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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Erster Teil – Zweiundzwanzigste Erzählung

Die-GespensterDie Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Erster Teil
Zweiundzwanzigste Erzählung

Von dem Poltergeist einer alten Kapelle und den Bubenstreichen, womit derselbe einen Heiligenspötter züchtigte

Noch im Jahre 1727 stand neben dem damals von Thilauschen Rittergut zu Leuben in Kursachsen eine kleine Kapelle, in deren Gewölbe benannte Gutsherrschaft vormals ihre Verstorbenen beigesetzt hatte. Späterhin fiel dieser Zweck der Kapelle sowie auch ihr gottesdienstlicher Gebrauch ganz weg, und man verwandelte sie in ein Wirtschaftsgebäude. Die Bildsäule des Heiligen Antonius, die sich nach der Reformation noch immer in einer Ecke derselben erhalten hatte, wurde nun in ein darüber befindliches Backhaus versetzt, wo man ihr auch ferner ein ruhiges Plätzchen vergönnte und sie dem Zahn der Zeit überließ. Der Heilige schien diese Versetzung sowie jene profane Verwandlung der ihm gewidmeten Kapelle übel zu nehmen, und solange Maurer und Zimmerleute zerstörend in derselben beschäftigt waren, äußerte er des Nachts diese Empfindlichkeit durch ein entsetzliches Gepolter. Nicht nur Herr Sieckel, damaliger Hauslehrer der von Thilauschen Kinder, dessen Wohnstube der Kapelle gegenüberlag, sondern auch mehrere Einwohner des Örtchens waren öfter als einmal Zeugen des ungebührlichen Lärms, den der angebrachte Heilige in der Gespensterstunde daselbst vermochte. Es war nicht anders, als ob er die ganze Kapelle mit ihren sehr dicken Mauern auf eine andere Stelle bringen wollte, um so sein Eigentum vor der Entheiligung zu bewahren.

Besonders deutlich hörte man ein Hin- und Herwerfen der Bretter und ein eifriges Hämmern an den massiven Wänden und Gewölben dieser Kapelle. Wer es vernahm, der bekreuzigte und segnete sich, und Herr Sieckel insbesondere wünschte immer sehnlichst den Glockenschlag um eins herbei, mit welchem das ominöse Toben allemal plötzlich ein Ende nahm.

Zimmerleute und Maurer bemerkten des Morgens jedes Mal mancherlei Verwirrung und Unordnung, die der Poltergeist unter dem Werk ihrer Hände angerichtet hatte. Indessen fuhren sie den Tag über in ihren angewiesenen Geschäften nur desto eifriger fort und ließen sich durch jenes Toben und Schelten des Heiligen keineswegs abhalten, von dessen bisherigem Wohnsitz den oberen Teil in einen Fruchtboden, und den unteren in ein kühles Milchgewölbe umzuwandeln.

Nach Jahr und Tag wollte das Gesinde des adligen Hofes in Abwesenheit der Herrschaft es sich einmal recht gemütlich machen. Mädchen und Knechte, alles versammelte sich in der Schenke des Dorfs, trank und war guter Dinge bei Tanz und Spiel. Um den Jubel vollständig zu machen, kam ein herrschaftlicher Schäferknecht auf den ärgerlichen Gedanken, vorerwähnten Heiligen im dunkelsten Winkel des Brauhauses an der allgemeinen Hausfreude auch teilnehmen lassen zu wollen. Er lud sich lachenden Mutes den geduldigen Antonius auf die breiten Schultern, schleppte ihn in die Schenke und stellte ihn in die Mitte der Lautfröhlichen auf. Um den guten Antonius recht lächerlich zu machen, steckte er ihm auch eine Tabakpfeife in den Mund.

Da machte nun um dieses Schaubild herum die muntere Dorfjugend den Reihentanz, wie sonst um des Dorfes Linde.

Die Mutwilligsten unter den jungen Burschen gaben dem verspotteten Götzen mitten im Tanz Nasenstüber und beschimpften ihn auch noch auf andere Art. Niemand mochte glauben, dass diese unedle Verspottung eines leblosen Standbildes dem Urheber dieses Unfugs, dem Schäferknecht, übel bekommen würde.

Um Mitternacht, da man die Festlichkeit des vergnügten Tages beendet hatte und ein jeder sich nun zur Ruhe begab, ging auch Hans, so hieß der lustige Schäfer zu seiner Herde, die auf dem Hof neben der weiland Antoniuskapelle stand, und wollte sich zu Bett legen. Allein auf dem Weg dahin begegnete ihm ein fürchterliches Unding in der Gestalt des Heiligen Antonius. Dieses Gespenst fiel ihn wütend an, misshandelte ihn mit Faustschlägen ins Angesicht und schien ihm den Hals umdrehen zu wollen.

Das Entsetzen, welches unseren Hans während dieser fühlbaren Züchtigung überfiel, beraubte ihn, so handfest er auch war, aller Kräfte. Es fiel ihm nicht einmal ein, sich zur Wehr zu setzen. Kaum hatte er so viel Besinnung, dass er sich noch eben zur rechten Zeit mit der Flucht rettete.

Zwar war ihm für dieses Mal das Leben noch gefristet worden, allein den Schlaf hatte der Eindruck jener Misshandlungen auf mehrere Nächte von seinem Lager verscheucht. Immer fürchtete er die Rückkehr des rachsüchtigen Antonius. Lange ging er, als warnendes Beispiel für andere, mit einem Kopf umher, der so dick aufgequollen und mit Wunden bedeckt war, dass man Mühe hatte, in seiner Person den sonst so munteren Hans wieder zu erkennen.

Er gestand öffentlich und gelobte feierlich, dass er sich nie wieder an dem tückischen Heiligen vergreifen wolle. Die Gutsherrschaft, die durch den zitternden Hauslehrer den Hergang der Sachen genau wieder erfahren hatte, beschloss, den Heiligen des Backhauses in dem daran grenzenden Garten feierlich beerdigen zu lassen, damit er fernerhin kein Ärgernis mehr nehmen, aber auch keines mehr veranlassen mochte.

Ein Zufall wollte, dass einige Jahre danach sowohl der bei dem mitternächtlichen Poltern in der Kapelle als auch der dem Schäferknecht gespielte Betrug ans Tageslicht kommen sollte. Jenes Poltern war das Blendwerk einiger gewinnsüchtigen Maurer gewesen, welche am Tag während ihrer Arbeit hier und da in den dicken Mauern der uralten Kapelle einige mit Kitt sorgfältig vermauerte kleine Gewölbe bemerkt zu haben glaubten und sich in den Nächten heimlich darüber hermachten, diese Spuren zu verfolgen, indem sie um so gewisser hofften, vermauertes Geld darin zu finden, da nach einer alten Sage im Dorf wirklich Kostbarkeiten in der Kapelle verborgen sein sollten. Die Schlauköpfe arbeiteten absichtlich nur in der berüchtigten Gespensterstunde, indem sie richtig vorhersahen, dass sie so am sichersten das furchtsame, abergläubige Volk irreleiten und ihre Absichten unbelauscht und ungehindert erreichen würden.

Die derbe Züchtigung aber, welche sich Hans allerdings durch seines an der Bildsäule verübten Mutwillen zugezogen hatte, rührte keineswegs von dem katholischen Heiligen, den sie repräsentiere, selbst her, sondern von einem seiner Freunde und Verehrer, einem eifrigen Katholiken der dortigen Gegend, welcher ein schweres Ärgernis an den Nasenstübern, die sein Heiliger in der Schenke erhielt, genommen und sich verpflichtet gehalten hatte, ihn auf der Stelle zu rächen. Um als Einzelner den stämmigen Schäferknecht unfehlbar zu überwältigen, bediente er sich des nicht ungewöhnlichen Kunstgriffes, ihn zuvor graulich zu machen. Seine Berechnung der durch abergläubige Furcht verminderten Stärke und Geistesgegenwart seines Gegners war so richtig, dass er nur ein Kind an Kräften hätte sein dürfen, um den dummen Riesen nach Gefallen misshandeln zu können.1

Show 1 footnote

  1. So wie ein in Dummheit und Einfalt aufgewachsenes Mütterchen Geschichtchen der Art in langen Winterabenden beim Spinnrocken zu erzählen pflegt, das heißt, mit dem Anstrich des Wunderbaren und mit Auslassung all dessen, was einiges Licht über den natürlichen Hergang der Sache verbreiten können, so kann man diese Erzählung auch in J.C. Sickels Nachrichten von Poltergeistern, gespenstigen Erscheinungen und merkwürdigen Ahndungen, Quedlinburg 1761, Teil 1, Seite 25, finden.