl wie ein Schrank. Doch er wirkte durchtrainiert, da gab es kaum überflüssiges Fett an ihm und er brachte bestimmt an die 100 Kilo auf die Waage. Nur das leicht dümmliche Grinsen zeugte davon, dass sein Hirn nicht das gleiche Training wie sein Körper erhalten hatte. Er verfügte über genügend Intelligenz, um zu wissen, dass er zu gehorchen hatte, aber nicht, um über gewisse Befehle nachzudenken. Also genau der Typ Söldner, den Arthur Sanfold bevorzugte.
Dass der Kerl die Rolle des etwas Naiven nur spielte, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Aber dieser bullige Kerl, der da vor dem Professor stand, hatte diesen von Anfang an durchschaut und wusste, dass Sanfold Kraft vor Intelligenz stellte.
Der andere Kerl war etwas kleiner und bedeutend schmaler. Er wirkte beinahe schmächtig, doch seine Augen funkelten listig, hinterhältig, was ihn dem Professor auf den ersten Blick unsympathisch machte.
Sanfold zeigte auf den Schmalen. »Du! Du bist für heute entlassen. Verdrück dich in dein Rattenloch und warte weitere Befehle ab.« Der Angesprochene wollte etwas erwidern, ließ es dann aber, drehte sich um und ging eiligen Schrittes davon.
Der Bullige schaute den Professor fragend an. Auch er wollte nichts lieber als jetzt zu verschwinden, doch Sanfold sah ihn gerade nochmals von oben bis unten genauer an.
»Name?«, fragte er dabei.
»Mc … McCrery, Michael McCrery, Boss. Ich …«, stotterte er als Antwort, wurde aber sogleich von Sanfold unterbrochen.
»McCrery, gut. Dich brauche ich noch. Du kümmerst dich als Erstes darum, wohin Taylor gebracht wird und bewachst ihn. Du wirst keine Minute von seinem Bett weichen. Ist das klar?«
McCrery nickte zwar, doch der Professor sah ihm an, dass er nicht ganz verstanden hatte.
»Bleib immer in Taylors Nähe. Wenn es ihm besser geht, haut ihr ab und meldet euch umgehend bei mir. Klar?«
Michael nickte abermals und antwortete: »Jawohl, Boss.«
»Worauf wartest du dann noch?«, fragte Sanfold ungehalten. Er hatte soeben gehört, dass der Krankenwagen den Motor wieder gestartet hatte.
McCrery schaute nochmal fragend zu Sanfold und setzte sich zögernd in Bewegung, als der Professor ihm einen unmissverständlichen Wink gab.
»Gib dich als Bruder aus … was weiß ich? Aber lass den Kerl nicht aus den Augen!«, rief er dem Söldner noch hinterher.
Michael McCrery rannte die letzten Meter bis zum Krankenwagen und Sanfold sah noch, wie er wild gestikulierend auf einen Sanitäter einredete. Dann kletterte McCrery auf den Beifahrersitz und der Wagen fuhr mit Blaulicht und Sirene davon.
Professor Arthur Sanfold setzte sich ebenfalls in Bewegung. Sein Wagen parkte noch genau da, wo er ihn vor seinem Ausflug in die Parallelwelt abgestellt hatte, am vorderen Ende der Walnut Street, also stieg er ein und fuhr davon. Wenn er geahnt hätte, was sich genau in diesem Augenblick im Harper’s Inn ereignete, wäre er vielleicht noch geblieben. Nein, er wäre sicher noch geblieben! Doch so fuhr er ahnungslos und glücklich über den Besitz der Zeitmaschine von dannen.
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