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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Smythje unter den Bildsäulen

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 17

Smythje unter den Bildsäulen

Um dieselbe Zeit, als Judith Jessurons Herz wechselweise von den wildesten Leidenschaften der Liebe und der Eifersucht zerfleischt und verzehrt wurde, glühte auch eine gleich kräftige und tiefe, aber dennoch viel ruhigere Liebesflamme in der reinen jungfräulichen Brust der kleinen Quasheba. Der Gegenstand war bei beiden derselbe; Herbert Vaughan! Umsonst hatte die junge Kreolin sich bemüht, gleichgültig von ihrem Vetter zu denken. Umsonst hatte sie gekämpft, ihre Liebe vor dem zurückzudrängen, was ihr Vater ihr als Pflicht bezeichnet hatte, und für Herrn Smythje zärtlichere Empfindungen anzunehmen. Es war alles ganz umsonst gewesen, ja der Versuch und die Anstrengung dazu hatten zuletzt sogar einen ganz anderen Erfolg gehabt, nämlich den, ihre Leidenschaft für den Ersteren nur noch zu steigern und ihre Achtung für den Letzteren zu vermindern. Das wird immer mit den Zuneigungen des Herzens der Fall bleiben, wie mit den Abneigungen. Der reine Trieb des Herzens wird sich stets empören, wenn er beeinflusst oder beschränkt werden soll.

Von jenem Augenblick an, wo Käthchen sich dem Willen ihres Vaters unterworfen und eingewilligt hatte, Herrn Montagu Smythje zu heiraten, fühlte sie noch tiefer als zuvor die Größe des Opfers, das sie jetzt bringen sollte. Allein es gab niemand, der sie etwa retten könnte, keine kräftige Hand und kein starkes mutiges Herz, um sie aus ihrer jetzigen quälenden Lage zu befreien. Die getroffene Übereinkunft stand jetzt auf alle Fälle fest, und bei der Aufrufung aller ihrer geistigen Kraft blieb ihr gar nichts anderes übrig, als den Eintritt des unglücklichen Ereignisses mit so viel Entsagung und Seelenruhe abzuwarten, als sie sich nur irgend in dem Bewusstsein der Erfüllung ihrer kindlichen Pflichten zu gewinnen vermochte.

Denn dies war ihr einziger Trost, wenn das in einem solchen Fall überhaupt Trost genannt werden kann, dass sie ihre kindlichen Pflichten jetzt vollkommen erfülle. Sie war gänzlich und lediglich den Wünschen ihres Vaters gefolgt, eines Vaters, der, wenn er auch gegen andere oftmals streng, ja vielleicht noch mehr als das gewesen war, doch sie stets liebevoll und gütig behandelt hatte. Gerade jetzt erkannte sie noch mehr als je zuvor seine väterliche gütige Gesinnung, wenn sie an dessen Absichten bei Unternehmung seiner jetzigen Reise dachte. Obwohl sie nun vollkommen dem eigentlichen Trieb ihres Herzens entsagt hatte oder sich jedenfalls bemühte, es dahin zu bringen, so vermochte sie doch nicht, ihre Leidenschaft für Herbert gänzlich zu ersticken und ebenso wenig den von ihrer Hoffnungslosigkeit erzeugten Trübsinn zu verbergen. Dieser Trübsinn umwölkte schon den ganzen Morgen seit der Abreise ihres Vaters ihr Antlitz mit tiefer Düsterkeit. Ihr verlobter Bräutigam – denn in diesem Verhältnis stand Smythje nun zu dem schönen und gemütvollen Käthchen – bemerkte jetzt auch ganz wohl ihren ungewöhnlich tiefen Trübsinn, allein er kannte keineswegs dessen richtige Ursache. Ihm schien es gerade natürlich zu sein, wenn sie jetzt bei der Abwesenheit ihres Vaters etwas traurig war, da sie viele Jahre hindurch nie länger als nur einige wenige Stunden oder allerhöchstens einen einzigen Tag von ihm getrennt gewesen war. Aber daran würde sie sich wohl schon gewöhnen und dann alles wie zuvor sein. Mit derartigen Gründen und Erwägungen erklärte Smythje sich jetzt die außerordentliche Zerstreuung und das düstere Aussehen, die er bei seiner Verlobten wahrgenommen hatte.

Deshalb war er auch bereits den ganzen Morgen viel beharrlicher und unverdrossener in allen seinen Aufmerksamkeiten gegen Käthchen gewesen, als er es sonst wohl zu sein pflegte. Der Custos hatte ihn in einer bevorzugten Stellung zurückgelassen, der eines Beschützers, und es drängte ihn, Käthchen jetzt zu zeigen, wie äußerst würdig er eines solchen in ihn gesetzten Vertrauens sei.

Ach, in der Meinung Käthchens war er hier nach nur gar zu begierig! Ihrer Ansicht nach wurde er jetzt zudringlich, sie fühlte sich von ihm belästigt und alle seine gut gemeinten Absichten hatten nur den Erfolg, sie zu ermüden und zu langweilen. Sie würde äußerst vergnügt gewesen sein, hätte er sie ungestört ihrem Seufzen und ihrem Trübsinn überlassen wollen.

Bald nach dem Frühstück schlug Smythje einen Spaziergang vor, aber nur einen kurzen. An weiteren beschwerlichen Ausgängen fand er kein Vergnügen und seit jenem ihn so sehr demütigenden Jagdabenteuer fühlte er durchaus keine Lust zu irgendeiner längeren Wanderung durch den Wald.

Der Ausgang sollte sich deshalb auch nur lediglich auf die Spaziergänge zwischen den Gartenbüschen und den dort aufgestellten Bildsäulen beschränken. Das Wetter war unübertrefflich schön und so war tatsächlich gar kein Grund vorhanden, warum Käthchen den Vorschlag ablehnen sollte. Darum nahm sie ihn auch sofort stillschweigend zustimmend an.

Während sie nun miteinander im Garten gingen, sprach Smythje viel über die Bildsäulen, um die von ihm auf der Universität gewonnene klassische Bildung zu zeigen. Dabei verbreitete er sich weitläufig über Venus, Cupido und Kleopatra, die ihm alle als Sinnbilder und Träger der in seiner eigenen Brust wohnenden zärtlichen Gefühle dienten und worauf er mit vermeintlicher ungemeiner Geschicklichkeit mehrere Male hindeutete. Allein trotz aller aufmerksamen Beobachtung vermochte er doch gar nicht zu entdecken, dass selbst seine schöne Rede irgendeinen ihm günstigen Eindruck hervorbrachten. Auf dem Gesicht seiner Begleiterin blieb stets derselbe Ausdruck von Befangenheit und Trübsinn merklich, der bereits den ganzen Morgen zu sehen gewesen war.

Mitten in einer seiner gelehrten und geistreichen Erklärungen wurde der diesen Augenblick merkwürdig fürs klassische Altertum schwärmende Stutzer durch die Ankunft seines Kammerdieners Thoms unterbrochen, der vom großen Haus ganz mit dem Aussehen eines Dieners kam, der seinem Herrn eine höchst wichtige Botschaft zu überbringen hat. Diese bestand dann darin, dass ein Herr, ein Freund von Herrn Smythje – denn er hatte jetzt schon deren viele auf der Insel – nach ihm gefragt habe, um mit ihm zu sprechen. Geschäftliches war mit dem Besuch nicht verbunden, es war lediglich ein Höflichkeitsbesuch. Wäre der Besucher ein ganz gewöhnlicher gewesen, so würde der stolze Besitzer von Schloss Montagu sich schwerlich entschlossen haben, die Gesellschaft, in der er sich jetzt befand, sofort aufzugeben. Allein er war von bedeutendem Ansehen und außerdem ein besonderer Freund. So würde Fräulein Vaughan es ihm wohl nicht übelnehmen, wenn er sie nur für einige Augenblicke verlasse?

»Durchaus gar nicht!«, erwiderte Käthchen so eilig, um jeden unbefangenen zu überzeugen, wie froh sie sei, endlich von ihm loszukommen.

Smythje folgte nun seinem Diener ins Haus, und die junge Kreolin verblieb allein mit all den klassischen Statuen, unter denen sie selbst sicher das anmutsvolle Gebilde war.