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Der Schwur – Zweiter Teil – Kapitel 10

Der-SchwurDer Schwur
Historischer Roman aus dem mexikanischen Unabhängigkeitskrieg

Zweiter Teil
Ein moderner Odysseus

Kapitel 10
Ein gefährliches Wiedersehen

Einige Stunden nach der glücklichen Ankunft Cornelio Lantejas’ in Huajapam, während noch Dunkelheit die Stadt und das royalistische Lager bedeckten, rief das Rasseln der Klappern, die nun die in Kanonen verwandelten Glocken ersetzten, die Einwohner und die Garnison zur Frühmesse.

Gemäß der den Belagerten von Trujano vorgeschriebenen Order wurden sie auf diese Weise jeden Morgen zum Gebet zusammengerufen. Diesmal hatte diese nächtliche Zusammenkunft noch den Endzweck, sie für den feierlichen Tag vorzubereiten, der über das Ende einer langen und grausamen Besetzung entscheiden sollte.

Zu gleicher Zeit regte es sich im spanischen Lager beim Klang des Weckrufs. Hinter der Hügelkette, welche die Ebene begrenzte, setzte Morelos seine Armee bereits in Bewegung.

Nach und nach füllte sich der Hauptplatz Huajapams mit schweigenden Bürgern und Soldaten, die alle gut bewaffnet, sich zusammenscharten, um im Gebet die zum Kampf nötige Kraft und Energie zu erflehen. Die Reiter führten ihre gesattelten Pferde am Zügel und stellten sich wie Schatten der Nacht in die Reihe, die sie einzunehmen gewohnt waren.

Nun erschien auch Trujano, ernst und lächelnd zugleich, Vertrauen im Herzen und auf den Lippen. Der fromme Insurgent war nach seiner Gewohnheit mit einem langen, zweischneidigen Degen bewaffnet, der sich so oft in seinen Händen bewährt hatte. An seiner Seite schritt der Hauptmann Don Cornelio Lantejas als zeitweiliger Adjutant des Obersten einher, und hinter ihnen hielt ein Soldat zwei vollständig zum Kampf ausgerüstete Pferde am Zaum, das eine für Trujano, das andere für den Hauptmann.

Auf dem Rücken des für den Ex-Studenten der Theologie bestimmten Pferdes schaukelte sich eine lange, an dem einen Steigbügel und dem Sattelknopf befestigte Lanze. Hätte Don Cornelio den Grund sagen sollen, warum er sich so bewaffnet habe, würde er in nicht geringe Verlegenheit geraten sein. Das Pferd, das man ihm lieh, war so ausgerüstet, und er nahm auch die Lanze ohne Sträuben, wie er sich in das Gefecht führen ließ, weil er nicht anders konnte.

Das Gebet zog sich diesmal nicht in die Länge, denn schon begann die Morgendämmerung ihre ersten Lichtstrahlen zu verbreiten.

Der Oberst Trujano besaß eine gründliche Kenntnis der Heiligen Schrift, und die Kirchenväter, die ihm sehr bekannt waren, hatten sich, sozusagen, in sein Gedächtnis eingegraben. Er brauchte nur dies zurate zu ziehen. Mit einer Stimme, deren geringste Betonung zugleich Herz und Ohr auch der entfernt Stehenden ergriff, betete er folgende Verse her, welche die Umstände noch feierlicher machten.

»Das Volk, das in der Düsternis einherschreitet, hat eine große Helligkeit gesehen, der Tag ist über denen angebrochen, die im Reich des Schattens und des Todes wohnten.

Allerhöchster! Du hast dein Land gesegnet. Du hast Jakob aus der Knechtschaft befreit. Ehre dem Allerhöchsten!«

Und aus tausend Kehlen erscholl: »Ehre dem Allerhöchsten!«

Allmählich verschwanden die durchsichtigen Schleier der Dämmerung und einige über den fromm gebeugten Häuptern zerstreute, von leichtem Purpurschein angehauchte Wölkchen verkündeten schon den nahenden Sonnenaufgang.

Der letzte Sturm auf Huajapam sollte nach der am vorhergegangenen Tag getroffenen Verabredung im Kriegsrat erst nach der Mittagsmahlzeit unternommen werden. Man bereitete sich daher noch nicht im königlichen Lager vor und der zweifache Angriff Morelos’ und Trujanos konnte auf die Spanier wie ein Blitz einschlagen.

Das Lager war in drei ganz verschiedene Abteilungen, die fast wie drei ganz besondere Lager aussahen, geteilt. Die erste Kolonne, die, welche der Kommandant Regules befehligte, war der belagerten Stadt zunächst, die zweite, unter dem unmittelbaren Befehl Bonavias, bildete den Brennpunkt, die dritte endlich, von Caldelas kommandiert, befand sich in der Nachhut.

Unter diesen Umständen musste Trujano, wenn er seinen Ausfall ausführen, seine ersten Anstrengungen gegen Regules richten und Morelos die Nachhut unter dem Befehl Caldelas angreifen. Bonavia, der das Zentrum innehatte, blieb die Verpflichtung, demjenigen seiner Kameraden Hilfe zu schicken, der ihrer am meisten bedürfte.

Don Rafael hatte sein Zelt im Lager Caldelas. Er hatte diese Nacht wenig geschlafen. Der schwache Hoffnungsstrahl, der dem Auge des Hauptmanns geleuchtet hatte, war erloschen und eine düstere Schwermut hatte nach ihm in seiner Seele gegriffen.

Sowohl der Mensch, der mit Leidenschaft, als auch der, welcher in einem geringen Grad liebt, sind der eine wie der andere auf gleiche Weise unfähig, die Beweise der Liebe zu würdigen, die sie hervorrufen. Die Manie führt das Urteil irre und trübt den Blick des einen, die Trägheit macht den anderen unaufmerksam und zerstreut, alles geht unbemerkt an seinen Augen vorüber.

Don Rafael war in der Lage des Ersteren, und so sehr liebeglühend sich Gertrudis auch gegen ihn gezeigt hatte, so sagte er sich nicht, dass sie ihn kein Stück mehr liebe, sondern, dass sie ihn gar nie geliebt habe, dachte in keiner Weise daran, dass auch der Stolz einer Frau Tage hat, in denen er sich gegen das Herz empört. Daraus entsprang die vollständige Entmutigung, die sich seiner bemächtigt und seine einen Augenblick aufflackernde Hoffnung gelöscht hatte.

Müde, sich noch länger ohne Schlaf auf dem harten Lager des Soldaten im Feld hin und her zu wälzen, ließ er bei den ersten Klängen der Reveille sein Pferd satteln, um in einem Spazierritt einige Zerstreuung für seine finstere Melancholie zu suchen. Der Anblick der verwüsteten Ebenen, für die alle Hoffnung auf eine gesegnete Ernte verloren war, rief ihm zugleich seine süßen Träume in das Gedächtnis zurück, die bei ihrem Entstehen gleich wieder, wie die Knospe einer Blume, die man abpflückt, ehe sie noch aufgeblüht ist, zerstört worden waren. Ohne es nur zu bemerken, hatte er sich weiter als eine Stunde vom Lager entfernt, als er plötzlich mitten in dem tiefen Schweigen, das um ihn herrschte, zuerst zwar ganz undeutlich, dann aber bestimmter das dumpfe Geräusch einer auf dem Marsch befindlichen Heerkolonne vernahm.

Diese Wirklichkeit führte ihn aus dem Reich der Fantasie in das abenteuerliche Leben der Bürgerkriege zurück und gab den Gedanken, die ihn so lange beschäftigt hatten, eine andere Richtung. Er horchte noch aufmerksamer.

Seit den zwei Jahren, in denen sich der Hauptmann Tres-Villas fast unaufhörlich im Feld befand, konnte er sich sehr genau Rechenschaft über jedes Geräusch, das den Marsch einer Truppenabteilung anzeigt oder begleitet, geben.

Die abgemessenen Tritte, das entfernte dumpfe Rollen der Kanonen und der Pulverkarren waren ebenso deutlich für ihn, als ob er die Truppe selbst gesehen hätte.

Ohne Zweifel war dies eine Division, die zur Hilfe der Belagerten vorrückte. Die Alarmschüsse der vorhergehenden Nacht, die getötete Schildwache, das Hurrarufen der Belagerten am Morgen ließen keinen Zweifel in dieser Hinsicht mehr obwalten. Die Belagerten waren von der nahe bevorstehenden Ankunft der Heeresabteilung benachrichtigt worden, deren Marsch er jetzt vernahm.

Seiner Sache gewiss sprengte Don Rafael, um keine Minute zu versäumen, im gestreckten Galopp in das Lager Caldelas’ zurück und ließ Alarm schlagen.

Nachdem der erste Augenblick der Verwirrung vorüber war, erwarteten die Royalisten den Angriff, indem sie sich mit der Kaltblütigkeit, die die Disziplin verleiht, darauf vorbereiteten.

Jeder stand auf seinem Posten.

Die Sonne sandte ihre ersten Strahlen nieder. Bald zogen sich die von beiden Seiten vorgeschobenen Posten in ihr Lager zurück. In der Stadt hörte man den Psalm Venite exsultemus domini! (Kommt und lasst uns dem Herrn frohlocken.). Der Feldruf Viva Morelos! ertönte von der entgegengesetzten Seite. Später erklang die Stimme Galeanas und in dem Augenblick, als die religiösen Gesänge langsam verhallten und die Vivats verstummten, vernahm man sein wohlbekanntes Feldgeschrei Aqui está Galeana!, und ein doppeltes Gewehrfeuer eröffnete ein furchtbares Zwiegespräch auf beiden Seiten des spanischen Lagers. Die Eingeschlossenen wurden jetzt Belagerte.

 

***

 

Morelos, der seine Befehle an Galeana gegeben und ihm aufgetragen hatte, den Angriff zu leiten, postierte sich nun auf einer benachbarten Anhöhe und betrachtete, sein Fernrohr in der Hand, den Schauplatz des Kampfes.

Nachdem Trujano seinen Angriffsplan kaltblütig berechnet hatte, stürzte er mit dem ihm eigenen Ungestüm auf das Lager des Regules, während Galeana ein gleiches gegen das Caldelas’ unternahm. Von beiden Seiten hatte das Gewehrfeuer aufgehört, Belagerer und Besetzte kämpften mit der blanken Waffe gegeneinander.

Die Soldaten Trujanos hatten die des Regules, obgleich sie ihnen an Zahl nachstanden, mit solchem Ungestüm und Nachdruck angegriffen, dass diese der ersten Kollision nicht in guter Regelmäßigkeit hatten widerstehen können und Konfusion in ihren Gliedern einriss. Dennoch hielten sie sich gut, obgleich sie sich zurückzogen. Da aber der Stützpunkt, welcher Caldelas verteidigte, dem Angriff kräftiger die Stirn bot, so wurde Trujano mit seiner Handvoll Leuten im Schach gehalten.

Unterdessen vereinigten Bonavia und Caldelas alle ihre Anstrengungen, um dem Einfall Galeanas widerstehen zu können, der trotz seiner temperamentvollen Tapferkeit nicht weiter vordringen konnte, um sich mit Trujano zu vereinigen oder das spanische Lager in der Flanke zu fassen, das von zwei Seiten durch hügeliges, für Kavallerie unzugängliches Gelände geschützt war.

Es gibt gewisse Männer, in deren Nähe es unmöglich ist, sich nicht auch kampfesmutig zu fühlen, oder wenigstens doch davon die Präsenz zu haben, wenn man gezwungen ist, an ihrer Seite zu kämpfen.

Zu der Zahl der Männer, deren flammende Courage ansteckend ist, gehörte auch Trujano, und an seiner Seite rechtfertigte Lantejas den Schein seiner Tapferkeit.

Die Entscheidung des Kampfes wogte lange Zeit hin und her, ohne dass der mit Bitterkeit streitig gemachte Sieg sich für oder gegen die Spanier zu entscheiden schien, als Trujana den Schweiß, der ihm von der Stirn rann, abwischend, sich an Don Cornelio wandte.

»Wir werden nie unseren Zweck erreichen, mit so wenig Einsatzgruppen die Linie zu durchbrechen«, bemerkte er, »jagt in vollem Galopp zum General und sagt ihm, dass das Gelingen dieses Tages nur von zwei oder drei Bataillonen Verstärkung, deren ich benötige, abhängt. Beeilt Euch, ich werde während dieser Zeit den Mut und überhaupt die Kraft meiner braven Garnison aufrechtzuerhalten suchen.«

Don Cornelio brauchte nur einen Umweg längs der Hügel zu machen, die das Lager deckten, um zum kommandierenden General zu gelangen und seinen Auftrag auszurichten.

Der Adjutant sprengte im Galopp davon, seine Lanze in der Hand.

In demselben Moment machte sich von der entgegengesetzten Seite auf Befehl des Regules auch ein Offizier auf den Weg, um einen ähnlichen Auftrag dem spanischen kommandierenden General zu überbringen, nur dass dieser pünktlicher ankam, als Don Cornelio.

Ungeachtet der Missbilligung Caldelas’ beeilte sich Bonavia, dem Kommandanten Regules die erbetene Stütze zu senden.

»Der Mann wird die Ursache unsrer Niederlage sein«, sagte Caldelas zu Don Rafael, der, auf seinem herrlichen Pferd el Roncador reitend, fast übermenschliche Anstrengungen machte, um sich bis zu Galeana durchzuarbeiten, dessen Kriegsgezeter, häufig wie eine Herausforderung ausgestoßen, anfing, Krawall in den Reihen der spanischen Soldaten zu erzeugen. »Aber so wahr Gott lebt«, fügte Caldelas hinzu, »wenn uns durch seine Schuld ein Unglück trifft, zerschmettere ich ihm das Gehirn und jage mir nachher auch eine Kugel durch den Kopf.«

Als der Kommandeur diese Worte beendet hatte, entstand eine plötzliche Bewegung vor ihm, und die Soldaten fingen an, sich vor den verdoppelten Angriffen Galeanas zurückzuziehen.

Das, was Caldelas vorausgesehen hatte, stand jetzt in der Phase sich zu erfüllen. Um Regules zu Hilfe zu eilen, hatte der spanische General seine Front zu sehr geschwächt. Unordnung riss in den Reihen der Soldaten ein, sie wurden durchbrochen und lösten sich bald in hemmungsloser Flucht auf.

Durch seine lang eingewurzelte Abscheu verblendet, riss Caldelas sein Pferd herum, überließ Don Rafael die Sorge, die zerstreuten Soldaten wieder zu sammeln, und sprengte zu der Seite, wo er Regules finden musste.

Unterdessen hatte der Adjutant Trujanos, der Anführer Don Cornelio, dem durchaus nichts daran lag, unter die Kämpfenden zu geraten, ein großes Maisfeld umgangen. Von Zeit zu Zeit versuchte er den Pfad zu erforschen, den er einschlug, aber die Maishalme, die ihn verbargen, machten es ihm unmöglich, zu erkennen, ob er noch weit von den Truppen Galeanas entfernt sei.

Als er sich in paralleler Strecke mit Galeana glaubte, warf er sich ohne Besinnen in vollem Galopp in einen schmalen Weg, der das Terrain durchschnitt. Zur Seite der Kämpfenden war dieser Steg durch einige Büsche und Sträucher verdeckt, die jede Aussicht nahmen. Kaum hatte Don Cornelio diese Schranke hinter sich, als er sich zu seinem großen Schrecken mitten unter den spanischen Soldaten befand, die einen Halbkreis mit ihren Degen, Gewehren und Spießen um ihn bildeten.

Gerade jetzt, als Lantejas, von dem Übermaß seiner Kühnheit mit Recht erschreckt, sein Pferd herumriss, um in den Hohlweg zurückzuspringen, den er soeben verlassen hatte, befand er sich einem spanischen Reiter mit aufgebrachten Gebärden, der unter entsetzlichen Verwünschungen ein Schießeisen in der Hand schwenkte, gegenüber.

Die Augen des Reiters schleuderten Blitze der Wut, indem sie begierig über die Kämpfenden hinschweiften, und obwohl er selbst die Anwesenheit Don Cornelios nicht zu argwöhnen schien, zweifelte doch dieser keineswegs daran, dass dieser formidable Offizier nur ihn suche, um ihn zu töten, oder dass er ihm wenigstens den Retirade zum Hohlweg, wo er sich so gern in Sicherheit befunden hätte, abschneiden wolle.

Dem Offizier war gewiss nichts ferner, als diese Absicht. Aber Don Cornelio versetzte ihm mit der Entschlossenheit, welche die Verzweiflung auch dem Mutlosesten einflößt, einen so heftigen Lanzenstoß, der ihn leblos vom Pferd stürzte.

Ein Schmerzensruf hallte in des Capitanos Ohren wieder, der sich schleunigst zu dem unbesetzt gebliebenen Pfad wandte, indem er sich selbst die unantastbare Verpflichtung auferlegte, dieses Mal, um nicht wieder in solche Lage zu geraten, das Plateau zu umreiten, selbst auf die Gefahr hin, erst in einer bedeutenden Entfernung vom Schlachtfeld wieder zum Vorschein zu kommen.

Da erschollen hinter dem Ex-Studenten eine furchterregende Stimme und das raue Schnaufen eines Pferdes, das ihm wie das Fauchen eines Jaguars vorkam. Um bequemer fliehen zu können, warf Don Lantejas seine Lanze weit von sich fort, das fremdartige Schnaufen des Pferdes, das mit seinen Hufen den Boden in pfeilgeschwindem Lauf zerstampfte, näherte sich mit hoher Schnelligkeit.

Der Hauptmann trieb sein Pferd mit aller Macht an.

 

***

 

Von einigen Ordonanz-Offizieren umgeben, die bald gingen, bald kamen, fuhr Morelos, sein Fernrohr in der Hand, fort, mit ungeschwächter Aufmerksamkeit alle Vorfälle des Gefechts auf der Ebene zu beobachten.

Er hatte den Hauptmann Lantejas sein Pferd zu dem mit Mais bedeckten Plateau herumwerfen sehen.

»Ei! Wenn ich mich nicht täusche, jagt dort unten der Hauptmann Lantejas«, sagte Morelos zu einem seiner Offiziere. »Was mag der im Schilde führen? Irgendeinen entscheidenden, unerwarteten Streich, womit er sich immer hervortut, wie bei der Belagerung von Cuautla, wo er, indem er sein Pferd zwischen mich und den spanischen Riesen trieb, der mir mit seinem Degen den Schädel spalten wollte, den Hieb auffing und mich so rettete. Glücklicherweise drehte sich der Degen in der Hand des Soldaten und der Capitano, der von der flachen Klinge getroffen wurde, kam mit einem Sturz vom Pferd davon.«

»Herr General, es gibt Übelwollende, die nicht verhehlt haben, zu behaupten, dass … dass …«

Der Ordonanz-Offizier wagte seinen Satz nicht zu vollenden.

»Was hat wer behauptet?«

»Dass sein Pferd mit ihm durchgegangen wäre, Exzellenz.«

»Das sind überspitzte Berichte!«, erwiderte Morelos im strengen Ton. »Übrigens ist der Neid die Weihe des Verdienstes.«

Gerade jetzt bog Cornelio in den Hohlweg ein und entschwand den Augen Morelos’, dessen Blick nun unverwandt auf dem spanischen Offizier ruhte, der durch sein wütendes Aussehen den Hauptmann Lantejas so heftig erschreckte.

»Ei was!«, rief er plötzlich, den Offizier erkennend, »das ist der tapfere Caldelas, der wie ein Toller davonjagt.«

Und wirklich war es auch Caldelas, der Regules aufsuchte, um die Drohung zu erfüllen, die er vorher ausgestoßen hatte.

»Seht nur! Was behauptete ich vorhin von Don Cornelio?«, rief Morelos voller Freude aus. »O! Dieser prächtige Lanzenstoß, mit dem er soeben den furchtbaren aller unserer Feinde dort unten auf die Erde gestreckt hat. Der Sieg ist unser!«, fuhr er fort. »Seht, die Reihen der Spanier lösen sich auf, sie suchen Abstand und alles dadurch, weil der tapfere Anführer getötet worden ist.«

»Nun! Señor«, fügte der General hinzu, »diese Tat wird wohl allen Verleumdern Don Cornelios den Mund stopfen. Wem verdanken wir denn den Sieg, wenn nicht ihm? Nun! Ihr werdet ihn mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit herankommen sehen, indem er uns sagen wird, nichts als seine Pflicht getan zu haben.«

»Viva Christo! Wenn er übrigens mit dem Wahn kommt, Lobeserhebungen zu hören, wird er nichts als einen Verweis erhalten!«

»Don Cornelio ist zu waghalsig.«

»Glücklich sind diejenigen, denen Euer Exzellenz auf die Art einen Verweis gibt!«, sagte der Offizier.

»Nun, der Kampf ist beendet!«, setzte der mexikanische General hinzu, »die Belagerung ist aufgehoben, die Feinde befinden sich vollständig auf dem Rückzug. Auf, nach Yanguitlan! Und dann werden wir unsere Winterquartiere in Oajaca nehmen.«

Morelos stieg wieder aufs Pferd, setzte ihm die Sporen in die Weichen und ritt, von seinen Offizieren gefolgt, davon.

Alles war indessen noch nicht beendigt, und Galeana ereiferte sich gegen einige Trümmer der spanischen Armee, die immer noch Widerstand leisteten.

Trujano, der Herr der Komponente des Schlachtfeldes geblieben war, auf dem er gekämpft hatte, bemühte sich vergebens, zu erfahren, was aus dem Soldaten geworden war, den er um Verstärkung zu holen abgeschickt hatte. Auch Costal beunruhigte sich, Don Cornelio nicht wiederkommen zu sehen.

Die Lage des Capitanos war übrigens, aus der Erbitterung des Reiters zu schließen, der ihn verfolgte, eine höchst bedenkliche und er fühlte sich nie einer größeren Gefahr ausgesetzt wie dieses Mal. Als er das Ende des Hohlweges erreicht hatte, fühlte er hinter sich den warmen Atem des Reiters, der ihn so hartnäckig verfolgte. Der Kopf des Pferdes, dessen Schnaufen ihm zu gleicher Zeit so sonderbar und so abscheulich vorkam, befand sich fast in einer Linie mit dem des seinen, und eine Faust ergriff ihn beim Kragen seiner prächtigen Uniform.

Mit einem Ruck war Lantejas aus dem Sattel gehoben. Im nächsten Moment wurde er rückwärts gerissen und ohne Umstände auf den Rücken quer über den Sattel seines Gegners geworfen. Er sah einen mit spitzem Dolch bewaffneten Arm sich erheben, bereit, seinen kühnen Unternehmungen für immer ein Ende zu machen. Eine Sekunde lang glänzte über Dolch über ihm, wie das feurige Schwert des Erzengels. Er schloss die Augen, indem er glaubte, sein letztes Stündlein habe geschlagen, als plötzlich die Hand sank und er eine Stimme rufen hörte.

»Ei, ei! Señor Cornelio Lantejas!«

Der Soldat öffnete die Augen und erkannte nun auch seinerseits den kräftigen Offizier, mit dem er auf dem Weg zur Hazienda las Palmas zusammengetroffen war; den Obersten Don Rafael Tres-Villas.

Obwohl der Oberst einen tiefen Groll gegen den gefasst, der seinen alten Waffengefährten Caldelas getötet hatte, so lag doch etwas so befremdend Komisches in den Gesichtszügen Lantejas’ und so viel Makellosigkeit in seiner Haltung, dass sein Groll augenblicklich schwand.

Dann erinnerte eine Eingebung, schnell wie ein Lichtblitz, Don Rafael an alle jene zugleich so schrecklichen und so delikaten Tage, als er, sich von dem Studenten der Theologie trennend, sich beeilte, Gertrudis nach einer langen Abwesenheit wiederzusehen und das Geständnis einer leider zu schnell vergessenen Liebe zu erhalten.

Alle diese Dinge zusammengefasst und bestens die Erinnerung an die Tochter Don Marianos dienten Don Cornelio als sicheren Schild.

Ein extraordinäres Lächeln umzog die Lippen Don Rafaels, wenn er bedachte, dass dieser schwächliche und bleiche Offizier dem tapferen Caldelas den Tod gegeben, dessen Blick er vielleicht nicht auszuhalten gewagt hatte. Die Stunde des Spaniers war gekommen!

»Dankt dem Himmel«, sagte er zu ihm, »dass Ihr in die Hände eines Mannes gefallen seid, den alte Erinnerungen verhindern, an Euch den Tod des tapferen Caldelas, des tapferen spanischen Wehrführers, zu rächen!«

»Ach, der brave Caldelas ist tot!«, rief Lantejas, »wäre es möglich? Aber es muss wahr sein, da Ihr es sagt. Jedenfalls verzeihe ich ihm«, fügte er in der Verwirrung seiner Sinne hinzu, »und Euch auch.«

»Das ist sehr großmütig«, erwiderte Don Rafael.

»Mehr als Ihr es glaubt«, behauptete Lantejas, der bei der Stimme seines Feindes, die ihm Verzeihung seiner Heldentat verhieß, wieder einigen Edelmut gesammelt hatte, »denn dieser Offizier und Ihr, Ihr habt mir einen nicht zu beschreibenden Gräuel eingeflößt. »Señor Don Rafael, zum Plaudern befinde ich mich in einer nicht allzu angenehmen Lage.«

»Ihr werdet mir es auch noch verzeihen, wenn ich Euch mit heiler Haut auf Eure Füße stelle«, bestimmte der Oberst, »und das möge nach Eurem Verlangen geschehen.«

Mit diesen Worten ließ er Don Cornelio sanft auf die Erde gleiten, bis er auf seinen Füßen stand.

»Adieu, Capitano«, sagte der Oberst; »ich verlasse Euch mit dem Bedauern, nicht Zeit zu haben, um erfahren zu können, wie es gekommen ist, dass aus dem so friedlichen Studenten, der sein Ekel gegen die Insurrektion aus dem Hirtenbrief des hochwürdigen Herrn, Seiner Gnaden des Erzbischofs von Oajaca, geschöpft zu haben schien, jetzt ein Hauptmann der Insurgenten geworden ist?«

»Ich wäre auch begierig zu wissen, durch welchen Umbruch der Captain der Königin-Dragoner, der die Verordnung, die gegen die Insurrektion erging, nicht eben mit günstigem Auge betrachtete, heute einer der Feinde ist, der ihr den meisten Zerfall zufügt. Wenn Ihr zufrieden seid, so wollen wir uns hier niedersetzen und uns wie die Ritter des Mittelalters, die ihre tödlichen Zweikämpfe unterbrochen, um auf der Landstraße miteinander zu plaudern, was mir viel angenehmer wäre, als wieder in den Kampf zurückzukehren, unsere Geschicke erzählen.«

Eine Wolke leidender Schwermut zog wie ein Schatten über die Züge Don Rafaels, als Don Cornelio einen Wink auf den Umbruch seiner früheren Ansichten gab. Diese beiden Offiziere boten ein bezwingendes Beispiel von der Ohnmacht der Menschen dar, den Lauf des Schicksals zu beherrschen und sich davor zu schützen, der Spielball der Ereignisse zu sein. Beide dienten gegen ihren Willen einer Sache, der sie sich nicht freiwillig in die Arme geworfen haben würden.

Von allen Seiten des Schlachtfeldes erschallte Triumphgeschrei, ohne dass aber der eine oder der andere hätte erraten können, welche von beiden Parteien den Sieg davongetragen hatte, und unterbrach ihre Unterhaltung.

»Ah, Señor Don Rafael!«, rief der Ex-Student, »wenn wir besiegt sind, bin ich Euer Gefangener.«

»Wenn Ihr Sieger seid, bin ich aber nicht der Eure!«, antwortete der Oberst mit einem Anflug von Geringschätzung, die er nicht verbergen konnte.

Mit diesen Worten ergriff er die Zügel seines Pferdes, als plötzlich von beiden Seiten des Hohlwegs eine Anzahl Reiter der Insurgentenpartei erschien und Costal mit gewaltiger Stimme rief: »Señor Colonel, Don Cornelio ist da, frisch und gesund!«

Nun sah sich Don Rafael von Feinden umringt.

Die Lage des Besiegers Don Cornelios war jetzt eben so misslich geworden, als es einige Minuten vorher die des Hauptmanns war. Seine Pistolen waren abgeschossen und in der Hitze des Gefechtes hatte er den Stumpf seines Degens, der in seiner Hand zerbrochen war, weggeworfen. Die einzige Waffe, worauf er sich nun beschränkt sah, war der Dolch, der einen Augenblick über Don Cornelio geschwebt hatte.

In diesen Vertilgungskriegen, in denen man möglichst wenige Gefangene machte, geschah es selten, dass die Insurgenten, durch die grausame Niedermetzelung der ihren aufgebracht, einem royalistischen Gefangenen das Leben schenkten, selbst wenn er sich ergeben hatte. Don Rafael traf daher Anstalten, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, um nicht in die Hände seiner unerbittlichen Feinde, von denen er keine Schonung erwarten konnte, zu fallen, als eine Stimme, deren Klang ihm bekannt war, dem Hauptmann Don Cornelio zurief: »Kommt hierher, Hauptmann! Der General will Euch zu dem Sieg, den Ihr ihm errungen habt, beglückwünschten.«

Don Rafael erkannte augenblicklich den Reiter, der herangesprengt kam, der er diese Worte ausrief. Er konnte es sich selbst nicht verhehlen, so tapfer er auch war, dass er eine gewisse Zufriedenheit empfand, in seinem Gegner den Oberst Don Trujano, den ehemaligen Maultiertreiber zu erkennen. Trujano seinerseits hatte sich ebenfalls sogleich des royalistischen Offiziers erinnert. Zu stolz indessen, um sich zuerst auf ehemalige Verbindungen mit einem seiner Feinde, die ihn als Sieger umgaben, zu berufen, selbst bei dem Mann, dem er in Erwiderung des unermesslichen Dienstes, den er ihm einst geleistet, das Leben gerettet hatte, trieb Don Rafael sein Pferd so ungestüm auf Trujano los, dass er ihn ohne Zweifel niedergeritten haben würde, wenn nicht eine Hand den Zügel heftig zurückriss. Diese Hand war die Don Cornelios.

Auf die Gefahr hin, sich unter den Hufen der beiden Pferde, die aufeinander losstürzen zu wollen schienen, zermalmen zu lassen, hatte sich Don Cornelio, der noch tief gerührt von der Großmut des Obersten gegen ihn war, wie ein Vermittler zwischen Don Rafael und Trujano geworfen.

»Señor Trujano!«, rief der Hauptmann, »ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, indem Ihr von einem Triumph sprecht, den mir der General verdanken soll. Wenn ich aber ein Recht auf irgendeine Vergünstigung habe, so beanspruche ich weiter keine, als das Leben und die Freiheit Don Rafael Tres-Villas.«

»Ich spreche niemanden um eine Gnade an«, unterbrach ihn der Oberst mit Stolz.

»Werdet Ihr mir wenigstens die bewilligen, mir Eure Hand zu reichen?«, entgegnete Trujano, die seine herzlich dem Obersten darbietend.

»Nie einem Gewinner!«, erwiderte der Colonel, nichtsdestoweniger unwillkürlich von den Worten seines Gegners gerührt.

»Hier gibt es weder Sieger noch Besiegte«, sagte der Oberst Trujano mit diesem Blick und diesem Lächeln, das ihm alle Herzen gewann, wenn nicht gerade religiöse Strenge den Ausdruck biederer Sanftmut vermischte. »Hier ist nur ein Mann, der sich erinnert.«

»Und ein anderer, der nicht vergessen hat!«, rief Don Rafael, mit Vertraulichkeit die ausgestreckte Rechte Trujanos ergreifend.

Dann ritten sie einander näher und tauschten eine herzliche Umarmung aus.

Trujano benutzte diese Gelegenheit, um seinem Gegenspieler ganz leise mit einem Zartgefühl, das den Oberst noch tiefer rührte, da es seinen Hochmut nicht beleidigte, ins Ohr zu flüstern: »Geht, Ihr seid frei, und lasst nicht wieder den gefangenen Frauen die Haare abscheren, obwohl es eine gegeben hat, deren Herz dabei vor Stolz hüpfte, indem sie den Auslöser erriet, weshalb der Sieger von Aguas Calientes ihr diese schreckliche ferne Erinnerung neu belebte.« Dann fügte er hinzu, indem er sich plötzlich aus der konvulsivischen Umarmung Don Rafaels losmachte. »Geht und stellt Euch als Inhaftierter in der Hazienda las Palmas. Señor Colonel, der Weg steht Euch offen. Geht hin, glaubt meinen Worten!«

Dann nahm sein Gesicht, als ob er sich schon zu lange mit weltlichen Dingen beschäftigt hätte, den gewöhnlichen Ausdruck asketischer Strenge wieder an.

Als die Augen Don Rafaels ihn um den wahren Sinngehalt seiner letzten fünf Worte befragten, rief der Insurgenten-Chef: »Lasst den Oberst Tres-Villas frei passieren, und dass jeder vergisst, was hier soeben vorgegangen.«

Er senkte seinen Degen zum Gruß Don Rafaels, der, noch ganz verwirrt, nur einen Blick inniger Dankbarkeit auf ihn zu richten vermochte. Der Oberst drückte Don Cornelio die Hand und sprengte, den Übrigen eine kalte Verbeugung machend, zum Ausgang des Hohlweges, ohne zu wissen, wohin er sich später wenden sollte.

Als er sich nachher allein sah, mäßigte er den Gang seines Pferdes. Waren die letzten Worte Trujanos Gehet hin, glaubt meinen Worten! vielleicht ein Zeichen des wohlwollenden Empfangs, der seiner auf der Hazienda las Palmas harrte? Sollte er dort zuerst vorsprechen, ehe er sich mit dem Leutnant Veraegui in der Hazienda del Valle vereinigte, um seinen letzten Zug gegen Arroyo zu unternehmen?

Dieses Mal trat die Liebe noch mit der Verbindlichkeit in den Kampf. Don Rafael würde nicht so lange Moral genommen haben, sich zu der Hazienda del Valle zu begeben, wenn eine gütige Fee ihn in Ahnung gesetzt hätte, dass zu derselben Stunde und dreißig Meilen von ihm ein Vorfall von solcher Beschaffenheit stattfände, der es ihm gestattete, zum ersten Mal seine Pflicht mit seiner Liebe zu vereinigen.

Ein Bote, und zwar derselbe, der einige Tage vorher das Pferd Don Rafaels zur Hazienda del Valle zurückgeführt hatte, erschien dort von Neuem, diesmal aber mit einer rein persönlichen Botschaft für Don Rafael Tres-Villas.

Der Leutnant Veraegui, ein ziemlich brüsker Katalonier, empfing ihn.

»Woher kommt Ihr?«, fragte er ihn.

»Von Oajaca!«

»Wer schickt Euch?«

»Don Mariano Silva!«

»Was wollt Ihr vom Oberst?«

»Ich darf es nur dem Offizier selbst sagen«, war die Antwort.

»Dann sucht ihn in Huajapam, wenn Ihr es nicht vorzieht, hier einige Tage lang seine Ankunft abzuwarten!«, schlug der Katalonier vor.

»Ich will ihn lieber aufsuchen. Die Botschaft, die ich habe, duldet keine Verzögerung.«

Der Bote befand sich also in gleichzeitig auf dem Weg nach Huajapam, als Don Rafael sich davon entfernte und in Verunsicherung schwebte, wohin er sich wenden sollte.

Während der Oberst noch schwankte, ließ Trujano, der auf das mit Toten und Trümmern übersäte Gefechtsfeld zurückgekehrt war, seine Leute niederknien, um dem Herrn der Heerscharen, der sie von den Schrecken einer so langen und grausamen Belagerung befreit hatte, einer öffentlichen Darbietung des Dankes darzubringen.

Morelos hatte gleicherweise seine Truppen niederknien lassen und Don Rafael war noch nicht entfernt genug, als dass nicht der Klang der Gesänge zu ihm gelangt wäre.

Bei diesen fernen Chorälen, die niederdrückend in seine Ohren drangen, füllten Tränen der Trauer seine Augen. Er erinnerte sich aller der Umstände wieder, die ihn gezwungen hatten, von seinen ursprünglichen Plänen abzuweichen. Er dachte, dass, wenn er nur auf seine großmütigen Regungen hätte hören können und nicht durch eine schreckliche Schuldigkeit fortgerissen worden wäre, seine Stimme sich jetzt als eine der Ersten mit denen gemischt hätte, die Gott für den Sieg dankten, den die Sache, zu deren unversöhnlichen Feind er sich gemacht, errungen hatte.

Don Rafael schüttelte diese Gedanken von sich ab und beschloss, zu der Hazienda del Valle zu gehen, um hier auf dem Grab seines Vaters seine Seele wieder in ihren Vorsätzen zu vertiefen.