Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Fantomas – Kapitel 13


Thérèses Zukunft

Etienne Rambert war im Rauchsalon seines Hauses, das er einige Monate zuvor am Place Pereire in der Rue Eugene-Flachat erworben hatte, rauchend und in eine Unterhaltung mit seinem alten Freund Barbey vertieft, der zugleich sein Bankier war.

Die beiden hatten über Investitionen gesprochen, wobei der wohlhabende Kaufmann erhebliches Desinteresse gegenüber den Empfehlungen des Bankiers, was Staatsanleihen betraf, gezeigt hatte.

»Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, mein lieber Freund«, sagte er schließlich, »diese Anlagen haben für mich keinen Reiz. Ich bin gewohnt, in größerem Maßstab zu denken – bin also beinahe das, was Sie einen Hasardeur nennen würden. Natürlich wissen Sie, dass nichts so riskant ist wie die Finanzierung von Kautschukplantagen. Zweifellos hat sich dieser Geschäftszweig prächtig entwickelt, seit diese Motorwagen so populär geworden sind, aber Sie erinnern sich sicher, dass ich mich beteiligte, als niemand voraussehen konnte, welchen immensen Markt diese neue Art der Fortbewegung für unsere Produktion eröffnen würde. Das sollte Ihnen Beweis genug sein, dass ich kein Hasenfuß bin, wenn es darum geht, Geld zu riskieren.«

Der Bankier nickte. Sein Freund zeigte für einen Mann seines Alters sicherlich eine außerordentliche Kraft und Willensstärke.

»Es ist tatsächlich so«, fuhr Monsieur Rambert fort, »dass jede Unternehmung, bei der ich nicht die Geschäfte führe, mich kaum interessiert. Ich kann, wie Sie wissen, ohne Übertreibung sagen, dass mein Vermögen groß genug ist, um gewisse finanzielle Risiken eingehen zu können, ohne fürchten zu müssen, dass mein gesellschaftlicher Status leidet, sollte die Investition fehlschlagen. Ich habe einen guten Instinkt.«

»Den haben Sie zweifellos«, sagte Monsieur Barbey mit einigem Enthusiasmus. »Ich scheue mich nicht, Ihnen zu sagen, dass, wäre ich nicht Ihr Bankier und würde ich nicht eine gewisse Verantwortung für Ihre Anlagen tragen, ich nicht zögern würde, Ihnen ein Angebot zu unterbreiten, das mir schon seit ein oder zwei Jahren nicht mehr aus dem Kopf geht.«

»Eine eigene Geschäftsidee, Barbey?«, sagte Monsieur Rambert. »Wie kommt es, dass Sie mir nie davon erzählt haben? Ich dachte, wir wären eng genug befreundet.«

Der Seitenhieb pikierte den Bankier, ermunterte ihn aber auch fortzufahren.

»Es ist eine eher delikate Angelegenheit, weshalb Sie mein Zögern verstehen werden wenn ich – und ich bin nun ganz offen – sage, dass dies keine gewöhnliche Spekulation ist, wie ich sie meinen Kunden für gewöhnlich anbiete. Es ist eine Investition, die mich persönlich betrifft: Kurz gesagt, ich gedenke, das Kapital meiner Bank zu erhöhen, um mein Stammhaus in ein wirklich großes Unternehmen zu verwandeln.«

»Oh«, sagte Monsieur Etienne Rambert, halb zu sich selbst. »Da liegen Sie goldrichtig, Barbey. Wenn Sie damit aber vorschlagen wollen, dass ich Sie bei der Finanzierung unterstütze, sollten Sie lieber alle Karten auf den Tisch legen und mir klipp und klar sagen, wo Sie stehen. Ich muss wohl kaum erwähnen, dass ich, sollte nichts aus unserem Geschäft werden, alle Informationen, die Sie mir geben, als absolut vertraulich behandeln würde.«

Die beiden Männer vertieften sich in das Thema und diskutierten das Für und Wider für eine gute halbe Stunde, machten endlose Berechnungen und bedachten alle Rahmenbedingungen. Schließlich warf Rambert seinen Stift auf den Tisch und sah auf.

»Ich bin es gewohnt, solche Dinge auf die amerikanische Art zu regeln, Barbey. Im Prinzip gefällt mir Ihr Angebot sehr gut, aber ich werde nicht einer Ihrer Investoren. Wenn Sie mich im Boot haben wollen, werde ich entweder der Einzige sein oder mich gar nicht beteiligen. Ich weiß, was sie auf dem Herzen haben«, fuhr er mit einem Lächeln fort, als er die Überraschung des Bankiers bemerkte. »Sie kennen mein Vermögen oder glauben es zu kennen. Sie sind nun verwundert, woher ich die grob geschätzten eine Million nehmen soll, die Sie haben wollen. Nun, um Sie zu beruhigen. Wenn ich so rede, dann doch nur, weil ich die Summe zur Verfügung habe.«

Die Verbeugung des Bankiers war ehrerbietig und Monsieur Rambert fuhr fort: »Ja, die letzten beiden Jahre waren gut, sogar sehr gut für mich. Ich habe ein paar vorteilhafte Spekulationen gemacht und mein Kapital wurde durch einige Gewinne zusätzlich vergrößert, die sich in letzter Zeit gut entwickelt haben. »Also«, brach er mit einem Seufzer ab, »ich denke, man kann wohl nicht immer nur Pech haben, auch wenn Geld die Wunden des Herzens nicht heilen, nicht einmal zu lindern vermag.«

Der Bankier antwortete nicht. Er wollte nicht mit verfrühten Äußerungen die schlimmen Erinnerungen wecken, die der alte Mann noch nicht verwunden hatte. Doch Monsieur Rambert kehrte schnell zu seinem geschäftsmäßigen Ton zurück.

»Ich bin geneigt, mich für eine finanzielle Beteiligung zu erwärmen, Barbey. Aber Sie müssen verstehen, dass Sie mit mir weit mehr bekommen als nur einen stillen Teilhaber. Wäre Ihnen das recht? Ich werde von Ihnen nicht verlangen, dass Sie Ihre Kompetenzen abtreten, aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich alle Geschäfte ihres Hauses aufmerksam beobachten werde.«

»Zwischen uns soll es keine Geheimnisse geben, mein lieber Freund, mein geschätzter Partner, wenn ich Sie so nennen darf«, sagte Monsieur Barbey und erhob sich. »Ganz im Gegenteil!«

Der Bankier blickte zum Kaminsims in der Erwartung, dort eine Uhr vorzufinden. Rambert verstand die Geste und zog seine Taschenuhr hervor.

»Zwanzig vor elf, Barbey. Für Sie bereits eine vorgerückte Stunde. Sie sollten sich auf den Weg machen.« Er unterbrach die halbherzigen Entschuldigungen des Bankiers, den Abend nicht ausdehnen zu können. »Ich setze Sie ganz unzeremoniell vor die Tür, mein lieber Freund, denn wie Sie wissen, bin ich heute Abend nicht so einsam, wie ich es sonst zu sein pflege. Ich habe eine junge und überaus charmante Gesellschaft, für die ich die größte Zuneigung empfinde und die ich nun aufzusuchen gedenke.«

Monsieur Etienne Rambert führte seinen Freund zur Vordertür, lauschte, bis das Geräusch seines Automobils in der Ferne verklungen war und ging dann durch die Halle. Aber statt in den Salon zurückzukehren, wandte er sich dem daneben gelegenen Zeichenraum zu. Im Durchgang hielt er einen Moment inne, die charmante Szene betrachtend, die sich seinen Augen bot.

Gedämpftes Licht von einer elektrischen Lampe fiel auf den gesenkten Kopf, das ovale Gesicht und die fein geschnittenen Züge von Therese Auvernois, die in ein Buch vertieft war. Das Mädchen war gerade dabei, sich vom Kind in eine junge Frau zu verwandeln, wobei die Trauer ihr eine neue Ernsthaftigkeit verlieh. Ihre Figur war zart und schlank, zerbrechlich und graziös und ihre langen, schmalen Finger schlugen die Seiten des Buches langsam und gleichmäßig auf. Mademoiselle Therese wandte sich Etienne Rambert zu, als sie ihn hereinkommen hörte. Ihr Buch ablegend kam sie zu ihm, um ihn zu begrüßen, wobei sie sich elegant und leichtfüßig bewegte.

»Ich halte Sie sicherlich viel zu lange wach, mein lieber Monsieur Rambert«, sagte sie entschuldigend, »aber was kann ich tun? Ich muss auf die Baronne de Vibray warten, und die Gute bleibt immer schrecklich lange weg!«

Die Tragödie, die sich auf dem Château Beaulieu ereignet hatte, hatte alle Bande der Freundschaft aller Vertrauten der Marquise de Langrune nur noch fester zusammengeschweißt. Vor den Ereignissen hatte Etienne Rambert die Baronne de Vibray kaum gekannt. Nun aber waren sie intime Freunde. Die Baronne hatte ihre großherzigen Bemühungen nie ruhen lassen, bis sie das Familiengericht schließlich überzeugte, sie zum Vormund der verwaisten Therese Auvernois zu bestimmen. Zunächst ließ sie das Kind in Querelles wohnen und blieb dort bei ihr, um ein beschauliches Leben zu führen, teils aus Respekt vor Thereses Trauer, teils weil sie selbst so sehr von dieser schrecklichen Tragödie erschüttert war. Sie genoss sogar die Ruhe, ebenso wie ihre neue Mutterrolle oder besser gesagt die Rolle einer großen Schwester für Therese. Doch als die Wochen vergingen und die Zeit ihr heilendes Werk verrichtete, rief Paris die Baronne einmal mehr zu sich, sodass sie schließlich den Bitten ihrer zahlreichen Freunde nachkam und ihr neues Mündel in die Hauptstadt brachte, um mit ihr in ein kleines Appartement in der Rue Boisse d’Anglais zu ziehen. Anfangs verkündete sie, dass sie nie ausgehen würde und wenn überhaupt nur die nötigsten Besuche zu machen gedenke, aber nach und nach akzeptierte sie erst eine und dann weitere Einladungen, trotz der quälenden Notwendigkeit, Therese deshalb für mehrere Stunden allein lassen zu müssen.

Glücklicherweise gab es da immer Etienne Rambert, der sich auch gerade in Paris aufhielt. So hatte es sich die Baronne de Vibray zur Gewohnheit gemacht, Therese der Obhut Etienne Ramberts anzuvertrauen, wenn sie auswärts dinierte, zumal sich das junge Mädchen und der alte Mann blendend verstanden. Ihre Herzen waren sich über jenem schrecklichen Abgrund begegnet, den das Schicksal zwischen ihnen aufgerissen hatte.

Auf Thereses letzte Worte antwortete Etienne Rambert: »Du musst dich doch nicht entschuldigen, weil du lange bleibst, mein liebes Kind. Du weißt, wie gerne ich dich um mich habe. Ich wünschte, dieses Haus wäre das deine.«

Der Blick des Mädchens wanderte durch den ihr mittlerweile so vertrauten Raum. In einer spontanen Gefühlsregung schlang sie die Arme um den Hals des alten Mannes und lehnte ihr blondes Haupt an seine Schulter.

»Ich würde liebend gern bei ihnen wohnen, Monsieur Rambert!«

Der alte Mann sah sie einen Augenblick lang seltsam an, die Worte unterdrückend, die er vielleicht hätte sagen wollen, um sich dann sanft aus ihrer zärtlichen Umarmung zu lösen und sie zum Sofa zu führen, wo er sich neben ihr niederließ.

»Das ist eines der Dinge, an die wir nicht einmal denken dürfen, mein liebes Kind«, sagte er. »Ich würde dich mit Freuden in meinem Heim empfangen. Deine Anwesenheit, das Strahlen deiner sanften Züge würde meinem einsamen Herd Zauber verleihen, aber leider sind das nur eitle Träume. Wir müssen die Welt um uns bedenken. Die Gesellschaft würde es nicht gutheißen, wenn ein junges Mädchen wie du das Heim eines einsamen Mannes teilt.«

»Warum denn nicht«, fragte Therese überrascht. »Schließlich könnten sie mein Vater sein.«

Bei diesem Wort zuckte Etienne Rambert zusammen. »Ach«, sagte er, »du darfst nicht vergessen, dass ich nicht dein Vater bin, sondern seiner: der Vater des Mannes, der …«

Doch Thereses weiche Hand legte sich auf seine Lippen und hinderte ihn daran, den Satz zu beenden.

Um dem Gespräch eine neue Richtung zu geben, schob Therese Sorgen vor, was ihre eigene Zukunft anging.

»Als wir Querelles verließen«, sagte sie, »hat Präsident Bonnet mir versichert, dass sie mir etwas über meine Situation erzählen könnten. Daraus schließe ich, dass mein Vermögen nicht allzu groß ist.«

Es war wirklich eine Tatsache, dass man nach dem Mord an der Marquise die unerfreuliche Entdeckung machte, dass ihr Vermögen bei Weitem nicht so umfangreich war wie allgemein angenommen. Auf dem Anwesen lag eine Hypothek, sodass Präsident Bonnet und Etienne Rambert lange und schmerzliche Debatten geführt hatten, ob es für Therese nicht besser wäre, das Erbe von Beaulieu abzulehnen, da es zweifelhaft schien, ob der Erlös die Verbindlichkeiten überwog.

Etienne Rambert hatte eine vage, aber deutlich sichtbare Geste gemacht, als das Mädchen das Thema anschnitt, aber Therese war voller jugendlichem Überschwang.

»Oh, das macht mir das Herz nicht schwer«, rief sie aus. »Meine arme Großmutter war mir immer ein Vorbild, was Willenskraft und schwere Arbeit angeht. Ich habe auch Mumm und ich werde auch arbeiten. Was wäre, wenn ich Gouvernante würde?«

Monsieur Rambert sah sie nachdenklich an.

»Mein liebes Kind, ich weiß wohl, wie tapfer und ehrlich du bist, und das gibt mir Zuversicht. Ich habe schon oft über deine Zukunft nachgedacht. Selbstverständlich wird eines Tages ein sympathischer und wohlhabender junger Bursche erscheinen und dich heiraten. Oh ja, er wird. Du wirst sehen. In der Zwischenzeit aber werden wir eine Beschäftigung für dich brauchen. Ich frage mich, ob es notwendig sein wird, Beaulieu zu vermieten oder gar zu verkaufen. Und auf der anderen Seite kannst du auch nicht ewig bei der Baronne de Vibray bleiben.«

»Natürlich nicht, ich verstehe das«, sagte Therese, die mit ihrem angeborenen Taktgefühl, das eine ihrer herausragendsten Eigenschaften war, schnell eingesehen hatte, dass sie über kurz oder lang eine Bürde für das Privatleben der gütigen Baronne werden würde. »Das ist es, was mich am meisten quält.«

»Deine Herkunft und deine Erziehung sind so, dass sie es dir sicher schwermachen werden, die schwierige und diffizile, manchmal auch erniedrigende Stellung der Gouvernante in einer Familie einzunehmen. Ohne dir nahetreten zu wollen, muss ich daran erinnern, dass man heutzutage lange studieren muss, um Gouvernante zu werden. Du scheinst mir nicht gerade ein Blaustrumpf zu sein. Aber mir kam folgender Gedanke: Schon lange Jahre stehe ich in bester Beziehung zu einer Dame, die zur besten englischen Gesellschaft gehört – Lady Beltham. Du hast mich gewiss schon von ihr reden hören.«

Thereses Augen weiteten sich vor Überraschung.

Rambert fuhr fort: »Vor ein paar Monaten verlor Lady Beltham ihren Ehemann unter seltsamen Umständen und war seitdem so freundlich, mir mehr als zuvor ihr Vertrauen entgegenzubringen. Sie ist unvorstellbar reich und über die Maßen wohltätig. Ich wurde mehrfach von ihr gebeten, mich um einige ihrer vielen finanziellen Interessen zu kümmern. Nun habe ich des Öfteren bemerkt, dass sie einige junge, englische Damen um sich hatte, nicht als Gesellschafterinnen sondern, wie soll ich sagen, als Sekretärinnen. Verstehst du den Unterschied? Sie behandelt sie wie Freunde oder Verwandte und sie gehören alle zur besseren Gesellschaft. Einige von ihnen sind tatsächlich Töchter von Mitgliedern des Oberhauses. Wenn Lady Beltham, bei der ich mit dem Anliegen vorsprechen könnte, dich in ihre kleine Gesellschaft aufnehmen würde, so wärst du sicherlich in einer angenehmen Umgebung, und Lady Beltham, die sicher Gefallen an dir fände, würde sich zweifellos um deine weitere Zukunft kümmern. Sie weiß ebenso wie du, was Kummer ist, mein Kind«, fügte er hinzu, wobei er sich ihr freundlich zuwandte, »und sie würde dich verstehen.«

»Mein lieber Monsieur Rambert«, murmelte Therese ganz bewegt: »Tun Sie das. Sprechen Sie mit Lady Beltham über mich. Ich wäre Ihnen so dankbar!«

Therese konnte nicht alles sagen, was ihr auf dem Herzen lag. Ein lautes Klingeln der Glocke an der Vordertür unterbrach sie. Etienne Rambert erhob sich und ging durch den Raum.

»Das muss die gute Baronne de Vibray sein, die dich abholen will«, sagte er.