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Die Geschichte vom Werwolf Teil 3

Die-Geschichte-vom-WerwolfDie Geschichte vom Werwolf
Eine Volkssage, erzählt von Alexandre Dumas
Nach dem französischen Manuskript von Dr. G. F. W. Rödiger

Kapitel 3
Der Edelmann und der Holzschuhmacher

Der Damhirsch kam also, wie gesagt, auf seiner Flucht in den Wald von Oigny. Es war ein schöner Herbsttag und Thibaut arbeitete unter dem Vordach seiner Hütte.

Plötzlich bemerkte er in einer Entfernung von dreißig Schritten einen keuchenden, zitternden Damhirsch, der ihn mit seinen großen klugen Augen ansah, als ob er Beistand von ihm erwartete.

Thibaut hatte das Jägerhorn bald in der Ferne, bald ziemlich nahe gehört. Er wunderte sich daher nicht über das Erscheinen des Damhirsches. Er ließ die Arbeit ruhen und betrachtete das Tier.

»Das wäre ein leckerer Bissen!«, sagte er für sich. »Wie glücklich sind doch die Leute, welche täglich einen solchen Braten haben können! Ich habe erst einmal in meinem Leben Wildbret gegessen! Es sind schon vier Jahre, aber das Wasser kommt mir in den Mund, wenn ich daran denke. O! Die großen Herren haben bei jeder Mahlzeit einen anderen Braten und alten Wein. Ich hingegen esse die ganze Woche Kartoffeln und trinke klares Wasser. Höchstens habe ich sonntags ein Stück Speck mit Kraut und ein Glas Pignolet. Rousseau und Voltaire haben vollkommen recht. Es ist eine Sünde und Schande. Die Welt sollte, wie eine Sanduhr, alle zehn Jahre umgekehrt werden, sodass das Oberste unten und das Unterste oben hinkäme. Ich könnte dann auch einmal Chambertin trinken und Wildbret essen.«

Der Damhirsch war bereits bei den ersten Worten dieses Selbstgespräches verschwunden. Thibaut war eben zu dem geistreichen Schluss gekommen, als er durch eine starke, gebieterische Stimme angeredet wurde.

»Heda! Lümmel, antworte mir!«

Es war der Burgherr Jean de Vez, dessen Hunde die Fährte des Wildes verloren hatten.

»Hast du das Tier gesehen?«, fragte der Wolfsjägermeister.

Der philosophierende Holzschuhmacher mochte die Anrede des gestrengen Herrn wohl übel nehmen, denn er wusste recht gut, wovon die Rede war.

»Was für ein Tier?«, fragte er.

»Ventre-Dieu! Den Damhirsch, den wir verfolgen. Er muss fünfzig Schritte von hier vorübergelaufen sein. Du musst ihn gesehen haben. Es ist ein Zehnender. Wohin ist er gelaufen? Rede, Schlingel, oder ich lasse dich verprügeln!«

Der Teufel hole dich, du Wolfssohn!, dachte Thibaut. Aber er nahm eine unbefangene Miene an und erwiderte: »Jawohl, ich habe ihn gesehen …«

»Nicht wahr, ein prächtiger Zehnender?«

»Ja, ein schönes Geweih hatte er, die Enden habe ich freilich nicht gezählt, obschon ich ihn eben so gut gesehen habe, wie ich Ew. Gnaden sehe.«

Zu einer anderen Zeit würde der Baron Jean über diese Naivität, die er für wirklich halten konnte, gelacht haben. Aber die Jagd hatte ihm schon zu lange gedauert, und er hatte bereits einen Anfall von Hubertusfieber.

»Lass deine schlechten Witze, du bist vielleicht guter Laune, ich aber nicht.«

»Ew. Gnaden dürfen nur befehlen, welcher Laune ich sein soll.«

»Nun, so antworte.«

»Ew. Gnaden haben noch nicht gefragt.«

»Schien der Damhirsch ermüdet, abgehetzt?«

»Nein, nicht sehr.«

»Woher kam er?«

»Er kam gar nicht, er stand einfach da.«

»Aber er muss doch irgendwoher gekommen sein?«

»Wahrscheinlich … aber ich sah ihn nicht kommen.«

»Wohin ist er gelaufen?«

»Ich sah ihn nicht fortlaufen.«

Der Baron Jean de Vez sah Thibaut zornig an. »Ist er schon lange fort?«, fragte er.

»Nein, noch nicht sehr lange.«

»Wie lange ungefähr?«

Thibaut schien zu überlegen. »Ich glaube … vorgestern«, antwortete er endlich. Bei diesen letzten Worten konnte er sich eines Lächelns nicht erwehren.

Der Baron Jean, der dieses Lächeln bemerkte, spornte sein Pferd und ritt mit gehobener Peitsche auf Thibaut zu.

Thibaut war flink. Mit einem Sprung war er unter dem Vordach, wo ihn der Reiter nicht erreichen konnte.

»Du lügst!«, eiferte der Waidmann. »Sieh dort, die Hunde finden die Fährte wieder, der Damhirsch muss durch die Hecke gebrochen sein, du musst ihn also bemerkt haben.«

»Aber ich versichere Ew. Gnaden«, sagte Thibaut, der nicht ohne Unruhe die finstere Stirn des gestrengen Herrn betrachtete.

»Still! Hierher, du Lümmel!«, tobte der Baron.

Thibaut zögerte einen Augenblick, aber das Gesicht des Waidmanns wurde immer drohender, und Ungehorsam würde seinen Zorn gewiss noch mehr reizen. Er hoffte auch, der Wolfsjägermeister werde einen Dienst von ihm verlangen, und entschloss sich endlich, sein Versteck zu verlassen. Aber kaum war er unter dem schützenden Vordach hervorgetreten, so war das Pferd des Schlossherrn mit einem Sprung an seiner Seite, und zugleich bekam er einen Schlag mit dem Peitschenstiel auf den Kopf.

Thibaut, durch den Schlag betäubt, wankte und verlor das Gleichgewicht. Der Junker zog den Fuß aus dem Bügel und gab dem armen Teufel einen Tritt gegen die Brust, dass Thibaut rücklings gegen die Tür der Hütte fiel.

»Da«, sagte der Baron, indem er ihm den Peitschenhieb und dann den Fußtritt gab, »das ist für die Lüge … und dies für die Spöttelei!« Ohne sich weiter um Thibaut zu kümmern, stieß der Junker ins Horn, spornte sein Pferd und galoppierte den bellenden Hunden nach.

Thibaut richtete sich mühsam auf und betastete sich vom Kopf bis zu den Füßen, um sich zu überzeugen, ob nichts gebrochen war.

»Nun, ich bin wenigstens nicht zum Krüppel geworden«, sagte er nach dieser anatomischen Untersuchung. »So also behandelst du die Leute, Junker Jean, weil du die Bastardin eines Prinzen geheiratet hast! Du sollst von dem Damhirsch, den du hetzest, keinen Bissen bekommen. Der Lümmel Thibaut wird ihn essen, das schwöre ich!«

Thibaut schien seinen Entschluss rasch ausführen zu wollen. Er steckte sein langes Messer in den Gürtel, nahm seinen Jagdspieß und lauschte auf das Gebell der Hunde. Die Jagd machte einen Bogen. Thibaut lief aus allen Kräften in gerader Richtung fort.

Er hatte die Wahl, entweder den Damhirsch zu erwarten und ihn mit dem Spieß zu erlegen, oder ihn in dem Augenblick, wo er von den Hunden erreicht würde, zu überfallen.

Der Wunsch, sich für die Rohheit des Junkers zu rächen, war nicht seine einzige Triebfeder. Er dachte an die leckeren Mahlzeiten, die ihm der Damhirsch einige Wochen lang liefern würde. Die Rachegedanken und Gaumengelüste vereinigten sich indes zu einem gar anlockenden Fantasiegebilde, und Thibaut lachte sich ins Fäustchen, als er dachte, welche traurige Figur der mit seinen Leuten unverrichteter Sache heimkehrende Junker spielen werde und wie köstlich er selbst schmausen könne.

Der Damhirsch lief, wie es Thibaut schien, der hölzernen Brücke zu, welche sich zwischen Norcy und Tronsne befand. Diese aus grobgezimmerten Balken und Brettern erbaute Brücke hatte kein Geländer und wurde nur bei hohem Wasserstand benutzt, im Sommer und Herbst war der Ourcyfluss so seicht, dass man durch das Wasser fuhr und ritt.

Da das Wasser sehr hoch, die Strömung stark war, so vermutete Thibaut, dass sich der Damhirsch nicht in den fünf bis sechs Fuß tiefen Fluss wagen werde. Er versteckte sich dicht an der Brücke hinter einem Felsen und wartete. Er war sehr unruhig und aufgeregt, wie jeder Mensch, der wissentlich etwas Böses tut. Er ärgerte sich über das Plätschern des Wassers, über das Rauschen des Laubes. Dieses doppelte Geräusch hinderte ihn, das ferne Hundegebell zu hören. Er war daher ganz erstaunt, als er auf einmal zehn Schritte von dem Felsen den schönen Kopf des Damhirsches erblickte. Das gehetzte Thier blieb stehen und lauschte mit gespitzten Ohren auf seine lärmenden Verfolger, die indes noch weit zurück waren.

Thibaut richtete sich hinter dem Felsen auf, ergriff seinen Jagdspieß, zielte und warf ihn auf den Damhirsch. Dieser wachte einen Sprung bis auf die Mitte der Brücke, und mit einem zweiten Sprung war er am andern Ufer. Mit dem dritten Sprung war er verschwunden.

Der Spieß, der den Damhirsch nicht getroffen hatte, steckte im Rasen. Thibaut war noch nie so ungeschickt gewesen. Er hatte sonst ein so scharfes, geübtes Auge, eine so sichere Hand. Er nahm, gegen sich selbst erzürnt, die Waffe auf und eilte über die Brücke, dem Damhirsch nach.

Thibaut kannte den Wald so gut wie der Hirsch und lief in schräger Richtung den Hügel hinauf und versteckte sich hinter einer Buche, nicht weit von einem schmalen Fußpfad.

Dieses Mal kam ihm der Damhirsch so nahe, dass Thibaut unschlüssig war, ob er ihn zu Boden schlagen oder den Jagdspieß werfen solle. Doch diese Unschlüssigkeit dauerte nur einen Augenblick, aber der Hirsch war schon zwanzig Schritte entfernt, als Thibaut seinen Spieß warf. Er traf ebenso wenig wie das erste Mal.

Inzwischen kam das Hundegebell immer näher. Nach einigen Minuten wurde die Ausführung seines Planes unmöglich. Aber Thibaut wurde eifriger, je größer die Schwierigkeit wurde. Er nahm seinen Jagdspieß auf und eilte fort. Aber der dritte Versuch blieb ebenso erfolglos wie die beiden ersten.

»Ich muss das verwünschte Tier haben«, sagte Thibaut ergrimmt, »und wenn ich den Teufel um Hilfe anrufen soll!«

Kaum hatte Thibaut diese ruchlosen Worte gesprochen, so kam der Damhirsch zum vierten Mal an ihm vorüber und verschwand im Gebüsch. Dieses Mal kam er so unerwartet und lief so schnell, dass Thibaut nicht einmal Zeit hatte, seinen Jagdspieß zu heben.

Das Hundegebell kam nun so nahe, das Thibaut nicht wagte, den Hirsch weiter zu verfolgen. Er sah sich nach einem Versteck um, bemerkte eine dichtbelaubte Eiche, warf seinen Jagdspieß ins Gebüsch, kletterte an der Eiche hinauf und verbarg sich im Laub. Er vermutete mit Recht, dass die Hunde und Jäger rasch vorbeieilen würden.

Thibaut saß noch nicht fünf Minuten auf dem Baum, so bemerkte er die Hunde, dann den Baron Jean, der trotz seiner fünfzig Jahre an der Spitze des Jagdzuges war. Der Junker war in unbeschreiblicher Wut. Vier Stunden zu verlieren, um einen erbärmlichen Damhirsch zu hetzen, und ihn noch immer nicht einzuholen! Das war ihm noch nie widerfahren! Er schimpfte auf seine Leute, peitschte seine Hunde und spornte sein Pferd so unbarmherzig, dass der Schlamm, welcher die Flanken des Tieres bedeckte, mit Blut vermischt war.

Als indes die Jagd an die Brücke gekommen war, hatte der Baron eine kurze Freude. Die Meute hatte die Fährte des Damhirsches wieder gefunden und verfolgte sie mit großem Eifer. In der Freude seines Herzens ergriff Junker Jean sein Jagdhorn und begann aus Leibeskräften zu blasen.

Leider sollte seine Freude nicht von langer Dauer sein, denn als die bellende, jubelnde Meute gerade unter dem Baum war, auf welchem Thibaut sich versteckt hatte, verlor sie die Fährte, und es war plötzlich alles still.

Marcotte stieg auf Befehl seines Herrn vom Pferd und begann zu suchen. Die Rüdenknechte gesellten sich zu ihm.

Die Fährte war nicht wieder zu finden. Aber Engoulevent, der den von ihm aufgespürten Hirsch nicht gern entkommen lassen wollte, suchte ebenfalls mit dem größten Eifer. Alle schrien durcheinander und eiferten die Hunde an.

Aber lauter als alle Übrigen rief die Stimme des Junkers: »Donner und Wetter! Marcotte, sind denn deine Hunde in ein Loch gefallen?«

»Nein, Ew. Gnaden, da sind sie, aber sie haben die Fährte verloren.«

»Die Fährte verloren!«

»Ja, gnädiger Herr, es ist mir unbegreiflich, aber es ist so.«

»Hier mitten im Wald … die Fährte verloren!«, wiederholte der Baron. »Es ist ja kein Bach, kein Felsen oder sonst ein Schlupfwinkel in der Nähe. Du bist toll, Marcotte!«

»Ich … toll, gnädiger Herr!«

»Jawohl, und deine Hunde sind Schindmähren!«

Marcotte ertrug sonst mit wahrer Engelsgeduld die Schimpfreden, mit denen der Junker in den entscheidenden Momenten der Jagd sehr freigebig war. Aber diese gegen die Hunde ausgestoßene Injurie brachte ihn in Harnisch.

Er erwiderte keck: »Wie, gnädiger Herr, meine Hunde sollen Schindmähren sein? Meine Hunde, die einen Wolf zerrissen haben, nachdem sie ihn so rasch gejagt hatten, dass Ew. Gnaden Ihr bestes Pferd dabei totritten?«

»Ja, Marcotte, nur Schindmähren können einen Damhirsch nach mehrstündiger Jagd entwischen lassen.«

»Gnädiger Herr«, erwiderte Marcotte beleidigt, »sagen Sie, dass es meine Schuld sei. Nennen Sie mich einen Einfaltspinsel, einen Esel, einen Tölpel, schimpfen Sie mich und mein Weib und meine Kinder, daran liegt mir nichts. Aber greifen Sie meine Ehre als erster Jäger nicht an, beleidigen Sie Ihre Hunde nicht.«

»Aber was zum Teufel bedeutet denn das plötzliche Stillschweigen? Erkläre mir das, wenn du kannst.«

»Ich weiß es mir auch nicht zu erklären, gnädiger Herr. Der verwünschte Damhirsch muss davongeflogen oder in die Erde gesunken sein.«

»Das fehlte noch!«, eiferte der Junker, »unser Damhirsch soll in die Erde gekrochen sein, wie ein Kaninchen, oder davongeflogen wie ein Birkhahn!«

»Es ist mir ein Geheimnis, gnädiger Herr, aber es steckt eine Zauberei dahinter, so wahr wie die Sonne am Himmel scheint. Meine Hunde standen plötzlich still. Fragen Sie alle unsere Leute, die dabei waren. Sehen Sie nur, wie still die Hunde liegen. Ist das natürlich?«

»Treibe sie mit der Peitsche an«, eiferte der Baron, »die bösen Geister werden dadurch am besten vertrieben.«

Der Baron ritt näher, um den Zauber mit einigen Peitschenhieben zu bannen, aber der Jägerbursche trat mit dem Hut in der Hand näher und hielt das Pferd zurück.

»Gnädiger Herr«, sagte er, »mich dünkt, ich habe auf diesem Baume einen Kuckuck entdeckt, der uns vielleicht eine Aufklärung geben kann.«

»Was faselst du da?«, sagte der Baron. »Warte nur, Schlingel, ich will dir zeigen was es bedeutet, deinen Herrn zu foppen.«

Der Junker hob seine Peitsche, aber der Jägerbursche deckte seinen Kopf mit den Armen und setzte hinzu: »Schlagen Sie, wenn Sie wollen, gnädiger Herr, aber dann schauen Sie auf diesen Baum, und wenn Sie den Vogel, der darauf sitzt, gesehen haben, werden Sie mir lieber einen blanken Taler als einen Peitschenhieb geben.«

Bei diesen Worten zeigte er mit dem Finger auf die Eiche, wo Thibaut sich versteckt hatte, als er die Jäger kommen hörte. Er war von Zweig zu Zweig geklettert, bis er die höchste Spitze erreicht hatte.

Der Junker hielt die Hand über die Augen und bemerkte Thibaut.

»Das ist sonderbar«, sagte er. »Im Wald von Villers-Cotterets verkriechen sich Damhirsche in der Erde wie die Füchse, und die Menschen sitzen auf den Bäumen wie die Raben. Übrigens wollen wir sogleich sehen, wer es ist … Heda, Freund, ich wünsche ein Wörtchen mit dir zu reden.«

Aber Thibaut gab keinen Laut von sich.

»Gnädiger Herr«, sagte der Jägerbursche, »wenn Sie wünschen, so will ich hinaufsteigen.«

»Nein, nein«, erwiderte der Baron mit einer gebieterischen Handbewegung.

»Willst du mir antworten?«, rief er hinauf, ohne Thibaut zu erkennen. »Ja oder nein?«

Keine Antwort.

»Du scheinst nicht hören zu wollen. Warte nur, ich will mein Sprachrohr nehmen.«

Er streckte die Hand aus. Marcotte, der sogleich erriet, was sein Herr wollte, reichte ihm seine Büchse.

Der Baron schlug auf Thibaut an.

Thibaut, der die Jäger zu täuschen suchte, stellte sich, als ob er trockenes Holz sammelte, und arbeitete so eifrig, dass er die Bewegung des Junkers nicht sah oder dieselbe nur für eine Drohung hielt, die er nicht weiter beachtete.

Der Waidmann wartete noch eine Weile auf Antwort. Aber als diese ausblieb, schoss er.

Man hörte einen Zweig krachen, und dieser Zweig war gerade der, auf welchem Thibaut stand. Der treffliche Schütze hatte den Zweig zwischen dem Stamm und dem Fuß des Holzschuhmachers getroffen.

Thibaut, der seine Stütze verlor, fiel von Zweig zu Zweig. Zum Glück war der Baum sehr dicht belaubt und die Äste waren stark. Die vielen dünnen Zweige hielten den Fallenden auf und so kam Thibaut endlich mit einigen unbedeutenden Quetschungen, aber mit großem Schrecken auf dem Boden an.

»Bei des Teufels Hörnern«, sagte der Junker, über seinen trefflichen Schuss erfreut. »Das ist ja mein Spaßvogel von diesem Morgen! Das Gespräch mit meiner Hetzpeitsche scheint dir zu kurz gewesen zu sein, und du möchtest es wieder aufnehmen.«

»O nein, gnädiger Herr«, erwiderte Thibaut mit dem Ton der größten Aufrichtigkeit.

»Desto besser für deine Haut. Aber was machtest Du denn oben auf diesem Baum?«

»Sie sehen es ja, gnädiger Herr«, antwortete Thibaut, auf einige umherliegende dürre Reiser zeigend. »Ich wollte trockenes Brennholz sammeln.«

»Gut, aber jetzt musst du uns ohne Umschweife sagen, was aus unserem Damhirsch geworden ist.«

»Er muss es wohl wissen«, setzte Marcotte hinzu. »Er konnte dort oben alles sehen.«

»Ich schwöre Ihnen, gnädiger Herr«, erwiderte Thibaut, »dass ich nicht weiß, was Sie mit dem Damhirsch meinen.«

»Was sagte der Schlingel?«, eiferte Marcotte, der sich freute, den Unwillen seines Herrn auf einen anderen zu lenken. »Er hat den Hirsch nicht gesehen? Er weiß nicht, was wir damit meinen! Sehen Sie, gnädiger Herr, hier auf dem Laub sieht man die Fährte des Hirsches ganz deutlich. An dieser Stelle standen die Hunde still … und jetzt ist weder auf zehn noch zwanzig noch hundert Schritte eine Fährte zu finden.«

»Du hörst es,« setzte der Junker hinzu, »du warst dort oben, der Damhirsch war gerade unter dir, er muss doch im Lauf mehr Geräusch gemacht haben als eine Maus, und du musst ihn bemerkt haben.«

»Er hat das Tier totgemacht«, sagte Marcotte, »und im Gebüsch versteckt. Das ist so klar wie der Tag.«

»Ach! Gnädiger Herr«, beteuerte Thibaut, der am besten wusste, dass sich der erste Jager irrte. »Bei allen Heiligen des Paradieses schwöre ich Ihnen, dass ich Ihren Damhirsch nicht totgemacht, dass ich ihm nicht ein Haar gekrümmt habe. Ich müsste ihn ja verwundet haben und er würde bluten. Suchen Sie nur, Sie werden keinen Tropfen finden. Womit sollte ich das arme Tier denn erlegt haben? Ich habe ja keine Waffe als mein Schnitzmesser. Sehen Sie nur, gnädiger Herr.«

Zum Unglück für Thibaut erschien der Jägerbursche Engoulevent, der die nahen Gebüsche durchsucht, mit dem Jagdspieß, welchen Thibaut versteckt hatte, ehe er auf den Baum geklettert war.

Er reichte dem Junker die Waffe. Engoulevent war offenbar der böse Genius des armen Thibaut.